Lesen. Hören. Und ein bisschen schreiben.

Schlagwort: neue musik Seite 6 von 8

wenn männer den boogie haben

„Die Zeit­en der Machos sind vor­bei“, schreibt der Kom­pon­ist im Vor­wort, „doch im Män­ner­chor­lied dür­fen sie immer mal wieder nos­tal­gisch auf­blühen.“ Dabei hat Uli Führe aber etwas wesentlich­es vergessen. Denn in sein­er kleinen Samm­lung „Der Män­ner-Boo­gie-Blues“ bes­timmt nicht (nur) die Nos­tal­gie das Klanggeschehen. Viel stärk­er treten hier eigentlich Ironie und Komik in den Vorder­grund. Denn allzu ernst nehmen darf und soll man die acht kleinen Sätze auf Texte von Jörg Ehni, Joachim Ringel­natz und Kurt Tuchol­sky nicht. Zwar geht es immer um ein aus­ge­sprochen ern­stes The­ma: Män­ner und ihr Ver­hal­ten. Aber der studierte Schul- und Pop­u­lar­musik­er Uli Führe ist ja in erster Lin­ie für seine amüsant-unter­hal­tende Chor­musik bekan­nt. Und genau dazu gehören auch der „Män­ner-Boo­gie-Blues“ und der „Ver­führer-Tan­go“, das „Warzen­schwein“ genau­so wie „Meine Mus­ca Domes­ti­ca“. Beson­ders schön: Das „Chan­son“ zur Völk­erver­ständi­gung à la Tuchol­sky mit aus­ge­sprochen delikater laut­ma­lerisch­er Begleitung. Aber auch die anderen, durch­weg präg­nant und gewitzt aus­gear­beit­eten vier­stim­mi­gen a‑cap­pel­la-Sätze mit ihren angenehm sang­baren Melo­di­en und der abwech­slungsre­ichen, ryht­misch und stilis­tisch sehr vielfälti­gen Gestal­tung sind pri­ma Mate­r­i­al zur Aufheiterung eines jeden Konz­ertreper­toires. Zumal es vom sel­ben Kom­pon­is­ten auch noch das Gegen­pro­gramm gibt: „Der Mond ist eine Frau“ heißt die Antwort der hold­en Weib­lichkeit auf diese klin­gende Beschwörung der unver­wüstlichen Männlichkeit.

Uli Führe: Der Män­ner-Boo­gie-Blues. Für Män­ner­chor TTBB a‑cappella. Stuttgart: Carus 2006 (Carus 9.611). 36 Seit­en.

erschienen in der zeitschrift des deutschen chorver­ban­des, der „neuen chorzeit”, aus­gabe juli/august 2007.

ein psalm für chor und kontrabass

Die etwas ungewöhn­liche Beset­zung – nicht nur der sieben­stim­mige Chor, son­dern beson­ders der „leicht ver­stärk­te“, auss­chließlich gezupfte Kon­tra­bass — ver­rät die Herkun­ft und Erfahrung des Kom­pon­is­ten: Gavin Bryars begann seine musikalis­che Lauf­bahn als Jazzbassist. Aber der für die Ver­to­nung des Psalm 126 geforderte Bass ist noch mehr, er ist zugle­ich auch ein wesentlich­es Ele­ment der nöti­gen Auflockerung an entschei­den­den Stellen. Denn Bryars schreibt hier son­st einen sehr streng kon­stru­ierten Chor­satz, der in aus­ge­sprochen eng verzah­n­ten Stim­men mit Vor­liebe für die jew­eils tief­ere Lagen mit klas­sis­chen kon­tra­punk­tis­chen Tech­niken aufwartet. Beson­ders die vielfälti­gen Imi­ta­tio­nen bes­tim­men die Struk­tur des knapp fünfminüti­gen Stück­es.
Der sieben­stimmtige Chor (allein der Sopran ist nicht geteilt) schafft in dun­klen Far­ben und Klä­gen eine fast med­i­ta­tive Stim­mung. Auf jeden Fall ist das motivisch sehr schlicht aufge­baut. Zusam­men mit den durch­weg mäßi­gen Tem­pi und den vor­wiegend gerin­gen Laut­stärken (gesun­gen wird fast nur im piano) entste­ht so eine fast raunende, geheimnisvolle Aura — so ver­tont Bryars die lateinis­chen Wort des 126. Psalm, die von der Verge­blichkeit aller Bemühun­gen ohne Gottes Wort und der Eit­elkeit alles Schaf­fens ohne dessen Unter­stützung sprechen.
Der Schott-Ver­lag hat die eigentlich schon sehr über­sichtliche Par­ti­tur noch mit einem zusät­zlichen Klavier­auszug für die Ein­studierung her­aus­gegeben. Diese Hil­festel­lung ist ger­ade für manche unge­wohn­tere Akko­rd­verbindung sich­er nicht verkehrt – obwohl Bryars Ton­sprache im Ganzen doch sehr mod­er­at mod­ern und auch ohne das dur­chaus leicht ver­ständlich ist.

