Jürgen Paapes “So weit wie noch nie”, habe ich durch Thomas Meineckes Playlist kennengelernt:
Schlagwort: thomas meinecke
Ins Netz gegangen am 4.8.:
- A Renegade Trawler, Hunted for 10,000 Miles by Vigilantes — NYTimes.com — eine nro jagt mit mehr oder weniger illegalen methoden illegale hochseefischer, die die geschützen fischbestände der meere plündern
- How Groningen invented a cycling template for cities all over the world | Cities | The Guardian -
Motorists woke up one mid-70s morning to find new one-way streets made direct crosstown journeys impossible by car. Forty years later Groningen boasts two-thirds of all trips made by bike … and the cleanest air of any big Dutch city
das beispiel groningen zeigt, wie man (zumindest in den niederlanden) mit einigen wenigen, aktiven politikern eine ganz stadt umbauen kann (im wahrsten sinn des wortes) und vom auto zum fahrrad bekehren kann (und der artikel verschweigt auch n…
- Biometrie: Deine Tastatureingaben verraten dich | ZEIT ONLINE -
Die Art und Weise, wie jemand tippt, gibt Aufschluss darüber, wer vor dem Rechner sitzt. Selbst Nutzer des Anonymisierungsdienstes Tor können so enttarnt werden.
so etwas wie paranoide wahnvorstellungen muss doch bald aus dem icd fliegen, weil all das, was die sich vorstellen, langsam wirklichkeit wird …
- Komponisten: Wie klingt die Gegenwart? | ZEIT ONLINE — ein sehr interessantes gespräch haben volker hagedorn & christine lemke-matwey hier moderiert:
Die Zeit der Debatten in der neuen Musik ist vorbei. Vier Komponisten der jüngeren Generation darüber, wie man die Jetztzeit vertont und was das mit Politik zu tun hat.
(so jung sind die teilweise aber auch nicht mehr ;-) …)
- Interview ǀ „Mann ist ein Schimpfwort“ — der Freitag — thomas meinecke, wie immer sehr gut:
Wenn ich als Mann sage, ich bin Feminist, denken die Leute: „Der will kein Mann sein.“ Will ich auch nicht. Jedenfalls nicht so wie die Männer, die ich schrecklich finde.
[…]
Das sind vier Fünftel aller Männer. Der Sprachgebrauch dieser Männer ist unästhetisch, unüberlegt und definitionsmächtig. Klassische männliche Autorensubjekte fahren immer mit der großen Behauptung auf: Ich habe Recht, und nach dreihundert Seiten werdet auch ihr mir Recht ge…
Ins Netz gegangen am 18.6.:
- Stefan Niggemeier | Der Ehrgeiz des Stefan Raab — stefan niggemeier schreibt einen nachruf auf stefan raab (zumindest liest es sich über weite strecken so …)
- Profil, verschachert für 25 Cent — constanze kurz in ihrer faz-kolumne über die seltsame digitalpolitik der kanzlerin
Warum sollte sich aber daran in Zukunft nicht mehr nur ein kleiner Kreis von Konzernen eine goldene Nase verdienen, sondern plötzlich – falls endlich die störenden Skeptiker aus dem Weg gehen – Big Data zum Segen für die deutsche Wirtschaft werden? Glaubt die Bundeskanzlerin, die Big-Data-Könige werden ihre Server-Hallen, Cloud-Standorte und Rechenzentren nebst den Forschungszentren und den klügsten Data-Mining-Köpfen, die sie international eingekauft haben, den deutschen Unternehmern abtreten, wenn diese nur ihre skeptische Haltung ablegen?
- Rachel Dolezal: Die Farbenfrage | ZEIT ONLINE — ein sehr kluger, ausführlicher und abwägender text von nils markwardt über rachel dolezal, schwarz und weiß und die (aus deutscher/meiner sicht reichlich merkwürdig anmutende) diskussion um “rasse” als identitätsmarker
Doch was folgt nun aus dem Ganzen? Sofern race eine soziale Konstruktion ist, stellt sich die hypothetische Frage, ob das Passing von Rachel Dolezal nicht zumindest dann legitim gewesen wäre, wenn sie mit offenen Karten gespielt hätte, wenn sie also von vornherein publik gemacht hätte, dass sie als Weiße geboren wurde, sich aber als Schwarze fühlt.
Doch selbst dann hätte dieser Fall ein entscheidendes Problem, das sich aus einer historischen Unterdrückungsgeschichte ableitet. Wenn man solch ein transracial-Konzept radikal zu Ende denkt, hieße dies ja, dass letztlich jede Form ethnischer Selbstbeschreibung individuell verhandelbar würde. Und dies würde dann, zumindest bis zu einem gewissen Grade, ebenfalls bedeuten, dass letztlich auch jene affirmativen schwarzen Identitätskonzepte, etwa blackness oder négritude, die nicht zuletzt auch als Reaktion auf jahrhundertelange Repression durch Weiße entstanden sind, obsolet würden oder sich zumindest soweit öffnen müssten, dass auch Weiße “I’m proud to be black” sagen könnten.
