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Kategorie: kritik Seite 1 von 15

jazz oder was? die dritten jazztage des mainzer klangraums

zumin­dest der ers­te tag, beim zwei­ten abend konn­te ich lei­der nicht dabei sein. aber die ers­te hälf­te war schon ziem­lich an- & auf­re­gend – genau wie es das lin­e­up ver­hieß: tri­band, frau con­tra bass, dani­el stel­ter band etc.

hier mei­ne betrach­tun­gen für die main­zer rhein-zeitung:
Zwei Duos und zwei Quar­tet­te: Schon der Auf­takt der drit­ten Klang­raum-Jazz­ta­ge Mainz bot ein reich­hal­ti­ges Pro­gramm: Mit Blue Snow, Frau­Con­tra­Bass, Tri­band und der Dani­el-Stel­ter-Band war das Pro­gramm nicht nur gut voll­ge­packt, son­dern auch sehr unter­schied­lich bestückt. Und eini­ge Bekann­te waren ja auch dabei, zusam­men mit den neu­en Gesich­tern beim aus­ver­kauf­ten ers­ten Tag in der Show­büh­ne. Die Ver­an­stal­ter vom Klang­raum-Stu­dio freut der wach­sen­de Zuspruch, die am am Ein­gang ver­geb­lich noch um Ein­lass bit­ten­den ver­mut­lich weni­ger. Ddenn sie ver­pass­ten wirk­lich eini­ges. Nach dem lei­sen, fein­sin­nig-ver­spon­nen Auf­takt von Blue Snow, dem schwei­ze­ri­schen Per­cus­sio­nis­ten-Duo, das mit Marim­ba­phon, Vibra­phon und auch auf dem umfunk­tio­nier­ten Ikea-Tisch Rhyth­men aller mög­li­chen Her­künf­te ganz ohne schwei­zer Gemüt­lich­keit misch­te, war es aber mit der Ruhe und Gelas­sen­heit ganz schnell vorbei.
Frau­Con­tra­Bass, das ande­re Duo, erfreu­ten schon im letz­ten Jahr bei den Jazz­ta­gen. Auch jetzt hat­ten Sän­ge­rin Katha­ri­na Debus und Bas­sist Hanns Höhn wie­der viel lau­ni­ge Musik dabei. Mit Stevie Won­der, Jami­ro­quai und vie­len ande­ren wid­men die bei­den sich der Lie­be – der kör­per­li­chen und der pla­to­ni­schen, der erfüll­ten und der ver­sag­ten. Trotz der Reduk­ti­on des musi­ka­li­schen Mate­ri­als erzeu­gen sie groß­ar­ti­ge Effek­te: Höhn schram­melt, zupft, klopft und reibt an allen Ecken und Enden sei­nes Kon­tra­bas­ses, Debus lässt ihre kräf­ti­ge, vol­le Stim­me röh­ren, scat­ten und schmeicheln.
Auch die Dani­el-Stel­ter-Band, die zum Schluss, gegen Mit­ter­nacht, als das Publi­kum schon anfing zu schwä­cheln, der Show­büh­ne ein­heiz­te, war im letz­ten Jahr schon zu Gast. Und immer noch schei­nen die vier Män­ner über uner­schöpf­li­che Ener­gie­re­ser­voirs zu ver­fü­gen. Die Rhyth­mus­grup­pe ist zwar per­so­nal­iden­tisch mit der von Tri­band. Aber mit Ulf Klei­ner an den Fen­der-Rho­des und Dani­el Stel­ters sowie sei­ner E‑Gitarre wird das ganz anders: Die druck­vol­len, kna­ckig dröh­nen­den Groo­ves wer­den mit dem Mut und der Kraft zu ganz schlich­ten, betö­ren­den Melo­dien gro­ßer Prä­gnanz kon­fron­tiert und ergänzt. Egal, ob als Hom­mage an einen Hip­Hop­per oder in der trau­ri­gen Geschich­te eines unter­ge­hen­den Papier­böt­chens: Alles über­flüs­si­ge wird gna­den­los ent­sorgt, auf der Suche nach dem Opti­mum ihrer Musik ist das Quar­tett schon ziem­lich nah am Ziel.
Damit knüp­fen sie nicht nur per­so­nell an Tri­band an. Auch die machen nicht ger­ne vie­le unnö­ti­ge Wor­te und Töne. Aber sie sind exal­tier­ter, expe­ri­men­tier­freu­di­ger. Ihre Mischung aus Pop, Jazz, Funk und einem reich­li­chen Schuss Soul ist dabei aber auch wun­der­bar aus­ge­feilt. Und live noch bes­ser als im Stu­dio: Noch prä­zi­ser in den Stim­mun­gen, noch genau­er und auch noch kon­zen­trier­ter, noch – was man kaum glau­ben mag – ein biss­chen mehr ent­schlackt und zugleich gna­den­los fokus­siert. Die­se Stren­ge, gepaart mit der unbän­di­gen Freu­de – die Musi­ker schei­nen oft noch mehr Spaß zu haben als das auch schon begeis­ter­te Publi­kum – das ist so zwin­gend, so unbarm­her­zig rich­tig – und so wun­der­bar gut.
Und es ist eine herr­li­che Ergän­zung für die Jazz­ta­ge und passt genau in deren Pro­fil. Nach dem ers­ten Abend war ja noch nicht Schluss: Am Sams­tag ging es genau­so bunt und umfang­reich wei­ter – dies­mal mit der Phoe­nix-Foun­da­ti­on und Lars Reichow, mit dem akus­ti­schen Jazz von Spa­ni­ol 4, dem elek­tro­nisch abge­schmeck­ten Klän­gen von „2 fishes in the big big sea“ und den haus­ei­ge­nen Vibes.

klavierkunst für eine bessere welt

Er scheint ein ganz nor­ma­ler jun­ger Pia­nist zu sein, so wie er in Jeans und schwar­zem Hemd auf die Büh­ne des Frank­fur­ter Hofes kommt. Aber in Kai Schu­ma­cher steckt mehr. Denn wer „The Peo­p­le United Will Never Be Defea­ted“ auf­nimmt (für das Main­zer Label Wergo) und auch noch live spielt, der muss etwa Beson­de­res sein. Schließ­lich ist Fre­de­ric Rzew­skis rie­si­ger Varia­tio­nen­zy­klus nicht irgend ein Werk.