Gavin Bryars: Psalm 126 (127) für gemis­cht­en Chor und leicht ver­stärk­ten Kon­tra­bass. Mainz: Schott 2004 (ED 12879, Spiel­par­ti­tur). 16 Seit­en.

erschienen in der zeitschrift des deutschen chorver­ban­des, der „neuen chorzeit”, aus­gabe juli/august 2007.

györgy kurtágs chorwerke

Das hört sich gewaltig an: Die kom­plet­ten Chor­w­erke von Györ­gy Kurtág hat das SWR Vokalensem­ble Stuttgart unter der Leitung von Mar­cus Creed aufgenom­men. Aber es ist kaum mehr als halbe CD dafür nötig. Denn es sind „nur“ drei Zyklen, die Kurtág fast alle schon Anfang der Achtziger kom­ponierte. Gewaltig ist diese CD aber den­noch – in mehrfach­er Hin­sicht. Denn Kurtágs Chor­w­erke sind fast nie zu hören: Im Konz­ert trauen sich nur wenige Ensem­bles das zu und Auf­nah­men gab es bish­er über­haupt nicht. Und außer­dem ist diese Musik, das lässt sich nicht anders sagen, unbe­d­ingt übe­wälti­gend.
Kurtág, seit jeher bekan­nt für seine hochverdichteten Minia­turen, betreibt mit der Chor­musik eine Forschung im Inneren der Töne. Mit herkömm­lichen Vorstel­lun­gen von Chork­lang hat das wenig zu tun – wie Hans-Peter Jahn im Book­let schreibt, sind diese Zyklen „vokale Kam­mer­musiken, Instru­men­tal­musik für Sänger“. Und ihre Geheimnisse wahren diese Ver­to­nun­gen lange. Dabei verza­ubern sie schon beim ersten Anhören, lassen aber in ihrer extremen Vielschichtigkeit, ihrer extremen Zusam­men­bal­lung und Konzen­tra­tion doch bei jedem wieder­holten Hören immer neue Ent­deck­un­gen und Erken­nt­nisse zu. Das SWR Vokalensem­ble singt das trotz der immensen Anforderun­gen mit höch­ster Präz­sion: sowohl vokaltech­nisch als auch emo­tion­al lässt diese CD keinen Wun­sch unbe­friedigt. Die unheim­liche Ruhe der aufge­fächerten Klänge und genau­so der sel­tene Über­schwung der deshalb nur um so heftigeren drama­tis­chen Aus­brüche – vor allem in den „Liedern der Schw­er­mut und Trauer“ op. 18, mit sorgfältiger, zurück­hal­tender Unter­stützung der Instru­men­tal­is­ten des Ensem­ble Mod­ern – ist hier ein­fach unge­heuer bewe­gende Musik, die direkt unter die Haut geht.

Györ­gy Kurtág: Com­plete Choral Works (Omma­gio a Lui­gi Nono, Eight Cho­rus­es to Poems by Dezsö Tan­dori, Songs of Despair and Sor­row). SWR Vokalensem­ble Stuttgart, Ensem­ble Mod­ern, Leitung: Mar­cus Creed. Hänssler Clas­sic 93.174.

erschienen in der zeitschrift des deutschen chorver­ban­des, der „neuen chorzeit”, aus­gabe juli/august 2007.

