Lesen. Hören. Und ein bisschen schreiben.

Kategorie: pop Seite 1 von 3

Serien-Wissen

Das (amerikanis­che) TV-Serien ger­ade der let­zte kul­turelle Schrei sind und so ziem­lich alle anderne Kün­ste zumin­d­est in Bezug auf die Auf­gabe der Welt­deu­tung und ‑erk­lärung abgelöst haben/ablösen, dürfte ja inzwis­chen jed­er mit­bekom­men haben, spätestens seit auch die klas­sis­chen deutschen Feuil­letons darüber schreiben.

Beson­ders viel ern­sthafte Lit­er­atur zu diesen For­mat­en gibt es in Deutsch­land bish­er aber nicht. Der diaphanes-Ver­lag hat jet­zt eine kleine Rei­he begonnen, die dem abhelfen will: die “book­lets”.

Zwei der jew­eils um die hun­dert Seit­en (bei großzügigem Satz) starken Büch­lein habe ich jet­zt gele­sen: Simon Rothöh­lers (der auch die Her­aus­gabe der Rei­he ver­ant­wortet) Über­legun­gen zu “The West Wing” und Diedrich Diederich­sens Aus­führun­gen zu “The Sopra­nos” — das erste, weil mich “West Wing” ziem­lich begeis­tert und das zweite, weil mich Diederich­sen ziem­lich begeis­tert …

Das sind auch ganz unter­schiedliche Texte. Der Essay — viel mehr ist es ja nicht — von Rothöh­ler zeigt vor allem, wie “West Wing” als alter­na­tive zei­this­torische (oder auch poli­tis­che) Erzäh­lung in Konkur­renz zur Gegen­wart funk­tion­iert. Das war mir manch­mal etwas dünn und ander­er­seits oft etwas pauschal. Aber vielle­icht bin ich auch nicht der ide­ale Leser, weil ich die Serie (zu) gut kenne.

Inter­es­san­ter sind Diederich­sens Über­legun­gen zu den “Sopra­nos”. Das kann wiederum daran liegen, dass ich die nicht so gut kenne, weil ich die Serie nur ein­mal vor eini­gen Jahren gese­hen habe. Ander­er­seits merkt man aber dur­chaus den typ­is­chen Diederich­sen-Denk- und Schreib­stil, auf höherem reflex­iv­en und the­o­retis­chem, auch the­o­retisieren­dem Niveau. Und trotz der dur­chaus nicht zu ver­ach­t­en­den Abstrak­tion schien es mir beim Lesen detail­re­ich­er. Vor allem aber facetten­re­ich­er, weil er die “Sopra­nos” unter ver­schiede­nen Gesicht­spunk­ten analysiert und beschreibt: Qua­si (pop-)kulturgeschichtlich, den inter­textuellen Hin­weisen (den direk­ten Zitat­en zum Beispiel oder den Songs, die im Hin­ter­grund und im Abspann sowie in der Titelse­quenz laufen) nachge­hend; aber auch als Beschreibung/Kritik der amerikanis­chen Gesellschaft der Mit­telschicht; und dann aber auch wieder auf eher indi­vidu­eller Ebene, etwa in Bezug auf Liebes­beziehun­gen und Leben­sziele. Das — und das ist für mich (wie gesagt, es wird auch an mein­er stark unter­schiedlichen Ken­nt­nis der bei­den Serien liegen) ein deut­lich­er Unter­schied zu Roth­müller — ist sehr bere­ich­ernd und anre­gend, so dass die näch­ste Schau der Serie gle­ich mal wieder auf die Todo-Liste gewan­dert ist.

