»Nächstens mehr.«

Lesen. Hören. Und ein bisschen schreiben.

Die Haare sind grau gewor­den. Und die Stimme im Falsett nicht mehr ganz so klar und rein, son­dern an manchen Stellen auch mal etwas brüchig.Die großen Sta­di­en füllt er auch nicht mehr, die Räume sind klein­er gewor­den. Aber son­st hat sich nicht viel geän­dert. Jon Ander­son ist immer noch ein großer Sänger. Und ein charis­ma­tis­ch­er Unter­hal­ter, der sein Pub­likum immer gut im Griff hat. Er braucht nicht viel dafür: Ein Gitarre, ein Mikro, zwis­chen­durch auch ein­mal ein Klavier – das war schon alles. Denn Ander­son ist alleine auf der Bühne des Frank­furter Hofes – alleine mit den vie­len Songs sein­er lan­gen, lan­gen Kar­riere. Hin­ter ihm flim­mert allerd­ings auch noch eine Video­pro­jek­tion mit aus­ge­sucht kitschi­gen Bilderni. Eine gewisse Nos­tal­gie ist dem Abend also nicht abzus­prechen. Und das Pub­likum – vor­wiegend echte Fans, die mit ihrem Start groß (und älter) gewor­den sind und sein Reper­toire in- und auswendig ken­nen – erwartet auch gar nichts anderes.

Viele Rem­i­niszen­zen bes­tim­men das Pro­gramm, viele alte Hits vor allem, ins­beson­dere natür­lich aus der großen Zeit von Yes. Und aus der Zusam­me­nar­beit mit Van­ge­lis, die einige großar­tige Songs her­vorge­bracht hat. Ander­son erzählt gerne davon. Und wenn er darüber plaud­ert, wie das große „Soon“ für Yes ent­stand, damals, in den wilden 70ern, gerät er noch ein­mal richtig ins Schwär­men. Doch in der Haupt­sache singt er. Und dabei ist er sich immer treu geblieben: Er klingt heute noch fast genau­so wie vor 40 Jahren, als Yes ger­ade anf­ing. Gut, die für Ander­son typ­siche Falsett-Stimme ist ein kleines biss­chen geal­tert. Aber das ver­lei­ht ihr nur noch mehr Charak­ter.

Auch seine Musik ist sich treu geblieben: Das neue Mate­r­i­al fügti sich bruch­los in das Reper­toire ein. Er ver­sucht sich auch mal am Reg­gae oder unter­legt sein Gitar­ren­spiel mit syn­thetis­chen Rhyth­men. Aber immer noch singt er gerne von ver­gan­genen Tagen und Zeit­en, vom Lieben und Leben überhaupt.Und trotz­dem bleibt er dabei ein unverbesser­lich­er Opti­mist: „Buddha’s Home“, eines sein­er neueren Stücke, ist getränkt vom Glauben an eine bessere Welt, an die Möglichkeit von ewigen Frieden. Wenn sich doch nur alle ein biss­chen mehr lieb­haben würden.Und ein wenig mehr Jon Ander­son hören wür­den – denn dann hätte kein­er mehr Lust auf Krieg und Verder­ben.

china jasmine da zhang shan

ist ein grün­er tee aus der chi­ne­sis­chen prov­inz jiangxi. obwohl ich ja eigentlich kein beson­der­er fan von grün­tee bin — der hier hat es mir dur­chaus ange­tan. ein sehr fruchtig-blu­miger jas­min tee ist das, eine gelun­gene kom­bi­na­tion aus ein­er frischen jas­min-note und einem leicht her­ben, kräfti­gen grund­tee. genau das richtige für trübe novem­ber­nach­mit­tage oder adventsson­ntage. mein händler schreibt zur herkun­ft dieses tees:

