Lesen. Hören. Und ein bisschen schreiben.

Schlagwort: neue musik Seite 4 von 8

unterwegs auf großer fahrt — und mit visionen

San­ft dröh­nen die Klangflächen in den Mainz­er Kam­mer­spie­len, hin und wieder durch­schnit­ten von Textschnipseln und instru­men­tal­en Frag­menten. Über die Video-Lein­wand flim­mern unter­dessen ver­schwommene For­men, tanzen helle Kreise und abstrak­te Gebilde: Die „Visio­nen“ begin­nen schon vor dem eigentlich Anfang. „Apoka­lypse“ hat Peter Kiefer seine dem Pro­gramm der Musikhochschule vorgeschal­tete Klangsin­stal­la­tion betitelt – es ist aber ganz harm­los: Weich umfängt das Soundgewebe das Pub­likum, stimmt es ein auf die Höl­len­fahrt mit Dante. Denn darum geht es: Um „Gesänge – Bilder – Klänge“, wie es der Titel ver­heißt, zu Dantes Göt­tlich­er Komödie.

 

Begleit­et von eini­gen weni­gen, kurzen Auss­chnit­ten aus der epochemachen­den Dich­tung, die Karl Jür­gen Sih­ler drama­tisch aufge­laden rez­i­titert, hat Clau­dia Eder ein Panop­tikum nicht nur des Besuchs in Fege­feuer und Hölle, son­dern auch der Musikgeschichte kreirt. Von der frühen Vokalmusik der Renais­sance bis in die Gegen­wart, bis zu Boris Blach­er und Siegfried Matthus reicht der Bogen. Und Peter Kiefer hat nicht nur die Klan­gin­stal­la­tion, die die einzel­nen Weg­punk­te verbindet, beiges­teuert, son­dern auch noch eine Urauf­führung: „Casel­la – Douze Points“ heißt sein Werk, das Chris­t­ian Rathge­ber zum Klin­gen brachte. Geloopte Rhyth­men und vokale Klänge vere­inen sich hier zu ein­er dicht­en Schich­tung.

Auch son­st ste­ht die vokale Kun­st in viel­er Gestalt ganz im Mit­telpunkt. Die Sopranistin Min-Su Kim etwa ver­lei­ht Gae­tano Donizettis „Pia de’ Tolomei“ nicht nur ihre große drama­tis­che Stim­mge­walt, son­dern auch gle­ich noch die passende Gestik und Mimik direkt aus dem 19. Jahrhun­dert. Das war Jas­min Etezadzadeh nicht möglich. Denn „Francesca da Rim­i­ni“ von Boris Blach­er ist noch gar nicht so alt. Nötig war es ihr auch nicht. Zusam­men mit dem sou­verä­nen Geiger Thomas Aufleger reicht die inten­sive Überzeu­gungskraft ihres Soprans ganz und gar für diese the­atralisch-erzäh­lende Musik aus.

Dazwis­chen standen nicht nur die verbinden Texte und Kiefers Klangscharniere, son­dern auch noch Gre­go­ri­an­is­che Gesänge, die in ihrer schein­baren Zeit­losigkeit immer wieder einen Hauch Ewigkeit in den düsteren Kam­mer­spie­len beschwörten. Und im Hin­ter­grund liefen die Videos von Christoph Brech auch immer weit­er und weit­er – bis zur Auflö­sung in reine Farbflächen am Schluss. Das Finale, die Ankun­ft im Paradies, war auch musikalisch beson­ders ein­drück­lich. Schon Clau­dio Meru­los Madri­gal „Vergine Madre“ tru­gen die jun­gen Sänger unter der Leitung von Wol­fram Koloseus ernst und feier­lich vor. Vor allem Clau­dio Mon­teverdis wun­der­schönes „Salve, O Regi­na“, das Regi­na Pätzer schlicht und klar gestal­tete, bildete eine berührende Brücke in Palestri­nas „Ave Maria“. So berührend, dass das Pub­likum ganz gefan­gen blieb in diesen „Visio­nen“.

(geschrieben für die mainz­er rhein-zeitung.)