Zum einen sind da die tech­ni­schen Schwie­rig­kei­ten: In die­sen gut sech­zig Minu­ten ist eine Men­ge ver­packt – rasen­de Läu­fe, don­nern­de Akkor­de, wil­de Sprün­ge, bru­ta­le Laut­stär­ke und sub­ti­le Fein­hei­ten wech­seln stän­dig. Und die musi­ka­li­schen Anfor­de­run­gen sind auch nicht gering: Die­se 36 Varia­tio­nen erfor­dern viel Gestal­tungs­kraft, viel Über­sicht und gleich­zei­tig enor­me Kon­zen­tra­ti­on im Detail.

Es geht aber noch wei­ter: Wer die­se Musik spielt, bezieht immer auch irgend eine poli­ti­sche Posi­ti­on. Schließ­lich ist das Musik, die etwas ver­än­dern will. Denn Rzew­ski hat nicht irgend eine Melo­die als Grund­la­ge genom­men, son­dern das chi­le­ni­sche „El pue­blo uni­do jamás será ven­ci­do“, das Anfang der 1970er Jah­re zum musi­ka­li­schen Sym­bol des Wider­stands gegen Pino­chet wurde.

Kai Schu­ma­cher macht das im Frank­fur­ter Hof über­deut­lich, er lässt näm­lich erst ein­mal das Ori­gi­nal ein­spie­len – gleich ein ers­ter Gän­se­haut-Moment. Davon wird es noch eine gan­ze Men­ge geben. Denn was Rzew­ski kom­po­niert hat, das ist nicht nur hoch­vir­tu­os und viel­fäl­tig, arti­fi­zi­ell und natür­lich zugleich. Son­dern auch so vol­ler Ideen, Sti­le, Anklän­ge, dass es unge­heu­er viel zu ent­de­cken gibt. Und Kai Schu­ma­cher scheint das alles im Blick zu haben. Sei­ne Inter­pre­ta­ti­on die­ses auf­grund sei­ner hohen Schwie­rig­keit nahe­zu nie gespiel­ten Wer­kes ist gera­de dadurch aus­ge­zeich­net, die kunst­vol­le Gestalt der Musik beson­ders in den Fokus zu holen.

Ande­rer­seits ver­liert der Zyklus dadurch an Schär­fe – und auch die Gewiss­heit, dass das geein­te Volk wirk­lich nie­mals besiegt wer­den wird. Viel­leicht ist das zwangs­läu­fig so, die welt­ge­schicht­li­che Ent­wick­lung seit 1975, als Rzew­ski das Mam­mut­werk kom­po­nier­te, ist ja kei­ne rei­ne Erfolgs­ge­schich­te der Befrei­ung unter­drück­ter Völ­ker. Gera­de die­se Span­nung zwi­schen Opti­mis­mus und dem Bewusst­sein um Nie­der­la­ge und Unter­drü­ckung auf der ande­ren Sei­te führt Schu­ma­cher immer wie­der ganz beson­ders hervor.

So rea­li­siert er mit elas­ti­schem Ton, mit federn­der Kraft ein sehr offe­nes Kunst­werk: Das hier ist eine Auf­füh­rung, die gera­de die sti­lis­ti­sche Viel­falt der Varia­tio­nen, von den ana­ly­tisch die Melo­die zer­split­tern­den Sät­zen über vir­tuo­se Tas­ten­don­ner­mo­men­te bis zu Jazz- und Blues-Impres­sio­nen, beson­ders deut­lich macht. Die­se Kon­tras­te arbei­tet Schu­ma­cher sehr stark her­aus – und ist doch immer wie­der dann beson­ders über­zeu­gend, wenn er sich ganz in die Musik ver­sen­ken kann, wenn die zar­ten und zer­brech­li­chen Momen­te auch ihn selbst neu ergrei­fen und berühren.

kammermusikalische europareise

so rich­tig habe ich den zusam­men­hang des pro­gramms ja nicht ver­stan­den: haydn – hin­de­mith – men­dels­sohn bar­thol­dy: viel gemein­sam­kei­ten gibt es da nicht … ganz nett war’s aber trotz­dem, das war ja zu erwar­ten in der vil­la musi­ca ;-). also, los gehts:

Sanft weht die zar­te Cel­lome­lo­die durch den Salon im ers­ten Stock, flu­tet durch das Trep­pen­haus und das gan­ze Anwe­sen, mit­füh­lend ver­folgt von der Vio­li­ne und zart unter­malt von der Kla­vier­stim­me: Die Vil­la Musi­ca ist aus dem Som­mer­schlaf erwacht.

Ganz ange­mes­sen geschieht das mit einem Kon­zert des haus­ei­ge­nen Ensem­bles Ville Musi­ca, also den rou­ti­nier­ten Meis­tern der Kam­mer­mu­sik, die hier nicht nur ihre Erfah­rung und ihr Wis­sen an jun­ge Künst­ler wei­ter­ge­ben, son­dern auch das Publi­kum an ihrem Kön­nen teil­ha­ben lassen.

Das lässt sich gefal­len. Denn aus der Som­mer­pau­se kommt das Ensem­ble, das ja nur lose gefügt ist und in ver­schie­de­nen Beset­zun­gen arbei­tet, mit fri­schem Élan zurück. Flott, fast unbe­küm­mert, mit kna­cki­ger Fri­sche und der ensem­ble­ty­pi­schen Mischung aus Genau­ig­keit und Läs­sig­keit, aus Gemein­sam­keit und indi­vi­du­el­ler Über­zeu­gungs­kraft an jedem Instru­ment las­sen sie Haydns Kla­vier­trio Nr. 42 in C‑Dur, eines der spä­ten Meis­ter­wer­ke nach sei­ner zwei­ten Eng­land­rei­se, sehr, sehr leben­dig wer­den. Gewiss, eine Min­dest­di­stanz bleibt immer spür­bar, das kann man vor allem im Andan­te sehr gut mer­ken, so ganz haben sie sich die­ses Trio nicht zu eigen gemacht. Aber dann blitzt doch wie­der der Schalk zwi­schen den Sai­ten her­vor – zumin­dest einen klei­nen, aber häu­fi­gen Erscheinungen.

