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Schlagwort: neue musik Seite 5 von 8

franz m. herzog: missa

 

Mit sein­er 2004 in Graz uraufge­führten Mis­sa für Chor, Sopran und Per­cus­sion knüpfte Franz M. Her­zog auf unter­schiedlich­ste Weise an die lange Tra­di­tion der Messver­to­nun­gen an und ver­suchte, diese mod­ern und eigen­ständig zugle­ich weit­erzuführen. Eigentlich ist sie für konz­er­tante Sit­u­a­tio­nen gedacht, der Kom­pon­ist kann sich aber auch Auf­führun­gen der Einzel­sätze im litur­gis­chen Rah­men zu Recht gut vorstellen. Ins­beson­der das Kyrie und das Glo­ria bieten sich hier­für beson­ders an, gerne auch zusam­men. Denn in diesen bei­den Teilen verzichtet Her­zog sowohl auf das Sopran-Solo als auch auf den Ein­satz von Schlag­w­erk, so dass zwei rein a‑cappella geset­zte Messteile bleiben.

Das senkt den Anspruch freilich kaum. Denn Her­zog macht es dem Chor nicht beson­ders leicht. Polyrhyth­mik exzes­sive Sekun­drei­bun­gen in oft atonaler Umge­bung mit wech­sel­nden tonalen Zen­tren – das fordert schon ein sehr sicheres Ensem­ble.

Das Kyrie zeigt sich dabei von Beginn an als typ­is­ches Werk aus Her­zogs Fed­er. Und das heißt, es ent­fal­tet mit eigentlich recht ein­fachen kom­pos­i­torischen Mit­teln eine ein­dringlichen Ton­sprache, die schon vom ersten Ton an wirkt. Hier ist es das mehrfach wieder­holte rhyth­mis­che Pochen des „Kyrie elei­son“, das langsam in den Frauen­stim­men Span­nung auf­baut. Der Bass löst das mit ein­er expres­siv gegen dieses klopfende Bit­ten geset­zten Melodie auf. Und das Ganze wird dann noch in ver­schiede­nen Kon­stel­la­tio­nen durchge­spielt und schließlich mit ein­er med­i­ta­tiv­en Sekund­schich­tung des „Christe“ wirkungsvoll kon­trastiert. Zum Schluss wird der mehrfach geteilte Chor wieder in Bewe­gung ver­set­zt und zu den Mustern des Beginns zurück­geleit­et.

Das Glo­ria knüpft mit seinem schrit­tweise aufge­baut­en Clus­ter der Ein­leitung noch ein­mal an den Mit­tel­teil des Kyrie an. Mit ver­schiede­nen Mod­ellen der Imi­ta­tion und Schich­tung, mit vielfälti­gen Bezü­gen zum Kyrie und zu bere­its etabliertem Mate­r­i­al aus dem Glo­ria sorgt Her­zog auch hier für abwech­slungsre­iche Klang­wege. Die Span­nung des expres­siv­en Glo­rias ist dabei freilich immer und auss­chließlich auf den Schluss gerichtet: Der flüs­sig entwick­elte Chor­satz gipfelt selb­stver­ständlich im abschließen­den „Amen“. Ein ein­drucksvoll klin­gen­des zeit­genös­sis­ches Doku­ment gemäßigter Mod­erne.

Franz M. Her­zog: Kyrie aus Mis­sa für Chor, Sopran-Solo, Per­cus­sion für gemis­chte Stim­men (SATB divisi). Inns­bruck: Hel­bling 2006. 14 Seit­en. 4,50 Euro.
-: Glo­ria aus Mis­sa für Chor, Sopran-Solo, Per­cus­sion für gemis­chte Stim­men (SATB divisi). Inns­bruck: Hel­bling 2006. 18 Seit­en. 4,50 Euro.

(geschrieben für die Neue Chorzeit, März 2008)