 

 

der sommer ist wieder da: mit mainz-musik hat das erste festival begonnen

 

„Immer Neues ans Licht brin­gen“ hat­te sich Paul Hin­demith in den Zwanzigern des let­zten Jahrhun­derts vorgenom­men. Imme Neues will auch Mainz-Musik vor­führen: Das kleine Som­mer­fes­ti­val der Musikhochschule hat sich vor allem der Neuen Musik zuge­wandt. Mit großem N, weil nach 85 Jahren eine Kom­po­si­tion eigentlich keine Novität mehr ist. Aber wenn sie, wie Hin­demiths Cel­lo-Sonate op. 25/3 immer noch den Ruf trägt, neu, unge­wohnt und schwierig zu sein, passt sie auch zu Mainz-Musik.

Und sie ist neben­bei auch noch wun­der­schöne Musik, die man gar nicht oft genug hören kann. Zumin­d­est wenn sie Manuel Fis­ch­er-Dieskau spielt. Denn er gibt ihr sein ganzes Feuer, rückt ihr mit fes­ter Attacke zu Leibe. Jed­er Ton strahlt dadurch eine absolute Gewis­sheit aus: So ist es richtig, so muss es klin­gen. Von diesem elo­quenten Esprit lässt man sich gerne überzeu­gen und ansteck­en.

Schon der Beginn des Eröff­nungskonz­ertes hat­te ähn­liche Akzente geset­zt. Den verdichteten Charak­ter­stück­en von Hans Wern­er Hen­zes Cel­lo-Sonate ver­lieh Fis­ch­er-Dieskau mit noblem Ton große Ele­ganz. Und sein klar­er Musizier­stil ver­schleierte dabei nichts: Er verbindet die men­schliche Wärme ganz unauf­fäl­lig mit der Rein­heit der Kun­st, ihrer Frei­heit von den Ver­suchun­gen der Welt. In der abgeschiede­nen Atmo­sphäre der Johan­niskirche kon­nte sich das wun­der­bar ent­fal­ten. Zumal Fis­ch­er-Dieskau den weichen Klang des Raumes geschickt mit ein­be­zog in seine Inter­pre­ta­tion.

Dazwis­chen stand ein recht stark­er Kon­trast: „La Ten­ta­tion de Saint Antoine“ von Wern­er Egk – also die Geschichte der Ver­suchung des heili­gen Anto­nius. Das Stre­ichquar­tett der Musikhochschule unter Leitung Tobias Rokahrs sorgte für einen oft orches­tral wirk­enden Hin­ter­grund, vor dem die Altistin Regi­na Pätzer als per­son­ifizierte Ver­suchung im sündi­gen Rot mit ver­lock­ender Stimme den armen Antoine ganz schön in Bedräng­nis brachte. Auch wenn der franzö­sis­che Text kaum zu ver­ste­hen war, ver­führt die aufgewühlte, tief füh­lende Musik allein durch ihren Klang schon mehr als genug.

Zusam­menge­bun­den wurde das Pro­gramm durch eine eigentlich eher neben­säch­liche Tat­sache: Die drei Kom­pon­is­ten waren alle Autoren des Schott-Ver­lages. Das hat­te seinen guten Grund, denn in St. Johan­nis ver­band sich das Eröff­nungskonz­ert von Mainz-Musik mit der Erin­nerung an den Mainz­er Ver­leger Lud­wig Streck­er, der dieses Jahr seinen 125. Geburt­stag gefeiert hätte. Und ihm war die Neue Musik genau­so ein Anliegen wie den Mach­ern von Mainz-Musik.

 

(geschrieben für die mainz­er rhein-zeitung.)

