Lesen. Hören. Und ein bisschen schreiben.

Schlagwort: klassik Seite 10 von 11

und mit beet­ho­ven fällt er dabei ordent­lich auf die nase:

eigent­lich soll­te es ein rich­tig roman­ti­scher kla­vier­abend wer­den: aus­schließ­lich varia­tio­nen von brahms, tschai­kovs­ky und schu­mann woll­te niko­lai toka­rew beim main­zer musik­som­mer im schloss waldt­hau­sen spie­len. kurz vor beginn ent­schied er sich dann aber, statt tschai­kovs­ky „the­ma mit varia­tio­nen in f‑dur“ doch lie­ber beet­ho­vens appas­sio­na­ta-sona­te zu spie­len. und das war kein beson­ders klu­ger zug. denn jetzt war es zwar ein rein deut­scher kla­vier­abend, aber das half über die unzu­läng­lich­kei­ten toka­rews bei der beet­ho­ven-sona­te lei­der auch nicht hin­weg. sicher trägt die sona­te die lei­den­schaft schon im titel. aber der ist ers­tens gar nicht von beet­ho­ven und zwei­tens bie­tet sie auch noch viel mehr als nur das. doch das tan­gier­te toka­rew nur sehr wenig. er stürz­te sich mit tie­fer inbrunst hin­ein und pro­du­ziert dabei viel gefühl, aber auch viel undif­fe­ren­zier­ten klang­brei. struk­tu­ren, for­men, ver­läu­fe- für all das, was in beet­ho­vens sona­ten von so gro­ßer bedeu­tung ist, hat er hör­bar über­haupt kein gespür, all das ent­zieht sich sei­ner auf­merk­sam­keit ganz und gar.

auch die dra­ma­tur­gie grö­ße­rer zusam­men­hän­ge ist sein ding nicht unbe­dingt. genau des­halb gelingt ihm der rest des abends auch viel bes­ser, näm­lich rich­tig gut. denn schon in brahms’ „hän­del-varia­tio­nen“ zeigt sich, wie viel gewinn es brin­gen kann, so einem empha­ti­schen pia­nis­ten zu lau­schen. sicher freut er sich manch­mal zu offen­sicht­lich an vir­tuo­sen spie­le­rei­en, aber das fällt kaum ins gewicht. denn inti­mi­tä­ten, klei­ne details, feins­te stim­mungs­ver­schie­bun­gen – das spürt er ganz genau und das kann er auch ganz prä­zi­se und mit­füh­lend zum klin­gen brin­gen. das führt mit­un­ter zu recht exal­tier­ten ergeb­nis­sen, aber selbst die sind emo­tio­nal immer ver­blüf­fend genau. denn toka­rew fühlt sich nicht nur in jede nuan­ce der musik ein, er errich­tet regel­rech­te par­al­lel­wel­ten des klangs, die ganz und gar aus gefüh­len zu bestehen schei­nen. das wur­de vor allem bei den „sin­fo­ni­schen etü­den“ von robert schu­mann deut­lich. toka­rew gelin­gen hier noch ein­mal groß­ar­ti­ge momen­te – aber es blei­ben momen­te, die mehr oder weni­ger unver­mit­telt neben­ein­an­der ste­hen. und es wird bei ihm wie­der zu musik, die den ver­stand nicht braucht und will: wer sich ganz auf’s mit­füh­len und mit­emp­fin­den ein­lässt, dem beschert niko­lai toka­rew vie­le inten­si­ve erfah­run­gen.

soweit mein „offi­zi­el­ler“ text zum ers­ten von mir besuch­ten kon­zert des dies­jäh­ri­gen main­zer musik­som­mers. rich­tig echauf­fiert habe ich mich dabei aber weni­ger über die musik – das ist zwar über­haupt nicht mein fall, die­se art von inter­pre­ta­ti­on – son­dern über das vor­wort im pro­gramm­heft, gezeich­net von peter stie­ber, swr2 lan­des­mu­sik­di­rek­ti­on, und dem main­zer kul­tur­de­zer­nen­te peter kra­wi­etz. was die bei­den da für einen unsinn ver­zap­fen, ist reich­lich unge­heu­er­lich. das fängt schon mit dem ers­ten satz an: „einen platz auf dem ima­gi­nä­ren sie­ger­trepp­chen der kul­tur-welt­meis­ter­schaft hat deutsch­land seit jah­ren sicher“ – was soll das denn bit­te sein, eine kul­tur-welt­meis­ter­schaft? ist eine beet­ho­ven-sona­te bes­ser als eine chi­ne­si­sche oper? wie­der mal ein typi­sches bei­spiel (und ein ziem­lich kras­ses) für den typisch euro­päi­schen kul­tur-chau­vi­nis­mus. aber damit ja noch nicht genug, zu rich­ti­gen höhen­flü­gen schwin­gen die bei­den (natür­lich auch bei­des män­ner…) erst spä­ter auf: „in der kul­tur geht es um höchst­lei­tung, unter­hal­tung, ästhe­tik, auch um sig oder nie­der­la­ge.“ das ist ja mal wie­der ech­ter blöd­sinn: kul­tur ist doch kein wett­kampf! das ist doch etwas fun­da­men­tal ande­res, in kunst (oder auch all­ge­mei­ner kul­tur) geht es um gelin­gen und nicht­ge­lin­gen, um ver­ste­hen und nicht­ver­ste­hen, nicht um sieg – das ist wie­der so eine blöd­sin­ni­ge kampf­rhe­to­rik, aus­ge­löst von der bescheu­er­ten fuß­ball-wm.