Das Naturschutzge­bi­et und Wildtier­reser­vat Da Zhang Shan (Großes Bar­ri­erenge­birge) liegt in der Prov­inz Jiangxi nahe der Kreis­stadt Wuyuan. Hier gibt es Bam­bus und Kiefer­n­wälder. Etwa 200 kleine Dör­fer liegen hier. Das Gebi­et wird noch weit­ge­hend tra­di­tionell bewirtschaftet und ist von ein­er Indus­tri­al­isierung ver­schont geblieben.

zubere­itung: 12g tee auf 1,5 liter wass­er bei 85 °C und ein­er ziehzeit von 1,5 minuten.

laufen. und laufen. oder doch lieber laufen?

du läuf­st.

irgend­wann fängst du an, die tage zu zählen: 10, 20, 50, 100 — da ist schon das erste viertel­jahr geschafft.

du läuf­st durch den pras­sel­nden hagel und den leise nieder­riesel­nden schnee. du freust dich über die weiße pracht. das laufen durch ver­schneite wälder am frühen nach­mit­tag. du holst die stirn­lampe her­vor und rennst sog­ar im dunkeln durch den wald und scheuchst dabei das spär­liche wild und dessen jäger auf. du lässt dich für ver­rückt erk­lären, weil du nach einem lan­gen skitag auch noch die lauf­schuhe her­vorkramst. du stolperst über wurzeln und steine. du rutscht auf eis­plat­ten aus und schlägst dir die hände blutig. du beobacht­est, wie der schnee schwindet und auch die let­zten schat­ten­löch­er wieder braun und grün wer­den.

du siehst, wie die sämaschi­nen über die äck­er rumpeln. wie die ersten weizenkeim­linge sprießen. du siehst den mais wach­sen. das gras grü­nen und wieder welk wer­den. du ziehst immer weniger zum laufen an. du nimmst immer mehr wass­er mit. du wirst braun wie ein neger — aber nur an armen und beinen. du zer­läuf­st in der hitze der hund­stage. aber du läuf­st.

du lauschst den tropfen auf dem blät­ter­dach und dem murmeln des bäch­leins, dass sich durch die wiesen und wei­den schlän­gelt. du lässt dich von den kühen, schafen, ziegen und pfer­den teil­nahm­s­los anglotzen.

du sieht die mäh­dresch­er und bald auch die rüben­vollern­ter übers land ziehen. du ärg­erst dich über die staub­fah­nen, die von den aus­getrock­neten feldern über dich wehen. du freust dich über jedes laue lüftchen. du siehst die wälder gelb und rot wer­den und entzückst dich an dem son­nen­licht, das durch den bun­ten herb­st­wald strahlt. du beobacht­est, wie der wein gele­sen wird. du siehst die blät­ter fall­en und eine wun­der­bar rutschige schicht auf den wald­we­gen bilden. du spürst die herb­st­winde wehen. du merkst, wie selb­st der rhein aus­trock­net und die kies­bänke aus den fluten auf­tauchen. und du siehst immer wieder die schiffe vor­beiziehen — manche über­holst du, viele ziehen an dir vor­bei.

du lässt dich auch von dem regelmäßi­gen knirschen dein­er eige­nen füße auf dem sandweg nicht ver­rückt machen, son­dern find­est nach zehn oder zwanzig kilo­me­tern einen ganz neuen schwe­bezu­s­tand der wahrnehmung. du goutierst sog­ar das stun­den­lange getrap­pel von mehreren dutzend füßen auf asphalt, dass dich am son­ntag­mor­gen begleit­et.

du freust dich über die nebelschwaden am rhein. du merkst auf ein­mal, dass der herb­st schon fast vorüber ist, wenn du die lan­gen laufho­sen aus dem schrank kramst. du hörst sam­stags die motorsä­gen im wald heulen und die äxte klir­rend auf die spaltkeile tre­f­fen. du riechst den wun­der­baren geruch des frisch geschla­ge­nen holzes.

