Einige wenige subjektive und ungeordnete An- und Bemerkungen zu meinem Besuch der Tage Alter Musik (TAM) in Regensburg in der vierzigsten Ausgabe an Pfingsten 2025.
- Das Festival bot wieder eine wunderbare Vielfalt im Programm zwischen gewaltig-bombastisch-pompösen Prunkmusiken und intimen Kammermusiksettings.
- Meine Tage waren dieses Mal sehr katholisch ;-).
- Es nervte micht erstaunlich stark, wenn die angegebene Konzertdauer so überhaupt nicht stimmte. Ich war in einigen Konzerten, bei denen die Musiker*innen deutlich überzogen. Eigentlich ist das ja zunächst mal überhaupt nicht schlimm, irgendwie hat es mich – und auch einige andere, mit denen ich sprach – doch ein wenig verstimmt. Vermutlich, weil die Erwartungshaltung dann einfach nicht mehr passte. Meistens war das ja auch nicht wild: 90 Minuten statt 70 sind ja kein Weltuntergang (sondern mehr gute Musik!). Am Samstag Abend, bei Solomon’s Knot, war mit 2,5 Stunden der Bogen allerdings deutlich überspannt.
- Die kleineren, unscheinbareren Programme haben mir dieses Mal durch die Bank deutlich besser gefallen als die ganz „großen“ Acts.
- Viele Programme spielen mit oder versuchen zumindest eine irgendwie historische Überhöhung der Musik: Verboten, vergessen, verhindert, versteckt, – und dann einmalig und ganz besonders in der Wiederauflebung und so weiter. Das wird durch die musikalische Substanz aus meiner Perspektive nicht immer wirklich gedeckt, kann man aber als Werbemaßnahme auch getrost einfach ignorieren.
- Historische Räume haben oft erstaunlich unbequeme Sitzgelegenheiten, Bänke und Stühle gleichermaßen. Die Kirchenbänke der Dreieinigkeitskirche aus dem 17. Jahrhundert stechen da besonders heraus.
- Drei Nachtkonzerte hintereinander mit Beginn jeweils um 22.45 Uhr sind für mich, der ich um diese Zeit normalerweise schon schlafe, doch anstrengend.
- Die Organisation der TAM ist sehr souverän, die haben das alles perfekt im Griff. Kein Wunder, das war ja auch schon das vierzigste Mal.
- Das Programmheft mit 160 Seiten im A4-Format ist für mich etwas unpraktisch und unhandlich. Ich hätte mir eine pdf-Version gewünscht. Und bei so einigen Programmeinführungen ein bisschen mehr Tiefgang in analytischer und musikgeschichtlicher Hinsicht. Ich bin mir recht sicher, das Publikum der TAM würde das verkraften. Und: Ich habe irgendwie im Gedächtnis, das früher die Programmfolge auch ohne das offizielle Programm (auf der Website?) zugänglich war. Die am Eingang jeweils ausgeteilten gesungenen Texte sind aber eine große Hilfe.
- Das/Der Hathor Consort mit den Sopranistinnen Dorothee Mields und Hanna Blažíková mit einer Auswahl von Barbara Strozzi, eine der wenigen Komponistinnen der Alten Musik, war ein wunderbarer Auftakt für mich im ersten Nachtkonzert am Freitag. Das war ein stimmiges Programm mit guter Dramaturgie, präzise, lebendig und sehr farbig gesungen war das eine große Freude mit (mir) unbekannter Musik.
- Samstag Nacht, im zweiten Nachtkonzert, feierte der Tenebrae Choir Palestrinas 500. Geburtstag mit seine Missa Viri Galilaei im Mittelpunkt. Ein sehr schönes und ausgewogenes Programm, in dem der wunderbar intonierende Tenebrae Choir in der schönen frühgotischen St. Blasius klare Linien in gelassener Ruhe und klanglicher Schönheit entfaltete – ein ruhiger, fast meditativer Abschluss des Tages.