Die­ses fri­sche Musi­zie­ren, die unver­brauch­te Inter­pre­ta­ti­on kann man auch in Paul Hin­de­mit­hs Kla­ri­net­ten­quar­tett deut­lich spü­ren. Forsch und taten­durs­tig sto­ßen die Vier hier ein ums ande­re Fens­ter in ande­re Wel­ten auf, las­sen Ein­bli­cke in Traum und Ima­gi­na­ti­on zu, ermög­li­chen das unbe­schwer­te Schwei­fen im Reich der Vor­stel­lung. Mit immer neu­en, ener­gi­schen Schü­ben sor­gen sie dafür, dass jeder die Gele­gen­heit bekommt, die­se Gren­ze zu über­schrei­ten und hin­über zu schau­en in die Welt der Kunst. Dazu mischen sie den pfif­fi­gen Witz Hin­de­mit­hs, sei­ne wei­ten Melo­dien und schrof­fen Klang­bal­lun­gen mit gro­ßer Aus­dau­er und fei­nem Gespür für die wohl­ge­form­te Dra­ma­tur­gie. Und genau das macht Felix Men­dels­sohn Bar­thol­dys ers­tes Kla­vier­trio am Schluss des Kon­zer­tes zum Hit des Abends. Denn das Kon­zert­fi­na­le gelingt dem Ensem­ble ein­deu­tig am bes­ten, am leben­digs­ten und inten­sivs­ten. Patrick Demen­ga lässt sein Cel­lo hier noch ein­mal beson­ders weich und bestimmt brum­men, Muri­el Can­to­r­eg­gi geigt auf- und her­aus­for­dernd, drängt spie­le­risch immer wie­der vor­an. Und Yuka Ima­mi­ne am Kla­vier gibt ihre fei­ne Zurück­hal­tung wenigs­tens teil­wei­se auf. Die Mit­tel­sät­ze erzäh­len so zart und quir­lig fein­ge­spon­ne­ne Elfen­ge­schich­ten – typisch Men­dels­sohn Bar­thol­dy eben. Und die Rah­men­sät­ze bin­den das in gro­ßer Offen­heit, vom Ensem­ble Vil­la Musi­ca mit Gespür für die rich­ti­ge Dosis Grö­ße und Majes­tät, klang­li­che Abrun­dung und leben­di­ge Nuan­cie­rung rea­li­siert, präch­tig und klang­voll zusammen.

(geschrie­ben für die main­zer rhein-zeitung)

eine ernste sache: motetten der bach-familie

immer wie­der erstaun­lich: die ernst­haf­tig­keit & hin­ga­be des main­zer figu­ral­cho­res – fast schon ver­bis­sen, wie sie sich den gro­ßen chor­wer­ken nähern. ein biss­chen mehr freu­de möch­te man ihnen fast wün­schen … aber dann auch wie­der nicht: so kommt man näm­lich in den genuss tol­ler kon­zer­te – auch wenn die main­zer das über­haupt nicht zu wür­di­gen wis­sen und die kir­chen­bän­ke wie­der ein­mal arg leer blieben.

Mit einem Fami­li­en­kon­zert der beson­de­ren Art begann der Main­zer Figu­ral­chor sei­ne Jubi­lä­ums­sai­son. Der nun fast 30 Jah­re alte Chor star­tet in die nächs­ten Mona­te mit einem Pro­gramm, dass aus­schließ­lich Motet­ten der Musi­ker­fa­mi­lie Bach ver­sam­mel­te. Vom Stamm­va­ter Johann Bach, dem ers­ten bekann­ten Kom­po­nis­ten der thü­rin­gi­schen Dynas­tie bis zu ihrem größ­ten Ver­tre­ter, Johann Sebas­ti­an, reich­te die Aus­wahl – alle Kom­po­nis­ten die­ser Fami­lie zu ver­ei­nen, wür­de jedes Kon­zert spren­gen. Und in St. Boni­faz war auch so schon genug zu hören. Denn dem Diri­gen­ten Ste­fan Wei­ler, der den Chor seit sei­ner Grün­dung lei­tet, ist mal wie­der ein außer­or­dent­li­ches Pro­gramm geglückt – außer­or­dent­lich in der Gestal­tung und außer­or­dent­lich in der Leis­tung des Chores.

Den Beginn mach­ten fünf- bis sech­stim­mi­ge Motet­ten der älte­ren Bach­ge­nera­tio­nen aus dem The­men­feld Tod, Ver­gäng­lich­keit und Heils­ge­wiss­heit. Mit Johann Sebas­ti­an Bachs gro­ßer Motet­te „Jesu mei­ne Freu­de“ war dann zugleich das Zen­trum des Kon­zer­tes und auch der Dreh­punkt erreicht: Nun ging es abschlie­ßend in der auch musi­ka­li­sche sehr raf­fi­nier­ten Stei­ge­rung zu dop­pel­chö­ri­gen Motet­ten um die erwar­tungs­vol­le Freu­de, den Lob­preis Got­tes – eine wir­kungs­vol­le Dra­ma­tur­gie. Vor allem, weil der Figu­ral­chor wie­der ein­mal sehr über­zeug­te. Vor allem durch sei­ne extre­me Kon­zen­tra­ti­on auf die gesam­te Musik, ihre gro­ße Form und ihr kleins­tes Detail.

weich klin­gen­der Beginn mit Johann Bachs „Unser Leben sei ein Schat­ten“, geschickt auf­ge­teilt auf den Haupt­chor und ein ver­steckt plat­zier­tes Solis­ten­quar­tett – sol­che ein­fa­chen, aber wir­kungs­vol­le ideen setzt wei­ler immer wie­der geschickt ein.