und genau in dem ton­fall geht es dann mun­ter wei­ter: natür­lich wird auch die „kul­tur­na­ti­on“ deutsch­land wie­der ein­mal bemüht – auch so ein hane­büch­ner unsinn, der durch stän­di­ge wie­der­ho­lung auch nicht wah­rer wird: haben ande­re natio­nen kei­ne oder weni­ger kul­tur? was ist das eigent­lich für ein anti­quier­ter und unre­flek­tier­ter kul­tur­be­griff, der hier kur­siert? und das bei soge­nann­ten „ent­schei­dern“ der kul­tur­för­de­rung! das ein­zi­ge, was deutsch­land auf dem gebiet der kul­tur von ande­ren natio­nen unter­schei­det, ist doch höchs­tens sei­ne beson­ders aus­ge­präg­te und insti­tu­tio­na­li­sier­te musea­le pfle­ge der tra­di­tio­nen des 18. und vor allem 19. jahr­hun­derts in kon­zert, thea­ter, lite­ra­tur und kunst. das schlimms­te kommt aber erst noch: kul­tur, so wird zumin­dest unter­schwel­lig nahe­ge­legt, ist vor allem eine sache der eli­ten – auch wie­der so ein blöd­sinn, für den man stie­ber sofort frist­los ent­las­sen soll­te. schließ­lich ist er in der lei­tung einer öffent­lich-recht­li­chen anstalt beschäf­tigt, die von allen finan­ziert wird. was hin­ter sol­chen ideen für ein demo­kra­tie­ver­ständ­nis steht, will ich gar nicht so genau wis­sen…

doch selbst wenn man den bei­den chefs zugu­te hal­ten will, dass es ihnen ja um etwas posi­ti­ves, den erhalt der kul­tur, geht (was ich so nicht unbe­dingt tun wür­de), ihr argu­men­ta­ti­ons­an­satz und ihre begrün­dung ist ein­fach völ­lig dane­ben. „kul­tur ist eine wert­vol­le res­sour­ce für den gesell­schaft­li­chen fort­schritt, sie för­dert sozia­le kom­pe­tenz, intel­li­genz und erhöht die lebens­qua­li­tät.“ und das sehen die bei­den als kon­trär zu den die dis­kus­si­on bestim­men­den „öko­no­mi­schen kon­junk­tur­da­ten“? das ist das das­sel­be in grün… man kann sicher­lich die kul­tur im rah­men einer teleo­lo­gi­schen, mehr oder weni­ger uti­li­ta­ris­ti­schen ästhe­tik auf bestimm­te zie­le und idea­le ver­pflich­ten (jost her­mand tut das ja zum bei­spiel), aber eigent­lich soll­te, so mei­ne ich, kul­tur doch mehr sein. das gilt vor allem für ihren in die­sem zusam­men­hang eigent­lich gemein­ten teil, die kunst. die soll­te näm­lich außer­dem auch einen eigen­wert haben (von auto­no­mie muss man ja noch gar nicht unbe­dingt reden), sonst ist sie doch recht eigent­lich kei­ne kunst, son­dern „nur“ eine kul­tur­leis­tung unter vie­len ande­ren (und bräuch­te wohl auch nicht die finan­zi­el­le und struk­tu­rel­le för­de­rung, die sie bei uns – zu recht – erhält). aber die unter­schei­dung von kunst und kul­tur ist auch wie­der eine kul­tur­leis­tung, die stie­ber und kra­wi­etz offen­bar noch nicht so recht geglückt ist.

noch ein langweiliger abend: mozart und die frauen

das war aber wirk­lich nichts, trotz der hil­fe von der mei­ner­seits sehr geschät­zen mar­ti­na gedeck. pia­nist & diri­gent sebas­ti­an knau­er ver­wen­det offen­bar lei­der mehr zeit beim fri­seur und auf der son­nen­bank als beim nach­den­ken über mozarts musik – das war der­ma­ßen bana­les gedu­del, das hat selbst mozart nicht ver­dient. und das publi­kum klatscht auch noch wie blöd dem eit­len geck – der sich, ganz typisch für sol­che leu­te, auf der büh­ne präch­tig pro­du­ziert – und sehr, sehr lan­ge bit­ten lässt, bevor er sich noch ein­mal ver­beugt…