manfred trojahn schreibt über (seine) musik

Ein Kom­pon­ist, der nicht schreiben kann, hat es schw­er heutzu­tage. Werkkom­mentare für Urauf­führun­gen, Pro­grammhefte, musikgeschichtliche Betra­ch­tun­gen und der eine oder andere biographis­che Split­ter sowie hin und wieder ein Werk­stat­tbericht sind Pflichtübun­gen bei der Ver­mark­tung des musikalis­chen Schaf­fens. Nicht alle Ton­set­zer sind dazu aber gle­icher­maßen begabt. Man­fred Tro­jahn gehört sicher­lich zu den besseren: An die Wort­ge­walt eines Wolf­gang Rihm reicht er zwar nicht her­an, genau­so wenig wie an die abstrakt-ana­lytis­che Schärfe Hel­mut Lachen­manns oder Hans Zen­ders (von denen allen auch aus­geze­ich­nete Sam­mel­bände ihrer schreiben­den Tätigkeit vor­liegen) – aber erzählen und schreiben kann er zweifel­los. Vor allem aber kann er dur­chaus für sich ein­ste­hen und seine Posi­tion vertei­di­gen. Und man kann diese Neben­pro­duk­te des schreiben­den Musik­ers nicht nur mit Gewinn, son­dern oft auch mit erhe­blichem Vergnü­gen lesen. Das man dafür nicht lange in den Archiv­en herumwühlen muss, hat man Hans-Joachim Wag­n­er und dem Frank­furter Stroem­feld-Ver­lag, son­st eigentlich nicht ger­ade eine Heim­statt musik(-wissenschaftlichen) Schrift­tums, zu ver­danken. Denn dort ist jet­zt ein umfan­gre­ich­er Band mit Tro­jahns „Schriften zur Musik“ erschienen. Das sind mit­tler­weile, nach eini­gen Jahrzehn­ten des Kom­ponierens und Schreibens, über 500 gedruck­te Seit­en: Texte zu ästhetis­chen Fra­gen, biographis­che Skizzen, Glossen, Noti­zen, viele Gespräche und natür­lich die Ein­führung­s­texte zu den eige­nen Werken. „Was wird es für ein Buch wer­den“, so fragt sich Tro­jahn im Vor­wort. Und er gibt drei Möglichkeit­en der Antwort vor: „Eine ver­steck­te Biogra­phie? Eine verkappte Ästhetik? Oder doch die Beschrei­bung ein­er Reise zu mir selb­st?“ Entschei­den lässt sich das kaum. Denn es von allem etwas dabei.Vor allem ist es aber ganz viel Recht­fer­ti­gung: Recht­fer­ti­gung des eige­nen Tuns vor sich selb­st und der Welt. Denn Tro­jahn zeigt sich als unbe­d­ingter, schar­fzüngiger Ver­fechter der Frei­heit der Kun­st. Und deshalb bekommt – naturgemäß – vor allem der Musik­be­trieb mit seinen Fes­ti­vals, The­atern, Ver­anstal­tern und den bösen, unwilli­gen und unver­ständi­gen Men­schen des Feuil­letons zu Zeit­en post­mod­ern­er Kun­st­be­trieb­samkeit immer wieder eine geballte Ladung Kri­tik ab. Ge- und beschrieben ist das dur­chaus mit ein­er Ver­an­la­gung zum geistre­ichen, gebilde­ten Bon­mot. Und auch Tro­jahns fast unver­brüch­lich scheinende Tra­di­tion­ver­bun­den­heit schim­mert ganz selb­stver­ständlich immer durch. Wichtiger und ein­flussre­ich­er ist aber sein unbd­ingter Glaube an die Beständigkeit der emo­tionalen Kraft der Musik – und dabei ins­beson­dere der Oper, des musikalis­chen The­aters oder wie auch immer man es nen­nen mag: Diese Gat­tung hat ihn – als Hör­er — schon früh gepackt, davon erzählt er immer wieder. Beson­ders in den Fokus sein­er Darstel­lung rückt dabei das Wun­der der „Darstel­lung“: „Denn schon damals [d.h. in sein­er Kind­heit] waren mir die dargestell­ten Per­so­n­en wesentlich wichtiger als die darstel­len­den.“ Das Unge­heuer­liche, das aus dem Nichts „Per­so­n­en“, Fig­uren, Charak­tere entste­hen, geschaf­fen mit Worten und Musik (da der junge Man­fred Tro­jahn Oper in erster Lin­ie am Radio ken­nen­lernte ohne die ergänzen­den Zeichen der Bühne und der Gesten): Dieses Faszi­nosum der Jugend und der Reife schildert Tro­jahn mit glühen­der Begeis­terung. Zum Unternehmen der Werke­in­fühun­gen (dem Tro­jahn wie die meis­ten Kom­pon­is­ten sehr skep­tisch gegenüber­ste­ht) äußert er sich dage­gen eher pes­simistisch: „Im all­ge­meinen sind das aus­sicht­slose Ver­suche, denn nur die Dra­maturgie denkt, daß der Hör­er denken sollte, was der Kom­pon­ist denkt, daß der Hör­er denken müßte.“ Und da ist er auch schon wieder bei seinem Lieblings­the­ma, wie es in den „Schriften zur Musik“ ganz deut­lich zu erken­nen ist: Der Frei­heit der Musik. Das heißt für einen Kom­pon­is­ten wie Tro­jahn natür­lich keineswegs sub­jek­tive Beliebigkeit, unge­bun­denes Aus­to­ben sein­er Träume und Vorstel­lun­gen: „Kün­st­lerische Frei­heit ist Syn­onym für die Arbeit an ein­er Utopie gesellschaftlichen Lebens, und sie enthält den Anspruch aufs Ganze.“ Diese gesellschaftliche Situ­ierung der Musik, sie zieht sich in ver­schieden starken Aus­prä­gun­gen immer wieder durch seine Texte. Über­haupt liegt Tro­jahn viel daran, sein eigenes Schaf­fen zu kon­tex­tu­al­isieren und zu zeigen, dass er mit den Mit­teln und den Ergeb­nis­sen sein­er musikalis­chen Kreativ­ität nicht alleine ist. Und so sehr er Kom­po­si­tion als Prozess, als Zwis­ch­en­ergeb­nis ein­er fortwähren­den Entwick­lungs­geschichte und damit eng­stens verknüpft mit dem (Er-)Leben seines Schöpfers, dem Kom­pon­is­ten und seinen (Lebens-)Bedingungen, ver­ste­ht, so sehr beste­ht er gle­icher­maßen auf dem Handw­erk des Kom­ponierens. Solche gekon­nt gemachte und erar­beit­ete Musik möchte er dann aber auch noch gerne offen hal­ten – nicht offen im Ver­ständ­nis der offe­nen Form“, son­dern offen für die Rezep­tion: „Das zielt auf eine Musik abseits von Massen­wirkung“, indem es ganz wie zu den Zeit­en der bürg­er­lichen Bil­dung, inten­sive Beschäf­ti­gung mit Musik voraus­set­zt, „aber ohne exk­lu­siv­en Abschluß durch Unzugänglichkeit.“ Denn auch das wird in seinen gesam­melten Schriften noch ein­mal und immer wieder deut­lich: Tro­jahn ver­ste­ht sein Kom­ponieren als gesellschaftlich­es Tun. Und ger­ade deshalb ist er fast unaufhör­lich darum bemüht, sich selb­st und seine Werke in den richti­gen Kon­text einzuord­nen. Der frühe Schock der Etiket­tierung, der kaum einen Kom­pon­is­ten der let­zten Gen­er­a­tion so zeit­ig und so heftig getrof­fen hat wie ihn, macht sich hier immer wieder bemerk­bar. Fast ver­bis­sen und in der Sache uner­bit­tlich kämpft er dage­gen an – biographisch dur­chaus ver­ständlich, heute freilich in der Obses­siv­ität dur­chaus obso­let erscheinend: Solche Dinge nimmt doch kaum noch ein Hör­er, der seinen Ohren auch nur ein biss­chen ver­traut, wirk­lich ernst. Diese hefti­gen Kämpfe um die (Deutungs-)Hoheit sind zwar längst Ver­gan­gen­heit. Damit sind sie in dieser Samm­lung aber auch Erin­nerung an Zeit­en, als Neue Musik noch für Bewe­gung gut war, Aufmerk­samkeit erre­gen kon­nte, mehr als nur ein leicht­es Säuseln im Blät­ter­wald erre­ichte.