Johann Sebas­ti­an Bachs Bear­bei­tung des Cho­rals „Jesu mei­ne Freu­de“ ver­kör­per­te hier den Umschwung des ban­gen christ­li­chen Her­zens zur fes­ten Über­zeu­gung des erwar­te­ten Heils der Ewig­keit. Mit prä­gnan­ter Kraft und behut­sam gesetz­ten Momen­ten, mit der gan­zen Viel­falt der musi­ka­li­schen Rhe­to­rik, die die­sem Mit­glied der Bach-Fami­lie zur Ver­fü­gung steht, ist das dann doch deut­lich grö­ßer und genia­ler als die Musik sei­ner Vor­fah­ren. Typisch war schon der Beginn, die star­ke ana­ly­ti­sche Durch­drin­gung des Chor­sat­zes durch Wei­ler und sei­ne Sän­ger, die unbe­ding­te Gleich­be­rech­ti­gung aller Stim­men gegen­über der Melo­die – die­ses klu­ge, wis­sen­de Musi­zie­ren macht den Figu­ral­chor so anzie­hend. Auch wenn sie hin und wie­der fast zu ernst, zu kon­zen­triert erscheinen

Nach Johann Sebas­ti­an lei­tet der rasche Jubel­ge­sangs von Johann Micha­el Bachs „Sei lie­ber Tag will­kom­men“ über zu den raf­fi­nier­te­ren Freu­den­ge­sän­ger – etwa der dop­pel­chö­ri­ge Motet­te „Herr, ich war­te auf dein Heil“. Wie­der hat Wei­ler einen Chor durch Solis­ten­quar­tett ersetzt – dass er das kann, ist auch ein Zeug­nis der hohen Qua­li­tät des Cho­res. Und es ist hier ein wah­rer Genuss, wie der sanft tönen­de Chor die Solis­ten, die das Mot­to wie­der­ho­len, umschlingt und in sich auf­nimmt. Kein Wun­der, dass es dafür gro­ßen Bei­fall gab – auch wenn in St. Boni­faz vie­le Plät­ze frei geblie­ben waren.

(geschrie­ben für die Main­zer Rhein-Zeitung)

romantische englische kammermusik – ja, das gibt es

der beweis dazu: das ers­te kon­zert der main­zer rat­haus­kon­zer­te in die­ser spiel­zeit am 11. sep­tem­ber. hier mei­ne aus­füh­run­gen für die main­zer rhein-zeitung:

Es war eine ein­ma­li­ge Gele­gen­heit, den Musi­kern ein­mal so rich­tig nahe zu kom­men. Denn bei den Main­zer Rat­haus­kon­zer­ten gibt es weder Büh­ne noch Orches­ter­gra­ben. Im Gegen­teil, das Ensem­ble sitzt ganz unten – in der run­den Mit­te des Rats­saa­les näm­lich. Und wäh­rend es sich das Publi­kum hin­ter den Tischen und Mikro­fo­nen in den Dreh­stüh­len bequem mach­te, muss­te das Eng­lish Pia­no Trio sich umrun­det von neu­gie­ri­gen Ohren und Augen der Musik hin­ge­ben. Wer woll­te, konn­te so den Instru­men­ta­lis­ten also über die wort­wört­li­che Schul­ter schau­en und gleich noch die Noten kon­trol­lie­ren. Nicht, dass das not­wen­dig gewe­sen wäre. Denn das Eng­lish Pia­no Trio, aus der Main­zer Part­ner­stadt Wat­ford kom­mend, besteht aus ech­ten Voll­blut­mu­si­kern. Und sie sind schon so lan­ge zusam­men – über zwan­zig Jah­re musi­zie­ren sie inzwi­schen gemein­sam – dass sie sich offen­bar blind ver­ste­hen: Da muss nie­mand Hin­wei­se geben, da muss kei­ner sich sei­ner Mit­strei­ter ver­ge­wis­sern, schnell noch einen Blick auf die Gei­ge­rin wer­fen oder den Pia­nis­ten bestä­ti­gend anvi­sie­ren. Nein, die­se drei fin­den auch ohne all das zu einer har­mo­ni­schen, aus­ge­gli­che­nen Balance.

Für das ers­te dies­jäh­ri­ge Rat­haus­kon­zert haben sie ein Pro­gramm zusam­men­ge­stellt, dass vor­wie­gend eng­li­sche, mehr oder weni­ger bekann­te Kam­mer­mu­sik ent­hielt. Kon­ti­nen­tal war eigent­lich nur die Eröff­nung mit Haydns spä­tem C‑Dur-Kla­vier­trio Nr. 35. Das absol­vier­ten sie sehr gelas­sen, mit dem not­wen­di­gen Mut zur empha­ti­schen Grö­ße und zau­bert so eine ent­spann­te, sanft und leicht flie­ßen­de fei­ne Triomusik.

Immer, wenn sie ganz auf sich selbst gestellt waren, bevor­zug­ten sie die­ses Vor­ge­hen: Etwa auch bei Fran­cis Edward Baches Kla­vier­trio, einem genia­len Wurf eines roman­ti­schen Jüng­lings. Fast noch zurück­hal­ten­der und beschei­de­ner trat das Eng­lish Pia­no Trio aber immer dann auf, wenn die Sopra­nis­tin Yvonne Howard das Ensem­ble ergänz­te. Sie sang, mit deut­lich opern­haf­ten Ges­tus und Stim­me, eini­ge Lie­der von Edward Elgar – natürlich.

Aber dane­ben auch eini­ge, fast über­ra­schend klar arti­ku­lier­te deut­sche Ver­to­nun­gen von Bache, der zwar nicht ganz an Schu­manns Grö­ße heran­langt, bei glei­chen Tex­ten aber den­noch zu anmu­ti­gen, anspre­chen­den Ver­to­nun­gen kam. Und Howard macht das mit Timo­thy Raven­scroft am Kla­vier mit inni­ge Hin­ga­be deutlich.