maschinen und menschen im klang vereint

Langsam tröpfeln die Besuch­er here­in und ste­hen noch etwas ver­loren auf dem Gelände des Zemen­twerkes Weise­nau. Aber sie lassen sich auch vom tröpfel­nd ein­set­zen­den Regen in ihrer Aben­teuer­lust nicht die Stim­mung ver­miesen. Denn es gibt viel zu sehen und noch mehr zu hören beim Per­for­mance-Pro­jekt „Men­schMas­chine-Klang­Mas­chine“, dem Auf­takt zu Neue-Musik-Förderung „Spek­trum Vil­la Musi­ca“. Nichts geschieht hier in nor­malen Dimen­sio­nen: Ein ganzes Fab­rikgelände dient als Konz­er­traum, als Bühne, Par­kett, Akteur und Instru­ment zugle­ich. Die Sän­gerin Sigune von Osten hat­te viele Ideen – vielle­icht ein paar zu viele. Die Ein­drücke stür­men per­ma­nent ein auf die Besuch­er, die durch das Zemen­twerk ziehen – vom klack­ern­den Ein­gangstor bis zur Illu­mi­na­tion nach dem akustis­chen Ende ist hier schein­bar nichts dem Zufall über­lassen. Kein Dröh­nen, kein Schep­pern und Kreis­chen ste­ht außer­halb der Kun­st.

Die „Men­schMas­chine-Klang­Mas­chine“ beste­ht dabei zunächst mehreren Sta­tio­nen auf dem Fab­rikgelände. Das ist eine Chore­o­gra­phie von nor­malen Fab­rikgeräuschen, geformten Geräuschen und Musik — mit Unter­stützung des Tech­nis­chen Hil­fw­erk und der Arbeits­ge­mein­schaft Neue Musik am Lei­dinger-Gym­na­si­um Grün­stadt, die mit Motorsä­gen, Trennschleifer, Bohrmaschi­nen und Fässern ein gewaltiges Spek­takel ent­fachen. Auch dabei: Ein Tanz zweier Mini-Rad­lad­er um den Tubis­ten.

Das führt dann aber erst zum „Eigentlichen“ in der ehe­ma­li­gen Pack­halle. Das Flöten­mon­ster am Ein­gang stimmt in der düsteren und geheimnisvollen Atmo­sphäre schon auf die aben­teuer­liche Zeit- und Phan­tasiereise ein, die jet­zt begin­nt. Mit viel Aufwand ver­suchen sich Instru­men­tal­is­ten – soweit man bei den bear­beit­eten Klangerzeugern über­haupt noch von Instru­menten sprechen kann – und Vokalis­ten an ein­er ver­ton­ten Geschichte der Indus­tri­al­isierung in Schlag­worten. Der Text bleibt lei­der die ganz große Schwach­stelle dieses Unternehmens: Viel unre­flek­tiertes Ressen­ti­ment gegen Maschi­nen, viele plat­te Platitü­den und plumbe Spiel­ere­in. Áber dazwis­chen ret­ten großar­tige musikalis­che Momente das Ganze vor dem Unter­gang. Vor allem der Sax­o­phon­ist Matthias Schu­bert und Carl Lud­wig Hüb­sch mit sein­er Tuba sind wesentliche Säulen der Per­for­mance. Mehr noch als Sigune von Osten, die zwar kreatives und ideelles Zen­trum ist, in der Real­isierung aber gar nicht so for­mgebend in Erschei­n­ung tritt. Der Per­for­mance-Aspekt ist in der Pack­halle freilich stark zurück getreten hin­ter das akustis­che Ele­ment – eigentlich beste­ht er nur noch in der Verdeut­lichung der Her­vor­bringung der Kläng und ein wenig unter­stützen­der Lichtregie.

Das Zen­trum des Werkes ist ein aber anderes Werk, Lui­gi Nonos „La fab­bri­ca illu­mi­na­ta“, dieses große Zeug­nis des Impuls­es, Musik zu schreiben, die gesellschaftliche Missstände auf­greift und ändern will. Sie bleibt im Zemen­twerk aber eher ein Fremd­kör­p­er – und macht den Abstand deut­lich: Der Rest des Abend kann dieses Niveau zwar immer wieder erre­ichen, aber eben nicht dauer­haft. Denn die „Men­schMas­chine-Klang­Mas­chine“ ist ein per­ma­nentes Schwanken zwis­chen banal­stem Kitsch und genialis­ch­er Inspi­ra­tion.

 

(geschrieben für die mainz­er rhein-zeitung.)