Den Schluss daraus möchte ich mal als Beispiel zitieren:

Die “Sopra­nos” — und mehr noch die spätere Serie “Break­ing Bad” — haben immer auch den Umstand artikuliert, dass Leute, die eigentlich nichts anderes wollen als ein Häuschen in der Sub­ur­bia, nicht anders über­leben kön­nen als durch Kap­i­talver­brechen. Und umgekehrt, dass diejeni­gen, die gewohn­heitsmäßig Kap­i­talver­brechen bege­hen, nicht anders leben wollen als der Rest der Mit­telk­lasse. Dies ist bei Arbeit­slosigkeit, Lohn­ab­bau, Dein­dus­tri­al­isierung, Prekarisierung nicht mehr möglich — daher muss man so leben, wie die Mafia schon lange lebt. Das alltägliche Leben fühlt sich eh schon die ganze Zeit an wie ein Kampf gegen das Gesetz. Das einzige, was dieses Leben noch über­strahlt, gele­gentlich über seine hündis­che Imma­nenz hin­ausweist, sind die Songs, die alle ken­nen, die ihnen fort­ge­set­zt zuge­ord­net wer­den: große Songs, vertrot­telte Songs, klas­sis­che Bal­laden, Madri­gale, Rap, Rock’n’Roll. […] Die Gegenkul­tur und ihre Über­reste, aus der die Songs kom­men, die das Leben in ein­er Ver­brechen-um-zu-Über­leben-Mit­telk­lasse mit Trans­parenz ausstat­ten, müssen natür­lich unter ihrer Last zusam­men­brechen. Am trau­rig­sten und zugle­ich beson­ders evi­dent wird das, wenn ein Song so direkt ein­er Per­son zuge­ord­net wird, dass das Lacan’sche Dik­tum, wonach das Sub­jekt immer im Futur II existiert, sich nicht nur vol­len­det, son­dern dieses Futur II, der auf eine Zukun­ft, die Ver­gan­gen­heit gewor­den ist, gerichtete Entwurf, von dem Entwer­fend­en wieder­erkan­nt wird.(98f.)

Als drittes ist übri­gens zum Start der book­let-Rei­he noch ein Text von Daniel Eschköt­ter zu “The Wire” erschienen. Aber damit — also mit “The Wire” — kann ich bish­er gar nichts anfan­gen.

Simon Rothöh­ler: The West Wing. Zürich: diaphanes 2012 (book­let). 96 Seit­en. 10 Euro. ISBN 9783037342121.
Diedrich Diederich­sen: The Sopra­nos. Zürich: diaphanes 2012 (book­let). 112 Seit­en. 10 Euro. ISBN 9783037342114.

von der alten zur neuen synagoge

„glück­lich unper­fekt“ — darauf muss man erst ein­mal kom­men. vor allem, wenn man sein meti­er so gut beherrscht. von „unper­fekt“ kann man bei sän­gerin sharon brauner eigentlich nicht sprechen. aber glück­lich macht sie ihr pub­likum in der mainz­er syn­a­goge schon. vor allem fühlt sie sich offen­bar wohl auf der schrä­gen bühne im schrä­gen bau – nur die schrä­gen töne blieben aus.

sharon brauner, die berlin­er sän­gerin, ist dabei fast allein. nur eine ganz min­i­mal­is­tis­che band hat sie dabei – einen ural­ten e‑bass, ein ganz, ganz kleines schlagzeug und ein klavier – mehr ist nicht nötig. na ja, ab und an schon: wenn sharon brauner zwis­chen­drin mal eben zur jane hen­drix von berlin wird und sich für eine kurze weile auf der ukulele aus­to­bt. zum beispiel im verkup­plungslied über die jüdis­che mut­ter, die nicht nur obst und gemüse, son­dern immer wieder auch einen heiratskan­di­dat­en für ihre tochter vom markt mit nach hause bringt. oder wenn sie till brön­ner, der lei­der, lei­der nicht mehr ins auto passte, mit der spielzeugtrompete so gut erset­zt, dass man ihn fast gar nicht ver­misst.

