Ins Netz gegangen am 18.6.:
- Stefan Niggemeier | Der Ehrgeiz des Stefan Raab — stefan niggemeier schreibt einen nachruf auf stefan raab (zumindest liest es sich über weite strecken so …)
- Profil, verschachert für 25 Cent — constanze kurz in ihrer faz-kolumne über die seltsame digitalpolitik der kanzlerin
Warum sollte sich aber daran in Zukunft nicht mehr nur ein kleiner Kreis von Konzernen eine goldene Nase verdienen, sondern plötzlich – falls endlich die störenden Skeptiker aus dem Weg gehen – Big Data zum Segen für die deutsche Wirtschaft werden? Glaubt die Bundeskanzlerin, die Big-Data-Könige werden ihre Server-Hallen, Cloud-Standorte und Rechenzentren nebst den Forschungszentren und den klügsten Data-Mining-Köpfen, die sie international eingekauft haben, den deutschen Unternehmern abtreten, wenn diese nur ihre skeptische Haltung ablegen?
- Rachel Dolezal: Die Farbenfrage | ZEIT ONLINE — ein sehr kluger, ausführlicher und abwägender text von nils markwardt über rachel dolezal, schwarz und weiß und die (aus deutscher/meiner sicht reichlich merkwürdig anmutende) diskussion um “rasse” als identitätsmarker
Doch was folgt nun aus dem Ganzen? Sofern race eine soziale Konstruktion ist, stellt sich die hypothetische Frage, ob das Passing von Rachel Dolezal nicht zumindest dann legitim gewesen wäre, wenn sie mit offenen Karten gespielt hätte, wenn sie also von vornherein publik gemacht hätte, dass sie als Weiße geboren wurde, sich aber als Schwarze fühlt.
Doch selbst dann hätte dieser Fall ein entscheidendes Problem, das sich aus einer historischen Unterdrückungsgeschichte ableitet. Wenn man solch ein transracial-Konzept radikal zu Ende denkt, hieße dies ja, dass letztlich jede Form ethnischer Selbstbeschreibung individuell verhandelbar würde. Und dies würde dann, zumindest bis zu einem gewissen Grade, ebenfalls bedeuten, dass letztlich auch jene affirmativen schwarzen Identitätskonzepte, etwa blackness oder négritude, die nicht zuletzt auch als Reaktion auf jahrhundertelange Repression durch Weiße entstanden sind, obsolet würden oder sich zumindest soweit öffnen müssten, dass auch Weiße “I’m proud to be black” sagen könnten.
Sprich: Man hätte, wenn auch ungewollt und mit den Mitteln weißer dekonstruktivistischer Essentialismuskritik, abermals eine Situation, in der Schwarzen gesagt wird, wie sie ihre Kultur zu definieren haben. - Wie ich Feminist wurde | Logbuch Suhrkamp — ein sehr persönlicher, aufschlussreicher und interessanter text von thomas meinecke (fast eine art bekenntnis), im dem es um den weg zum selbst und zum schreiben (und auch: dem verstehen von welt und mensch) geht
In diesem ästhetisch-politischen Spalt lassen sich diskursive Romane verfassen, die von anderen Dingen erzählen als jene, die von den großen männlichen, vermeintlich geschlossenen, auf jeden Fall sich als autonom inszenierenden Autor-Subjekten (oft als Genies bezeichnet) verfasst wurden (und weiterhin munter verfasst werden). Die große Binarität, wie sie dem an der Kategorie der Klasse orientierten politischen Denken und Schreiben anhaftete, wurde nun durch einen genauen Blick auf die kleinen Unterschiede, auf subtile Verschiebungen und Modulationen abgelöst
- Treasure In Heaven | Lapham’s Quarterly — peter brown über die “kampagne” des frühen christentums und besonders hieronymus’, euergetismus in christliches almosengeben zu verwandeln
Altogether, to accept Christian preaching was to make a major shift in one’s image of society. In terms of the social imagination, it involved nothing less than moving from a closed universe to an open one. We begin, in the classical world, with a honeycomb of little cities, in each of which the rich thought of nurturing only their fellow citizens, with little regard to whether any of them were poor. We end, in Christian times, with an open universe, where society as a whole—in town and countryside alike—was seen to be ruled, as if by a universal law of gravity, by a single, bleak division between rich and poor. The duty of the Christian preacher was to urge the rich no longer to spend their money on their beloved, well-known city, but to lose it, almost heedlessly, in the faceless mass of the poor. Only that utterly counterfactual gesture—a gesture that owed nothing to the claims of one’s hometown or of one’s fellow citizens—would earn the rich “treasure in heaven.”
- Der Pianist Maurizio Pollini im Interview — ein sehr, sehr gutes, interessantes und intelligentes gespräch zwischen zwei beethoven-liebhabern, jan brachmann und maurizio pollini, anlässlich der vollendung seiner aufnahme aller beethoven-sonate
Es gibt in Beethovens Musik Momente, die in die Nähe religiöser Erfahrung führen können. Momente von gesteigertem Enthusiasmus. Ich will das gar nicht leugnen. Ich persönlich finde, dass man nicht notwendigerweise an Religion denken muss, um diese Musik zu würdigen. Es ist nur deren Größe, welche die ästhetische Begeisterung schnell ins Religiöse umschlagen lassen kann.[…] Das Problem liegt darin, dass Beethovens Werke so vielgestaltig sind. Er wechselt Stil und Stimmung von Stück zu Stück. Es wiederholt sich nichts. Deshalb sind diese Sonaten so schwer zu spielen. Die Kenntnis der einen Sonate hilft Ihnen überhaupt nicht weiter bei der nächsten.
- Doppelte Unfallgefahr: Helmträger in Münster öfter im Krankenhaus | Radhelmfakten — eine etwas beunruhigende sammlung von daten der unfallstatistiken: es scheint so, dass die verletzungsrate bei helmträgern in unfällen deutlich größer ist als bei nicht-helmträgern. das widerspricht schön jeder alltagslogik — und es ist überhaupt nicht klar, warum das so ist …
- DER NERD: EINE MINI-PHÄNOMENOLOGIE | Das Schönste an Deutschland ist die Autobahn — sehr coole überlegungen von georg seeßlen zum nerdtum, der pop-)kultur und insbesondere dem deutschen nerd:
Jede Kultur hat die Nerds, die sie verdient. Den Geist einer Comic-Serie, eines TV-Events, eines Star-Imagos oder einer Buchreihe, einer Sportart, einer Kommunikationstechnik, einer Produktlinie erkennt man an ihren Nerds.[…] Der deutsche Nerd liebt nicht, was er sich erwählt hat, sondern er hasst, was dem entgegen oder auch nur außerhalb steht. Der deutsche Nerd denkt immer hierarchisch. Er will unbedingt Ober-Nerd werden. Er will das Nerd-Tum organisieren. Statt Exegesen produziert er Vorschriften, statt Gottesdiensten seines Kultes hält er Gerichte.
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