Schwarze, graue und weiße Rechtecke schweben über die Lein­wand, schieben sich in- und übere­inan­der, tanzen auf und nieder. Heftig drän­gend pulsiert zu dem abstrak­ten Film von Hans Richter die anre­gende Musik von Bernd Thewes. „Gehör­gang ins Auge“ nen­nt sich das Exper­i­ment des Ensem­bles Ascol­ta, das der SWR im Rah­men sein­er Rei­he „Avance“ im Frank­furter Hof ver­anstal­tet. Und es erfordert eine Menge Aufwand. Denn die bran­dak­tuelle Musik ste­ht hier nicht allein: Die Spezial­is­ten für Neue Musik sind mit einem Film­musik-Pro­gramm angereist. Und natür­lich zeigen sie auch die passenden Filme. Die haben alle schon einige Jahre auf dem Buck­el und sind auch alle schön kurz. Exper­i­mentelle abstrak­te Stu­di­en und filmis­che Ver­suche aus den zwanziger Jahren sind die Bild­liefer­an­ten. Dazu haben in den let­zten Jahren eine Hand­voll Kom­pon­is­ten neue Musik geschrieben. Und das ist faszinierend: Wie unter­schiedlich man solch eine Auf­gabe ange­hen kann. Bei manchen, etwa Olga Neuwirths „Diag­o­nal-Sym­phonie“ zu einem Film von Viking Eggeling, kön­nte man gerne auf die Lein­wand verzicht­en – die lenkt fast zu sehr ab. Das ist über­haupt ein biss­chen ein Prob­lem: Die durch­weg anspruchsvolle Musik lei­det ein wenig unter der geteil­ten Aufmerk­samkeit. Aber span­nend sind eben die ver­schiede­nen Ansätze, „Film­musik“ heute zu schreiben. Beson­ders deut­lich kon­nte man das beim „Vor­mit­tagsspuk“ von Hans Richter sehen. Der wurde näm­lich gle­ich zwei Mal ver­tont. Cor­nelius Schwehr schrieb eine heit­er-pulsierende Komödie, die den Witz des Filmes wun­der­bar unter­stützt. Mar­tin Smol­ka dage­gen lässt das Ensem­ble Ascol­ta gespen­stige Klänge pro­duzieren: Mit fahlen, hohlen Gitar­renakko­r­den, Glis­san­di und Vogelzwitsch­ern betont er das Spukhafte, das Unheim­liche des Films. Und der bekommt dadurch nicht nur eine andere Bedeu­tung, son­dern auch einen vol­lkom­men neuen Rhy­ht­mus – so plas­tisch bemerkt man den Ein­fluss der Musik auf den Film sel­ten.

Eine inter­es­sante Kom­bi­na­tion bot auch die Kop­plung von René Clairs „Entr’acte“ mit der „Musique d’ameuble­ment“ von Erik Satie, die der Ensem­ble-Posaunist Andrew Dig­by ein­richtete. Zwar waren das zwei Werke, die eigentlich über­haupt keine Aufmerk­samkeit haben woll­ten, die nur im Neben­bei rezip­iert wer­den soll­ten. Aber trotz­dem sind sie in ihrer Kom­bi­na­tion jet­zt so amüsant und unter­halt­sam, dass sie alle Augen und Ohren fes­sel­ten. Übri­gens auch ein Ver­di­enst des gewitzten Arrangeurs, der auch die Zugabe, den „Ungarischen Tanz Nr. 5“ von Brahms als Begleitung zur „Studie Nr. 7“ von Oskar Fischinger instru­men­tierte: Ein irrsin­niger Trubel, ein ras­antes Furioso von Lin­ien und Ebe­nen auf der Lein­wand genau­so wie im Ensem­ble – ein grandios­es Finale für das Mul­ti­me­di­aspek­takel.

Frankre­ich hat viel zu bieten – auch musikalisch. Wirk­lich bekan­nt und gut vertreten in den deutschen Konz­ert­sälen ist davon aber nur sehr wenig. Allein schon deshalb ist die Frankre­ich-Reise des Phil­har­monis­chen Orch­esters unter Cather­ine Rück­wardt sehr zu begrüßen

Ohne sich aus den beque­men The­aters­es­seln erheben zu müssen, darf man das Orch­ester beim 6. Sin­foniekonz­ert auf eine kurze tour d’hori­zon begleit­en. Die Reise­lei­t­erin Cather­ine Rück­wardt hat­te die Schäfchen ihrer Reiseg­ruppe dabei per­ma­nent fest unter Kon­trolle. Und sie bot eine über­aus sachkundi­ge Führung durch die frem­den musikalis­chen Land­schaften und Sehenswürdigkeit­en.

Die erste Sta­tion war die Orch­ester­bear­beitung des Prières op. 20 von César Franck. Mit viel Ruhe und voller Innigkeit strahlten die sat­ten Stre­icherk­länge und beza­uberten die solis­tis­chen Ein­la­gen der Holzbläs­er.