du läuf­st mor­gens, mit­tags und abends. und manch­mal auch mit­ten in der nacht. du bist bei voll­mond unter­wegs und in den düsteren tagen des neu­monds. du läuf­st unter klarem him­mel und bewun­der­st immer wieder die weite des ster­nen­him­mels. du siehst, wie sich der mond im teich spiegelt und freust dich, dass außer dir nie­mand die ruhe der nacht stört. du freust dich auch über einen san­ften früh­som­mer­schauer und ärg­erst dich schon wieder über den ersten herb­sthagel.

du siehst rehe, füchse, eich­hörnchen, mäuse und fasane, eichel­häher, raben und krähen. du machst respek­tvoll einen bogen um die wild­schweine. du stolperst über die stadt­tauben, die dich schon so gut ken­nen, dass sie dir über­haupt nicht mehr auswe­ichen. die pferde stieben davon, wenn sie dich schnaufend um die ecke laufen bemerken. die wei­derinder lassen sich beim wiederkäuen nicht stören. du rechnest immer noch bei jedem frei laufend­en hund mit dem schlimm­sten.

du über­holst (nordic) walk­er, spaziergänger und wan­der­er. du ziehst an rad­fahrern und inline-skatern vor­bei und lässt reit­er und kutschen hin­ter dir. mit den moun­tain­bik­ern lieferst du dir heiße kämpfe, wer den hügel schneller hin­auf kommt — und nicht immer gib­st du dich geschla­gen. du schlän­gelst dich durch die fußgänger­zone und irrst über die feld­wege. du kämpf­st dich durch längst verwach­sene und vergessene wald­wege und suchst immer neue pfade durch dein revi­er. du ent­deckst selb­st dort, wo du schon zwanzig jahre unter­wegs bist, neue wege. du erin­nerst dich an alte pfade aus frühen zeit­en. du find­est nie­mand mehr, der mit dir laufen mag. aber du läuf­st.

du ärg­erst dich über die forstar­beit­er, die mit ihren riesen­maschi­nen jeden weg in eine schlammp­iste ver­wan­deln und halbe bäume auf deinen laufrouten hin­ter­lassen. und zugle­ich freust du dich über die her­aus­forderung, diese etappe in der näch­sten woche ein wenig flot­ter und ele­gan­ter zu meis­tern. du springst über baum­stämme und kriechst unter ästen hin­durch, wind­est dich auch ohne weg durch den ungepflegten dämm­ri­gen wald. du regst dich über jäger auf, die mit fün­fzig sachen auf dem weg zu ihrem hochsitz an dir vor­beibrausen und deine hack­en nur um haares­bre­ite ver­fehlen.

du wun­der­st dich über angler, die stun­den­lang nahezu bewe­gun­s­los vor ihrer angel sitzen, in den fluss star­ren und das ganze sport nen­nen. du durch­brichst ganz unbe­wusst und aus verse­hen zum ersten mal die schall­mauer der 100-wochenkilo­me­ter. und weil du ger­ade beim laufen bist, hängst du noch so eine woche hin­ten­dran. und noch eine. denn du läuf­st. täglich.

du fängst irgend­wann an, einen train­ings­plan zu suchen. und du läuf­st dann wie ein irrer eine stunde im kreis auf der finnen- und tar­tan­bahn. du keuchst und stöhnst über die ver­rück­te idee, nach einem lan­gen tag in den engen und stick­i­gen hörsälen noch ein inter­vall­train­ing machen zu wollen. aber du merkst, wie du immer fit­ter und schneller wirst. du läuf­st deinen ersten marathon und kannst dich vor begeis­terung kaum noch einkriegen.

du sam­melst schuhe. du wirst zum experten für gps-aufze­ich­nun­gen und puls­fre­quen­zen. du fängst sog­ar an, über deine ernährung nachzu­denken. und du liest von wild­frem­den leuten lange berichte über beson­ders schöne und span­nende läufe.