Sprich: Man hätte, wenn auch ungewollt und mit den Mitteln weißer dekonstruktivistischer Essentialismuskritik, abermals eine Situation, in der Schwarzen gesagt wird, wie sie ihre Kultur zu definieren haben. - Wie ich Feminist wurde | Logbuch Suhrkamp — ein sehr persönlicher, aufschlussreicher und interessanter text von thomas meinecke (fast eine art bekenntnis), im dem es um den weg zum selbst und zum schreiben (und auch: dem verstehen von welt und mensch) geht
In diesem ästhetisch-politischen Spalt lassen sich diskursive Romane verfassen, die von anderen Dingen erzählen als jene, die von den großen männlichen, vermeintlich geschlossenen, auf jeden Fall sich als autonom inszenierenden Autor-Subjekten (oft als Genies bezeichnet) verfasst wurden (und weiterhin munter verfasst werden). Die große Binarität, wie sie dem an der Kategorie der Klasse orientierten politischen Denken und Schreiben anhaftete, wurde nun durch einen genauen Blick auf die kleinen Unterschiede, auf subtile Verschiebungen und Modulationen abgelöst
- Treasure In Heaven | Lapham’s Quarterly — peter brown über die “kampagne” des frühen christentums und besonders hieronymus’, euergetismus in christliches almosengeben zu verwandeln
Altogether, to accept Christian preaching was to make a major shift in one’s image of society. In terms of the social imagination, it involved nothing less than moving from a closed universe to an open one. We begin, in the classical world, with a honeycomb of little cities, in each of which the rich thought of nurturing only their fellow citizens, with little regard to whether any of them were poor. We end, in Christian times, with an open universe, where society as a whole—in town and countryside alike—was seen to be ruled, as if by a universal law of gravity, by a single, bleak division between rich and poor. The duty of the Christian preacher was to urge the rich no longer to spend their money on their beloved, well-known city, but to lose it, almost heedlessly, in the faceless mass of the poor. Only that utterly counterfactual gesture—a gesture that owed nothing to the claims of one’s hometown or of one’s fellow citizens—would earn the rich “treasure in heaven.”
- Der Pianist Maurizio Pollini im Interview — ein sehr, sehr gutes, interessantes und intelligentes gespräch zwischen zwei beethoven-liebhabern, jan brachmann und maurizio pollini, anlässlich der vollendung seiner aufnahme aller beethoven-sonate
Es gibt in Beethovens Musik Momente, die in die Nähe religiöser Erfahrung führen können. Momente von gesteigertem Enthusiasmus. Ich will das gar nicht leugnen. Ich persönlich finde, dass man nicht notwendigerweise an Religion denken muss, um diese Musik zu würdigen. Es ist nur deren Größe, welche die ästhetische Begeisterung schnell ins Religiöse umschlagen lassen kann.[…]
Das Problem liegt darin, dass Beethovens Werke so vielgestaltig sind. Er wechselt Stil und Stimmung von Stück zu Stück. Es wiederholt sich nichts. Deshalb sind diese Sonaten so schwer zu spielen. Die Kenntnis der einen Sonate hilft Ihnen überhaupt nicht weiter bei der nächsten. - Doppelte Unfallgefahr: Helmträger in Münster öfter im Krankenhaus | Radhelmfakten — eine etwas beunruhigende sammlung von daten der unfallstatistiken: es scheint so, dass die verletzungsrate bei helmträgern in unfällen deutlich größer ist als bei nicht-helmträgern. das widerspricht schön jeder alltagslogik — und es ist überhaupt nicht klar, warum das so ist …
- DER NERD: EINE MINI-PHÄNOMENOLOGIE | Das Schönste an Deutschland ist die Autobahn — sehr coole überlegungen von georg seeßlen zum nerdtum, der pop-)kultur und insbesondere dem deutschen nerd:
Jede Kultur hat die Nerds, die sie verdient. Den Geist einer Comic-Serie, eines TV-Events, eines Star-Imagos oder einer Buchreihe, einer Sportart, einer Kommunikationstechnik, einer Produktlinie erkennt man an ihren Nerds.[…]
Der deutsche Nerd liebt nicht, was er sich erwählt hat, sondern er hasst, was dem entgegen oder auch nur außerhalb steht. Der deutsche Nerd denkt immer hierarchisch. Er will unbedingt Ober-Nerd werden. Er will das Nerd-Tum organisieren. Statt Exegesen produziert er Vorschriften, statt Gottesdiensten seines Kultes hält er Gerichte.