Man­fred Tro­jahn: Schriften zur Musik. Hrsg. von Hans-Joachim Wag­n­er. Frank­furt am Main, Basel: Stroem­feld 2006.
(erschienen in „die tonkun­st”, jg. 1 (2007), heft 3, seite 322–323)

Da hat er sich wieder etwas aus­gedacht, der Michel­städter Kirchen­musik­er Hans-Joachim Dumeier: „Eine große Nacht­musik“. Und groß ist die Musik in viel­er­lei Hin­sicht. Auch wenn er sich die (fast) kürzeste Nacht des Jahres für sein neuestes Exper­i­ment aus­ge­sucht hat. Ein Ver­such ist es, die ganze Nacht hin­durch zu musizieren und dabei „den Ver­lauf der Nacht auch musikalisch zu erleben“, wie Dumeier seine Idee erläutert. Doch die Michel­städter sind das nächtliche Zuhören inzwis­chen offen­bar gewöh­nt – die Stadtkirche war jeden­falls gut gefüllt.
Zunächst musste aber der Tag ver­ab­schiedet wer­den – noch war es draußen ja auch recht hell, die Däm­merung hat­te ja ger­ade erst einge­set­zt. Hans-Joachim Dumeier und Wolf­gang Kör­ber tat­en das zusam­men, an der Orgel, mit Andreas Willsch­ers „Ster­ben­der Tag in Mähren“. Dieser Tag in Mähren ist aber recht hart­näck­ig, er stirbt nur zöger­lich und mit einem kräfti­gen Auf­bäu­men. Mit dieser kurzen, min­i­mal­is­tisch bee­in­flussten Musik war das Pub­likum dann bestens einges­timmt auf das, was da noch alles kom­men sollte.
Stück für Stück ging es in der fol­gen­den Stunde dann tiefer ins Dunkel der Nacht. Noch war unter dem Mot­to „Nachk­länge des Tages“ allerd­ings einiges zu ver­ar­beit­en an Erleb­nis­sen und Gedanken. Flo­ri­an und Elke Vogel­sang tat­en das etwa mit der vielschichti­gen „Arpeg­gione-Sonate“ von Franz Schu­bert. Bevor nun aber an Nachtruhe zu denken war, ließen Katha­ri­na Ger­big und Daniel Heck mit ihren Block­flöten-Duos erst noch die Szener­ie ein­er abendlichen Gesellschaft auf­scheinen. Und ihre vorzüglich musizierte Auswahl vom Barock bis zur Jet­ztzeit stellte neben­bei auch die Fam­i­lie der Block­flöten vor.
Doch damit war das Tag­w­erk vor­erst zu Ende, nun zog der musikalis­che Mond­schein in die Kirche ein – optisch vertreten durch die Kerzen­beleuch­tung. Die Klas­sik­er dazu spielte Sung­ma Schäffter: Den Anfang von Beethovens Mond­schein­sonate und natür­lich ein gefüh­lvolles, zum Glück aber jeden Anflug von Sen­ti­men­tal­ität ver­mei­den­des „Claire de Lune“ von Claude Debussy.
Kurz vor Mit­ter­nacht wurd es dann wieder span­nen­der und ner­ve­naufreiben­der: Das lag zunächst Mar­tin Engel, der vor allem mit Chopins erstem Scher­zo eine hochdrama­tis­che, wild-rasende Fahrt in dun­kle und kom­plex ver­winkelte Traumwel­ten anbot. Zu Beginn der Geis­ter­stunde zeigten Wolf­gan Kör­ber und Ernst Rup­pert mit Camille Saint-Saens „Danse macabre“ die fin­stren, mori­bun­den Gestal­ten, die nun aus ihren Löch­ern kriechen. Während anständi­ge Bürg­er solche Schauergeschicht­en tief­schlafend ignori­eren, sind unter­dessen noch ganz andere Fig­uren unter­wegs: Denn um diese Zeit der Nacht kommt so manch­er erst richtig in Fahrt. Die Jazz-Fans zum Beispiel. Die porträtierte Christoph Schöps­dau vor allem mit sein­er Ver­sion des The­olo­nius-Monk-Sta­nards „‘round mid­night“. Aber auch die Mitte der Nacht blieb in der Stadtkirche nicht den Amüsier­willi­gen über­lassen: Peter Mar­tin stellte mit George Crumbs „Around mid­night“, das Monks Klas­sik­er in vielfältiger Weise ver­abeit­et und var­ri­ert, avant­gardis­tiche Hochkul­tur ans Ende dieser Stunde.
Danach freilich musst die E‑Musik doch das Feld räu­men. Die Big-Band der Musikschule Oden­wald gab unter der Leitung von Jakob März eine Menge Klas­sik­er des Swing zum Besten. Aber auch die Tanzwütig­sten müssen irgend­wann ein­mal schlafen und träu­men. Und nach einem schlafwan­d­lerischen Aus­flug in fremde, vor­wiegend südländis­che Län­der, graute dann auch schon der Mor­gen – und die ersten Vögel fan­gen an zu lär­men und sin­gen. Dafür musste natür­lich Olivi­er Mes­si­aen her­hal­ten, bevor mit der san­ften „Mor­gen­stim­mung“ des Edvard Grieg die Nacht ganz friedlich und behut­sam ausklang. Und wer sich das alles ange­hört hat, der hat mit Sicher­heit mehr als genug Musik für die ganze Woche getankt – und er darf dann auch mal den Tag ver­schlafen.