Was für ein grandioser Spaß!

ger­ade höre ich die cd sehr schnee sehr wald sehr des schweiz­er akko­rdeon­is­ten hans has­sler, die mir der post­bote heute aus der schweiz in den briefkas­ten gelegt hat. schon das label, bei dem dieses geniale meis­ter­w­erk erschienen ist, zeigt ja, was für ein akko­rdeon­ist das ist: intakt ist alles andere als die heimat der volksmusik. und dann ver­wun­dert es kaum mehr, was hier aus den laut­sprech­ern tönt. aber dieser kauzige und skur­ril-krude mix aus volksmusik (ja, in anklän­gen lässt has­sler mal einen zer­fet­zten ländler auf­tauchen oder eine pol­ka auf­scheinen), jazz und vor allem freier impro­vi­sa­tion erstaunt dann doch ein biss­chen: dass der kerl so gut ist, hätte ich nicht erwartet. denn begeg­net ist er mir bish­er noch nicht bewusst (unbe­wusst muss ich ihn mal in geb­hard ull­manns ensem­ble gehört haben). jeden­falls, has­sler hat hier nicht nur kleine, winzige spon­tane geniestre­iche aufgenom­men. son­dern auch mehrere große „werke” mit dauern von 5–15 minuten. das über­ra­gende dabei ist etwas, was ich nur ganz sel­ten hörte bish­er: das steckt voller anspielun­gen, allu­sio­nen, zitate, hin­weise, querver­weise wie kaum eine musik. aber, das ist das entschei­dende, has­sler packt das so genial zusam­men, schweißt das so per­fekt ineinan­der, dass die ver­schieden­sten herkün­fte zwar beim nach­denken darüber klar wer­den, aber nicht zu hören sind: das ist näm­lich echte musik aus einem guss. früher hätte man has­sler sich­er einen musikan­ten genan­nt, doch heute hat das immer so einen abw­er­tenden beigeschmack. aber es scheint mir sehr gut zu tre­f­fen zur charak­ter­isierung: er spielt ein­fach, wie ihm die fin­ger fall­en — mit aus­ge­sproch­en­er vir­tu­osität in tech­nik und gestal­tung der form. natür­lich tut er dies mit wachem, schar­fen ver­stand — anders ließe sich so mon­strös-ausufer­nd gute musik gar nicht erzeu­gen. pirmin bossart beze­ich­net ihn im book­let als „musikalis­chen freigeist par exel­lence”. und er schreibt noch etwas, dass eigentlich sehr genau zutrifft und kein­er ergänzung bedarf: „es ist nicht immer fass­bar, was geschieht. aber es geschieht.” ach, gäbe es doch nur mehr solch her­vor­ra­gende musik. und würde sie auch ihren weg zu mir find­en .… es näm­lich immer wieder erbauend, so etwas zu ent­deck­en, es das erste, zweite, dritte mal zu hören und über noch mit begeis­terung und vor staunen aufges­per­rten lausch­ern dazusitzen. doch das passiert viel zu sel­ten in der inten­sität, wie es hans has­sler bei mir ger­ade schafft. aber das wichtig­ste hätte ich jet­zt beina­he vergessen. denn essen­tiell für die musik dieser scheibe ist die tat­sache, dass has­sler ein spiel­er ist. und zwar in allen hin­sicht­en, die das wort und seine nutzer sich nur vorstellen kön­nen. gren­zen für diesen uner­sät­tlichen spiel­trieb gibt es nicht. und deshalb macht diese musik, so pro­fund und wahr sie ist, auch noch solchen unbändi­gen spaß. hans has­sler: sehr schnee sehr wald sehr. intakt 2008. nach­trag: ein porträt (aus der wochen­zeitung) und eine knappe kri­tik (aus dem tages-anzeiger) gibt es beim label intakt.

klang-bau-stelle im neubau der musikhochschule

Ein wilder Haufen ist es, der sich den Neubau erobert hat. Zumin­d­est auf den ersten Blick wirkt die „Klang-Bau-Stelle“ im Neubau der Musikhochschule reich­lich chao­tisch: Am Ein­gang begrüßen Garten­schlauchtrompe­ten die Gäste, im ersten Stock ste­ht ein verk­a­beltes Alphorn, der zukün­ftige Konz­ert­saal ist mit einem Arse­nal Kon­ser­ven­büch­sen, einem Flügel und einem DJ-Stand gefüllt, in der Stu­diobühne ste­ht sog­ar noch ein Beton­mis­ch­er. Aber natür­lich fol­gt das alles ein­er genau aus­gek­lügel­ten Dra­maturgie und Logis­tik. Denn die Stu­den­ten des Sem­i­nars „Geöffnete Ohren“ haben unter der Leitung von Pro­fes­sor Peter Kiefer kaum eine Mühe gescheut, sich ihr zukün­ftiges Dom­izil schon als Rohbau anzueignen.