oder du stehst mit­ten in der nacht auf, um vor einem lan­gen tag im reise­bus wenig­stens noch drei kilo­me­ter abzus­pulen und bist trotz­dem als erster beim früh­stück. du nervst deine fre­unde, weil du immer am über­legen bist, wo und wie du am besten laufen gehst — selb­st im urlaub. du lässt auch deine gedanken laufen, du gehst den ver­gan­genen tag noch ein­mal durch und über­legst, was noch auf dich zukom­men wird in den näch­sten stun­den. du pro­bierst sätze und argu­mente, du wälzt prob­leme und ersinnst lösun­gen. du rennst dir den frust aus dem leib. du schweb­st vor lauter euphorie über die wege. du spulst kilo­me­ter um kilo­me­ter ab und kommst doch nicht vom fleck. aber du läuf­st.

du wirst tol­er­an­ter: die ver­rück­testen spin­ner erscheinen dir auf ein­mal ganz nor­mal. denn du läuf­st immer noch. jeden tag. selb­st wenn das heißt, dass du deine lauf­schuhe ins boot pack­en musst. oder dass du bar­fuß los­rennst, damit deine blase endlich mal ein paar tage ruhe zum heilen hat.

und endlich lernst du deinen weg lieben wie sisyphos seinen stein (auch wenn es bei lan­gen train­ingsläufen manch­mal schw­er fällt, jeman­dem zu erk­lären, warum du dir das antus): camus hat­te recht. und du läuf­st und läuf­st und läuf­st.

ganz ein­fach.

jeden tag

west und ost friedlich vereint im meisterkonzert

Die Blech­bläs­er scheinen ein wenig nervös zu sein, vor diesem Konz­ert in der Rhein­gold­halle. Bis zur let­zten Minute üben sie noch ihre Soli. Das ist ja auch kein Wun­der, denn das erste Stück beste­ht eigentlich nur aus Soli für Bläs­er und Schlagzeuger: Aaron Cop­lands „Fan­fare for the Com­mon Man“ machte den Beginn beim Meis­terkonz­ert. Und es ist ein aus­ge­sprochenn passender Auf­takt. Denn das Konz­ert trug schließlich den Titel „Aus Ost und West“. Bevor die Klan­greise im zweit­en Teil aber in den Osten ging, blieb die Deutsche Staat­sphil­har­monie nach der geglück­ten Cop­land-Eröff­nung noch ein wenig im West­en. Im tief­sten West­en sozusagen.

Denn das Vio­linkonz­ert von Samuel Bar­ber ist eben­falls eine echt amerikanis­che Musik. Da passt es natür­lich, dass die Solistin auch aus den USA kommt. Anne Akiko Mey­ers erfüllt ihren Part mit rou­tiniert-sou­verän­er Genauigkeit – auch im vir­tu­os wirbel­nden Per­petu­um Mobile des drit­ten Satzes. Mit klarem und deut­lichen Ton, der trotz­dem fül­lig blieb und immer wieder auch mit großzügigem Vibra­to dient geri­et das an manch­er Stelle vielle­icht ein Tick zu protzig. Dabei hätte sie das gar nicht nötig, wie die erfrischend luzide Gestal­tung des ersten Satzes zeigte. Aber ander­er­seits kommt bei Bar­ber eben ohne Sen­ti­men­tal­ität auch nicht weit. Und gemein­sam mit dem Diri­gen­ten der Staat­sphil­har­monie George Pehli­van­ian dosiert sie die sehr genau – so genau, dass das Vio­linkonz­ert nie zum Kitsch wird.