die roam spielt zum tanz auf

und hat dabei wieder so einiges zu bieten — auch son­der­barkeit­en wie das „tap dance con­cer­to” von Mor­ton Gould.

Tänz­er haben im Konz­ert­saal gewöhn­lich nichts ver­loren. Aber die Rheinis­che Orch­ester­akademie Mainz hat sich bei ihren Pro­gram­men noch nie um solche Kon­ven­tio­nen geschert. Und wenn bei ihrem siebten Konz­ert schon lauter Tanz­musik zu hören war, dann musste natür­lich auch ein Tänz­er her. Aber nicht irgen­dein­er. Denn das junge Orch­ester hat tat­säch­lich ein Konz­ert für Tänz­er und Orch­ester aus­ge­graben. Der Amerikan­er Mor­ton Gould hat das kom­poniert – für einen Stepp­tanz-Solis­ten. In der Par­ti­tur notierte er dessen Part freilich nur als beson­dere Form des Schlag­w­erks, nur in sein­er rein rhyth­mis­chen Gestalt. Was der Solist also an Fig­uren tanzt, bleibt ihm über­lassen – viel Spiel­raum also für den jun­gen Hei­del­berg­er David Friederich, den die ROAM in das Kur­fürstliche Schloss geholt hat. Die rhyth­mis­che Präzi­sion alleine, mit der der Sechzehn­jährige klick­ernd und klack­ernd über seinen Teil der Bühne schwebt, ist schon stu­pend. Aber neben­bei ist er auch noch Tänz­er und Pan­tomine, der schw­er gegen die Ver­suchun­gen ein­er überdi­men­sion­alen Brezel zu kämpfen hat – am Ende unter­liegt er. Der Orch­ester­part dieses kuriosen Konz­ertes bleibt dage­gen eher blass. Da kann auch Diri­gent Peter Shan­non wenig aus­richt­en, außer eini­gen schö­nen Stellen vor allem in den Bläsern lässt Gould ihn hier vor allem Hin­ter­grund­musik für den Solis­ten exeku­tieren.

Richtig viel aus­richt­en kon­nte der irische Diri­gent aber bei Igor Straw­in­skys „L‘oiseau de feu“. Von Anfang an bemühte er sich, frische und knack­ige Kon­traste zu schaf­fen, die sagen­hafte Geschichte um den mythis­chen Feuer­vo­gel in beson­ders inten­siv­en Far­ben auszu­malen. Zunächst war das zwar noch eher ein Aquarell mit ver­wasch­enen Strichen, aber die Kon­turen wur­den dann von Takt zu Takt deut­lich­er. Und mit ihnen auch die musikalis­chen Struk­turen. Denn Shan­non gelang mit der ROAM der Spa­gat zwis­chen über­sichtlich­er, nachvol­lziehbar­er Entwick­lung der for­malen Gestal­tung und des sen­ti­me­natlen Aspek­ts. Und so wur­den auch die vie­len Momente der Innigkeit dieser Bal­lettmusik zu bild­schö­nen Szene­r­ien. Vor allem in den zahlre­ichen Soli häuften die jun­gen Musik­er einen erstaunlich fein abgestufter Far­ben­re­ich­tum an. Und wegen dieser Inten­sität, die Peter Shan­non dem Orch­ester ent­lockt, geht das Klanger­leb­nis immer wieder durch Mark und Bein – das aus­ge­sprochen durch­set­zungs­fähige Schlag­w­erk hil­ft dabei natür­lich auch. So gelingt die Arbeit an der Erlö­sung, die Befreiung der Prinzessin­nen in hochdrama­tis­ch­er Geste ganz wun­der­bar.