Über­zeu­gen­der noch gelan­gen aller­dings die „Paläs­te des Win­des“, wie ein dem Trio gewid­me­tes Werk des Eng­län­ders Joseph Phibbs heißt, das hier in Mainz sei­ne deut­sche Erst­auf­füh­rung erfuhr. Der Text ist zwar nur ein eph­eme­res Lie­bes­ge­dicht, aber in Kom­bi­na­ti­on mit der atmo­sphä­risch dich­ten, nur sehr ver­hal­ten modern anmu­ten­den Musik immer­hin nahe­ge­hend und durch­aus bewe­gend. Das pass­te wun­der­bar in den den schö­nen, trotz der eigent­lich unvor­teil­haft direk­ten Akus­tik des Rats­saa­les sogar aus­ge­spro­chen inti­mer Kam­mer­mu­sik­abend, mit dem die „neu­en“ Rat­haus­kon­zer­te eröff­net wurden.

(geschrie­ben für die main­zer rhein-zeitung)

20 jahre upart in mainz: grund zum feieren. mit vandermark & brötzmann

Gemein­sa­mes Musik­hö­ren und die dazu gehö­ren­den Dis­kus­sio­nen waren und sind die Keim­zel­le die­ses Ver­eins. Vor zwan­zig Jah­ren fan­den sich eini­ge Idea­lis­ten zusam­men, um den Jazz, die freie impro­vi­sier­te Musik häu­fi­ger nach Mainz zu brin­gen: Der Upart-Ver­ein war gegrün­det. Im Kern ist das seit damals vor allem eine basis­de­mo­kra­tisch orga­ni­sier­te Ver­ei­ni­gung von Idea­lis­ten und Fans. Ange­fan­gen hat alles an der Uni­ver­si­tät, im Asta, der 1987 das ers­te „Akut-Fes­ti­val“ ver­an­stal­te­te. Und der har­te Kern mach­te dann nach dem Ende des Stu­di­ums ein­fach wei­ter – jetzt eben als Ver­ein. Die knapp zwan­zig Mit­glie­der – viel grö­ßer ist der Ver­ein auch heu­te nicht, trotz des ste­ti­gen Kom­mens und Gehens – über­nah­men das Akut-Fes­ti­val und führ­ten es in Eigen­re­gie fort.
Das ist auch heu­te noch der Kern der Ver­an­stal­tungs­ar­beit von Upart. Auch wenn sie vor eini­gen Jah­ren den schwe­ren Ent­schluss fas­sen muss­ten, nur noch im zwei­jäh­ri­gen Tur­nus gro­ße Namen der impro­vi­sier­ten Musik nach Mainz zu holen. Das lag, natür­lich, am Geld: Das Publi­kums­in­ter­es­se an expe­ri­men­tel­ler, frei­er Musik ist in den bei­den Deka­den deut­lich zurück­ge­gan­gen, wie Grün­dungs­mit­glied Uwe Saß­manns­hau­sen weiß: „Es ist nicht ein­fa­cher gewor­den.“ Auch die Zuschüs­se von Stadt und Land sind immer wei­ter geschrumpft. Und doch machen sie immer wei­ter, ver­sich­tert Saß­manns­hau­sen: „Wir sind halt unver­dros­se­ne Idea­lis­ten. So lan­ge es irgend­wie geht und wir noch Spaß dar­an haben, wird es Upart wei­ter geben.“
Und das ist ein gro­ßes Glück für Mainz, wie man beim Jubi­lä­ums­kon­zert in der Alten Patro­ne erfah­ren konn­te. Dafür hat­te sich der Ver­ein zwei gro­ße Meis­ter des zeit­ge­nös­si­schen Jazz geleis­tet: Den deut­schen Saxo­pho­nis­ten Peter Brötz­mann und sei­nen ame­ri­ka­ni­schen Kol­le­gen Ken Van­der­mark. Zunächst ver­gnüg­ten sich die bei­den Blä­ser im inti­men Duo. Aus­ge­rüs­tet mit ver­schie­de­nen Saxo­pho­nen und Kla­ri­net­ten stürz­ten sie sich ins Ver­gnü­gen – nicht nur für das Publi­kum, son­dern offen­bar auch für die bei­den Blä­ser. Mit gro­ßer, nie nach­las­sen­der Inten­si­tät, wahn­sin­ni­gem Ideen­reich­tum und natür­lich der gera­de für Brötz­mann typi­schen unge­bän­dig­ten Energie.
In ganz ande­re Gefil­de stürm­te das Frame-Quar­tett, Van­der­marks Kern­trup­pe aus Chi­ca­go mit Fred Lon­berg-Holm am elek­tro­nisch ver­stärk­ten und gewan­del­ten Cel­lo, Nate McBri­de am eben­falls elek­tro­nisch behan­del­ten Bass und Tim Dai­sy am – ganz klas­si­schen – Schlag­zeug. Mit ver­track­ten Arran­ge­ments, per Hand­zei­chen abge­ru­fe­nen Schnit­ten, expe­ri­men­tie­ren die­se vier an der Gren­ze zwi­schen teil­wei­se notier­ter und impro­vi­sier­ter Musik. Sie begin­nen mal mit ver­träum­ten Strei­cher-Intro, las­sen kra­chen­de Gewit­ter fol­gen, unter­bre­chen das mit har­ten Beats oder syn­the­ti­schem Gef­ri­ckel aus den Effekt­ge­rä­ten – und sie fin­den aus den unweg­sams­ten Gebie­ten immer auf fast wun­der­sa­me Wei­se wie­der zusam­men. Mit sol­cher Musik kann man zwar kei­ne gro­ßen Mas­sen anzie­hen, am immer­hin die Alte Patro­ne ganz gut fül­len. Und Geld ver­die­nen muss Upart mit ihren Kon­zer­ten ja nicht – der unschlag­ba­re Vor­teil ehren­amt­li­cher Initiativen.