- Für das dritte Nachtkonzert luden Cappella Pratensis und das mir schon von früher als famos bekannte Sollazzo Ensemble ins Brauhaus am Schloss. Nunja, das Setting war zwar von der Idee her passend und naheliegend: Das Programm war eine Rekonstruktion des „Schwanenmahls“ der Mariengilde in ’s‑Hertogenbosch. Aber mich hat das ein wenig gestört. Der Raum war arg überbelegt, es war schon im Normalzustand kaum ein Durchkommen zwischen den Tischen. Was hier passiert wäre bei einem Unglück mag ich mir kaum ausmalen, zumal auch der einzige Notausgang mit einem Tisch zugestellt war (die ganze Belegung kann meines Erachtens feuerpolizeilich nicht genehmigungsfähig gewesen sein). Die Bedienungen haben trotz anderslautender Ankündigung im Programm noch die ersten 15 Minuten des Konzertes (das es ja doch war und auch sein sollte!) bedient, das war sehr störend. Aber die Musik! Die fünf Männer der Cappella Pratensis sangen Messteile, direkt aus Faksimiles der originalen Quellen (und nicht aus modernen Transkriptionen). Das heißt ja auch, dass sie alle aus einem Exemplar sangen, sich also dort herum versammeln. Und das setzt natürlich voraus, dass alle die historischen Notationen (die ja nach heutigen Standards eher rudimentär sind und viel Zusatzwissen um die korrekte Lesart erfordern) genauso beherrschen wie die Umsetzung in Klang. Ich weiß nicht, ob das wirklich einen entscheidenden Unterschied macht, aber sie beherrschen die Kunst und ihre reinen Stimmen auf jeden Fall bis ins letzte Detail. Das war wirklich faszinierend in jedem Augenblick und jedem Detail. Und zusammen mit dem Sollazzo Ensemble ergeben sich noch zusätzliche wunderbare Farbkombinationen, die auch sehr intensiv und direkt miteinander agieren. Das gilt natürlich gnaz besonders, wenn sie so etwas wie Scherzcouplets mit schlüpfrigen Andeutungen aufführen. Ein wirklich wunderbarer Ausflug ins 15. und 16. Jahrhundert, der mich sehr entzückte!
- Meine Skepsis gegenüber Rekonstruktionen verloren gegangener Musik hat sich zumindest teilweise bestätigt. Schon im letzten Jahr hatte mich die Bach-Rekonstruktion nur halb überzeugt, in diesem Jahr gar nicht: Für Solomon’s Knot hat Chad Kelley die Trauermusik Bachs für Leopold von Köthen, seinen ehemaligen Dienstherren, rekonstruiert oder neu geschrieben. Überliefert ist nur das Libretto von Picander und der Hinweis, dass Bach für die Trauermusik (unter anderem) aus der Matthäuspassion parodiert hat. Das war ja gängige Praxis und gibt heutigen Spezialisten viel Möglichkeit, Pseudo-Bach neu zu schreiben. Ob es dann tatsächlich so klang, ist in der Regel reine Spekulation – was genau er und vor allem wie parodiert hätte, ist ja gerade nicht bekannt. Jedenfalls hat die Köthener Trauermusik also einige Hits aus der Matthäuspassion. Da kann man lustiges Erkennen spielen. Aber der Text ist halt doch rein situationsbezogen, weist eigentlich nie wirklich über den konkreten Anlass, das Begräbnis des Fürsten, hinaus, transzendiert das also überhaupt nicht vom konkreten Trauerfall in allgemeinere Ideen, Glaubenssätze oder Inhalte zu Tod oder Trauer. Die Kombination dann, also rein situativer Text mit Musik, die aus anderen Kontexten sehr gut bekannt ist, machte das Werk für mich weitgehend uninteressant (zumal das auch noch recht umfangreich war). Obwohl Solomon’s Knot das ausgesprochen großartig musiziert haben! Die vorangestellte Trauer-Ode fand ich wesentlich intensiver, faszinierender und berührender.
- Musikalische Witze können auch nervend werden. Das italienische Ensemble Zefiro unter dem Oboisten Alfredo Bernardini hat ein Program „Follia“ präsentiert, das mir ein wenig arg auf die komische und witzige Variante hinauslief, die – vor allem in der wiederholten Kombination – dann doch etwas platt geriet. Vielleicht bin ich dafür aber nur zu sauertöpfisch, die Musiker*innen selbst und das Publikum schienen viel Spaß zu haben …
- Immer wieder aber großartig die Ensembles, die sich mit viel Einsatz und Genauigkeit der Musik und ihren Programm verschrieben. The Beggar’s Ensemble mit/unter Augustin Lusson präsentieren „Meister des französischen Barocks“ – Orchesterstücke von Rameau und Violinkonzerte von Jean-Marie Leclair und Joseph Bodin die Boismortier. Das war nicht nur (gerade in den Konzerten) hochvirtuos, sondern vor allem ausgesprochen farbig, obwohl ein reines Streicherensemble. Aber die Plasizität und Ausdruckskraft, die The Beggar’s Ensemble aus ihrem Program herausholten, hat mich durchweg begeistert. Grandios.