es ist alles nur ein traum. mozarts frü­he gön­ne­rin, die baro­nin wald­stät­ten, ima­gi­niert sich ein kon­zer­pau­sen­ge­spräch mit leo­pold, dem vater des kom­po­nis­ten. sebas­ti­an und wolf­gang knau­er habe sich das aus­ge­dacht, die­sen sym­pa­the­ti­schen rück­blick auf mozart und sei­ne frau­en­ge­schich­ten, sei­ne galan­te­rien und affä­ren vor und nach der hoch­zeit. mar­ti­na gedeck durf­te der baro­nin ihre stim­me lei­hen: char­mant und läs­sig plau­dert sie sich in der glas­hal­le der main­zer rai­li­on-zen­tra­le durch den abend der mit­tel­rhein musik-momen­te. und sebas­ti­an knau­er macht die musik dazu – zwei der bekann­te­ren kla­vier­kon­zer­te hat er sich dafür aus­ge­sucht, von mozart natür­lich: das „jeunehomme“-konzert in es-dur und das spä­te d‑moll-kon­zert. auch knau­er, der zugleich als pia­nist und pseu­do-diri­gent auf­trat, agier­te eher läs­sig. sei­ne spär­li­chen ansät­ze, vom flü­gel aus zu diri­gie­ren, waren sowie­so recht über­flüs­sig: die koblen­zer staats­phil­har­mo­nie befand sich ganz offen­sicht­lich auf ver­trau­tem ter­rain und spiel­te auch ohne sei­ne hil­fe sehr geschlos­sen und zuver­läs­sig. die über­ra­schun­gen und ver­rück­ten kas­pe­rei­en mozarts, die der text immer wie­der auf­griff, schlu­gen sich in die­ser musik frei­lich nicht wie­der. das war eine rund­um ver­nünf­ti­ge, manch­mal sogar ein wenig bie­de­re inter­pre­ta­ti­on. sebas­ti­an knau­er spiel­te die kon­zer­te sehr rou­ti­niert und so voll­kom­men gelas­sen, dass sich der ein­druck gepfleg­ter lan­ge­wei­le nicht immer ver­mei­den ließ. auch sei­ne pia­nis­ti­schen fähig­kei­ten bean­sprucht er nur mäßig, da gibt es nur ansät­ze zu einer dif­fe­ren­zier­ten arti­ku­la­ti­on und kaum klang­nu­an­cen. aller­dings waren die umstän­de auch nicht die bes­ten: zunächst brach­te die schwül-sti­cki­ge atmo­sphä­re die musi­ker dazu, ihren frack abzu­le­gen. und dann wur­de es auch noch rich­tig feucht: das pras­seln der was­ser­mas­sen auf dem glas­dach ließ den beginn des d‑moll-kon­zer­tes völ­lig unter­ge­hen, da konn­te auch knau­er nichts mehr ret­ten. am bes­ten gelan­gen ihm aller­dings sowie­so bei bei­den kon­zer­ten die schluss­sät­ze: dem jeu­ne­hom­me-kon­zert gab er so einen flin­ken und ein biss­chen augen­zwin­kernd, frech ver­spiel­ten abschluss. und selbst das bei ihm eher schwer­fäl­li­ge und gemüt­li­che d‑moll-kon­zert trieb er zum ende in die mozart­sche über­mut: tur­bu­lent ließ er die musik immer wie­der um sich selbst krei­seln.

ein grö­ße­rer kon­trast lässt sich kaum den­ken: direkt vom vier­tel­fi­na­le in die hei­li­gen hal­len der eber­ba­cher klos­ter­ba­si­li­ka, zu den heh­ren klän­gen von mahler und bruck­ner. die bei­den haupt­ak­teu­re scheint es auch ein wenig mit­ge­nom­men zu haben. der ein­druck stellt sich zumin­dest beim ers­ten der „lie­der eines fah­ren­den gesel­len“ von mahler ein. denn bari­ton chris­ti­an ger­ha­her und diri­gent elia­hu inbal bemü­hen sich so sehr, die ver­schie­de­nen schich­ten die­ser musik zu ver­deut­li­chen, dass sie bei jedem zusam­men­tref­fen ordent­lich anein­an­der­ge­ra­ten. scha­de, denn der ansatz ist so ver­kehrt gar nicht. das zei­gen dann auch die rest­li­chen drei gesän­ge – das gan­ze kon­so­li­diert sich in gro­ßer ernst­haf­tig­keit. ger­ha­her ver­hilft den tex­ten in schlich­ter stren­ge zu sehr ein­dring­li­cher prä­senz, inbal ver­knüpft das sehr ziel­stre­big zum zyklus.

der bari­ton hat sei­nen auf­tritt damit nach zwan­zig minu­ten schon erle­digt, wäh­rend der dri­gient sozu­sa­gen noch in der auf­wärm­pha­se ist. denn für ihn geht es erst mit bruck­ners vier­ter sym­pho­nie so rich­tig zur sache. sei­ne inten­ti­on wird schnell deut­lich und zeigt sich wun­der­bar klar: die gan­ze sym­pho­nie ist eine spi­ra­le nach oben, eine enor­me auf­wärts­be­we­gung. raum­ge­winn gibt es zwar kei­nen, aber dafür gelangt inbal mit dem wdr-sin­fo­nie­or­ches­ter immer höher, im wei­ter hin­auf.

dazu bemüht er sich, die vom kom­po­nis­ten selbst als „roman­ti­sche“ titu­lier­te sym­pho­nie nach­ge­ra­de unro­man­tisch zu spie­len: das block­haf­te kom­po­nie­ren bruck­ners, sei­ne sequen­zier­te sta­tik ist ihm hör­bar wich­ti­ger als schwel­ge­ri­sche klang­ma­le­rei­en. dadurch ist die vier­te aber auch von vorn­her­ein sehr offen: inbal legt dem publi­kum sozu­sa­gen das ske­lett der sym­pho­nie zur begut­ach­tung vor – nicht immer mit opti­ma­ler auf­lö­sung, aber das liegt weni­ger am diri­gen­ten als an den sich häu­fen­den klei­nen pat­zern des wdr-sin­fo­nie­or­ches­ters. der dri­gient selbst ver­rich­tet sei­nen anteil mit beson­ne­ner gründ­lich­keit, er baut mit uner­müd­li­chem fleiß immer neue schich­ten der enor­men klän­ge auf und ent­wi­ckelt die in straf­fer orga­ni­sa­ti­on zu gro­ßer prä­senz und offen­heit: das strahlt gera­de im letz­ten satz, kurz vor dem ende, in fast blen­den­der hel­lig­keit und beein­dru­cken­der klar­heit.