Den Osten durfte in der Rhein­gold­halle die 15. und let­zte Sym­phonie von Dim­itri Schostakow­itsch repräsen­tieren. Die stellt sich hier als ein grotesker Zauber­garten, vollgestopft mit aller­lei abson­der­lichen Kuriositäten, vor. Und der kleine drahtige Libanese auf dem Diri­gen­ten­podest hat seine Freude daran, hat hör- und sicht­bar Spaß am über­dreht­en Absur­dis­tan dieser Sym­phonie. Die Schärfe, mit der George Pehli­van­ian das Klang­bild kon­turi­ert, die Klarheit, mit der er die vie­len Schnitte dieses Mon­u­mentes akzen­tu­iert, das ist große Klasse. Und wie er dann in einem winzi­gen Wim­pern­schlag umschal­tet auf die epis­che Tragik der langsamen Sätze, das ist ein­fach wun­der­bar. Denn ger­ade die genau aus­bal­ancierte Mis­chung aus­ge­spiel­ter Mat­tigkeit und lockere Tollerei zeich­net seine Dar­bi­etung der let­zten Sym­phonie des Russen aus. Und dafür bekam er zurecht großzügi­gen Beifall.

(geschrieben für die mainz­er rhein-zeitung)

bildungswissenschaftliche seminare an der uni mainz — ein witz …

wenn es nicht so trau­rig wäre, wäre es in der tat zum lachen. auch wenn das ein ganz schön blöder und abge­s­tanden­er spruch ist — hier stimmt er aus­nahm­sweise ein­mal. denn was in dem sem­i­nar „ler­numge­bun­gen gestal­ten” so passiert, ist wirk­lich eine schande — eine schande für die bil­dungswis­senschaft, für die uni­ver­sität und auch ein besorg­nis erre­gen­der blick in die zukun­ft an den schulen. jede woche denke ich, dass niveau kann nun eigentlich nicht mehr fall­en — aber das unglaubliche ist, bish­er geschah immer wieder genau das. jede woche soll ja, so hat das unser dozent — der an der mis­ere dieses „sem­i­nars” (ohne anführungsze­ichen kann ich den begriff für diese ver­anstal­tung nicht mehr ver­wen­den) wesentlichen anteil hat — eine gruppe stu­den­ten ca. 60 minuten der sitzung gestal­ten. und das ist grausam. jedem noch so laschen kri­teri­um von wis­senschaftlichkeit wird hier hohn gespot­tet. was übrig bleibt, sind ver­suche der über­pä­dad­gogisierung, die mich vor allem wegen ihres erbärm­lichen inhaltlichen niveaus so unge­heuer aufre­gen. wahrschein­lich würde es über­haupt nicht auf­fall­en, wenn ein mit­tel­stufen­schüler in dieser ver­anstal­tung mit­machte — er kön­nte prob­lem­los mitre­den, so weit ist der anspruch inzwis­chen gesunken. von vor­bere­itung oder nach­bere­itung kann natür­lich keine rede sein — dafür dür­fen wir dann rol­len­spiele (!) oder the­atralis­che auf­führun­gen über uns erge­hen lassen — als hät­ten wir nix besseres zu tun. die heutige sitzung z.b. wid­mete sich zum zweit­en mal dem the­ma (problem-)schüler(-rolle). und was haben wir gemacht: über einen miniatur-auss­chnitt eines textleins von alfred ander­sch gelabert und sind zu dem ergeb­nis gekom­men, dass ord­nungs­maß­nah­men nicht streng nach kat­a­log der verge­hen ange­ord­net wer­den kön­nen. na toll. das kann ich in zwei minuten darstellen. und der dozent sitzt hin­ten und macht — was eigentlich? wofür bekommt der eigentlich sein geld? ah; ich kann gar nicht aufhören, mich über diesen blödsinn zu ereifern … ich habe ja große lust, in mein­er grup­pe­nar­beit das ganze mal zu kon­terkari­eren und ein klas­sis­ches refer­at zu hal­ten …