immer wieder gut: kammermusik in der villa musica

das konz­ert hieß dies­mal “con flau­to” und präsen­tierte kun­ter­bunte kam­mer­musik aus europa mit und ohne flöte (genau, so deut­lich und zwin­gend war die pro­gramm­folge). und mit etwas unter­schiedlichen ergeb­nis­sen:

Ein­mal quer durch Europa geht die Reise – und immer mit ein­er Flöte. Aber schon das stimmt nicht ganz: Bei Mendelssohn-Bartholdys Sex­tett op. 110 ist nicht ein­mal eine Flöte dabei. Auch son­st sind die Zusam­men­hänge bei diesem Konz­ert in der Vil­la Musi­ca eher lose. Und das dis­parate Pro­gramm bietet auch sehr unter­schiedliche Ergeb­niss von den Stipen­di­at­en um Davide Formisano und Mar­tin Ostertag. Das eröff­nende Quin­tett von Joseph Mar­tin Kraus für Flöte und Stre­ichquar­tett etwa blieb lei­der ziem­lich blass und leb­los. Das passiert beim Mozart-Zeitgenossen Kraus zwar oft, ist aber aus­ge­sprochen schade. Denn das ist dur­chaus frische Musik.

Auch Mendelssohn-Bartholdys Sex­tett für Klavier und Stre­ich­er, ein Jugendw­erk, blieb zunächst eher unbe­friedi­gend. Das lag vor allem an der Pianistin Sarah Hiller, die sich ger­ade im ersten Satz alle Mühe gab, möglichst hin­ter den Stre­ich­ern zu ver­schwinden. Und das ist lei­der genau verkehrt, denn ger­ade hier hätte das Piano unbe­d­ingt die Führung beanspruchen müssen. Sie revanchierte sich dann mit ein­er fast schon wieder über­ar­tikulierten Ada­gio – ab dem drit­ten Satz pen­delte sich das dann endlich auf das richtige Maß ein. Den­noch ließ auch das Sex­tett noch Wün­sche offen – zu hak­lig war das Zusam­men­spiel noch, zu wenig Natür­lichkeit und ungezwun­gener Fluss war in dieser fast salon­fähi­gen Musik zu spüren,
Richtig gut, ja beein­druck­end schlüs­sig wurde es also erst nach der Pause. Da war zunächst „Archi­tec­ton­ics I“ des est­nis­chen Kom­pon­siten Erk­ki-Sven Tüür zu hören.
Dessen lockere Struk­tur mit stetig wech­sel­nder Instru­men­ta­tion in schweben­der Rhy­ht­mik, die sich in zunehmender Bewe­gung immer stärk­er zusam­men­zieht, um freilich wieder ganz ähn­lich dem Anfang in aus­ge­sprochen ruhi­gen Wech­sel­spiel zu enden, musizierten die Bläs­er gelassen, mit nüchterne Strenge und Küh­le ganz überzeu­gend.
Und das bot einen wun­der­baren Kon­trast zum abschließen­den Nonett von Joseph Rhein­berg­er: Hier die geistige und kon­struk­tive Strenge der (Post-)Moderne, dur­chaus mit sinnlichem Anspruch, dort der bedenken­los ver­schwen­derische Über­fluss mit Anspruch auf kon­struk­tive Form der späten Spätero­man­tik. Rhein­berg­er sprengt damit zwar die Gren­zen der Kam­mer­musik – oft behan­delt er das Ensem­ble eher wie ein kleines Orch­ester. Aber genau das kon­nten die Stipen­di­at­en um den Flötis­ten Davide Formisano her­vor­ra­gend umset­zen: Mit großen Gesten spiel­ten sie das weit ausufer­nd, kosteten die Rafi­nesse und Fülle der motivis­chen und har­monis­chen Verzah­nun­gen wun­der­bar aus – ein her­rlich­er Abschluss.

auch in essenheim gibt es kultur -

- heute sog­ar aus­ge­sprochen gute: ein sehr schönes, über­raschend gutes konz­ert mit klavier­trios bei den essen­heimer musik­ta­gen des her­rn moeller.