Schon der Auf­takt im Innen­hof ist ein furios­er Beginn des Wan­delkonz­ertes: Eine Meta­musik, die hier vom Nu Art Brass Ensem­ble uraufge­führte Chaos-Fan­fare „Par­tiales“ von Pier­lu­ca Lanzilot­ta, die alle Ideen und Vorstel­lun­gen ein­er Fan­fare gründlich auseinan­dern­immt um sie neu und etwas ver­quer zusam­men­zuset­zen. Und während dann das zen­trale Trep­pen­haus zum Konz­er­traum wird, stre­ichen im Hin­ter­grund die Arbeit­er noch die Wände. Denn noch bleibt einiges zu tun, damit der Bau fer­tig wird: Viel roher Beton ist noch zu sehen, gewaltige Kabel­bün­del hän­gen von den Deck­en. Manch­mal ist das allerd­ings auch schon wieder Absicht. Dort näm­lich, wo der Raum zum Instru­ment wird, wo eine der zahlre­ichen Klan­gin­stal­la­tion zu erleben sind. Die Sound­scapes vol­lziehen den Über­gang von einem Haus zum anderen – mit Auf­nah­men, Mis­chun­gen der Geräusche und Klänge des alten Gebäudes im vollen Übe- und Unter­richts­be­trieb, die den Neubau erobern, mit ihrer ges­teuerte Kako­phonie aus­füllen und aus­tas­ten.

Daneben gibt es aber auch fast klas­sis­che Konz­ert­si­t­u­a­tio­nen. John Cages „cre­do in US“ etwa, das Flo­ri­an Bey­er und Arne Wie­gand geschickt adap­tiert haben und in ein­er furios-fan­tastis­chen Auf­führung real­isierten.

Und natür­lich ist da noch der Beton­mis­ch­er. Denn der ist nicht zurück­ge­lassenes Baugerät, son­dern ein Musikin­stru­ment, dass sich Rain­er Schreckinger für seine „Med­i­ta­tion???“ angeeignet hat.

Und man glaubt es kaum: Die Mas­chine wird tat­säch­lich Teil ein­er kleinen, knap­pen Med­i­ta­tion, die der Gitar­rist Schreckinger mit Michael Wies­ner, der auf Flügel­horn und Abflussrohren dazu impro­visiert, geschickt in Szene set­zen und dabei recht raf­finiert die Gren­zen zwis­chen Musik und Geräusch auflösen.

(geschrieben für die mainz­er rhein-zeitung.)

die roam fährt in den norden europas

Zu Beginn wur­den die Ohren erst ein­mal richtig geputzt. Die Elche auf dem Pro­grammheft ziehen aber völ­lig unbeein­druckt von Erk­ki-Sven Tüürs „Search­ing for Roots“ ihres Weges. Hät­ten sie nur mal hinge­hört. Denn dann hät­ten sie einen kurzen, span­nungs­ge­lade­nen Aus­flug in die zeit­genös­sis­che Musik erlebt: Dicht geschichte und kom­plex ver­schachtelte Klangebe­nen, die sich immer wieder an ver­schiede­nen Stellen des Orch­ester lichteten, um kleine Motivfet­zen freizugeben. Doch auch die Rheinis­che Orch­ester­akademie Mainz (ROAM), die ihr neuntes Konz­ert mit dieser „Hom­mage à Sibelius“ began­nen, blieb unter Clemens Heil bleibt aus­ge­sprochen kühl und zurück­hal­tend, betonte die for­male Seite der Musik und beließ es bei deut­lich­er emo­tionaler Dis­tanz.