gar nicht schlecht: “ein deutsches requiem” von brahms in michelstadt

Die Konkur­renz ist nicht ger­ade klein. Lan­dauf, landab ste­ht es momen­tan auf dem Pro­gramm, die CD-Regale quillen über von Ein­spielun­gen. Und doch wagt es der Michel­städter Dekanatskirchen­musik­er Hans-Joachim Dumeier, „Ein deutsches Requiem“ von Johannes Brahms aufzuführen. Das ist nie ein leicht­es Unter­fan­gen. Denn nicht nur ist diese Trauer­musik aus­ge­sprochen bekan­nt, son­dern auch noch dazu recht schwierig – für Chor und Orch­ester genau­so wie für die bei­den Solis­ten. Deshalb haben sich in der Michel­städter katholis­chen Kirche die Kan­tor­eien aus den bei­den Dekanat­en Oden­wald und Rein­heim zu einem großen Konz­ertchor zusam­menge­tan, um das Großw­erk gemein­sam zu stem­men. Und sie haben noch die Hei­del­berg­er Kurp­falzphil­har­monie gemietet sowie zwei Solis­ten engagiert. Die Stim­mung am Toten­son­ntag ist entsprechend anges­pan­nt und erwartungsvoll: Schon früh sind die Bänke der katholis­chen Kirche St. Sebas­t­ian voll beset­zt.

Und dann geht es endlich los: Die großar­ti­gen ersten Tak­te des deutschen Requiems erklin­gen, mit den tiefen Stre­ich­ern schle­icht sich Dumeier ganz sacht und flex­i­bel hinein in die Welt des deutschen Requiems, in das Gebi­et der Trauer, in den Bere­ich von Tod und ewigen Leben. Ein gemäch­lich­es Tem­po schlägt er an. Und formt den ersten Satz damit zu ein­er Musik von großer Ruhe und Kraft. Mit Hingabe kostet er gemein­sam mit den Cho­ris­ten jeden Takt voll aus – und darüber kann es auch schon mal passieren, dass er den Überblick ein kleines biss­chen zu ver­lieren scheint.Das ist allerd­ings weit weniger störend als die man­gel­nde Sorgfalt und das holzschnit­tar­tige Gedudel des Orch­esters, das sich an diesem Tag wahrlich nicht mit Ruhm bek­leck­ert. Der zweite Satz erfüllt die imma­nente Gänse­haut-Garantie wiederum ganz prob­lem­los. Nur schade, dass die Kurp­falzphil­har­monie den Anfeuerun­gen Dumeiers wieder kaum fol­gen mag. Der gab hier näm­lich alles: Mit Faustschlä­gen, Stößen, und Hak­en malt, zeich­net und formt er seine Klangvorstel­lung in die Luft. Und der Chor fol­gt ihm dabei wun­der­bar: Her­rliche Kon­traste und kräftige Impulse verbinden sich zu wun­der­bar geformten großen Bögen und schwin­gen bre­it im schö­nen Abschluss aus: Eine Musik voller Gewis­sheit ein­er Zeit der Erlö­sung von Leid und Schmerz.

Auch weit­er­hin ist es vor allem der Chor, der die beson­deren Akzente set­zt. Die bei­den Solis­ten kamen da nicht so recht her­an: Peter Arestov sang aus­ge­sprochen pathetaisch-the­atralisch – aber nie so beseelt und begeis­tert wie die Ama­teure. Und die etwas angestrengt-schrille Stimme der Sopranistin Sigrun Haas­er war nicht nur kaum zu ver­ste­hen, son­dern auch recht eindi­men­sion­al in der Klanggestal­tung.

Solche Prob­leme hat­te der Chor über­haupt nicht. Die Sorgfalt der Erar­beitung, die viele Proben­zeit, die ein solch­es Großpro­jekt erfordert, wur­den von den Sän­gerin­nen und Sängern immer wieder nicht nur in sorgfältige Klänge, son­dern vor allem in engagierten Aus­druck umge­set­zt. Bestes Beispiel dafür: Der hochdrama­tisch angelegte sech­ste Satz mit den großar­ti­gen Chor­pas­sagen, die hier schon fast höh­nisch fra­gen: „Tod, wo ist dein Stachel?“. Das ist ohne Zweifel der absolute Kul­mi­na­tion­spunkt an diesem Son­nta­gnach­mit­tag: Die unge­broch­ene Gewis­sheit, dass der Tod keineswegs das let­zte Wort haben wird.