Für die zweite Attrak­tion zog die Reise­leitung noch die Hil­fe eines exter­nen Experten hinzu: Der junge Vio­lin­ist Barn­abás Kele­men sorgte für den richti­gen Blick­winkel auf Hen­ri Dutilleux Noc­turne „Sur le même accord“. Dieses obses­sives Kreisen um einen Akko­rd hat viele lange und getragne, melan­cholisch-ver­hangen umher­schweifende Pas­sagen. Aber auch so einige Brüche und raue Kan­ten find­en sich hier – ein sehr viel­seit­iges Gebilde, ein inneres Panop­tikum. Im Staat­sthe­ater gab es sich fil­igran zise­liert, oft fast ver­schnörkelt. Kele­men sorgte mit druck­vollem Strich und exakt dosiertem Ein­satz dafür, dass es nicht zu ver­spielt wurde. Seine Ern­sthaftigkeit und Ger­adlin­igkeit führte immer wieder zu verblüf­fend­en Klang­ef­fek­ten.

Viel Zeit zum Staunen blieb allerd­ings auch hier nicht, denn schon ging es weit­er zur näch­sten Sehenswürdigkeit. Noch blieb der Geiger zur Unter­stützung des Orch­esters bei der drit­ten Sta­tion. Hier waren die Rollen jet­zt klar­er verteilt, in Camille Saint-Saens „Intro­duc­tion et Ron­do capric­cioso“: Kele­men führte dieses Mal mit Über­schwang und wilden Engange­ment – selb­st Rück­wardt schaute geban­nt immer wieder hinüber, was der Solist denn da so trieb. Und bei­de berauscht­en sich am forschen Spiel­witz und vital­en Klangsinn des Konz­ert­stücks.

Danach kon­nte die Diri­gentin wieder alleine die Führung übernehmen. Und wie sie das tat: Francks Sin­fonie d‑Moll set­zte noch ein­mal ganz neue Akzente. Wie eine gruselige Schauer­musik, düster und mächtig, führt das Orch­ester diese Sin­fonie mit beein­druck­ender Geschmei­digkeit und ele­gant aus­ge­formten, stre­ichelzarten Samtk­län­gen aus weit­er Ferne ins Mainz­er The­ater. Und so ging der span­nende Aus­flug ins Nach­bar­land schon wieder zu Ende – schade, dass es nur eine kurze Stip­pvis­ite war.

genial: mozart und ligeti und schubert befruchten sich gegenseitig

Dieses Konz­ert ist kein Spaß, son­dern schwere Arbeit. Nicht nur für Paul Lewis, den jun­gen britis­chen Pianis­ten, den der SWR für die Rei­he „Inter­na­tionale Pianis­ten“ nach Mainz geholt hat. Auch die Zuhör­er im Frank­furter Hof kön­nen sich nicht lock­er zurück­lehnen. Denn Lewis ver­weigert sich jed­er Entspan­nung, jed­er bil­li­gen Affir­ma­tion und gut­gläu­bi­gen Gefühls­duse­lei. Er treibt fast alles bis zum Äußer­sten. Sein Pro­gramm dafür ist eine geniale Kom­bi­na­tion von Mozart, Schu­bert und Györ­gy Ligeti.

Er begin­nt schon Mozarts Fan­tasie c‑Moll KV 475 als eine der radikalsten Mod­ernisierun­gen, die man sich vorstellen kann: Mozart klingt plöt­zlich wie ein Avant­gardist. Die Noten sind noch die orig­i­nalen, aber vom Mozartschen Geist ist nichts mehr zu spüren. Das ist aber kein Ver­lust, denn an seine Stelle tritt etwas neues, beza­ubern­des: Spröde, kahle und sehr fremde, immer gehörig dis­tanzierte Klänge bricht Lewis aus Mozarts Fan­tasie her­aus, im Zauber der total­en klan­glichen Reduk­tion baut sich immer wieder kör­per­lich greif­bare, bru­tal erscheinende Span­nung auf. So ver­loren, so rest­los deprim­ierend trau­rig und ziel­los hört man Mozart sel­ten. Und der Brite führte das dann auch noch naht­los weit­er – mit Ligetis „Musi­ca Ricer­ca­ta“. Die elf Stücke waren ihm erneut ein Panop­tikum der extremen Sprödigkeit. Die Span­nung, mit der Lewis die kar­gen Kon­struk­tio­nen Ligetis auflädt, lässt die raf­finierten Stücke ger­adezu implodieren. Sein drän­gen­der Wille macht jede Note gewichtig wie eine Enzyk­lopädie, jedes der elf Stücke zu ein­er Bib­lio­thek der sinnlichen und rationellen Erfahrung: Mit eben­mäßiger, konzen­tri­ert­er Klarheit wird jede Note zu einem Gral, jede Phrase zu einem Heilig­tum.

