“Es ist die Sprache, die am Sprechen hindert, nicht ihr Verlust.”
— Marcus Steinweg, Subjekt und Wahrheit, 2018, 30
schwerfälliger mahlt
der grosse motor sommer
gedanken kauender tor
zum abend geneigt
steht mittag im feld
pracktvoll sinkt rot
unterm wolkenbrokat
schon am herbstsaum
treiben die wiesen
das tor in den tag
angelehnt
du ich zwischen
tür und angel
―Stefan Döring (aus: Monate Jahre (in: WENN WELT. Berlin, Schupfart 2024 (roughbooks 064), S. 83.))
Ich bin wieder mal hoffnungslos late to the party, dafür gibt es gleich alles auf einen Streich und hier, nicht auf Mastodon, wo die Challenge herkommt: “20 Bücher, die dich geprägt haben. Ein Buch pro Tag, 20 Tage lang.”.
Die Auswahl war gar nicht so einfach: Manche Bücher waren sehr schnell klar, bei anderen war es schwieriger, sich auf ein konkretes Buch festzulegen — oft ist es dann doch eher ein Autor/eine Autorin oder eine Gruppe von Texten, die mich besonders beeinflussten. Nichtsdestotrotz, das ist die Liste, die nach einigem Überlegen rauskam (ohne besondere Reihenfolge):
- Judith Kerr, Als Hitler das rosa Kaninchen stahl
- Gudrun Pausewang, Die Wolke
- Michael Ende, Momo
- Thomas Mann, Der Zauberberg
- Peter Weiss, Ästhetik des Widerstands
- Peter Kurzeck, Der Nußbaum gegenüber vom Laden, in dem du dein Brot kaufst. Die Idylle wird bald ein Ende haben!
- Friedrich Hölderlin, Hyperion oder der Eremit in Griechenland
- Max Horkheimer/Theodor W. Adorn, Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente
- Thomas Bernhard, Auslöschung. Ein Zerfall
- Georg Büchner, Lenz
- Georg Büchner, Der Hessische Landbote
- Georg Friedrich Wilhelm Hegel, Ästhetik
- Rainald Goetz, Irre
- Thomas Mann, Doktor Faustus
- Judith Buthler, Das Unbehagen der Geschlechter
- Friedrich Schiller, Über die ästhetischer Erziehung des Menschen
- Michel de Montaigne, Essais
- Carlo Ginzburg, Der Käse und die Würmer
- Thomas Meinecke, Tomboy
- Thomas Kling, Erprobung herzstärkender Mittel, Geschmacksverstärker, Brennstabm, Nacht.Sicht.Gerät. Ausgewählte Gedichte 1981 — 1993
himmelwärts gezogen
die striche der gräser
mit lüften verflochten
unter federwolke gesang
flug auf unliniertem blatt
samen gefiedert steigt
hingesunkene feder
getaucht in holunderschatten
schreibt
―Stefan Döring (aus: Monate Jahre (in: WENN WELT. Berlin, Schupfart 2024 (roughbooks 064), S. 81.))
Laßt eine müde Seele dem grimmigen Tode entkommen,
wenn, schon gestorben zu sein, einem das Sterben erspart!
―Publius Ovidius Naso (aus: Lieder der Trauer. Die Tristien. Aus dem Lateinischen von Volker Ebersbach, 1997, S. 23, Erstes Buch, Elegie IV)
Das Nicht-Erinnerte ist Tag-gerecht,
Irdische Intonation und handvolle
Blüte, nicht Nachahmung.
Bild mehr!
―Petra Ganglbauer (aus: Wasser im Gespräch, 2016, S. 39, Karger Lämmermond)
Die Weinbergschnecke ist fort
Michael Buselmeier (aus: In den Sanden bei Mauer. Letzte Gedichte, 2023, S. 14)
gekrochen, den zarten Deckel aus
Kalk oder Elfenbein ließ
sie auf der Mauer zurück.
Was sie sagen,
die Vorfahren,
geht uns vielleicht gar nichts an.
Wir sehen, was sie tun, was sie taten,
aber ob es sie waren?Ich könnte in die Bibliothek gehen
und lesen, was eigentlich gemeint war,
und schreien.
Ich könnte die Blödheit im Schnitt der Steine,
vermergelt mit Weisheit, erkennen
und schreien,
eingemauert in diese Geschichte.Es muss Geschwister geben (alle so Schwesta, Bruda, Cousin)
unterschiedlich reagierend auf den gleichen Schas,
gleich (gemeinsam) im Unterschiedlichen,und ich bin blöde zu meinem Glück
wie ein Götterbaum ein, zwei Meter wachsend im Jahr,
das kann ich,
mit dem ganzen Körper in die Bewegung lehnen.Die Anleitungen: Was sagen sie, was — wohin fallen sie,
Ann Cotten (aus: Die Anleitung der Vorfahren. Berlin: Suhrkamp 2023, s. 138)
dahin fallen wir auch und dann sagen wirs nicht.
Schau mich an,
wir sind die Ruinen
für alle Idyllen,
wir sind die Minen
für Ironie
Seven Lines About Future
Die Zukunft wird kommen.
Ludwig Fels, Mit mir hast du keine Chance, 5
Auch die der Literatur.
Sie wird wenig Heimat haben,
wenn sie kommt.
Aber Tag und Nacht und
die Körper, die sie lieben.
Schnee: wer
dieses Wort zu Ende
denken könnte
bis dahin
wo es sich auflöst
und wieder zu Wasser wirddas die Wege aufweicht
und den Himmel in
einer schwarzenblanken Pfütze
spiegelt, als wär er
aus nichtrostendem Stahlund bliebe
Rolf Dieter Brinkmann (aus: Le Chant du Monde)[Rolf Dieter Brinkmann: Standphotos. Gedichter 1962–1970. Reinbek: Rowohlt 1980, S. 40]
unverändert blau.