Großar­tiger hätte der Schluss kaum sein kön­nen: Mit drei meis­ter­lich inter­pretierten Trios gin­gen die Essen­heimer Musik­tage zu Ende. Das vor­läu­fig let­zte Konz­ert im Kun­st­fo­rum bot dabei noch ein­mal Kam­mer­musik vom Fein­sten, vom Anfang bis zum Ende. Denn das Klavier­trio um die Cel­listin Natalia Gut­man mit dem Geiger Svi­atoslav Moroz und Pianist Dim­itri Vin­nik war nicht nur beim abschließen­den zweit­en Klavier­trio von Dmitri Schostakow­itsch erstk­las­sig. Schon der Beginn, Joseph Haydns Klavier­trio in C‑Dur op. 86, war weit mehr als nur ein ver­heißungsvoller Auf­takt. Schlicht und schnörkel­los beschränk­ten die drei Musik­er sich auf das, was sie am Besten kön­nen: mit Hingabe musizieren. So gelang ihnen eine spritzige, unbeschw­erte Inter­pre­ta­tion, die stets kon­trol­liert und aus­ge­wogen blieb. Nur der Pianist war lei­der gehand­i­capt. Denn der Miniatur­flügel bot Dim­itri Vin­nik ein­fach nur sehr wenig Möglichkeit­en für eine dif­feren­zierte Gestal­tung der Klang­far­ben. Umso erstaunlich­er, wie präsent er den­noch in jedem Moment war.
Bei Anton Aren­skis erstem Klavier­trio musste er sich dann freilich geschla­gen geben. Denn Aren­s­ki wartet mit starkem Kon­trast zu klas­sis­ch­er Ele­ganz des Haydn auf: Seine Musik ist ein groß angelegtes, weit aus­holende spätro­man­tis­che Schwel­gen in Emo­tio­nen. Und mit dieser wilden und ungezügel­ten Jagd durch eine phan­tastis­che Fülle an Ein­fällen traf das Trio den Geschmack des Pub­likums offen­bar ganz beson­ders genau.
Aber die Kro­ne des Abends war das Finale, Schostakow­itsch zweites Klavier­trio. Denn hier vere­in­ten sich kom­pos­i­torische Strin­genz und inter­pre­ta­torische Raf­fi­nesse aufs Beste. Ger­ade die Span­nun­gen zwis­chen selb­stvergessen­er Trauer und grotesker, fratzen­hafter Fröh­lichkeit macht­en die drei Inter­pre­ten beson­ders deut­lich. Mit vollem Kör­pere­in­satz stürzten sie sich immer wieder aufs Neue in diese faszinierende Musik der Gegen­sätze und eröffneten dem Pub­likum ein faszinieren­des Panora­ma men­schlich­er Gefüh­le.
Nicht nur dem Pub­likum hat das gefall­en. Auch der Ini­tia­tor und Ver­anstal­ter der Essen­heimer Musik­tage, Klaus-Ulrich Moeller, ist sehr zufrieden. Zwar muss er einen finanziellen Ver­lust ver­schmerzen: Unge­fähr 65 Prozent Aus­las­tung über die fünf Konz­erte in den let­zten Wochen reicht­en nicht aus, um alle Kosten zu deck­en. Aber trotz­dem bereut der Essen­heimer Kul­tur­man­ag­er, der die Konz­erte in Eigen­in­tia­tive inner­halb der let­zten Monate organ­isiert und finanziert hat, dieses Wag­nis nicht: „Die pos­i­tive Res­o­nanz bei der Bevölkerung zeigt, dass das eine gute Idee war.“ Ob er damit allerd­ings weit­er­ma­chen wird, weiß er selb­st auch noch nicht. Denn auf Dauer hätte er schon gerne etwas mehr Unter­stützung durch die Gemeinde oder andere Spon­soren – nicht nur zur finanziellen Absicherung, son­dern auch zur besseren Ver­mark­tung der Musik­tage.

in der esg-kirche geschah es — ein schön­er abend, mit eini­gen liedern von den schreibtis­chen der mainz­er kom­pon­is­ten …

 

Das Lied und die Roman­tik sind untrennbar ver­bun­den. Im 20. Jahrhun­dert wurde es deshalb auch ziem­lich ver­nach­läs­sigt. Aber nicht so in Mainz: Wie sich beim Konz­ert zum Semes­ter­be­ginn der Hochschule für Musik zeigte, gibt es bei den Ton­set­zern unter den Dozen­ten gle­ich mehrere Lied­kom­pon­is­ten, die auch vor ein wenig Roman­tik nicht scheuen. Zu den jün­geren unter ihnen gehört Tobias Rokahr. Der hat für den Abend in der ESG-Kirche zwei Mal drei Lieder beiges­teuert. Bere­its etwas älter und noch sehr jugendlich geprägt sind seine Hölder­lin-Gesänge. Vor allem sind sie aber zutief­st roman­tisch geprägt: Weitschweifig geben sie dem über­mütig stür­menden Drang des empfind­en­den Herzens ungezähmten Aus­druck. Der Bari­ton Kyoung-Suk Baek hat­te allerd­ings ab und an Mühe, sich gegen die über­bor­dende Fülle des Klavier­satzes zu behaupten, der Michael Staudt viel Raum gab. Wesentlich karg­eres Mate­r­i­al nutzte Rokahr bei der Ver­to­nung dreier Gedichte von Rein­er Kun­ze. Mit sein­er Vor­liebe für dicht geset­zte Akko­rde und weit aus­holende Melo­di­en markiert er immer wieder einzelne Worte in den ohne­hin sehr knap­pen Gedicht­en. Und Johan­na Rosskopp ließ sich auch von den Span­nun­gen zwis­chen ihrem Part und der Klavier­be­gleitung nicht irri­tieren, son­dern behauptete mit ihrem markan­ten Sopran die Vor­ma­cht des Wortes.
Unter der vie­len neuen Musik gab es auch eine Urauf­führung: Die drei Lieder nach Gedicht­en von Ulla Hahn von Jür­gen Blume. Auch ihnen sind roman­tis­che Gefüh­le und berührende Klänge über­haupt nicht fremd. Nicht nur die schon fast fle­hende Bit­ten im „Win­ter­re­gen“ mit sein­er aus weni­gen Ele­menten geschickt und aus­drucksstark aufge­baut­en Klavier­be­gleitung, auch die weit aus­holende Dra­matik und der hohe Ton von „Selig sind die Wartenden“ ver­hehlten ihre Herkun­ft kein biss­chen. Johan­na Rosskopp sang das sehr bes­timmt und mit der angemesse­nen Mis­chung aus Ern­sthaftigkeit und Mit­ge­fühl.
Nur ein Kom­pon­ist brach die Serie: Lutz Drey­er. Anne Shih wirbelte durch sein „Capric­cio über FD“ — ein echt­es Kun­st­stück voller sprudel­nder Ein­fälle und rast­los durcheinan­der jagen­den Spiel mit Erwartun­gen und Ein­fällen.
Und das passte dann auch zum anderen größeren Instru­men­tal­stück: Dem Bläserquin­tett „… aus den Fugen …“ von Jür­gen Blume, das in weni­gen Minuten schnell mal alle Fugen­the­men aus Bachs Wohltem­periertem Klavier übere­inan­der und ineinan­dertürmt, die Musik­er der Mainz­er Bläser­solis­ten auch noch zu ihren eige­nen Kom­men­ta­toren wer­den lässt und über­haupt eine Menge Spaß macht. Und so ganz neben­bei auch noch den Beweis erbringt, dass ern­ste Musik auch ganz unkom­pliziert und heit­er erfreuen kann.