immer ist das lebendi­ge energiebün­del nett bis in die zehen­spitzen und immer singt sie entspan­nt mit viel spaß, ohne nach­läs­sig zu wer­den. und immer wird sie sorgsam unter­stützt von ihrer band, vor allem dem inspiri­erten hel­mut bruger am klavier.

nett – und größ­ten­teils unver­fänglich – auch ihre musik: alte jid­dis­che lieder, etwas chan­son, eine menge swing: ein wilder stilmix ist ihr pro­gramm, der auch vorm tan­go nicht halt macht. der aber, vor allem durch die pro­fes­sion­al­ität der musik­er, die über­all fit sind, eine runde mis­chung ergibt — eine wohltuend lebendi­ge sog­ar, die wun­der­bar für einen abend angenehmer unter­hal­tung geeignet ist. und die neben­bei noch eine kleine ein­führung oder auf­frischung ins jid­dis­che liefert.

das passiert mal aus­ge­sprochen furios oder auch etwas der­ber, ein anderes mal auch einüh­lend und behut­sam, wie in ihrer ver­sion von bodo wartkes „an dich“. und auch die ein oder andere schnulze dazwis­chen darf nicht fehlen. schließlich geht es vor allem um eines: die liebe mit­samt ihren höhen und tiefen, ihren launen und über­raschun­gen. und davon weiß sharon brauner eine ganze menge lieder zu sin­gen und geschicht­en zu erzählen.

(geschrieben für die mainz­er rhein-zeitung.)

schleichende begeisterung

ich höre ja, das ist eine art geständ­nis, ele­ment of crime recht gerne. ins­beson­dere seit “roman­tik” haben sie es mir immer ange­tan. ein etwas sündi­ges begehren ist das, weil ich son­st eigentlich eher etwas kom­plexere, avancierte ästhetis­che pro­gramme und konzepte schätze. aber manch­mal ist so ein biss­chen seichter pop auch nicht schlecht ;-). denn auch wenn ger­ade die texte immer wieder sehr gepriesen wer­den — im grunde bleibt es alles sehr harm­los hier.

das neueste album, “immer da wo du bist bin ich nie”, schien mir dann aber zunächst, beim ersten und zweit­en hören, doch arg platt ger­at­en. aber, das ist das gemeine bei ele­ment of crime der let­zten jahre, sie schle­ichen sich doch in die gun­st der hör­er ein. inzwis­chen hat mich auch die neue cd ziem­lich gepackt. die musik ist ja im großen und ganzen immer noch dieselbe — ein biss­chen mehr tex-mex-anklänge, aber son­st bleibt es beim bewährten sound. aber eben ziem­lich gut gemacht:  eingängige, sehr eingängige melo­di­en, nett har­mon­isiert, tight gespielt, ohne irgend jemand zum wider­spruch aufzure­gen — deutsche kon­sens­musik at it’s best … die texte, zunächst, hat­te mich ziem­lich gen­ervt: dieses bemühen um kun­stvolle naiv­ität, diese wollen um jeden preis, das aus fast jed­er zeile spricht — nervig.

the­ma­tisch ist das natür­lich extrem ein­fall­slsos — der plat­ten­ti­tel [ein fast-zitat übri­gens des ersten vers­es von del­men­horst vom mit­telpunkt der welt], zugle­ich liedti­tel #6 (auch da ohne kom­ma), ver­rät eigentlich alles. aber das ele­ment of crime vorzuw­er­fen ist unge­fähr so sin­nvoll wie den met­zger dafür anzuk­la­gen, dass er keinen käse verkauft. da sind es halt doch dann doch die “net­ten” for­mulierun­gen, die es wieder raus­reißen, die ins bewusst­sein ein­sick­ern und zunehmend zus­tim­mung und freude her­vor­rufen … aber genau auf das ein­sick­ern kommt es offen­bar an: beim ersten hören ist das nicht unbe­d­ingt auf­fäl­lig, vieles geht glatt vorüber (und je nach stim­mung ist man, d.h. bin ich, gelang­weilt oder gen­ervt). an vie­len fein­heit­en erfreut man sich erst beim x‑ten hören. und das ist wiederum ein großer vorzug der ele­ment-of-crime-musik: sie verträgt das ofte hören erstaunlich gut. weil sie, trotz ihre beschei­de­nen ästhetik und schein­baren strom­lin­ien­för­migkeit, genü­gend details dafür bietet.

inzwis­chen bin ich schon fast begeis­tert … es gibt auf jeden fall schlim­meres, als das zu mögen.

