Sanft dröhnen die Klangflächen in den Mainzer Kammerspielen, hin und wieder durchschnitten von Textschnipseln und instrumentalen Fragmenten. Über die Video-Leinwand flimmern unterdessen verschwommene Formen, tanzen helle Kreise und abstrakte Gebilde: Die „Visionen“ beginnen schon vor dem eigentlich Anfang. „Apokalypse“ hat Peter Kiefer seine dem Programm der Musikhochschule vorgeschaltete Klangsinstallation betitelt – es ist aber ganz harmlos: Weich umfängt das Soundgewebe das Publikum, stimmt es ein auf die Höllenfahrt mit Dante. Denn darum geht es: Um „Gesänge – Bilder – Klänge“, wie es der Titel verheißt, zu Dantes Göttlicher Komödie.
Begleitet von einigen wenigen, kurzen Ausschnitten aus der epochemachenden Dichtung, die Karl Jürgen Sihler dramatisch aufgeladen rezititert, hat Claudia Eder ein Panoptikum nicht nur des Besuchs in Fegefeuer und Hölle, sondern auch der Musikgeschichte kreirt. Von der frühen Vokalmusik der Renaissance bis in die Gegenwart, bis zu Boris Blacher und Siegfried Matthus reicht der Bogen. Und Peter Kiefer hat nicht nur die Klanginstallation, die die einzelnen Wegpunkte verbindet, beigesteuert, sondern auch noch eine Uraufführung: „Casella – Douze Points“ heißt sein Werk, das Christian Rathgeber zum Klingen brachte. Geloopte Rhythmen und vokale Klänge vereinen sich hier zu einer dichten Schichtung.
Auch sonst steht die vokale Kunst in vieler Gestalt ganz im Mittelpunkt. Die Sopranistin Min-Su Kim etwa verleiht Gaetano Donizettis „Pia de’ Tolomei“ nicht nur ihre große dramatische Stimmgewalt, sondern auch gleich noch die passende Gestik und Mimik direkt aus dem 19. Jahrhundert. Das war Jasmin Etezadzadeh nicht möglich. Denn „Francesca da Rimini“ von Boris Blacher ist noch gar nicht so alt. Nötig war es ihr auch nicht. Zusammen mit dem souveränen Geiger Thomas Aufleger reicht die intensive Überzeugungskraft ihres Soprans ganz und gar für diese theatralisch-erzählende Musik aus.
Dazwischen standen nicht nur die verbinden Texte und Kiefers Klangscharniere, sondern auch noch Gregorianische Gesänge, die in ihrer scheinbaren Zeitlosigkeit immer wieder einen Hauch Ewigkeit in den düsteren Kammerspielen beschwörten. Und im Hintergrund liefen die Videos von Christoph Brech auch immer weiter und weiter – bis zur Auflösung in reine Farbflächen am Schluss. Das Finale, die Ankunft im Paradies, war auch musikalisch besonders eindrücklich. Schon Claudio Merulos Madrigal „Vergine Madre“ trugen die jungen Sänger unter der Leitung von Wolfram Koloseus ernst und feierlich vor. Vor allem Claudio Monteverdis wunderschönes „Salve, O Regina“, das Regina Pätzer schlicht und klar gestaltete, bildete eine berührende Brücke in Palestrinas „Ave Maria“. So berührend, dass das Publikum ganz gefangen blieb in diesen „Visionen“.
(geschrieben für die mainzer rhein-zeitung.)