das bot das siebte sin­foniekonz­ert im mainz­er staat­sthe­ater. und so sah meine reak­tion aus:

Kar­fre­itag und Ostern in einem – das The­ater macht’s möglich. Die Musik des siebten Sin­foniekonz­erts drehte sich ganz und gar um die Säku­lar­isierung dessen, was die Kirche an diesen Tagen feiert. Freilich mit ein­er kleinen, aber bedeut­samen Ver­schiebung: Statt um Opfer, Tod und Erlö­sung ging es hier um Tod und Verk­lärung, um mys­tis­che Meta­mor­pho­sen. Wie das funk­tion­ieren soll, machte schon der kurze Auf­takt mit Samuel Bar­bers „Muta­tions from Bach“ deut­lich: Der Choral „Christe, du Lamm Gottes“ wird recht umstand­s­los aus dem religiösen Umfeld in die Sphäre der mehr oder min­der reinen Kun­st über­führt. Übrig bleibt dann in den getra­gen vari­ierten Ver­sio­nen des Chorals eine mys­tisch erhabene Feier des Gefühls der Erhöhung. Und die zele­bri­erte der est­nis­che Diri­gent Tonu Kaljuste mit den Blech­bläsern des Phil­har­monis­chen Staat­sor­ch­ester ganz vortr­e­f­flich mit asketis­ch­er Strenge und schar­fer Präzi­sion. Auch bei den näch­sten Meta­mor­pho­sen, „…durch einen Spiegel …“ von Joonas Kokko­nen, drang der Gast­diri­gent im Mainz­er The­ater vor allem auf Ord­nung. So ver­lieh er dieser Musik eine ganz aus­drück­liche Klarheit – und das war sehr geschickt. Denn dadurch blieb die wiederum um mys­tis­che Verk­lärung bemühte Med­i­ta­tion – dies­mal auss­chließlich für die Stre­ich­er – über ein Wort aus dem Korinther­brief frei von Beliebigkeit. Im Gegen­teil, ger­ade im Schluss sprach diese son­st gern mys­ter­iös erscheinende Musik mit größter Gewis­sheit: Emphatisch und großar­tig behauptete sie nach den fühlbaren Mühen der Suche den Augen­blick der Erken­nt­nis.
So tastete sich Tonu Kaljuste in Mainz an das Zen­trum seines Konz­ertes immer näher her­an. Denn nach der Pause ging es, durch die vie­len Ver­wand­lun­gen bestens vor­bere­it­et, mit großem Spek­takel und unter Auf­bi­etung aller orches­tralen Kräfte hinein in Arvo Pärts „Como cier­va sedi­en­ta“ – eine Soprankan­tate mit Tex­ten aus dem 42. und 43. Psalm. Der wird allerd­ings von dem est­nis­chen Großkom­pon­is­ten in altspanisch ver­tont – der Text an sich ist ihm also offen­bar nicht so wichtig. Das ist schade, denn Ker­rie Shep­pard war ein­fach großar­tig anzuhören. Mit Bes­timmtheit ließ sie immer wieder leichte Trauer und Verzwei­flung mitschwin­gen. Und auch Kaljuste steuerte seinen Teil zum Gelin­gen bei: Ihm war es vor allem zu ver­danken, dass sich die oft­mals wild zerk­lüfteten Teile dieser Par­ti­tur zu einem aus­drucksstarken, vielschichtigem Klang­bild formten. Den von der reduk­tion­is­tis­chen Strenge des früheren Pärt-Stils ist in diesem über­bor­den­dem Phan­tas­ma nur noch wenig zu spüren. Genau das Richtige, um das Mainz­er Orch­ester mal wieder zu präzisem und far­ben­re­ichen Spiel zu ani­mieren.

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