Why, oh why …

“Why, oh why do the birds
Do all the fly­ing
It could be me

Tak­ing every­thing south­ern
The weath­er is warmer
Good place to be

Why, oh why do the bees
Need a bee­keep­er
Let them alone

Tak­ing all of their hon­ey
Isn’t it greedy
Leav­ing them none”
(The Bird and The Bee, Birds and Bees)

angebissen: der don-camillo-chor auf cd

Musik dazu ver­wen­den, jeman­den zu ver­führen, ist keine neue Idee. Das Opfer mit der Musik als Köder zur Musik zu begehren, ist schon etwas ungewöhn­lich­er. Und wenn ein Chor das dann auch noch so offen und direkt untern­immt wie der „Don-Camil­lo-Chor“ aus dem Münch­n­er Umland, dann gehen jed­er Zielper­son schnell die Argu­mente für den Wider­stand aus.

Das liegt, wie ihre neueste (und erste) CD mit dem passenden Titel „Good Bait“ beweist, zu großem Teil an der jugendlichen Frische und dem unbändi­gen Über­schwang, mit dem der gesamte Chor sich auf sein Reper­toire vor­wiegend aus Jazz und Pop stürzt. So eine freizügige Freude teilt sich dem Hör­er in jedem Moment mit, dass er mit dem größten Vergnü­gen anbeißt.

Das Vergnü­gen ist allerd­ings nicht nur ein Ver­di­enst der Sänger und ihres Chor­leit­ers, der sie immer wieder knack­ig auf den Punkt fokussiert. Es liegt zu einem großen Teil auch an den angenehm ein­fall­sre­ichen Arrange­ments, die mehrheitlich vom Diri­gen­ten selb­st oder aus der bewährten Fed­er des um keine Pointe ver­lege­nen Oliv­er Gies stam­men.

Das reicht vom feuri­gen „Chili con Carne“ aus dem Fun­dus der „Real Group“ über aufge­frische Swing-Klas­sik­er bis zu – in ihren kom­plex­en Arrange­ments kaum noch erkennbaren – Pop-Hits der let­zten Jahrzehnte. Mit ein­er recht freien Bear­beitung von Brahms’ „Guten Abend, gut’ Nacht“ beweist der Don-Camil­lo-Chor dann neben­bei auch noch, dass er mehr als nur rein­er Jazz-Pop-Chor ist: Diese jun­gen Sänger und Sän­gerin­nen fühlen sich in vie­len Gefilden zu Hause. Mit Recht. Denn „Good Bait“ ist nicht nur eine schöne, gelun­gene Leis­tungss­chau, son­dern auch ein­fach gute Unter­hal­tung.

Don Camil­lo Chor: Good Bait. Spek­tral SRL4-09049, 2009.

(geschrieben für die neue chorzeit)

schräge musik

schräge musik

(via tex­tund­blog)

hoffnung und ihre erfüllung (musikalisch): esperanza spalding & triband

Eigentlich hätte auf der Ein­trittskarte ein Warn­hin­weis ste­hen müssen. Der Jazzmin­is­ter warnt: Der Genuss dieser Musik verän­dert ihr Jazz-Bewusst­sein. Denn was Jaz­zto­day jet­zt im Frank­furter Hof präsen­tierte, hat mit tra­di­tionellem Jazz unge­fähr noch so viel zu tun wie ein mod­ern­er Syn­the­siz­er mit einem ehrwürdi­gen Konz­ert­flügel – wenig, sehr wenig sog­ar. Aber das macht ja nichts. So lange es Spaß macht. Und genau dafür ist Esper­an­za Spald­ing mit ihrem Trio zum ersten Mal aus Ameri­ka nach Deutsch­land gekom­men.