- Wirklich schön auch das Programm „Il Concerto Segreto“ von La Néréide. Mit drei Sopranistinnen und eher zurückhaltender (und klein besetzter) Begleitung führten sie eine schöne Auswahl der Madrigale von Luzzasco Luzaaschi und Kollegen aus Italien kurz vor 1600 auf. Das war mir ein völlig unbekanntes Repertoire, das die Minoritenkirche aber schön, feinsinnig und im durchaus virtuosen Gesang auch sehr klangsinnig füllte. Zum Glück störte das Martinshorn erst beim Ende der zweiten Zugabe.
- Nicht alle Ausgrabungen sind besonders zwingend. Xenia Löffler und die Batzdorfer Hofkapelle haben sich in der Bibliothek der Thurn-und-Taxi’schen Hofkapelle umgesehen und eine Auswahl sinfonischer Musik mit besonderer Berücksichtigung der Oboen in St. Emeram aufgeführt (also fast am historischen Ort der Uraufführung im Schloss Thurn und Taxis). Insbesondere Theodore von Schachts Concertante mit 3 Oboen ist in Bezug auf die verlangte und hier tadellos vorgeführte Viruosität durchaus beindruckend. Sowohl Haydns „Schulmeister“-Sinfonie als auch die Sinfonia von Johann Gottlieb Graun waren für mich nun aber keine unbedingt zwingende Ausgrabungen.
- Immer wieder wahr: Begeisterung und Hingabe der Ausführenden erzeugt fast zwangsläufig Begeisterung auch beim Publikum.
- Das Prunkprogramm „Splendor Austriae“ von Ars Antiqua Austria und den St. Florianer Sängerknaben unter Gunar Letzbor mit Messen und anderen geistlichen Werken von Benedikt Aufschnaiter und Heinrich Ignaz Franz Biber hat mich nur teilweise begeistert. Gerade die 32-stimmige Vesperae von Biber konnte sich für mich nicht so recht entfalten, da ging mir zu viel verloren – was vielleicht auch an meinem Platz auf der Empore lag. Das war keinesfalls schlecht, sondern in der Ernsthaftigkeit durchaus auch beeindruckend (auch wenn Letzbor mir ein wenig zu sehr Rampensau war), hat mich aber jenseits der technischen Exekution nicht so recht berührt oder erreicht.
- Die diesjährigen TAM hatten einen sehr spektakuläre Schluss mit Le Concert Spirituel, die unter Hervé Niquet die Rekonstruktion der musikalischen Teile einer Festmesse in den schönen Raum von St. Blasius brachten. Fünf jeweils achtstimmige Chöre (also 40 Sängerinnen und Sänger) und ein bläserlastiges Instrumentalensemble füllten die Kirche mit sehr erhabenen und erhebenden Klängen. Schon die Eingangsprozession der Musiker*innen mit einem gregorianischen Choral und dann auch der ganze Rest vermittelt mehr als eine Andeutung dessen, was die Florentiner*innen bei einer Messe zum Johannisfest um 1560 gehört haben könnten. Im Detail ging für mich im hinteren Drittel des Publikums aber viel verloren, die Mehrchörigkeit war dort nur noch andeutungsweise wirklich zu erleben.
Das ist ja ein generelles Problem dieser oft extrem artistisch ausgefeilten Musiken, sei es in italienischen Städten oder in Kirchen des Reichs. Das ist oft an sehr bestimmte architektonische und akustische Gelegenheien gebunden (das Musterbeispiel ist natürlich S. Marcus in Venedig mit seinen mehreren Emporen) und lässt sich so heute kaum entsprechend rekonstruieren. Zumal auch schon unter originalen Gegebenheiten das natürlich nur für verhältnismäßig wenige genau so wie intendiert erfahrbar war. Es bleibt aber im Idealfall doch genügend große und großartige Musik, die auch unter suboptimalen Hörbedingungen berühren und gefallen kann. Und das gelang Le Concert Spirituel definitiv.