Alles andere als frisch und kühl war allerd­ings die stick­ig-dumpfe Luft im Schloss – die machte das Zuhören eher anstren­gend. Aber die Leis­tun­gen der jun­gen Musik­er der ROAM entschädigten dafür mit Leichtigkeit. Dabei ist das Vio­linkonz­ert von Carl August Nielsen ein ziem­lich schw­er ver­daulich­er Brock­en. Die Solistin Dorottya Ujlaky schien sich auch vor­sor­glich hin­ter ihrem Noten­pult zu ver­steck­en. Grund dafür gab es freilich nicht: Sou­verän, klar und vor allem im zweit­en Satz mit schmelzen­der Süße meis­terte sie das lei­der so sel­ten zu hörende Konz­ert. Dass sie sich dabei alle Sen­ti­men­tal­itäten ver­sagte, war mehr als kon­se­quent. Doch manch­mal schlug es fast in das Gegen­teil um – dann schien sie vom sportlichen Aspekt zu sehr ein­genom­men. Aber das waren nur wenige Momente in ein­er Unzahl schön­er Stellen. Und im beglück­enden Zusam­men­spiel mit dem Orch­ester ergaben sie ein pit­toresk anmu­ten­des Panoram nordis­ch­er Klis­chees.

Doch wie so oft hat­te sich die ROAM das Beste für den Schluss aufges­part: Die zweite Sin­fonie von Jean Sibelius. Der in Schwe­den geborene Kom­pon­ist ist ja soet­was wie der­Meis­ter der finnis­chen Musik über­haupt. Klangschön­heit und Ner­venkitzel wur­den hier auf hohem Niveau zusam­men geführt. Das, nun­ja, Großar­tige war aber ein­deutig die Fähigkeit Heils, die Span­nung über alle Brüche und Ent­ladun­gen hin­weg immer noch mehr anwach­sen zu lassen. Und auch wenn das Orch­ester nun an manch­er Stelle etwas an Präzi­sion ver­lor – die Wucht und das Tem­pera­ment, die ganz direkt zu hörende Freude der Musik­er beim Spie­len machte das alle­mal wett. Denn genau diese Mis­chung aus Engage­ment und for­maler Klarheit, aus Form­be­wusst­sein und Spiel­freude sorgte unabläs­sig für beachtlich­es Gänse­haut-Poten­zial.

(geschrieben für die mainz­er rhein-zeitung.)

 

schostakowitsch pur (fast)

Es war ein gewagter Ein­stieg: Mit Schostakow­itschs Vio­la-Sonate begann das vierte Kam­merkonz­ert im Staat­sthe­ater mit dem Schluss. Aber der exk­lu­sive Zuhör­erkreis im Kleinen Haus goutierte das Wag­nis mit beson­der­er Aufmerk­samkeit und sorgsam gespitzten Ohren.

Mit der Sonate für Vio­la und Klavier schrieb der fast Siebzigjährige Schostakow­itsch am Ende seines Lebens einen großen Abschied mit lauter kleinen Abschieden. Die Zeit hat hier nur noch eine Rich­tung: In die Ver­gan­gen­heit. Malte Schae­fer und Eri­ka le Roux spie­len das mit vor­sichtiger Sorgfalt, fast skrupulös. Und sie nehmen sich bei­de recht stark zurück: Das soll nicht ihre Musik wer­den, allein der Kom­pon­is­ten hat das Wort. Deshalb scheint die Musik auch immer so über­aus klar und gläsern. Eri­ka le Roux am Klavier ist eine trock­ene, präzise Beglei­t­erin ohne die Selb­ständigkeit je aufzugeben. Und Malte Schae­fer spielt schlank und gedämpft, zurück­hal­tend, aber in jedem Moment beseelt. Selb­st große Gesten, selb­st das let­zte Auf­bäu­men und selb­st das wiederkehrende hero­is­che Aufwallen bleibt bei diesem Duo her­rlich pathos­frei. Stattdessen konzen­tri­eren sie sich ganz auf das per­ma­nente Pen­deln zwis­chen Zer­brech­lichkeit und Unbeir­rbarkeit eines bewussten Abschiedes.

Der Kon­trast zur Cel­lo-Sonate ist ein Unter­schied wie zwis­chen Tag und Nacht – oder bess­er wie zwis­chen Nacht und Tag. Es liegt ja auch mehr als ein halbes Kün­stler­leben zwis­chen der Vio­la-Sonate und der Cel­lo-Sonate. Jeden­falls ist let­ztere schon grund­sät­zlich viel pos­i­tiv­er. Doch wie Judith Tie­mann und Eri­ka le Roux zeigten, ist das noch lange nicht alles.