(so stand es am 27.11.2007 im oden­wälder echo und hat einige reak­tio­nen her­vorgerufen, zu denen ich mich hier im blog noch ein­mal geäußert habe)

gewagt und gewonnen: die rheinische orchesterakademie spielt webern, schubert und strauss

Es ist wieder ein­mal ein aus­ge­sprochen anspruchsvolles Pro­gramm, dass sich die Rheinis­che Orch­ester­akademie Mainz (ROAM) für ihre achte Arbeit­sphase vorgenom­men hat­te. Wer ein Konz­ert mit Anton Weberns Pas­sacaglia eröffnet, beweist zumin­d­est ein­mal ordentlich­es Selb­stver­trauen. Aber das Wag­nis lohnt sich, wie das Abschlusskonz­ert im Schloss zeigte. Denn die Mis­chung aus for­maler Konzen­tra­tion und Schwel­gen im noch spätro­man­tis­chen Klang gelang den jun­gen Musik­ern erstaunlich gut. Vor allem dank der stren­gen Hand des Diri­gen­ten Manuel Nawri blieb das Opus 1 Weberns trotz sein­er kom­plex­en Struk­turen klar und über­schaubar: Pure Span­nung und reine Inten­sität — ein wirk­lich beein­druck­ender und ver­heißungsvoller Auf­takt. Und es ging auf hohem Niveau weit­er: Mit den „Vier let­zten Liedern“ von Richard Strauss führte der Weg ein Stück zurück in die „echte“ Spätro­man­tik. Die Orcehster­lieder sind zwar erhe­blich später als die Pas­sacaglia kom­poniert wor­den, leben aber noch ganz aus und im Geist der späten Roman­tik.

Die Solistin Bet­sy Horne sang das über weite Pas­sagen sehr zurückgenom­men und wun­der­bar in den Orch­esterk­lang inte­gri­ert. Nie exaltiert, aber doch immer anges­pan­nt, klar fokussiert und so natür­lich, wie solch kun­stvolle Lieder über­haupt noch zu sin­gen sind. Feinsin­nig gestal­tet und sen­si­bil­isiert für fein­ste Nuan­cen: In dieser fast überspan­nten nervösen Empfind­lichkeit traf sie sich genau mit dem Orch­ester. Das hat­te jet­zt seine Klangdichte und vor allem die bewegliche Geschmei­digkeit noch ein­mal spür­bar gesteigert. Alle waren allerd­ings auch fest entschlossen, nicht zu übertreiben, der Empfind­samkeit nicht vol­lends nachzugeben – das macht diese Lieder in ihrer san­fte Form- und Klangge­bung zu wun­der­baren Juwe­len des Abschiedes, die in ihren let­zten Tönen doch noch viel Zukun­ft ver­heißen.

Die ROAM ließ diese Ver­heißung allerd­ings erst ein­mal hin­ter sich und machte sich noch ein gutes Stück weit­er in die Ver­gan­gen­heit auf: Zu Schu­berts viert­er Sin­fonie, der „Tragis­chen“. Jet­zt wech­sel­ten sich feine Arabesken immer wieder mit aus­ge­sprochen mas­sive Klän­gen. Manuel Nar­wi sorgte für ein ein­fühlsames Gleit­en durch die Par­ti­tur. Selt­sam nur, dass bei­de Mit­tel­sätze so deut­lich abfie­len – da fehlte schlicht zuviel innere Span­nung als Antrieb­s­fed­er. Die Eck­sätze dage­gen liefen wie am Schnürchen: Diese vitale Musik spielte die ROAM mit hör­bar­er Freude und Enthu­si­as­mus.

Fünf Rei­hen über die ganze Bre­ite des Hauptschiffes benöti­gen sie: Die Mainz­er Dom­chöre bieten für „Ein deutsches Requiem“ von Brahms alles auf. Und den­noch stimmt das Sprich­wort „Masse statt Klasse“ sel­ten so wenig wie an diesem Nach­mit­tag. Denn der Domkapellmeis­ter Math­ias Bre­itschaft kann bei­des vere­inen: Masse mit großer Klasse.