Das ist extrem, ja fast total­is­tisch, wie Lewis hier eine inter­pre­ta­torische Idee zum absoluten Prinzip erk­lärt. Aber es ist – weil er eben ein aus­geze­ich­neter Pianist ist – in jedem Moment tragfähig. Sein Mozart spielt, lässt sich leicht – und auch mit guten Grün­den – ablehnen.Wenn man sich aber darauf ein­lässt, erken­nt man hierin den einzi­gen Grund, Mozart heute über­haupt noch zu spie­len: Weil diese Musik immer noch zeit­gemäß sein kann. Ger­ade in ihrer Nüchtern­heit, die Lewis fast bis zur Lakonie treibt, verbindet sich Mozart – auch im Ron­do a‑Moll, das er bruch­los an die „Musi­ca ricer­ca­ta“ anfügte – per­fekt mit den Ligetis­chen Schöp­fun­gen.

Im zweit­en Teil des Konz­ertes wid­mete Lewis sich dann Schu­berts Sonate G‑Dur op. 78. Mit genaiu dieser Ern­sthaftigkeit, dieser unbe­d­ingten Hingabe. Und wie er auch hier die Zer­ris­senheit dieser Musik entwick­elt, die Kämpfe und das Schwanken zwis­chen Größe und Erbärm­lichkeit deut­lich macht in bru­taler Scho­nungslosigkeit, das nimmt gefan­gen. Wieder fehlt jede poet­is­che Verk­lärung. An ihre Stelle tritt ein­mal mehr der Zauber der klar prä­pari­erten Struk­tur – und damit ist Paul Lewis mit Sicher­heit ein­er der ehrlich­sten Pianis­ten unser­er Zeit.

 

west und ost friedlich vereint im meisterkonzert

Die Blech­bläs­er scheinen ein wenig nervös zu sein, vor diesem Konz­ert in der Rhein­gold­halle. Bis zur let­zten Minute üben sie noch ihre Soli. Das ist ja auch kein Wun­der, denn das erste Stück beste­ht eigentlich nur aus Soli für Bläs­er und Schlagzeuger: Aaron Cop­lands „Fan­fare for the Com­mon Man“ machte den Beginn beim Meis­terkonz­ert. Und es ist ein aus­ge­sprochenn passender Auf­takt. Denn das Konz­ert trug schließlich den Titel „Aus Ost und West“. Bevor die Klan­greise im zweit­en Teil aber in den Osten ging, blieb die Deutsche Staat­sphil­har­monie nach der geglück­ten Cop­land-Eröff­nung noch ein wenig im West­en. Im tief­sten West­en sozusagen.

Denn das Vio­linkonz­ert von Samuel Bar­ber ist eben­falls eine echt amerikanis­che Musik. Da passt es natür­lich, dass die Solistin auch aus den USA kommt. Anne Akiko Mey­ers erfüllt ihren Part mit rou­tiniert-sou­verän­er Genauigkeit – auch im vir­tu­os wirbel­nden Per­petu­um Mobile des drit­ten Satzes. Mit klarem und deut­lichen Ton, der trotz­dem fül­lig blieb und immer wieder auch mit großzügigem Vibra­to dient geri­et das an manch­er Stelle vielle­icht ein Tick zu protzig. Dabei hätte sie das gar nicht nötig, wie die erfrischend luzide Gestal­tung des ersten Satzes zeigte. Aber ander­er­seits kommt bei Bar­ber eben ohne Sen­ti­men­tal­ität auch nicht weit. Und gemein­sam mit dem Diri­gen­ten der Staat­sphil­har­monie George Pehli­van­ian dosiert sie die sehr genau – so genau, dass das Vio­linkonz­ert nie zum Kitsch wird.

Den Osten durfte in der Rhein­gold­halle die 15. und let­zte Sym­phonie von Dim­itri Schostakow­itsch repräsen­tieren. Die stellt sich hier als ein grotesker Zauber­garten, vollgestopft mit aller­lei abson­der­lichen Kuriositäten, vor. Und der kleine drahtige Libanese auf dem Diri­gen­ten­podest hat seine Freude daran, hat hör- und sicht­bar Spaß am über­dreht­en Absur­dis­tan dieser Sym­phonie. Die Schärfe, mit der George Pehli­van­ian das Klang­bild kon­turi­ert, die Klarheit, mit der er die vie­len Schnitte dieses Mon­u­mentes akzen­tu­iert, das ist große Klasse. Und wie er dann in einem winzi­gen Wim­pern­schlag umschal­tet auf die epis­che Tragik der langsamen Sätze, das ist ein­fach wun­der­bar. Denn ger­ade die genau aus­bal­ancierte Mis­chung aus­ge­spiel­ter Mat­tigkeit und lockere Tollerei zeich­net seine Dar­bi­etung der let­zten Sym­phonie des Russen aus. Und dafür bekam er zurecht großzügi­gen Beifall.