Spald­ing ist eine junge Musik­erin, die sich nicht zwis­chen dem Sin­gen und dem Bass entschei­den kann – und deshalb ein­fach bei­des macht. Und mit Erfolg: ihre steile Kar­riere führte sie im Feb­ru­ar bis ins Weiße Haus. Und jet­zt nach Mainz. Da machte sie schon mit dem Open­er klar, wohin die Tour geht: „Jazz ain’t noth­in’ but soul“. Sofort ist die Band mit­ten im Groove, Otis Brown am Schlagzeug wirkt dabei stel­len­weise wie ein Drum­com­put­er. Und während Esper­an­za Spald­ing mit flinken Fin­gern ihren funky Bass wirbeln lässt und dazu noch gle­ichzeit­ig lock­er die Stimm­bän­der im Scat­ge­sang tanzen lässt, zeigt vor allem Pianist Leo Gen­ovese – auch mit der Melod­i­ca – seine ver­spielte Seite. Denn egal ob es Jaz­z­s­tan­dards oder etwa Wayne Short­es “Endan­gered Species” sind: Das Quar­tett mach sich alles zu eigen, addiert seine voll gepfropften Arrange­ments, die nur ein Ziel ken­nen: Das Ergeb­nis muss Spaß machen. Und da kom­men sie immer an, bis zur Pause ist kom­pro­miss­los gute Laune ange­sagt.

Triband kündigte sich danach dann selb­st mit „ihr Kon­trast­pro­gramm für heute abend“ an. Und das war nicht über­trieben – jet­zt war Schluss mit lustiger Spaß­musik. Das deutsche Quar­tett ist ja schon einige Jahre unter­wegs und hat in der Zeit ihre Musik noch ver­fein­ert: Zu ein­er wahren Feier der Sub­til­ität mit Hang zur nach­den­klich­er Melan­cholität. Aber nicht resig­nierend, son­dern die Wirk­lichkeit ein­fach umar­mend: Gefühlsla­gen des Indi­vidu­ums nach der Post­mod­erne besin­gen sie in Songs wie „Some­body else“. Und mit echt­en Live-Qual­itäten. Am deut­lich­sten wurde das in „Where did all the love go“ oder dem grandiosen „Dizzy Day“ am Schluss des Abends. Etwas Pop ist in dieser Mis­chung, natür­lich steuert auch die Jaz­zgeschichte einige Ingre­dien­zen bei, der Funk ist auch nicht spur­los an ihnen vorür­ber gegan­gen. Aber die Klangtüftler, die so ganz in ihrer Musik aufge­hen, bauen daraus etwas Eigenes: Sandie Wol­lasch singt immer klar und min­i­mal ver­spielt. Der Bassist Pauck­er – wie Sebas­t­ian Studnitzky ein echter Mul­ti­in­stru­men­tal­ist (auch so eine Gren­züber­schre­itung …) gibt sich mit jed­er Fas­er des hageren Kör­pers der Musik hin, tanzt um und mit Bass und Ana­log-Syn­the­siz­er, während Tom­my Bal­du die brodel­nden Rhyth­men zum Tanzen bringt. Und dieses Gebräu ist so wirkungsvoll, dass es auch das anfangs nur zurück­hal­tend reagierende Mainz­er Pub­likum in seinen Bann zieht.

