einige überlegungen aus aktuellem anlass. nämlich meine kritik der aufführung des deutschen requiems von johannes brahms in michelstadt. mit einem laienchor, professionellem orchester, solisten und dirigenten. das muss ich vorweg schicken, sonst wird das folgende zu unverständlich.
also, was solleigentlich kritik? das ist natürlich – auch – eine sache der persönlichen überzeugung. ich bin der ansicht, sie soll kritisieren. und das heißt vor allem: verstehen, erklären und einordnen. dafür braucht man maßstäbe. was sie nicht soll: unreflektiert lobhudeln oder die künstler um jeden preis bestätigen – dafür gibt es freunde, verwandte und psychologen.
maßstäbe also. die sind in der kunst absolut – in dem sinne, das sie fest stehen. sie können freilich unterschiedlich sein, von person zu person. natürlich ist deshalb eine kritik nie vollkommen objektiv, also un-subjektiv. aber die kritik legt ihre gründe dar, sie lässt in der beurteilung erkennen, woran gemessen wird. und sie versucht, ihre überzeugungen zu vermitteln.
etwa die überzeugung, wie ein bestimmtes kunstwerk zu verstehen sei – und bei der musik heißt das eben auch: wie es aufzuführen ist. was nicht heißt, dass sie andere auffassungen nicht anerkennt. im gegenteil, gerade das macht kritik aus: sie prüft das verständnis und die ausführung, d.h. die vermittlung, anhand den kritierien des kunstwerkes. das meint: stimmigkeit. folgerichtigkeit. erkennbarkeit. überzeungskraft. aber auch: vermittelnde aspekte: also inwieweit die konkrete ausführung in der aufführung geeignet war, dieses bild des werkes zu vermitteln. und da spielen durchaus auch gewisse handwerkliche dinge eine rolle. ein orchester zum beispiel, das schlecht intoniert, wenig dynamik zur verfügung hat, ungenügende artikulations- und klangvielfalt – ein solches orchester wird die beste idee nur mangelhaft übermitteln können.
hier ist dann auch der ansatzpunkt, auf die spezifische aufführungssituation reagieren zu können.denn das problem ist: wie gut muss es sein? das hat sich noch nie so scharf gestellt wie heute, wo wir über unendliche vielfalt mehr oder minder guter bis – zumindest technisch – perfekter reproduktionen, d.h. aufnahmen mehr oder weniger unmittelbar verfügen können. dessen muss sich sowohl die kritik als auch die kunst aber bewusst sein – es hilft eben nichts, die situation ist eben diese. das hat ja auch zur folge, dass man musikalische werke nicht mehr nur live rezipieren kann – und damit, dass man (auch intensive) kenntnis der werke auch dann erlangen kann, wenn sie nicht vor ort aufgeführt werden. unter umständen wird dann diese aufführung sogar obsolet – wenn sie nämlich die fähigkeiten der beteiligten offensichtlich übersteigt.
so, jetzt zu den reaktionen des konkreten anlasses. da verbergen sich nämlich wiederum einige missverständnisse, was die aufgabe der kritik angeht.
am enttäuschendsten der brief des konzertmeisters der von mir ob ihrer technischen unzulänglichkeiten etwas harsch beurteilten kurzpfalzphilharmonie, arne müller. von seiner unterstellung, es ginge mir vorwiegend um das „kleinschreiben musikalischer Großereignisse vom Rang einer Großstadt” einmal abgesehen (aber schon diese unterstellung ist symptomatisch, zeigt sie nämlich die vollkommene verkennung oder leugnung der maßstäbe – oder zumindest die unkenntnis der großstädtischen musikszenen). müller vertritt nämlich offenbar die auffassung, kritik solle die ausübenden bestätigen. das ist natürlich hanebüchener unsinn, nichts liegt ihr ferner.
andere leserbriefschreiber sind aber noch schlimmer. eine dame entblödet sich nicht, sätze wie diese zu papier zu geben: „Selbst wenn [er] in einigen Punkten Recht haben sollte, muss man sich nicht bei jeder Gelegenheit berufen fühlen, Kritik zu üben” – ja, was soll eine Kritik denn sonst tun? das wirft nicht nur ein licht auf die zuhörerin – die ihrer unkenntnis immerhin eingesteht (und dass sie von der aufführung angerührt war, will und kann ich ihr ja nun wirklich nicht absprechen. aber darum genau geht es mir ja auch nie.) – sondern vor allem auf den traurigen zustand der publizistischen kritik im ländlichen raum. die ist nämlich, das wird mir immer klarer, außerhalb der städte überhaupt nicht mehr, quasi nur noch als gerücht, vorhanden. deshalb wundert es mich dann auch kaum noch, dass rezipienten mit kritik, die nicht ihrem höreindruck entspricht, so schlecht umgehen können. was mich aber doch immer wieder wurmt, sind fehlerhafte behauptungen von leuten, die es eigentlich besser wissen müssten. etwa eine kirchenmusikerin, die meint, meine qualitative einschränkung der solisten des brahms-requiem mit behauptungen wie „Und zum Glück kam die Sopranistin mühelos in schwindelerregende Höhen.“ widerlegen zu können. denn wer das deutsche requiem auch nur ein bisschen kennt, der weiß, dass die sopran-partie nirgends solche höhen aufzuweisen hat! immer wieder schimmert in diesen reaktion der vorwurf – mehr oder weniger offen geäußert – hindurch, ich hätte dem publikum das konzert vermiest. aber das stimmt einfach nicht. es mag sein, dass anspruchsloseren ohren und köpfen als meinem das besser gefallen hat. aber jeder, der nur ein klitzeskleines bisschen selbst denken kann, merkt erstens, dass das nicht alles so wunderbar war und zweitens, das meine kritik selbst dann noch nicht den persönlichen eindruck anderer besucher berührt. der mag sein wie er will – mir geht es um größere, allgemeinere maßstäbe – und um aufklärung über das qualitätsniveau, das schon. wie kommt es dann aber, dass meine kritik solche reaktionen hervorruft? ich glaube und vermute, das hat mehrere gründe. zum einen wird damit ja schon die labile gewissheit, teil eines großartigen kulturereignisses gewesen zu sein, erschüttert. der zorn zeigt aber, dass dies eine ausgesprochen unsichere, labile gewissheit gewesen sein muss – sonst könnte sie solche kritik bequemer ignorieren. zum anderen aber auch die befürchtung, dass die eigene begeisterung eben doch auf eher wackligen füßen stehen könnte – das aber betrifft dann wieder den kern, nämlich die selbstsicherheit jedes individuums. aber noch einmal: die bestätigung dessen ist nicht die aufgabe des (kunst-)kritikers.
Janice Rafferty
I was at this concert in November and can only say that I cannot understand the comments of this critic. It was an exciting experience and a joy to hear, both from the choir and from the soloists. Perhaps Matthias will say that this is the view of an amateur. Well actually it is the view of a singer with a particular love of this piece. I found the performance of the soloists inspirational. Perhaps we listened to different concerts?