und sich an einer neu­en oder sagen wir ein­mal unbe­kann­ten wag­ner-ope­ret­te erfreu­en (genau, richard wag­ner hat auch eine ope­ret­te geschrie­ben, man muss sie nur aus ihrem kor­sett des gro­ßen musik­dra­mas – dem rhein­gold – befrei­en): die rhein­tor-saga.

was haben ein pump­ge­nie, eine bio-bäue­rin, zwei mit­tel­stän­di­sche bau­un­ter­neh­mer und eine alko­hol­o­ab­hän­gi­ge dame der hohen gesell­schaft gemein? genau, sie alle kom­men im „rhein­gold“ vor. zumin­dest in der zur „rhein­tor-saga“ umge­bo­ge­nen vari­an­te, mit der der kul­tur­fonds main­zer wirt­schaft geld für die erhal­tung der main­zer rhein­to­re sam­mel­te.

das pump­ge­nie ist natür­lich wie im rich­ti­gen leben nie­mand ande­res als richard wag­ner der ii, der eigent­lich der ech­te ist und ganz eigent­lich wie­der­um der gast­ge­ber im wei­her­g­art, peter han­ser-stre­cker. er ist zwar in den letz­ten jah­ren ein wenig gewach­sen und aus dem säch­si­schen akzent ist meen­ze­risch gewor­den, aber sonst ein ganz ech­ter wag­ner. und er zieht den leu­ten auch genau­so geschickt das geld aus der tasche – nur ziem­lich wahr­schein­lich erheb­lich unter­halt­sa­mer. denn die ver­an­stal­ter haben sich von chris­ti­an pfarr extra für die­sen abend, als urauf­füh­rung ohne jede wie­der­ho­lung­mög­lich­keit, ein libret­to für ein neu­es klei­nes ope­rett­chen schrei­ben las­sen. wolf­ram kolo­seus hat die musik dazu gemacht – oder genau­er gesagt, er hat die pas­sen­den stel­len aus dem „rhein­gold“ gesucht und ver­an­stal­tet damit am flü­gel ein ordent­lich blät­ter­or­gi. die stu­den­ten aus dem jun­gen ensem­ble der hoch­schu­le für musik unter der lei­tung von clau­dia eder haben gesun­gen. die fri­cka von sarah kuff­ner ist davon fre­lich so gelang­weilt, dass sie sich unent­wegt sekt hin­ter die bin­de kippt. dabei hät­te sie nur ihren mit­strei­tern zuhö­ren müs­sen, um erst­klas­si­ge unter­hal­tung geli­f­ert zu bekom­men.

das rhein­gold passt zum geld­sam­meln natür­lich wun­der­bar – schließ­lich geht’s da ja auch um einen neu­bau. mit einer fül­le sol­cher klei­ne­ren umdeu­tun­gen hat pfarr das wun­der­bar humo­ris­tisch ange­passt. der richard wag­ner von han­ser-stre­cker darf dabei für die not­wen­di­gen stich­wor­te und außer­dem für neue, lokal­pa­trio­ti­sche ver­knüp­fun­gen der klei­nen aus­schnit­te sor­gen – so kommt dann etwa auch noch die fin­the­ner flur­be­rei­ni­gung ins spiel.

und da ja die rhein­to­re fast das glei­che sind wie der rei­ne tor, darf in die­ser wag­ner-ver­wurs­tung auch par­si­fal (dani­el jenz, der auch schon als loge sich mit dem rhein­gold pla­gen muss­te) noch ein­mal kurz zu wort kom­men. und er darf sich zum schluss von den blu­men­mäd­chen sogar noch ver­füh­ren las­sen, ohne dafür bezah­len zu müs­sen.

ja, so kann es manch­mal gehen: der cel­list ist krank gewor­den – da wird auch dem kam­mer­mu­sik­abend natür­lich nix mehr. die pia­nis­tin hat sich erbarmt und spielt ein­fach ein solo­pro­gramm – und ein ziem­lich über­zeu­gen­des. das mei­ne ich dazu:

hal­be sachen sind je meist kein grund für beson­de­res freun­de­aus­brü­che. hal­be kon­zer­te schon gar nicht. aber man­cha­mal sind sie ein ganz beson­de­rer, unver­hoff­ter genuss. so soll­te das vom main­zer haus bur­gund und dem erba­cher hof ver­an­stal­te­te kon­zert im rah­men des „fes­ti­val musi­cal des grand crus de bour­go­gne“ eigent­lich musik für cel­lo und kla­vier bie­ten. der cel­list her­ni demar­quet­te muss­te aller­dings das bett hüten und ließ sei­ne kla­vier­part­ne­rin clai­re désert allein. das war aller­dings alles ande­re als eine kata­stro­phe. denn désert zau­ber­te im erba­cher hof einen beein­dru­cken­den kla­vier­abend her­vor. schon die pro­gramm­aus­wahl ließ auf­mer­ken. die­se pia­nis­tin muss sich ihrer fähig­kei­ten sehr sicher sein: cla­ra schu­manns varia­tio­nen op. 20, robert schu­manns „davids­bünd­ler­tän­ze“, beet­ho­vens sona­te nr. 17 und noch zwei pre­ludes von clau­de debus­sy – das ist bestimmt kei­ne ver­le­gen­heits­lö­sung. und clai­re désert hat sich mit die­sem tech­nisch und musi­ka­lisch anspruchs­vol­len pro­gramm auch nicht über­ho­ben. nur der klei­ne flü­gel setz­te deut­li­che limits. mit einem bes­se­re instru­ment wären die klang­flu­ten, die aus den hän­den der pia­nis­tin ent­stan­den, sicher noch beein­dru­cken­der gewe­sen. auch so war die schie­re mäch­tig­keit, die über­bor­den­de fül­le ihres spiels aller­dings schon auf rein phy­si­scher ebe­ne sehr über­wäl­ti­gend. das ist oft ein rich­tig­ge­hen­des tönen­des schlach­ten­ge­mäl­de: das don­nert und blitzt mit erschre­cken­der rea­li­tät auch ohne tech­ni­sche kino-effek­te. die musik wird hier zur reli­ef­kunst: mit aus­ge­spro­chen deut­li­cher plas­ti­zi­tät wer­den ecken und kan­ten, wohl­be­kann­te und bizarr-erschre­cken­de for­ma­tio­nen hör­bar.: eine uner­müd­li­che fol­ge von ganz sorg­fäl­tig gear­bei­te­ten, schein­bar unmit­tel­ba­ren schal­l­erup­tio­nen. die­se musik ist offen­bar auch weni­ger von intel­lek­tu­el­len über­le­gun­gen, son­dern von for­scher, unver­hoh­le­ner musi­ka­li­tät gesteu­ert. für die beet­ho­ven-sona­te ist das aller­dings nicht ganz hin­rei­chend, das bleibt zu ein­sei­tig, zu stark auf den stür­misch drän­gen­den impuls der sona­te kon­zen­triert. für schu­manns „davids­bünd­ler­tän­ze“ hät­te es aller­dings kaum pas­sen­der sein kön­nen. in ganz natür­li­chem kolo­rit und mit geschick­ter balan­ce zwi­schen anmut und unver­hoh­len­der kräft­de­mons­tra­ti­on fließt die musik voll­kom­men frei und unbe­schwert, als könn­te es gar nicht anders sein – und das alles ande­re als eine hal­be sache.

junge musik im staatstheater

beim kon­zert für jun­ge leu­te im staats­thea­ter – sehr schön zu beob­ach­ten, wie sich eine inter­pre­ta­ti­on noch ent­wi­ckeln kann. und was es für einen unter­schied macht, wenn das orches­ter mit lust und lau­ne und etwas ent­spann­ter spielt:

für eine ordent­li­che por­ti­on musi­ka­li­schen jugend­wahns ist das kon­zert für jun­ge leu­te genau der rich­ti­ge platz. cathe­ri­ne rück­wardt hat sich zum letz­ten kon­zert die­ser rei­he in der lau­fen­den spiel­zeit nicht nur musik von jun­gen kom­po­nis­ten aus­ge­sucht, son­dern auch einen sehr jun­gen main­zer pia­nis­ten ein­ge­la­den. arne gies­hoff hat zwar im ver­gan­ge­nen jahr den bun­des­wett­be­werb von jugend musi­ziert gewon­nen, wirkt aber immer noch sehr zurück­hal­tend und ver­schlos­sen: die zuga­be muss­te die diri­gen­tin rich­tig aus ihm her­aus­kit­zeln. und sie war dann auch kein bra­voustück­chen, son­dern ein eige­nes inter­mez­zo, ein nach­denk­lich-medi­ta­ti­ve minia­tur. bra­vour gab’s davor auch mehr als genug: denn in cho­pins opus 2, den varia­tio­nen über ein the­ma aus mozarts don gio­van­ni, muss der pia­nist über eine soli­de tech­nik ver­fü­gen. gies­hoff kann das, und so konn­te nicht viel schief gehen beim vir­tuo­sen wir­bel. was ihm aller­dings noch ein wenig fehlt, ist einer­seits die behaup­tung gegen­über dem orches­ter. und die klang­li­che gestal­tung – es klingt ein­fach noch zu ein­sei­tig, um wirk­lich die gan­ze par­ti­tur zu erfas­sen. aber das wäre von einem 17-jäh­ri­gen wohl zu viel ver­langt. denn nicht jeder gute musi­ker ist gleich ein genie wie cho­pin oder mozart. die haben, und dafür gab das kon­zert genug stoff, in dem alter schon ziem­lich aus­ge­fuchst kom­po­niert – cho­pin eben die varia­tio­nen. und mozart war auch erst zwei jah­re älter, als er „la fin­ta giar­di­nie­ra“ kom­po­nier­te. mit einem zügi­gen marsch durch die ouver­tü­re hat­te das phil­har­mo­ni­sche staats­or­ches­ter den abend eröff­net. ans ande­re ende von mozarts leben führ­te sie das publi­kum dann mit mozarts g‑moll sin­fo­nie. die hat rück­wardt im moment wohl beson­ders ins herz geschlos­sen. nach der auf­füh­rung im ach­ten sin­fo­ni­kon­zert und dem son­der­kon­zert in der phö­nix­hal­le nahm sie mozarts letz­te sin­fo­nie nun auch noch in das kon­zert für die jun­gen leu­te. und die ste­te beschäf­ti­gung mit mozart tut sowohl dem orches­ter als auch der musik gut. wenn dazu noch die fami­liä­re atmo­sphä­re die­ses kon­zer­tes kommt, klingt das nicht ganz anders als im letz­ten sin­fo­nie­kon­zert, aber doch ein gan­zes stück frei­er und unbe­sorg­ter. mit druck­vol­ler wucht und kräf­ti­gen impul­sen musi­zie­ren sie und machen die letz­ten bei­den sät­ze zu einem rich­ti­gen bedro­hungs­sze­na­rio, so klar kon­tu­riert und drän­gend packt rück­wardt das an. noch ein paar auf­führ­run­gen und das wird rich­tig spit­ze.