(geschrieben für die mainz­er rhein-zeitung.)

harte männer ganz sanft: rammsteins “engel” a‑cappella

Mutig ist es, was der Bosse-Ver­lag macht: Seine neue Rei­he „Bosse Hits a‑cappella“ gle­ich mit Ramm­steins „Engel“ zu eröff­nen. Denn vie­len ist Ramm­stein in Deutsch­land (im Aus­land übri­gens im Grunde gar nicht) immer noch ein Ärg­er­nis. „Engel“ ist aber sicher­lich eines der unver­fänglich­sten Lieder. Und zugle­ich ein­er der großen Erfolge der umstrit­te­nen Band, der Durch­bruch in die größere Öffentlichkeit vor über zehn Jahren.

Was der Bosse-Ver­lag nun vor­legt, ist aber nicht so sehr eine a‑cap­pel­la-Ver­sion des Ramm­stein-Songs, son­dern eine noch ein­mal bear­beit­ete Ver­sion – für gemis­cht­en Chor sowie Frauenchor/Männerchor – des May­be­bop-Arrange­ments. Und das Quar­tett verkehrt die „Neue Deutsche Härte“ des Orig­i­nals ins ziem­lich genau Gegen­teil – eine weiche, schmusige Bal­lade haben sie daraus gemacht. Mit einem recht raf­finierten, sehr ökonomis­chen Arrange­ment. Das find­et sich auch in den vor­liegen­den Sätzen so wieder – die hal­ten sich näm­lich sehr genau ans May­be­bop-Orig­i­nal, nur min­i­male Anpas­sun­gen an die ver­schiede­nen Beset­zun­gen hat Oliv­er Gies noch vorgenom­men.

Ein schönes Beispiel ist dieser Satz zugle­ich, wie sehr eine Bear­beitung den Charak­ter eines Stück­es verän­dern kann: Die Noten „stim­men“ eigentlich noch ziem­lich genau mit der Musik von Ramm­stein übere­in. Aber die Reduk­tion auf vier men­schliche Stim­men und die Verän­derung der Struk­tur tun einiges, dem Engel­slied jede Härte zu nehmen – damit aber auch viel von seinem eigentlichen Reiz. Jeden­falls ist es ein gut singbares Arrange­ment, das zwar tech­nisch schon ver­sierte Sänger fordert (etwa beim Zwis­chen­spiel in klas­sis­ch­er Imi­ta­tion­stech­nik, eine echte May­be­bop-Zutat und ‑Spezial­ität), son­st aber zurück­hal­tend bleibt. Und es lässt den Inter­pre­ten wiederum eini­gen Raum – man muss das nicht unbe­d­ingt so wie May­be­bop sin­gen. Dass ist das große Plus dieser Aus­gabe und ihre Auf­gabe an Chöre und Ensem­bles: Einen eige­nen Weg zwis­chen Ramm­stein und May­be­bop zu find­en.

Ramm­stein: Engel. Arrange­ment: Maybebop/Oliver Gies. Gus­tav Bosse Ver­lag 2008. (Bosse Hits a cap­pel­la, hrsg. von Ste­fan Kalmer). Gemis­chter Chor: BE 721, Frauen­chor: Be 722, Män­ner­chor: BE 723. 7 Seit­en, 3,50 Euro.

(geschrieben für die neue chorzeit)

feldforschung oder erzählung?

