“Es ist die Sprache, die am Sprechen hindert, nicht ihr Verlust.”
— Marcus Steinweg, Subjekt und Wahrheit, 2018, 30
Kategorie: wissenschaft Seite 1 von 3
Obwohl es eine überaus gängige Lebensweisheit ist, dass Fallschirme beim Sprung aus einem Flugzeug Leben retten (können), gibt es dafür keine wissenschaftlichen Belege — zumindest nicht in Form randomisierten, kontrollierten Studie. Das wurde nun — mit einigen Schwierigkeiten, insbesondere bei der Probandenrekrutierung — endlich nachgeholt. Und mit einem ausgesprochen überraschenden Ergebnis: Fallschirme sind gar nicht hilfreich. Zumindest in dieser Studie gab es keinen signifikanten Unterschied in Todesfällen oder schweren Verletzungen zwischen Probanden, die beim Sprung aus dem Flugzeug eine Fallschirm trugen und solchen, die einen gewöhnlichen (leeren) Rucksack bekamen. Sie kommen deshalb (unter anderem) zu dem Schluss:
We have performed the first randomized clinical trial evaluating the efficacy of parachutes for preventing death or major traumatic injury among individuals jumping from aircraft. Our groundbreaking study found no statistically significant difference in the primary outcome between the treatment and control arms. Our findings should give momentary pause to experts who advocate for routine use of parachutes for jumps from aircraft in recreational or military settings.
https://www.bmj.com/content/363/bmj.k5094
Freilich, darauf weisen die Autoren auch hin, bleiben Fragen, ob sich das Setting der Untersuche hinreichend verallgemeinern lässt.
Yeh, Robert W., Valsdottir, Linda R., Yeh, Michael W,. Shen, Changyu, Kramer, Daniel B, Strom, Jordan B et al. (2018). Parachute use to prevent death and major trauma when jumping from aircraft: randomized controlled trial. BMJ 363 :k5094. doi: https://doi.org/10.1136/bmj.k5094
Wissen ist nicht dazu bestimmt, uns zu trösten: es enttäuscht, beunruhigt, schneidet, verletzt. Michel Foucault, Wachsen und vermehren
Vigiles et studeas atque legas, ut ex hoc buio tibi remanente, exciteris ad studendum et legendum, cum vivere sine litteris mors sit et vilis hominis sepultura — Wache und studiere und lies, damit du, wenn dir dabei ein Zweifel bleibt, dadurch (erst recht) angespornt wirst zum Studieren und Lesen, da ohne Wissenschaft zu leben der Tod ist und ein elendes Grab für den Menschen.Siger von Brabant, Questiones de anima intellectiva
Wunderbar, dieser Abstract, der tatsächlich in einem Tagungsband (EOS Trans. AGU Vol 72 1991, No 27–53, S. 456) veröffentlicht wurde:
und da heißt es immer, die Geisteswissenschaften würden leere Luft veröffentlichen, während die Naturwissenschaften durch strenge peer-reviews vor solchem Unsinn geschützt seien … (via wired)
Wunderbar, was Jan-Martin Klinge da in seinem “Halbtagsblog” zeigt:
Die DFG — die immerhin einen Großteil der deutschen Forschung finanziert und damit auch inhaltlich maßgebend bestimmt — hat zusammen mit der Hochschulrektorenkonferenz beschlossen, dass “gute wissenschaftliche Praxis” (eine Wortkonstruktion, die mich immer sehr an die genauso unspezifierte “gute fachliche Praxis” der Bäuerinnen und Bauern erinnert) verlangt, dass Whistleblower ihre Beobachtungen, Entdeckungen und Befürchtungen — zum Beispiel von Plagiaten — nicht öffentlich machen sollen, sondern nur den zuständigen Gremien der Hochschulen vermelden — damit, so muss man sich das wohl denken, die dann in Ruhe und ohne von den blöden Fragen der nervenden Öffentlichkeit (die zwar alles bezahlt, aber was soll’s …) oder gar Fachkolleginnen und ‑kollegen belästigt zu werden, entscheiden können, was sie zu tun gedenken. Fast wie die arcana imperii also …
Wer das — wie ich — nicht so gut findet und solche Dinge auch zukünftig lieber öffentlich verhandelt sehen möchte, der oder die möge bitte diese von Stefan Heßbrüggen initiierte Petition hier mitzeichnen. Viel Hoffnung habe ich zwar nicht, dass sie wirklich etwas bewegt, aber versuchen sollte und muss man es wenigstens. Also: Mitzeichnen!
Nachtrag: Der Peteten Stefan Heßbrüggen hat im Redaktionblog von Hypotheses noch einmal ausführlich begründet, warum die Petition notwendig ist und warum HRK & DFG irren.
In der „Süddeutschen Zeitung” kann man heute ein wunderbares Beispiel für einen Totalverriss finden: Jens Hacke lässt kein einziges gutes Haar an der Habilitationsschrift von Friedrich Kießling, der die alte Bundesrepublik auf ihre/eine Ideengeschichte untersucht. Und Hacke bemängelt wirklich alles, was man an einer historischen Studie kritisieren kann: Die (fehlende) Methode, die mangelnde Berücksichtigung neuer Literatur, die dünne und unverständliche Quellenauswahl und sogar den Titel. Und natürlich die mageren Ergebnisse. Gründlicher kann man einen Historikerkollegen kann erledigen. Zumindest nicht mit Feder und Tinte …