Deutschland Schwarz Weiß ist ein wichtiges Buch. Wichtig, um die vorherrschenden Strukturen des Rassismus in Deutschland zu erkennen und so versuchen, sie zu bekämpfen, und zu überwinden. Sow zeigt an einer Fülle von Beispielen, wie tief verankert rassistisches Denken und Verhalten in der deutschen Gesellschaft ist, wie Rassismus in Deutschland zum Alltag gehört — weil er strukturell-gesellschaftlich be“gründet“ und quasi vererbt wird.
Ich bin zwar nicht in jedem Detail mit ihren Wertungen einverstanden — aber darum geht es auch gar nicht. Sondern darum, zu erkennen, wie sehr rassistische Vorstellung unser Denken und eben auch unser Handeln immer wieder immer noch prägen. Dafür ist Sow’s Buch hervorragend geeignet und sollte fast so etwas wie Pflichtlektüre für bewusste Teilnehmer der deutschen Gesellschaft sein . Ich hätte es zwar gerne etwas stringenter und klarer in Struktur und Sprache, aber das ist meine persönliche Präferenz. Sow bemüht sich um Umittelbarkeit und Wirkmächtigkeit — da hat sie wahrscheinlich die bessere und wirksamere Strategie und Sprache gefunden.
Letztlich läuft das ganze auf diesen einen Satz hinaus: „Rassismus ist kein Schwarzes, sondern ein weißes Problem.“ (272) — das ist der zentrale Punkt. Und den muss man erkennen, bevor man etwas ändern kann.
Das neuese (schmale) schöne Bändchen (vor allem dank der Zeichnungen Meliáns) von Thomas Meinecke bringt den Buchlesern seine gesammelte Kolumnen aus dem „Groove“ von 2007–2013. Ganz symbolisch aufgeladen sind das natürlich 33 — denn es geht vorwiegend um Platten bzw. die Musik darauf (und auch hin und wieder um die Ungewissheit, ob eine Platte mit 33 oder 45 Umdrehungen abzuspielen sei): Das sind kurze (oder eigentlich sehr kurze) Text zur Musik überhaupt, zum DJ-Sein im Radio und im Club, und den Implikationen der Profession und der Musik. Faszinierend ist dabei immer wieder, wie genau Meinecke beobachten und erkennen kann (so weit ich das zu verfolgen und beurteilen vermag, nicht alles ist mir bekannt von dem Vielen (ist nicht immer meine Musik …), über das er schreibt) — und wie präzise er diese Erkenntnisse in wenige Worte fasst. Zum Beispiel so:
- „Respekt, dachte ich, da macht die Nacht dann gar nicht, was sie will, sondern was Westbam will.“ (26)
- „Sie geraten ins Fachsimpeln, und ich würde am liebsten mitreden, aber ich habe ja die Liner-Notes geschrieben.“ (38)
- „Ich konnte vor allem von Theolonious Monk meine Augen nicht lassen: Seine minimalistische Unruhe schien mir von utopischen Ausmaßen zu sein.“ (43)
- „Ich habe (spätestens seit Hoyerswerda) herausgefunden, dass ich eine nationale Identität allein über den Holocaust entwickeln kann. (Eigentlich bräuchte ich gar keine.)“ (85f.)
- „Ich hatte das Gefühl, dass lauter SchauspielerInnen (in brandneuen Lederjacken) um mich herum standen, und irgendwo stand sicher auch Manfred Eicher, der den sonisch anrüchigen Muzak Jazz-Katalog seines ECM Labels jüngst durch Villalobos (dem ich hier mal die Ahnungslosigkeit des Spätgeboreren attestiere) veredeln ließ.“ (87)
- „Logisch bildet das Mysterium der Musik für Schriftsteller (wie mich) einen Sehnsuchtsraum: Wo die Sprache nur schwer hinkommt, tut sich ein Gefühl von Freiheit auf. (Sprache ist ja ein Knast.) Andererseit meine (von dekonstruktivistischen Feministinnen erlernte) Erkenntnis: Vor der Sprache gibt es nichts. Auch Disko ist diskursiv.“ (93)
Das ist überhaupt nicht bitter, aber dafür ganz besonder spritzig: Eine kaum zu beschreibende Erzählung voller Humor (weniger dagegen witzig). Wild und ausufernd ist der Text, der dien Lebensabschnitt eines Langzeitarbeitslosen, der einen 97jährigen Theaterkünstler als Mädchen für alles dient. Unwahrscheinlich und den Leser auch schon mal bedrängend stapel sich da die Verrücktheiten. Der Rezensent von literaturkritik.de weist darauf hin, dass das zumindest teilweise trotz seiner geradezu phantastischen Gestalt durchaus reale Begebenheiten der Theaterszene der 1970er Jahre beschreibt. Davon aber mal abgesehen, ist das einfach grandios unterhaltend: Wild und ungezähmt ist dieser Text wie sein Sujet, frei vagabundierend zwischen Exkursen und Fußnoten, vielschichtig zwischen realen, irrealen und surrealen Abschnitten wie in einem Traum hin und her springend. Faszinierend und sympathisch…