Forsch, aber mit Gespür für die drama­tis­chen Augen­blicke entwick­el­ten sie die Mis­chung aus tra­di­tionellen For­men und Grotesken Ein­fällen in ein­er recht großflächi­gen Dra­maturgie. Vor allem spie­len sie den für Schostakow­itsch typ­is­chen schwarzen Humor mit Knur­ren und Knarzen wun­der­bar aus.

So richtig heile Welt gab es dann noch ein­mal mit Alexan­der Zem­lin­skys Trio in d‑Moll. Vor allem natür­lich der mon­ströse Kopf­satz wirk­te nach so viel Schostakow­itsch fast sur­re­al – und ist doch alles andere als das: Der Glaube an das Gute, Wahre, Schöne funk­tion­ierte hier noch unge­brochen. Doch so ganz glauben die drei Musik­er das Zem­lin­sky auch schon nicht mehr. Das ver­ri­et sich in manchen Stock­un­gen, im behut­samen Abmildern allzu forsch opti­mistis­ch­er Pas­sagen. Doch let­z­tendlich lassen auch sie sich von Zem­lin­skys Imag­i­na­tion und Klang­bildern gefan­gen nehmen – das kann und darf bei dieser Musik schon ein­mal passieren und tut der Begeis­terung auch über­haupt keinen Abbruch.

kleines gebet, große wirkung (zumindest musikalisch)

Es sind nur 28 Tak­te. Aber sie sind ernst gemeint. Vid­man­tas Bar­tulis„Maldelé“ ist wirk­lich ein „kleines Gebet“ (so lässt sich „Maldelé“ über­set­zen) – ein leis­es aber inniges, ganz offen­bar von Herzen kom­mendes Fle­hen und Bit­ten. 1995 hat der 1954 geborene Litaue Bar­tulis sein „Gebet“ auf einen Text des litauis­chen Dichters Valer­i­jus Rudzin­skas kom­poniert, jet­zt ist es in der Rei­he „Neue Chor­musik aus Litauen“ beim Eres-Ver­lag, der auch son­st der baltischen Chor­musik beson­dere Aufmerk­samkeit wid­met, erschienen.

Aus dem Beginn, einem kurzen klang­ma­lerischen Gemurmel schält sich der Text her­aus. Für einen sich­er vier­stim­mig sin­gen­den Chor (nur ganz kurz, näm­lich für zwei Tak­te, wird die Vier­stim­migkeit zum acht­stim­mi­gen Chor aufgeteilt) ist das keine beson­dere Her­aus­forderung. Bar­tulis ver­weilt durch­weg – mit min­i­malen Auswe­ichun­gen in die Moll­par­al­lele – in angenehm singbaren G‑Dur. Kom­pos­i­torisch ver­fol­gt er offen­bar eine Strate­gie der total­en Reduk­tion: Har­monisch wird das Gebet fast auss­chließlich von Kaden­z­dreik­län­gen bes­timmt, eine zusät­zliche Quarte ist schon das höch­ste. Auch son­st zeich­net sich „Maldelé“ kon­se­quent durch seine Schlichtheit aus: Eine ein­fach­ste Reprisen-Form, ganz leicht fass­bare Har­monik, völ­lig unkom­plizierte Melodik und Rhyth­mik – alle ste­hen sie ganz im Dienst des Betens, der fra­gen­den Suche nach dem göt­tlichen Licht, von dem der Text spricht.

Vid­man­tas Bar­tulis: Maldelé für gemis­cht­en Chor. Eres Chored­i­tion 3503 (Neue Chor­musik aus Litauen). 3 Seit­en. 1,65 Euro.