(mein text für die main­zer rhein-zei­tung. eine aus­führ­li­che­re betrach­tung des kon­zer­tes steht schon seit vor­ges­tern im blog.)

rock gegen orgel oder wie ein englischer organist im dom gegen die mainzer nachwuchsrocker ankämpft

Die Kon­kur­renz war stark. Und vor allem sehr laut. Der eng­li­sche Orga­nist John Scott muss­te im Dom wirk­lich alle sprich­wört­li­chen Regis­ter zie­hen, um gegen die Bands auf dem Lieb­frau­en­platz anzu­kom­men. Die meis­te Zeit gelang ihm das auch recht gut, aber so man­che zar­te und lei­se Stel­le ging dann doch im her­ein­schwap­pen­den Rock unter. Dafür war hier das Publi­kum exklu­si­ver – nur wenig Orgel­en­thu­si­as­ten fan­den am Mitt­woch Abends in den Dom.

Gelohnt hat sich der Weg aber durch­aus. Denn der in New York täti­ge Scott, den eine Koope­ra­ti­on der Dom­kon­zer­te mit dem Kul­tur­som­mer Rhein­land-Pfalz nach Mainz brach­te, prä­sen­tier­te ein klas­si­sches Orgel­kon­zert­pro­gramm. Zumin­dest auf den ers­ten Blick. Das begann ganz typisch mit deut­scher Orgel­mu­sik des 17. Jahr­hun­derts, um sich dann bis in die Gegen­wart und nach Eng­land vor­zu­ar­bei­ten. Und da wur­de es dann rich­tig span­nend. Sicher, Scott kann als ver­sier­ter Orga­nist auch die vor­bach­schen Meis­ter sou­ve­rän dar­bie­ten. Sein sehr behut­sa­mer Umgang mit dem Noten­text, sei­ne fast zer­brech­lich auf­schei­nen­den klang­li­chen Ideen, die abwechs­lungs­rei­chen Regis­trie­run­gen, sein defen­si­ves und wei­ches Spiel – all das steht Georg Muf­fat genau­so zugu­te wie Pachel­bels Choral­par­ti­ta über „Was Gott tut, das ist wohlgetan“.

Aber erst mit dem Über­gang zum eng­li­schen Teil des Pro­gramms ent­fal­te­te sich Scotts gan­ze Fas­zi­na­ti­on und Spann­kraft. Schon Samu­el Sebas­ti­an Wes­leys Lar­ghet­to zeig­te die Rich­tung – aller­dings vor­erst nur in Andeu­tun­gen. Sehr sach­te brei­te­te Scott das aus, fast schon ein wenig ver­huscht for­mier­te er Klang­schwa­den in sanft anrol­len­den Wel­len – so konn­ten die medi­ta­ti­ven Varia­tio­nen sich wun­der­bar ent­fal­ten. Und dann ging es mit einem har­tem Schnitt rein in die vir­tuo­se, majes­tä­ti­sche Pracht. Begin­nend mit der Fan­ta­sia & Toc­ca­ta des Iren Charles Vil­liers Stan­ford, ließ der Eng­län­der sei­nen Hän­den und Füßen nun wirk­lich frei­en Lauf. Aber auch hier, in den deut­lich auf Vir­tuo­si­tät kon­zi­pier­ten Wer­ken, zau­ber­te Scott immer wie­der wun­der­bar sanft glei­ten­de Über­gän­ge. Dumm nur, dass aus­ge­rech­net jetzt, in die fein­sin­nig zurück­ge­zo­ge­nen Gespins­te, die Außen­welt in Gestalt der Rock­mu­sik immer wie­der ein­brach. Dafür konn­te Scott, voll­kom­men sou­ve­rä­ner Herr­scher über den Spiel­tisch der Main­zer Dom­or­gel, mit den „Wild Bells“ von Micha­el Ber­ke­ley das Ter­rain dann wie­der mehr als behaup­ten. Die­ses phan­tas­ti­sche Werk vol­ler vir­tuo­ser Ein­fäl­le und Tricks ist genau das, was der Titel ver­heißt: Eine impres­sio­nis­tisch ange­hauch­te Klang­stu­die über wild gewor­de­ne, fast irr­sin­nig tönen­de Glo­cken. Und das gab Scott zum Schluss noch ein­mal Gele­gen­heit, aus dem Vol­len zu schöp­fen, einen Wett­kampf der Zun­gen zu insze­nie­ren und im vir­tuo­sen Rausch beein­dru­cken­de Klang­be­we­gun­gen vorzuführen.

(geschrie­ben für die main­zer rhein-zeitung.)

felix austria mit beata olanda (und deutschen zuhörern)