elisabeth hagedorn singt sich durch die romantik

zum abschied aus dem main­zer ensem­ble hat die sän­ge­rin eli­sa­beth hage­dorn sich aus­ge­rech­net einen lie­der­abend aus­ge­dacht – mit einem ziem­lich kun­ter­bun­ten pro­gramm und durch­aus wech­sel­haf­ten qua­li­tä­ten:

was wohl pas­sie­ren wür­de, wenn die­se frau wirk­lich am rhein stün­de und sän­ge? gut, ihre haa­re sind ein wenig kurz – aber sonst möch­te man sich lie­ber nicht vor­stel­len, wel­che fol­gen ein lied­vor­trag eliza­beth hage­dorns am lore­lei-fel­sen auf die rhein­schiff­fahrt hät­te. im klei­nen haus setz­te sie in gül­de­nem kleid und rotem schal jeden­falls scham­los so ziem­lich alle ver­füh­rungs­küns­te ein, über die eine sän­ge­rin von ihrem for­mat gebie­tet. und wenn sie dann also traum­ver­lo­ren am flü­gel lehnt und die berühm­ten ver­se der „lore­lei“ in der ver­to­nung von franz liszt singt, ist die vol­le macht der musik zu spü­ren. dar­um geht es ihr an die­sem abend, einem abschied aus dem main­zer ensem­ble, offen­bar. so ganz klar war das zunächst aber nicht. denn wäh­rend der noten­stän­der kon­ti­nu­ier­lich von einer sei­te auf die ande­re wan­dert, wird ganz schnell klar: das spie­len ist ihre wah­re domä­ne. da, wo sie als sän­ge­rin und schau­spie­le­rin gefragt ist, singt sie auch am bes­ten: bei richard strauss, bei franz liszt und alban berg und auch noch bei den lie­dern von charles ives. mit robert schu­mann und johan­nes brahms hat sie aller­dings noch zwei kom­po­nis­ten auf ihrem pro­gramm, die viel mehr inti­mi­tät und abso­lu­te klar­heit im detail for­dern. und das ist ihre stär­ke an die­sem abend nicht so ganz. schu­manns „bel­sa­zar“ singt sie etwa mit spek­ta­ku­lä­rem stimm­li­chen auf­wand – das reißt schon mit. aber das lässt auch viel unter­ge­hen, von der iro­nie des hei­nes-gedich­tes ist nicht mehr viel zu spü­ren. auch die schlich­ten volks­lied­ver­to­nun­gen von brahms pas­sen nicht so recht zu ihrem stil: selbst hier sucht sie noch nach der gro­ßen büh­ne, dem thea­ter in der musik.

dort, wo der kom­po­nist genau das ver­langt, ist sie dann aber auch wirk­lich beein­dru­ckend. etwa richard strauss – schon das ers­te lied von ihm, „die nacht“, zeigt nicht nur die streng kon­trol­lier­te tech­nik, son­dern auch die tref­fen­de sub­ti­li­tät und das klang­li­che eben­maß ihrer stim­me. auch ihr pia­nist andre­as stoehr kann mit spinn­web-fei­nen begleit­fi­gu­ren wirk­lich über­zeu­gen.

und so geht es dann auch den rest­li­chen abend wei­ter. ob mit der idyl­lisch-rei­nen süße von liszts „fischer­kna­be“ oder alban bergs „nach­ti­gall“: eliza­beth hage­dorn ser­viert immer genau die rich­ti­ge por­ti­on expres­si­vi­tät, wech­selt vom emp­find­sa­men ver­wei­len zu schwe­ben­den traum­ge­dan­ken und lässt schließ­lich auch noch die schlich­te poe­sie der musik von charles ives erblü­hen. und immer wie­der wan­dert der noten­stän­der von der einen sei­te zur andern. ein glück nur, das die­se geball­te por­ti­on ver­füh­rung und ver­zü­ckung auf der büh­ne des klei­nen hau­ses nie­man­den von sei­nem weg ablen­ken konn­te.

der einzelne gegen die masse: meisterkonzert in der rheingoldhalle

was das pro­gramm – beet­ho­ven, leo­no­re 3; chris­ti­an jost, luxaeter­na; rim­s­ki-kor­sa­kow, sche­he­zer­a­de – zunächst gar nicht so erwar­ten ließ: ein span­nen­des und wirk­lich gutes, über­zeu­gen­des kon­zert bei den meis­ter­kon­zer­ten in der rhein­gold­hal­le. der text trifft es eigent­lich auch ohne ergän­zun­gen ziem­lich gut:

streng und ernst steht er da, von kopf bis fuß in schlich­tes schwarz gewandt. geor­ge peh­li­va­ni­an nimmt sei­ne auf­ga­be als diri­gent der staats­phil­har­mo­nie rhein­land-pfalz aus­ge­spro­chen ernst. zum ers­ten mal war der „ers­te gast­di­ri­gent“ des orches­ters beim letz­ten meis­ter­kon­zert in der main­zer rhein­gold­hal­le. und was sei­ne aske­ti­sche dienst­klei­dung an ele­ganz ver­mis­sen lässt, macht sei­ne diri­gier­kunst wett. so ele­gant und geschmei­dig wie er diri­giert kaum ein orches­ter­lei­ter.