(geschrieben für die mainz­er rhein-zeitung)

gewagt und gewonnen: die rheinische orchesterakademie spielt webern, schubert und strauss

Es ist wieder ein­mal ein aus­ge­sprochen anspruchsvolles Pro­gramm, dass sich die Rheinis­che Orch­ester­akademie Mainz (ROAM) für ihre achte Arbeit­sphase vorgenom­men hat­te. Wer ein Konz­ert mit Anton Weberns Pas­sacaglia eröffnet, beweist zumin­d­est ein­mal ordentlich­es Selb­stver­trauen. Aber das Wag­nis lohnt sich, wie das Abschlusskonz­ert im Schloss zeigte. Denn die Mis­chung aus for­maler Konzen­tra­tion und Schwel­gen im noch spätro­man­tis­chen Klang gelang den jun­gen Musik­ern erstaunlich gut. Vor allem dank der stren­gen Hand des Diri­gen­ten Manuel Nawri blieb das Opus 1 Weberns trotz sein­er kom­plex­en Struk­turen klar und über­schaubar: Pure Span­nung und reine Inten­sität — ein wirk­lich beein­druck­ender und ver­heißungsvoller Auf­takt. Und es ging auf hohem Niveau weit­er: Mit den „Vier let­zten Liedern“ von Richard Strauss führte der Weg ein Stück zurück in die „echte“ Spätro­man­tik. Die Orcehster­lieder sind zwar erhe­blich später als die Pas­sacaglia kom­poniert wor­den, leben aber noch ganz aus und im Geist der späten Roman­tik.

Die Solistin Bet­sy Horne sang das über weite Pas­sagen sehr zurückgenom­men und wun­der­bar in den Orch­esterk­lang inte­gri­ert. Nie exaltiert, aber doch immer anges­pan­nt, klar fokussiert und so natür­lich, wie solch kun­stvolle Lieder über­haupt noch zu sin­gen sind. Feinsin­nig gestal­tet und sen­si­bil­isiert für fein­ste Nuan­cen: In dieser fast überspan­nten nervösen Empfind­lichkeit traf sie sich genau mit dem Orch­ester. Das hat­te jet­zt seine Klangdichte und vor allem die bewegliche Geschmei­digkeit noch ein­mal spür­bar gesteigert. Alle waren allerd­ings auch fest entschlossen, nicht zu übertreiben, der Empfind­samkeit nicht vol­lends nachzugeben – das macht diese Lieder in ihrer san­fte Form- und Klangge­bung zu wun­der­baren Juwe­len des Abschiedes, die in ihren let­zten Tönen doch noch viel Zukun­ft ver­heißen.

Die ROAM ließ diese Ver­heißung allerd­ings erst ein­mal hin­ter sich und machte sich noch ein gutes Stück weit­er in die Ver­gan­gen­heit auf: Zu Schu­berts viert­er Sin­fonie, der „Tragis­chen“. Jet­zt wech­sel­ten sich feine Arabesken immer wieder mit aus­ge­sprochen mas­sive Klän­gen. Manuel Nar­wi sorgte für ein ein­fühlsames Gleit­en durch die Par­ti­tur. Selt­sam nur, dass bei­de Mit­tel­sätze so deut­lich abfie­len – da fehlte schlicht zuviel innere Span­nung als Antrieb­s­fed­er. Die Eck­sätze dage­gen liefen wie am Schnürchen: Diese vitale Musik spielte die ROAM mit hör­bar­er Freude und Enthu­si­as­mus.

geniales theater der dinge und klänge: heiner goebbels “stifters dinge”

die erste frage, die sich auf­drängt ist natür­lich gle­ich die grund­sät­zliche: ist das über­haupt the­ater? es gibt keine hand­lung. keine schaus­piel­er. kaum text. aber: es gibt eine bühne. es gibt eine dra­maturgie. es gibt tech­nik zu hauf. für mich ist das ein­deutig: das ist the­ater. auch wenn hein­er goebbels es eine „per­for­ma­tive instal­la­tion” nen­nt.

goebbels ist ein­er der weni­gen, die wirk­lich neues the­ater machen — immer wieder. und auf allen ebe­nen. die nicht nur neuen wein in alte schläuche füllen, son­dern auch neue for­men der vermittlung,d er kom­mu­nika­tion mit dem pub­likum, der in-sze­nierung suchen. zumin­d­est als ver­such­sauf­baut­en sind sie oft spek­takulär und aufre­gend, beein­druck­end und mächtig. ob sie freilich von dauer sind, wird sich zeigen — meines wis­sens sind sie bish­er nur im orig­i­nal zu sehen. denn text als grund­lage kaum noch vorhan­den — was eine neu-insze­nierung unge­heuer erschw­ert, eigentlich unmöglich macht. denn goebbels denkt das the­ater offen­bar umfassender: sein werk ist nicht die par­ti­tur, son­dern umfasst auch die kom­plette insze­nierung, inklusvie raum, ton und licht.