Nein, viel Spaß ver­ste­hen die­se vier nicht. Dafür ist ihnen die Sache viel zu ernst. Schließ­lich geht es um gro­ße Musik. Und das erfor­dert nicht nur Ernst, son­dern auch vol­le Hin­ga­be. Eines wird näm­lich schnell klar in der St. Anto­ni­us­ka­pel­le: Für „La Bea­ta Olan­da“ gibt es kei­ne hal­ben Wege. Alles oder Nichts heißt die Devi­se für das Spe­zia­lis­ten­en­sem­ble – trotz des Namens übri­gens eine ziem­lich deut­sche Sache. Und das heißt wie­der­um: Sie geben alles. Denn Schei­tern steht nicht auf dem Pro­gramm. Dafür aber eine klei­ne Rund­rei­se durch den deut­schen und öster­rei­chi­schen Barock – mit deut­li­chem Schwer­punkt auf dem Alpen­land. Sowohl Bach als auch Hän­del, bei­de mit einer Vio­lin­so­na­te ver­tre­ten, wer­den da eher zur Neben­sa­che. Viel span­nen­der und viel vita­ler auch gelingt dem Quar­tett die Aus­wahl aus den Sona­ten von Johann Hein­rich Schmel­zer und Hein­rich Ignaz Franz von Biber. Die kön­nen bei­de ein rei­ches Oeu­vre vor­wei­sen – nicht nur quan­ti­ta­tiv. Und vor allem für Vio­li­nis­ten. Schmel­zer, Hof­ka­pell­meis­ter im Wien Kai­ser Leo­polds, war als Kom­po­nist genau­so ange­se­hen wie als Vio­li­nist. Und für den Salz­bur­ger Hof­mu­si­kus Biber gilt nur zwan­zig Jah­re spä­ter das glei­che: Gefei­er­ter Ton­set­zer und euro­pa­weit berühm­ter Vir­tuo­se auf der Gei­ge. Ent­spre­chend anspruchs­voll sind vie­le sei­ner Sonaten.
Für Clau­dia Hoff­mann scheint die tech­ni­sche Her­aus­for­de­rung aber nicht beson­ders hoch zu sein. Fast gelas­sen und ohne Furcht wäh­len sie und ihre Mit­strei­ter for­sche Tem­pi, for­cie­ren die Kon­tras­te zwi­schen ruhi­gen Abschnit­ten und wild-brau­sen­den Pas­sa­gen noch zusätzlich.
Ihre tech­ni­schen Fähig­kei­ten stel­len sie dabei genau­so wenig her­aus wie sich selbst. Egal ob in Schmel­zer Duo­so­na­ten für Dis­kant­gam­be und Vio­li­ne (aus der Samm­lung „Duo­de­na sel­ec­ta­rum sona­ta­rum“) oder sei­ner drit­ten Sona­te aus den gro­ßen „Sona­tae una­rum fidi­um“, ganz gleich ob in Tanz­sät­zen oder Osti­na­ti – immer macht „La Bea­ta Olan­da“ das Mate­ri­al zu abso­lu­ter, ganz und gar rei­ner Musik. Da wird dann auch nichts mehr his­to­ri­siert – das Wis­sen um die zeit­ge­nös­si­sche Auf­füh­rungs­pra­xis ist auch nur noch ein Mit­tel, die­ser Musik zu ihrer voll­stän­di­gen, unpar­tei­ischen Mate­ria­li­sie­rung zu ver­hel­fen. Und das funk­tio­niert blen­dend. Viel­leicht auch des­halb, weil der klei­ne Raum der St. Anto­ni­us­ka­pel­le das gut unter­stützt: Mit­ten im musi­ka­li­schen Gesche­hen wähnt man sich als Publi­kum, so direkt und unmit­tel­bar umfan­gen einen die reich­hal­ti­gen Klänge.
Und direkt ist schließ­lich auch der Zugriff des Ensem­bles: Mit vol­ler Kraft wer­fen sie sich etwa in die Kon­tras­te und Span­nun­gen der Sona­ten. Da gibt es kei­ne Beschö­ni­gun­gen, aber auch kei­ne über­trie­be­nen Dra­ma­ti­sie­run­gen, son­dern ein­fach nur Musik – mal ent­span­nend, mal span­nungs­ge­la­de­ner als jeder Kri­mi. Und wenn sie dann das Kon­zert mit Bibers c‑Moll-Sona­te enden las­sen, zei­gen sie nicht nur gro­ßen Mut, son­dern auch unbarm­her­zi­ge Här­te: So ein Cliff­han­ger ist ziem­lich gemein. Aber auch ganz schön gut.

(kon­zert des main­zer musik­som­mers, geschrie­ben für die main­zer rhein-zeitung)

oh, merry england!

Der arme Ste­ven Devi­ne. Der Cem­ba­list muss am Schluss einen ziem­lich stei­fen Hals gehabt haben. Denn mehr als in sei­ne Noten blick­te er beim Kon­zert in der Augus­ti­ner­kir­che zu sei­nen Ensem­ble­kol­le­gen von Lon­don Baro­que. Und dafür muss­te er stän­dig schrägt über sei­ne rech­te Schul­ter schau­en. Die Ver­ren­kun­gen haben sich aber gelohnt. Zumin­dest für das Publi­kum, das so Erst­klas­si­ges zu hören bekam.

Die per­ma­nen­te visu­el­le Kom­mu­ni­ka­ti­on des Quar­tetts, die nicht nur vom Cem­ba­lo aus­ging, son­dern den Gam­bis­ten Charles Med­lam genau­so ein­be­zog wie die bei­den Gei­ge­rin­nen Ingrid Sei­fert und Han­nah Med­lam, die­se stän­di­ge gegen­sei­ti­ge Kon­trol­le und Ver­ge­wis­se­rung der Gemein­sam­kei­ten führt zu einem star­ken, wun­der­bar kon­zen­trier­ten Klang­bild. Die Erfah­rung aus über drei­ßig Jah­ren gemein­sa­men Musi­zie­rens hilft da natür­lich auch noch. Jeden­falls gab es eini­ges zu sehen: Nicht nur auf­merk­sa­me, hell­wa­che und kom­mu­ni­ka­ti­ve Musi­ker, deren Bli­cke sich öfter kreuz­ten als ihre Melo­dien, son­dern auch ganz viel Bewe­gung: Da tanz­ten die Bögen mun­ter über die Sai­ten und die Fin­ger wir­bel­ten die Griff­bret­ter hoch und run­ter – Lan­ge­wei­le hat­te kei­ne Chan­ce in der Augustinerkirche.

Nur der Bach-Noten­band auf dem Pult vor Devi­ne blieb stum­mes, unbe­weg­li­ches Requi­sit – ganz der eng­li­schen Musik hat­ten die Lon­do­ner sich gewid­met. Natür­lich, wür­de man sagen, wüss­te man nicht, dass die Lon­do­ner auch ganz aus­ge­zeich­net deut­sche und ita­lie­ni­sche Barock­mu­sik spie­len kön­nen. Aber davon gab es die­ses Mal nur in der Zuga­be eine klit­ze­klei­ne Kostprobe.