da es bei die­sem kon­zert aber offen­bar um den gegen­satz zwi­schen indi­vi­du­um und gesell­schaft, zwi­schen auf­be­geh­ren und anpas­sung geht, braucht der maes­tro, der sich so unauf­dring­lich in sein orches­ter ein­füg­te, einen gewich­ti­gen wider­sa­cher. die­se rol­le füll­te der saxo­pho­nist arno born­kamp per­fekt aus. er geht ganz in sei­ner rol­le als kämp­fe­ri­scher indi­vi­dua­list, die der kom­po­nist chris­ti­an jost ihm in sei­nem saxo­phon­kon­zert „luxaeter­na“ ver­ord­net, auf: mit ums haupt geschlun­ge­nem stirn­band agiert er neben geor­ge peh­li­va­ni­an bei der deut­schen erst­auf­füh­rung fast wie ein stadt­gue­ril­la – da fehlt nur noch die tarn­fle­cken-hose. der diri­gent kämpft unter­des­sen um sei­ne läs­si­ge ele­ganz und muss doch akzep­tie­ren, dass hier born­kamp die marsch­rich­tung vor­gibt. mit allen mög­lich­kei­ten zwi­schen kla­ren sta­tet­ments, vibrie­ren­den gefühls­aus­brü­chen, schrei­en­der ver­zweif­lung und lamen­tie­ren­der trau­er hilft das saxo­phon, die in stän­di­ger unsi­cher­heit immer wie­der sto­cken­den orches­ter­klang­fel­der zusam­men­zu­schwei­ßen. unauf­hör­lich bringt das solo­in­stru­ment melo­di­sche frag­men­te ins spiel, wäh­rend das orches­ter stär­ker in farb­va­ria­tio­nen und raum­klän­gen orga­ni­siert ist. das ist zwar kei­ne linea­re erzäh­lung, aber doch eine form der musik, die ent­wick­lun­gen durch­macht, die plötz­li­che ent­schei­dun­gen und lan­ges nach­den­ken, kämp­fe­ri­sches agie­ren und gelas­se­nes abwar­ten des kamp­fes des ein­zel­nen mit und gegen die gemein­schaft in immer neu­en vari­an­ten ver­bin­det.

der diri­gent hat da ver­gleichs­wei­se wenig zu sagen. sein tak­stock, der sich bei beet­ho­vens drit­ter leo­no­ren-ouver­tü­re als gefähr­lich spit­zes flo­rett gebär­de­te, darf hier nur noch als uner­bitt­li­cher takt­ge­ber fun­gie­ren. dafür kann er bei niko­lai rim­s­ki-kor­sa­kows sche­he­zer­a­de zum tän­zeln­den, unbe­re­chen­ba­ren der­wisch wer­den. denn peh­li­va­ni­an spielt das orches­ter mit sei­nen hän­den wie ein gro­ßes instru­ment: er malt ihnen die musik förm­lich in die luft. und die lud­wigs­ha­fe­ner reagie­ren auf die­se füh­rung wun­der­bar geschmei­dig und ein­mü­tig. eine blen­den­de mischung aus war­men, gedeck­ten klang­far­ben und plas­tisch-kör­per­haft greif­ba­ren struk­tu­ren wird das – nicht nur eine augen­wei­de, son­dern auch ein ohren­schmaus.

mal wie­der ein beglü­cken­der abend: kar­di­nal leh­mann wird zum 70. von den dom­chö­ren mit einem mozart-kon­zert beschenkt – und die main­zer dür­fen zuhö­ren. die zeit ver­ging im flug, der dom­ka­pell­meis­ter war in hoch­form und zog alle regis­ter sei­ner kunst – bzw. eben gera­de nicht, weil er ein­fach musik mach­te und nicht kunst…

so ein geburts­tags­ge­schenk lie­ße sich wohl jeder gefal­len: ein gan­zes kon­zert, mozart pur – ein jubi­lar für den jubi­lar. aber das schö­ne am dom­kon­zert zu ehren von kar­di­nal leh­mann war ja gera­de, dass es sich jeder gefal­len las­sen konn­te. alles ande­re wäre auch bit­te­re ver­schwen­dung gewe­sen. denn mathi­as breit­schaft war ein­deu­tig in hoch­form – man könn­te fast mei­nen, er sei gedopt gewe­sen. aber er war wohl doch nur ein­fach berauscht von der musik, die da unter sei­nen hän­den ent­stand. dafür ist ja mozart immer wie­der gut – bei kaum einem kom­po­nis­ten kann man sich so leicht tra­gen las­sen von der voll­kom­men­heit der kom­po­si­ti­on, von der selbst­ver­ständ­lich­keit, mit der sich ein ton an den nächs­ten fügt und mit der sich dra­ma­ti­scher aus­druck und kla­re struk­tu­ren ver­bin­den. breit­schaft lässt sich nicht nur dar­auf ein, er lässt sich davon infi­zie­ren. denn was er mit den main­zer dom­chö­ren und dem main­zer kam­mer­or­ches­ter hier ver­an­stal­tet, ist ein­fach purer über­schwang. von beginn an legt er der­ma­ßen unge­bremst und ohne beden­ken los, dass man schon als zuhö­rer zu ban­gen beginnt. kann das gelin­gen? es kann. denn breit­schaft lässt sich durch nichts ablen­ken, er kommt an kei­ner noch so glit­schi­gen stel­le ins schleu­dern, son­dern fin­det schein­bar ganz intui­tiv immer die ide­al­li­nie, die ihm ein­fach alles erlaubt. und die­se begeis­te­rung ist anste­cken­der als jeder virus. zunächst sind es die ver­sper­ae de domi­ni­ca, kv 321, die er so erblü­hen lässt. und auch wenn der dom­chor schon mal kna­cki­ger und kla­rer sang – so viel spru­deln­de fri­sche war doch sel­ten. die­se jeden moment genie­ßen­de freu­de, getra­gen von gott­ver­trau­en und selbst­be­wusst­sein, ist eine unglaub­lich star­ke mischung.