am woch­enende gele­sen: thomas mei­neck­es schmales bänd­chen feld­forschung (frank­furt am main: suhrkamp 2006). der unter­ti­tel behauptet, das seien erzäh­lun­gen. ich habe da so meine zweifel.
eigentlich war ich bish­er von mei­neck­es schrift­stel­lerischen arbeit­en immer recht ange­tan: tomboy habe ich vor eini­gen jahren mit großem vergnü­gen gele­sen, dann auch holz und The church of John F. Kennedy sehr genossen. die vor­e­in­stim­mung auf diesen band, der als &gdquo;narrativer Beitrag zur im AUgust 2006 eröffneten Aus­setlung ‘das achte feld. geschlechter, leben und begehren in der kun­st sein 1960’“ ent­stand, war also dur­chaus pos­i­tiv. den hin­ter­grund zitiere ich aus dem klap­pen­text deshalb so aus­führlich, weil er wahrschein­lich nicht ganz unwesentlich für die form des textes bzw. der elf stücke ver­ant­wortlich ist. vor allem aber, weil er so auf­fäl­lig noch ein­mal das wort „nar­ra­tiv“ bemüht. denn das ist eigentlich der knack­punkt bei diesem werk: wird hier über­haupt erzählt? ist es erzählen, wenn seit­en­lang die diskus­sion ein­er englis­chsprachi­gen mail­ingliste über drag queens und kings bzw. ihre zwis­chen­stufen und über­lagerunge und deren angemessene und kor­rek­te beze­ich­nung zitiert wird? oder ist das zitat nur fik­tion? die per­so­nen­na­men sind jeden­falls real und kön­nten auch — nach ein­er kurzen inter­net­suche — zu den entsprechen­den aus­sagen passen. eigentlich ist es aber egal, denn die wirk­lichkeit ist offen­bar nur noch der/ein/ text — und das heißt ja auch, dass wirk­lichkeit (und erst recht natür­lich mime­sis) kein kri­teri­um mehr ist. also, die frage bleibt aber auch unab­hängig von der fik­tion­al­ität dieser pas­sage: was wird hier eigentlich erzählt? natür­lich geht es um geschlecht(er), um ihrer kon­struk­tion, wahrnehmung etc. — fast hätte ich geschrieben: das übliche mei­necke-the­ma. aber noch ein­mal: ist das erzählt? es wir ja nur „be“-schrieben, nur sit­u­a­tio­nen geschildert. nur ganz sel­ten geschieht etwas, gibt es entwick­lun­gen und nur in weni­gen ansätzen gibt es so etwas wie zeit. und das scheint mir doch schon ein merk­mal von erzählen zu sein, dass zeit in irgend ein­er form anwe­send ist, eine rolle spielt. wenn über­haupt noch reste sozusagen von dem, was man geläu­fig unter erzählen fasst, zu find­en sind, sind sie ganz mei­necke-typ­isch neu­tral­isiert1: das grund­sät­zliche präsens zum beispiel. die unklarheit von gender/sex der erzählstimme — wo es sie noch gibt. zum beispiel in mis­ter gay, der rekon­struk­tion eines über­falls auf eine schwu­len­bar, bei der es natür­lich auch wieder um die ver­schwim­menden gren­zen geht: die übergänge von real­ität in fik­tion, von bericht (dessen stilmit­tel vorherrschen) zur erzäh­lung zum drehbuch, von psyschich­er „nor­mal­ität“ zu „krankheit“ usw. usf. oder, auch eine eher spezielle art des erzäh­lens: odysee, wo der text nur noch aus ein­er zeittafel und der — deu­ten­den — über­schrift beste­ht.
da ließe sich bes­timmt noch viel mehr dazu sagen. aber ob es sich lohnt? denn immer wieder dreht es sich aber — in dieser häu­fung dann auch schon sehr pen­e­trant — um die unklarheit­en des geschlechts, seine kon­struk­tio­nen, seine iden­titäten (und deren kon­struk­tio­nen)2 und so weit­er: „schon als klein­er junge war sie“ (63). wer das aber kapiert hat — und die mei­necke-leser ken­nen das ja eh’ schon -, dem ist eigentlich auch schon alles klar, was diese texte wollen. und der rest ist vor allem lang­weile.