dur­chaus eine kon­squente entwick­lung des the­aters, die sich eben um neue for­men bemüht, die näher zu gegen­wart sind. oder, wie er es im inter­view sagt: „Denn das [The­ater] muß immer auch über­raschen, neugierig machen, etwas zeigen, das wir noch nicht gese­hen haben, das unbekan­nt ist, ein Rät­sel, vielle­icht ein kleines Wun­der, schau’n wir mal.”

das ist genau das, was man hier auch als zuschauer tun muss: schauen. und hören. und aufmerk­sam sein auf die durch­weg aus­ge­sprochen abstrak­ten meta­mor­pho­sen von raum, licht, bewe­gungn und klang. der klang: grenzberiech musik — geräusch immer wieder aus­gelotet (damit auch ein — allerd­ings hier nicht weit­er ela­bori­ert­er — anknüp­fungspunkt an die zeit­genös­sis­che musik, etwa die idee ein­er musique instru­men­tale con­créte). und: übergänge zur augen­musik. etwa in dem moment, indem sich das selb­st­spie­lende klavier qua­si noch ein weit­eres mal verselb­ständigt, und nicht mehr spielt, um bes­timmte klang­fol­gen zu erzeu­gen, son­dern spielt, um bes­timmte bildliche abläufe — etwa der sich wellenar­tig bewe­gen­den häm­mer (mit über­lagern­den wellen sog­ar) — zu erzeu­gen. das alles ist ger­ade in der kom­plex­ität der anord­nung (denn für sich genom­men ist die musikalis­che seite etwa des abends fast durch­weg eher sim­pel) unge­heuer anre­gend. es ver­strömt aber auch eine gewisse melan­cholie, v.a. im let­zten drit­tel (insebeson­dere durch die klanggestalt), fast ein eingeste­hen des scheit­erns?

die vom schöpfter gewählte beze­ich­nung der „per­for­ma­tiv­en instal­la­tion” bringt es ziem­lich gut auf den punkt: instal­la­tion zweifel­sohne — die im hin­ter­grund har­rende bat­terie der klangerzeu­gung, die zugle­ich bild­liefer­ant ist etwa. per­for­ma­tiv aber eben auch — in mehrfach­er hin­sicht. nicht unbe­d­ingt in blick auf die bei­den büh­ne­nar­beit­er, die zu beginn noch die let­zten vor­bere­itun­gen täti­gen und zwis­chen­durch (vor allem im ersten teil) einige sachen auf der bühne erledi­gen müssen. per­for­ma­tiv ein­er­seits, weil die instal­la­tion the­ater macht: indem sie klänge her­vor­bringt (dur­chaus ungewöhn­liche, dazis­chen aber auch mal kurz den zweit­en satz (bzw. dessen anfang) des ital­ienis­chen konz­ertes von bach). aber auch durch ihre chore­o­gra­phie, ihre bewe­gungsabläufe — die mehr sind als nur die schlichte zurschaustel­lung der gener­ierung von klang: sie haben — zumin­d­est ver­sprechen sie das — einen sin­nüber­schuss. der sich aber nicht immer so ein­fach in worte fassen lässt. es geht hier nicht so sehr um bes­timmte infor­ma­tio­nen, mit­teilun­gen. son­dern darum, zustände zu verän­dern. insofern ist die per­for­ma­tiv­ität dieser instal­la­tion auch in der wech­sel­wirkung mit dem pub­likum zu suchen. ich hat­te allerd­ings in der bock­en­heimer warte nicht immer den ein­druck, dass dieser teil des abends beson­ders gut funk­tion­ierte. um dazu noch ein­mal goebbels zu zitieren: „ Meine Arbeit­en brauchen im übri­gen den Men­schen. Die Men­schen. Die, die sie machen, und die, die sie erfahren. Alle meine Stücke funk­tion­ieren erst, wenn ein Pub­likum da ist und sie und ihre Ele­mente ‚zusam­menset­zt’. Je indi­vidu­ell und sicher­lich ein­fall­sre­ich­er, als wir uns das vorher aus­denken kön­nen. Und vor allem “Stifters Dinge” braucht das Pub­likum. Erst das Zuschauen macht daraus ein Stück.”