Eng­li­sche Musik des 17. Jahr­hun­dert also – das ist vie­les, was kaum noch jemand wirk­lich kennt: Kam­mer­mu­sik von Kom­po­nis­ten wie John Jenk­ins, Chris­to­pher Simpson, Wil­liam Lawes oder Matthew Locke ist heu­te nicht mehr sehr ver­brei­tet. Zu ihrer Zeit waren das in und um Lon­don aber alles aus­ge­wie­se­ne, geschätz­te Meis­ter. Die For­men rei­chen von emp­find­sa­men Tanz­sät­zen – groß­ar­tig etwa das Cem­ba­lo­so­lo „A sad Pavan for the­se dis­trac­ted times“, in der Tho­mas Tom­kins die Wir­ren nach der Hin­rich­tung des Königs Charles in eine für das 17. Jahr­hun­dert extrem emo­tio­na­le Musik fasst – bis zur typi­schen eng­li­schen Gat­tung der Grounds. Von die­sen frei­en Varia­tio­nen über ein wie­der­hol­tes Bass­the­ma hat­te das Ensem­ble eini­ge dabei, etwa Chris­to­pher Simpsons “Ground Divi­si­ons“, die dem Gam­bis­ten Charles Med­lam viel Mög­lich­kei­ten gab, nicht nur sei­ne Fin­ger­fer­tig­keit, son­dern auch sei­nen Ein­falls­reich­tum vorzuführen.

Die abschlie­ßen­de Hän­del-Sona­te – in Eng­land gilt Geor­ge Fre­de­ric Han­del ja genau­so selbst­ver­ständ­lich als Eng­län­der wie hier als Deut­scher – aller­dings war dann nicht mehr ganz so typisch eng­lisch. Aber Lon­don Baro­que ist kosm­po­li­tisch genug, auch das zu meis­tern: Mit ihrer typi­schen Ein­füh­lungs­kraft und der wun­der­bar wach­sa­men, reak­ti­ons­freu­di­gen Gemein­sam­keit ihres ener­gi­schen Spiels mach­ten sie sich Hän­del genau­so zu eigen wie den Rest des Programms.

(gechrie­ben für die main­zer rhein-zeitung)

haydn, nichts als haydn: die eröffnung des mainzer musiksommers

Fest­li­cher geht es kaum. Pas­sen­der aber auch nicht: Denn die fei­er­li­che Eröff­nung des Main­zer Musik­som­mers – der die­ses Jahr schon sei­nen zehn­ten Geburts­tag fei­ern kann – ver­bin­det sich im ers­ten Kon­zert mit einer inten­si­ven Wür­di­gung eines der dies­jäh­ri­gen Jubi­la­re der Musik­ge­schich­te. Dom­ka­pell­meis­ter Mathi­as Breit­schaft diri­gier­te zum Auf­takt der dies­jäh­ri­gen, gemein­sam von SWR und der Stadt Mainz ver­an­stal­te­ten Kon­zert­rei­he, näm­lich ein rei­nes Haydn-Pro­gramm. Und obwohl er in „sei­nem“ Raum, dem Dom, natur­ge­mäß vor­wie­gend Kir­chen­mu­sik her­an­zog, ein glei­cher­ma­ßen reprä­sen­ta­ti­ves und abwechs­lungs­rei­ches. Denn neben dem Zen­trum, der Gro­ßen Orgel-Solo-Mes­se und dem „Te Deum Lau­da­mus“ noch zwei Orgel­kon­zer­te aus dem rei­chen Fun­dus, den Haydn auch da hin­ter­las­sen hat.

Der Lim­bur­ger Orga­nist Mar­kus Eichen­laub meis­ter­te dabei auch die vir­tuo­sen Pas­sa­gen fast non­cha­lant, immer mit coo­lem under­state­ment und läs­si­ger Ele­ganz, die ihre Wir­kung vor allem aus der leicht dahin flie­gend, locker und ent­spannt wir­ken­den tech­ni­schen Prä­zi­si­on schöpf­te. Das Kur­pfäl­zi­sche Kam­mer­or­ches­ter ließ Breit­schaft etwas erdi­ger und stär­ker grun­diert beglei­ten. So bot er dem Solis­ten viel Raum, der sich – aus der Par­ti­tur spie­lend – aber lie­ber zurück­hielt und geschmei­dig in den Gesamt­klang eingliederte.

Doch im Zen­trum des Eröff­nungs­kon­zer­tes stand mit der gro­ßen und groß­ar­ti­gen Mes­se eine fröh­lich-über­schwäng­li­che Ver­to­nung des Ordi­na­ri­ums. Und Breit­schaft ließ kei­nen Zwei­fel an sei­ner Bereit­schaft, der Mes­se nicht nur Power ohne Ende mit­zu­ge­ben, son­dern auch stark kon­tras­tie­ren­de zar­te und inni­ge Momen­te. Und dann wie­der war die Mess­ver­to­nung sprit­zig-pul­sie­rend bis zur Gren­ze des Wahn­wit­zes. Aber es ging alles gut – der Dom­kam­mer­chor war bes­tens prä­pa­riert und ver­wöhn­te mit jugend­lich-fri­schem und schlan­ken Klang. Und die ver­sier­ten Solis­ten, neben der gewohnt sou­ve­rä­nen Janice Cres­well und der kla­ren Dia­na Schmid sowie dem zurück­hal­ten­den Bass Cle­mens Breit­schaft vor allem der cha­ris­ma­ti­sche und enga­gier­te Tenor Dani­el Jenz, lie­ßen auch kei­ne Wün­sche offen.

Ähn­lich forsch ging der Dom­kap­pell­meis­ter auch das C‑Dur-Te deum an. Das wur­de dann so rasant und ener­gie­prot­zend, dass es fast einen Tick ange­be­risch wirk­te. Aber nur fast: Denn Breit­schaft blieb immer gera­de noch so kon­trol­liert und ziel­ge­rich­tet, dass das Te deum zu einer unwi­der­steh­li­chen Ver­füh­rung, einer sanf­ten, unmerk­li­chen Über­re­dung hin zu Glau­ben und Kir­che, wur­de. Dass so wun­der­schö­ne Musik ent­stand, war fast nur ein Neben­pro­dukt. Aber wenn das so gut gelingt, dann lässt man ihm die Absicht zur Ver­füh­rung – die schließ­lich durch­aus im Sin­ne Haydns ist – ger­ne durch­ge­hen. Und hofft, dass die rest­li­chen Kon­zer­te des Musik­som­mers genau­so vie­le Ver­hei­ßun­gen preis­ge­ben werden.

(geschrie­ben für die main­zer rhein-zeitung.)

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