(geschrieben für die Neue Chorzeit, Jan­u­ar 2008).

heinz benker: marianisches triptychon

Kraftvoll tönt es, das „Mar­i­an­is­che Trip­ty­chon“ von Heinz Benker für 3 bis 5 gle­iche Stim­men. Aber oft ist es doch ein wenig arg akademisch gedacht, arg trock­en kom­poniert. Gut acht Minuten dauern die drei grund­sät­zlich dreis­tim­mi­gen, nur stel­len­weise auf vier oder fünf Stim­men erweit­erten Chorsätze. Und doch zeigt sich in dieser Zeit kaum Pes­on­al­stil. So bleibt das alles also außeror­dentlich unschein­bar, in nahezu jed­er Hin­sicht ohne speziellen Anspruch. Denn auch von den Inter­pre­ten ver­langt Benker damit keine beson­deren Kun­st­fer­tigkeit­en. Das ist Musik für den kirch­lichen All­t­ag, die der 2000 ver­stor­bene bay­erische Schul­musik­er hier vorgelegt hat – nicht mehr und nicht weniger. Im Gedächt­nis bleibt davon allerd­ings wenig haften. Zu wenig for­men sich Marienglaube, Marien­leid und Marien­lob näm­lich zu einem eigen­ständi­gen, indi­vidu­ellen Werk. Wed­er textlich noch musikalisch zeigen sich klare Posi­tio­nen, die dieser Musik ihre schlichte Blässe aus­treiben kön­nten. Doch im richti­gen Kon­text, im passenden Umfeld mag das vielle­icht tat­säch­lich gut zu gebrauchen sein und sich ent­fal­ten kön­nen – schw­er zu real­isieren ist es jeden­falls nicht.

Heinz Benker: Mar­i­an­is­ches Trip­ty­chon für 3–5 gle­iche Stim­men. Schorn­dorf: Schol­ing-Ver­lag Nr. 449. 11 Seit­en. 5,40 Euro.

(geschrieben für die Neue Chorzeit, Jan­u­ar 2008)

 

 

 

 

franz m. herzog: bekentnisse

Josef Hopf­gart­ner muss man nicht unbe­d­ingt ken­nen – als Lyrik­er war der Oberkärnt­ner eher unbe­deu­tend. Aber wie so oft reicht sein mit­telmäßiges Tal­ent aber, um Vor­la­gen für gute und schöne Lieder oder Chorsätze zu liefern. Genau das hat Franz M. Her­zog auch mit zwei Gedicht­en Hopf­gart­ners getan: Beken­nt­nisse fasst zwei Chöre für gemis­chte Ensem­bles zusam­men. Das ist zum einen „Auf­schrei“, das die bek­lem­mende, bis zur Verzwei­flung getriebene Qual der Inspi­ra­tion des Dichters in expres­sive Töne set­zt. Her­zog ent­fal­tet aus ein­fachen Mit­tel starke expres­sive Kraf, gipfel­nd in den mehrfachen Sekun­drei­bun­gen zu den im for­tis­si­mo gesproch­enen Schlusszeilen der Verzwei­flung.

Auch „Stunde in die Nacht“, der zweite Teil der „Beken­nt­nisse“ ist keine leichte Kost – und den­noch sehr gegen­sät­zlich. Denn hier geht es wed­er Hopf­gart­ner noch Her­zog darum, einem Gefühl Aus­druck zu velei­hen. Hier, wo es um den Zus­tand des unmit­tel­bar bevorste­hen­den Tod geht, schon fast aufge­hoben ins Jen­seits, zählen nur noch Stim­mungen und Ein­drücke. Entsprechend sym­bol­isch gibt sich die Musik, mit Choral-Anklän­gen, ver­ton­ten Glock­en­schlä­gen und schein­bar ewigem Kreisen. Lange liegende Klänge im acht­stim­mi­gen Satz kom­biniert der Kom­pon­ist mit frei deklamierte Unisono-Pas­sagen. Die geflüsterten Schlussverse ver­stärk­ten das bedrohlich­es Szenario noch zusät­zlich: Eine kun­stvolle Inspek­tion der Inner­lichkeit.

Franz M. Her­zog: Beken­nt­nisse. Für gemis­chte Stim­men divisi a cap­pel­la nach Gedicht­en von Josef Hopf­gart­ner. Inns­bruck: Hel­bling 2005. HI-C5522. 18 Seit­en. 4,20 Euro.

(geschrieben für die Neue Chorzeit, Feb­ru­ar 2008)

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