denn die reine tech­nik als faszi­nosum scheint hier für die meis­ten inter­es­san­ter zu sein als das ergeb­nis: natür­lich hat die tech­nik hier auch einen gewis­sen eigen­wert — son­st würde sie nicht so offen zur schau gestellt. das ist natür­lich auch eine absicht goebbels. aber mir scheint, dass große teile des frank­furter pub­likums (dass auch ziem­lich unruhig und wenig begeis­tert schien) nicht weit­er geblickt und gedacht haben als bis hier­hin. ganz deut­lich am ende: alle (wirk­lich mit ganz weni­gen aus­nah­men) strö­men nicht zum aus­gang, son­dern zur bühne, um die tech­nik — die ja offen­liegt — noch ein­mal zu bestaunen. damit wird das eigentlich anliegen des werkes, die aufmerk­samkeit auf dinge zu lenken, die son­st eher illus­tra­tiv gen­tutzt wer­den und nicht im zen­trum der aufmerk­samkeit ste­hen, gewiss­er weise kot­nerkari­ert: sie wer­den näm­lich, indem sie als bloße tech­nis­che her­aus­forderung und inge­nieursmäßige bravourauf­gabe rezip­iert wer­den, ihrer hier geforderten oder pos­tulierten autonomie wieder doch wieder, d.h. erneut!, beraubt und damit noch ein­mal (und diese wieder­hol­ung ist fast noch betrüblich­er als der ursprüngliche vor­gang) aus dem zen­trum gerückt und zur periph­erie gemacht.

kein­er, der nur halb­wegs offen ist, wird diesen abend allerd­ings unbeschadet über­ste­hen. soll heißen: wer sich auch nur ein wenig ein­lässt auf die zu-mut-ung dieser arbeit, wird danach nicht mehr der selbe sein. er wird anders sehen, hören, führlen — anders wahrnehmen. seine aufmerk­samkeit für die dinge etwa, die schein­baren neben­säch­lichkeit­en, wird geschärft sein. und das ist das höch­ste kom­pli­ment, das ich einem kunst­werk machen kann (das ist aber auch der maßstab, den ich immer wieder anlege …)

einige kri­tiken und berichte kann man auf der home­page von hein­er goebbels nach­le­sen.

norbert linke: bitte um frieden

Über 450 Jahre hat der Luther-Choral „Ver­leih‘ uns Frieden gnädiglich“ inzwis­chen auf dem Buck­el und wird doch immer noch gesun­gen. Nor­bert Linke, Pro­fes­sor in Duis­burg und den Kirchen­musik­ern durch seine pop­ulären und pop­pi­gen Choralvor­spiele, den „Organ Pops“, bestens bekan­nt, hat sich von diesem Lied zu einem Chor­w­erk anre­gen lassen.

Er selb­st legt die Inspi­ra­tion und/oder Anle­hung im Unter­ti­tel der „Bitte um Frieden“ offen. Aber das wäre auch son­st unüber­hör­bar, zu deut­lich sind die melodis­chen Übere­in­stim­mungen. Es ist ein fast unbe­darft wirk­ender, schnell einzus­tudieren­der Chor­satz gewor­den, der im Gottes­di­enst wun­der­bar Platz find­et. Wenn nicht sowieso schon im Unisono, wird der vier­stim­mige Chor fast auss­chließlich par­al­lel geführt. Begleit­et wird er von der Orgel, die regelmäßig (nach ein bis zwei Versen meist) kleine Zwis­chen­spiele beis­teuert, die für etwas größere Lück­en und Auflockerung in der „Bitte“ sor­gen, dadurch aber über­haupt etwas Farbe und Bewe­gung ins Spiel brin­gen. Denn Linkes „Bitte um Frieden“ ist nicht ger­ade ein opti­mistisch-strahlen­des Chor­w­erk: Friede kann allein durch Gott wer­den – aber so recht glauben mag das der Chor hier nicht mehr, er versinkt bei den Schluss­worten, die doch eigentlich von dem fes­ten Glauben auf die Güte Gottes sprechen soll­ten, im boden­losen Nichts, in der gäh­nen­den Leere — nur noch zwei lang gehal­tene Orge­lakko­rde besiegeln das Schick­sal.

Nor­bert Linke: Bitte um Frieden. Nach dem Luther-Choral „Ver­leih‘ uns Frieden gnädiglich“ (1531) für gemis­cht­en Chor und Orgel. Berlin: Ver­lag Neue Musik NM 2512 2003. 10 Seit­en. 9,80 Euro.