Der Dom-Akustik mag es geschuldet sein, dass er vor allem auf die großen Bögen set­zt, die weit an- und abschwellen­den Span­nungsver­läufe. Vor allem in den Anfän­gen spendet das nur wenig Trost, dafür aber ganz viel Trauer: Und je tiefer die Trauer, desto gewichtiger ist auch die Erlö­sung im Glauben, die dieses Musik ver­spricht. Eine tiefe Ern­sthaftigkeit und volle Hingabe prä­gen dieses deutsche Requiem. Seine extreme Expres­siv­ität der über­wälti­gen­den Gefüh­le wird im Dom mit starken Kon­trasten beson­ders weit aus­gelotet. Schade nur, dass Bre­itschaft dem Mainz­er Kam­merorch­ester so wenig Aufmerk­samkeit wid­met. Oder dass die Instru­men­tal­is­ten ihn so wenig beacht­en. Jeden­falls ist das deutsche Requiem im Dom ganz und gar eine Chor­musik – mit bloß beglei­t­en­den­dem Orch­ester. Und mit zwei Solis­ten: Der Bari­ton Berthold Posse­mey­er gibt alles, set­zt jedes Quäntchen Kraft und Druck sein­er Stimme ein. So schafft er im drit­ten Satz eine phänom­e­nal wuchtige Belehrung: Jed­er Buch­stabe ist hier deut­lich artikuliert und präg­nant geformt. Und dann ist das Ganze auch noch zu ein­er klaren Lin­ie ver­bun­den, schwingt sich ganz har­monisch mit dem Chor zusam­men zu neuen Höhen auf. Seine Kol­le­gin Katha­ri­na Woll­witz kon­nte dieses Niveau nicht mehr ganz erre­ichen. In dem mit­tler­weile emo­tion­al sehr aufge­lade­nen Kon­text blieb sie doch zu zurück­hal­tend und unschein­bar. Zumin­d­est beim Brahms. Die ein­lei­t­ende Bach-Kantate“Ich hat­te viel Beküm­mer­nis“ – für die das Pub­likum allerd­ings erst noch auf den Organ­is­ten warten musste – lag ihr hör­bar mehr. Auch John Pierce, der kurzfristig für den erkran­ten Mar­tin Erhard ein­sprang, brachte dort seine gewohn­ten Qual­itäten ins Spiel. Doch auch bei diesem Auf­takt war der Chor, zwar noch in reduziert­er Beset­zung, schon ein­deutig die Haupt­sache. Die Chorsätze überzeu­gen beson­ders, weil sich die Sänger von Math­ias Bre­itschaft spür­bar mitreißen lassen und die Schlussfuge mit einem wahrhaft begeis­terten „Allelu­ja“ krön­ten.

„Nicht der Bey­fall des gegen­wär­ti­gen Jahrhun­derts, das wir sehen, son­dern des kün­fti­gen, das uns unsicht­bar ist, soll uns begeis­tern.” (j. g. hamann an i. kant, dezem­ber 1759 [zitiert nach eck­e­hard schu­mach­er, die ironie der unver­ständlichki­et, 155])

lyrimail — den tag mit einem gedicht beginnen

heute hat lyrik­mail — über­haupt ein aus­ge­sprochen net­ter und empfehlenswert­er, noch dazu kosten­los­er ser­vice, den ich mit freuden jeden tag genieße — mir eine große freude gemacht: ich durfte den tag mit ein­er kleinen por­tion schiller begin­nen:

Majes­tas pop­uli.

Majestät der Men­schen­natur! dich soll ich beim Haufen
Suchen? Bei Weni­gen nur hast du von jeher gewohnt.
Einzelne Wenige zählen, die Übri­gen alle sind blinde
Nieten; ihr leeres Gewühl hül­let die Tre­f­fer nur ein.

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