Show 2 foot­notes

  1. ein typ­is­ch­er anfang bei mei­necke geht z.b. so: „bras­sai, unter dem ungarischen namen gyu­la halász geboren im sieben­bür­gis­chen kro­n­stadt, rumänisch brasov, wovon er sein pseu­do­nym phonetisch ableit­ete, dessen lebensweg von öster­re­ich-ungarn über deutsch­land nach frankre­ich führt, in den frühen 1930er jahren, auf seinen nok­tur­nen fotografis­chen streifzü­gen durch das soge­nan­nte geheime paris, augen­blick­lich im le mon­o­cle, ein­er, wie er sich, het­eronormiert, aus­drückt, auss­chließlich dem schö­nen geschlecht gewid­me­ten bar, in welch­er sämtliche frauen, die wirtin, sie hört auf den namen lulu de mont­par­nasse, die ander­norts leicht­bek­lei­de­ten bar- und ani­mier­mäd­chen, die kell­ner­in­nen, selb­st die garder­o­biere, män­nerklei­der tra­gen.“ (58) und das ist ger­ade ein­mal der erste absatz, es geht noch fünf seit­en so weit­er.
  2. „er brachte mir bei, was ich war, denn ich hat­te ja nie zuvor von fag hags gehört.“ (104)

nichts für müde beine oder müde ohren: candy dulfer in mainz

„Can­dy Store“ ste­ht in großen Buch­staben über der Bühne geschrieben. Aber das ist irreführende Wer­bung. Denn was hier über die Bühne geht, ist alles andere als süß. Die nieder­ländis­che Sax­o­phon­istin Can­dy Dulfer ist es, die mit ihrer Band den Frank­furter Hof aufmis­cht.
Nach län­ger­er Absti­nenz ist die Meis­terin des Funk mal wieder in Mainz. Und kaum ste­ht sie auf der Bühne, geht die Par­ty auch schon los. Denn das ist nichts zum Zuschauen, jed­er Groove geht in die Beine: Diese Funkat­tacke würde auch hart­ge­sot­tene Par­ty­muf­fel über­wälti­gen – wenn denn welche da wären. Denn die Par­ty find­et nicht nur auf der Bühne statt, son­dern auch davor. Kein Wun­der – schließloich präsen­tieren sich die Musik­er vom ersten bis zum let­zten Ton energiege­laden und spaßgetrieben. Das ist sozusagen die per­fek­te Novem­ber­musik.
Dafür bedi­ent sich Can­dy Dulfer wieder ein­mal aus­giebig vom reich­halti­gen Funkbuf­fett. Trotz der Fülle schmeckt es aber aus­geze­ich­net. Oder ger­ade deswe­gen. Denn das ist alles andere als ein chao­tis­ches Sam­mel­suri­um. Son­dern eine per­fekt abges­timmte Menü­folge. Nicht ohne Ver­di­enst daran ist die Crew, die die Chefköchin Dulfer unter­stützt. Das Zusam­men­spiel ist aus­ge­sprochen dicht. Deut­lich wird das noch ein­mal, wenn sie für das Finale einen großar­ti­gen Groove über mehrere Minuten schön sorgsam von unten Stück für Stück, Instru­ment für Instru­ment auf­bauen – da bleibt nie­mand unberührt, da kocht der Saal beina­he über. Es ist aber auch wirk­lich ein Groove der Extrak­lasse, der dabei her­auskommt. Und damit passt er genau zum krö­nen­den Abschluss. Denn wenn etwas beze­ich­nend für Dulfer und ihre Band ist, dann ist es die Fähigkeit, alles und jedes grooven zu lassen.
Ein biss­chen etwas Wahres ist also doch dran, an der Ver­heißung eines „Can­dy Stores“: Denn die Menge an Zutat­en, die vie­len Auswahlmöglichkeit­en, von denen sich Can­dy Dulfer und ihre Band bedi­enen könne, erin­nern schon an die über­wälti­gen­den Möglichkeit­en eines Süßwaren­han­dels. Einen Zuck­er­schock bekommt man davon allerd­ings nicht. Und außer­dem ist so ein Konz­ert auch noch bess­er für die Fig­ur.

(geschrieben für die mainz­er rhein-zeitung). was nicht drin ste­ht: der ziem­lich mäßige sound im hin­teren teil des saales — trotz oder wegen der ziem­lich hefti­gen laut­stärke …

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