großes mysterium im chorklang

Dass Morten Lau­r­dis­en ein Amerikan­er ist, muss man nicht wis­sen, um es zu hören. Seine Chor­musik zeich­net sich näm­lich durch typ­isch amerikanis­che Tugen­den aus: Leicht ver­ständlich, sinnlich überzeu­gend, tech­nisch aus­ge­feilt – freilich ohne irgendwelche avant­gardis­tis­chen Ansprüche. Der Cham­ber Choir of Europe ver­sam­melt auf „O Mag­num Mys­teri­um“ die ger­ade in den USA sehr beliebten Choralzyklen des dänisch-stäm­mi­gen Kom­pon­is­ten. Die schwellen­den Klangchön­heit­en der faszinierend schlicht­en und zarten Sinnlichkeit kann der Cham­ber Choir of Europe auch aus­geze­ich­net umset­zen. Dass bei den sich ganz organ­isch ent­fal­tenden Har­monien und deshalb beson­ders inten­siv­en Rilke-Ver­to­nung „Les Chan­sons des Ros­es“ die Textver­ständlichkeit nicht opti­mal ist, kann man deshalb schnell vergessen. Auch das „Lux Aeter­na“, hier in der Ver­sion für Orgel und Chor aufgenom­men, ver­bre­it­et eine mehr als andächtige Stim­mung: Ihr Mix aus alten und ural­ten Kom­po­si­tion­stech­niken und mod­erneren Har­monien ermöglicht eine außeror­dentliche Vielfalt inner­halb der kon­stant mys­tis­chen Andacht. Das ist in der Tat sim­pel – aber auf gute und überzeu­gende Weise. Am deut­lich­sten man­i­festiert sich Lau­rid­sens Tal­ent zu wei­hevoller Stim­mungsmusik aber in „O Mag­num Mys­teri­um“ — das ist ein einziges Schwel­gen im Unge­fähren, gefasst in den schlicht-konkreten Melodielin­ien, die so prim­i­tiv scheinen und doch nicht nur einen sicheren Chor, son­dern auch einen über­legen gestal­tenden Diri­gen­ten fordern. Und der Cham­ber Choir of Europe unter Nicol Matt, der durch seine klaren, glat­ten Klang­for­men ohne Wider­hak­en Lau­rid­sens Werken zu ihrem Klan­grecht ver­hil­ft, hat deshalb großen Anteil an der über­wälti­gen­den Wirkung dieser CD

Morten Lau­rid­sen: O mag­num Mys­teri­um. Cham­ber Choir of Europe, Nicol Matt. Hänssler Clas­sic 98.272.

erschienen in der neuen chorzeit, sep­tem­ber 2007.

musik für einen heiligen – ferraros “ad maiorem dei gloriam”

Der 450. Geburt­stag des Heili­gen Ignatius von Loy­ola, dem Begrün­der des Jesuitenor­den, ging im ver­gan­genen Jahr recht unspek­takulär über die Bühne. Immer­hin aber gibt es eine echte Fes­tkom­po­si­tion für diesen Anlass: „Ad Maiorem Dei Glo­ri­am“ heißt sie und stammt aus der Fed­er von Matthew Fer­raro. Doch sie ist auch nach dem Jubiläum recht uni­ver­sal ein­set­zbar, denn dafür hat der Amerikan­er Matthew Fer­raro zunächst aus Schriften Loy­olas und der Bibel einen kurzen Text zusam­mengestellt, einen spir­i­tu­al­is­tis­chen Lobpreis des all­ge­gen­wär­ti­gen Gottes als Ret­ter und Erlös­er. Und dann hat er das für gemis­cht­en Chor und Klavier oder Orgel, wahlweise auch mit Begleitung eines Stre­ichquar­tetts, ver­tont. Knappe fünf Minuten sind es gewor­den: Eine har­monisch und melodisch aus­ge­sprochen schlichte, fast belan­glose Miniatur. Der durch­weg homo­phone Satz in unschein­bar­er Gestalt zeigt Fer­raro als Schöpfer eher geringer Orig­i­nal­ität. Doch als Film­musikkom­pon­ist weiß er um die Wirk­samkeit ein­fach­ster klan­glich­er Gesten und nutzt das wei­dlich aus. Er ver­traut dabei vor allem auf die Überzeu­gungskraft der Wieder­hol­ung und des For­tis­si­mo. Deshalb ver­langt das „Ad Maiorem Dei Glo­ri­am“ auch nach einem großem und klangstarken Chor in einem entsprechen­den Raum – alleine wegen des Finales, des erlösenden und bestäti­gen­den Rufes „Jesu Hominum Sal­va­tor“, der ohne kräftige Chor­massen son­st ganz und gar wirkungs­los ver­pufft.

Matthew Fer­raro: Ad Maiorem Dei Glo­ri­am. Lon­don: Boosey & Hawkes 2006. Chor­par­ti­tur. 6 Seit­en.

erschienen in der zeitschrift des deutschen chorver­ban­des, der „neuen chorzeit”, aus­gabe juli/august 2007.

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