ganz beson­ders gilt das für die mis­sa kv 257, die soge­nann­te gro­ßen­cre­do-mes­se. obwohl er nie­man­dem eine noch so klei­ne erho­lungs­pau­se gönnt, kein wenigs­tens momen­ta­nes zurück­neh­men der span­nung zulässt, gerät er nie in atem­no. gut, die eine oder ande­re stel­le hät­te viel­leicht genau­er aus­ge­ar­bei­tet wer­den könn­nen, das stimm­ge­we­be etwas trans­pa­ren­ter sein kön­nen – aber die sich immer wie­der selbst ent­zün­den­de begeis­te­rung greift nicht nur auf die musi­ker über, son­dern wird ganz schnell zum flä­chen­brand, der alle anwe­sen­den über­rollt. am wenigs­ten las­sen sich selt­sa­mer­wei­se die solis­ten davon berüh­ren – allein die sopra­nis­tin sabi­ne goetz kann wirk­lich mit­hal­ten. vor allem im exsul­ta­te, jubi­la­te. das näm­lich brei­tet sie in rei­ner inten­si­tät und inni­ger ent­fal­tung ganz ent­zü­ckend aus. ein wun­der­ba­res geschenk – nicht nur für den kar­di­nal, son­dern alle zuhö­rer.

mozart und die orgel

ein gesprächs­kon­zert mit ger­hard gnann in st. johan­nis, mainz.

Mozart war schon ein gemei­ner Kerl: Da lobt er die Orgel als Köni­gin der Instru­men­te immer wie­der – und kom­po­niert ein­fach nichts für sie. Aber die Orga­nis­ten haben sich davon noch nie stö­ren las­sen. Denn es gibt einen Aus­weg: Sie spie­len Wer­ke, die Mozart für eine Orgel­wal­ze geschrie­ben hat. Das ist, wie Ger­hard Gnann zu Beginn sei­nes Gesprächs­kon­zer­tes in St. Johan­nis erläu­ter­te, nichts ande­res als eine klei­ne Orgel, deren Pfei­fen von einer mecha­nisch beweg­ten Wal­ze gesteu­ert wer­den – ein Orga­nist ist also unnö­tig.

Aber das war ein­mal, die­se Wal­zen sind längst ver­lo­ren. Doch die Noten sind immer noch da – eine unwi­der­steh­li­che Chan­ce für die Orga­nis­ten. Gnann erzähl­te dan­kens­wer­ter­wei­se aber auch den Rest der Geschich­te: Dass die Phan­ta­sien Auf­trags­wer­ke für ein Wie­ner Kurio­si­tä­ten­ka­bi­nett waren. Und dass Mozart sie nur ungern und allein aus peku­nä­ren Inter­es­sen kom­po­nier­te. Ver­ständ­lich wäre die Musik aber auch ohne das gewe­sen. Denn Gnann beflei­ßigt sich bei sei­nem Vor­trag ange­neh­mer Tugen­den. Die Phan­ta­sie in f‑Moll KV 594 ist ihm nicht nur eine pracht­vol­le Schau­mu­sik, son­dern vor allem eine tönen­de Sze­ne­rie. Mit ehr­li­cher, ein­fühl­sa­mer Sach­lich­keit spielt er das und hält sich selbst vor­bild­lich zurück. Auch das in der Aus­stel­lung für das Schlaf­ge­mach der Gra­zi­en vor­ge­se­he­ne Andan­te wird auf die­se dezen­te Wei­se leben­dig: Anmu­tig schrei­ten die Gra­zi­en, fast schwe­ben sie wie zar­te Schlaf­wand­le­rin­nen im fah­len Mond­licht, ohne den Schlei­er je zu lüf­ten. Etwas kraft­vol­ler kommt dage­gen die zwei­te Phan­ta­sie KV608 daher: Auch wenn Gnann hier eini­ge Über­gän­ge etwas höl­zern gerie­ten, bleibt doch die ele­gan­te Mischung aus flie­ßen­der Anmut und zuge­spitz­ter, aber maß­vol­ler Dra­ma­tik ver­dienst­voll.

Aber das war noch nicht alles. Die Orga­nis­ten ken­nen näm­lich noch mehr Tricks. Mozart hat schieß­lich, in sei­ner Salz­bur­ger Zeit, auch eini­ge Sona­ten kom­po­niert, bei den die Orgel mal mit­spie­len durf­te – manch­mal sogar solis­tisch. Gnann spar­te sich die obli­ga­to­ri­schen Strei­cher und mach­te gleich alles selbst: Locker aus dem Hand­ge­lenk schüt­telt er die­se Musik, voll­kom­men unkirch­lich ver­kün­det er die sehr „fro­he“ Bot­schaft mit immer wie­der tän­ze­risch anmu­ten­den, ver­füh­ren­den Klän­gen. So etwas für den sonn­täg­li­che Got­tes­dienst zu kom­po­nie­ren, ist wirk­lich fast fri­vol – und ein klein wenig suber­siv.

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