und mit beet­ho­ven fällt er dabei ordent­lich auf die nase:

eigent­lich soll­te es ein rich­tig roman­ti­scher kla­vier­abend wer­den: aus­schließ­lich varia­tio­nen von brahms, tschai­kovs­ky und schu­mann woll­te niko­lai toka­rew beim main­zer musik­som­mer im schloss waldt­hau­sen spie­len. kurz vor beginn ent­schied er sich dann aber, statt tschai­kovs­ky „the­ma mit varia­tio­nen in f‑dur“ doch lie­ber beet­ho­vens appas­sio­na­ta-sona­te zu spie­len. und das war kein beson­ders klu­ger zug. denn jetzt war es zwar ein rein deut­scher kla­vier­abend, aber das half über die unzu­läng­lich­kei­ten toka­rews bei der beet­ho­ven-sona­te lei­der auch nicht hin­weg. sicher trägt die sona­te die lei­den­schaft schon im titel. aber der ist ers­tens gar nicht von beet­ho­ven und zwei­tens bie­tet sie auch noch viel mehr als nur das. doch das tan­gier­te toka­rew nur sehr wenig. er stürz­te sich mit tie­fer inbrunst hin­ein und pro­du­ziert dabei viel gefühl, aber auch viel undif­fe­ren­zier­ten klang­brei. struk­tu­ren, for­men, ver­läu­fe- für all das, was in beet­ho­vens sona­ten von so gro­ßer bedeu­tung ist, hat er hör­bar über­haupt kein gespür, all das ent­zieht sich sei­ner auf­merk­sam­keit ganz und gar.

auch die dra­ma­tur­gie grö­ße­rer zusam­men­hän­ge ist sein ding nicht unbe­dingt. genau des­halb gelingt ihm der rest des abends auch viel bes­ser, näm­lich rich­tig gut. denn schon in brahms’ „hän­del-varia­tio­nen“ zeigt sich, wie viel gewinn es brin­gen kann, so einem empha­ti­schen pia­nis­ten zu lau­schen. sicher freut er sich manch­mal zu offen­sicht­lich an vir­tuo­sen spie­le­rei­en, aber das fällt kaum ins gewicht. denn inti­mi­tä­ten, klei­ne details, feins­te stim­mungs­ver­schie­bun­gen – das spürt er ganz genau und das kann er auch ganz prä­zi­se und mit­füh­lend zum klin­gen brin­gen. das führt mit­un­ter zu recht exal­tier­ten ergeb­nis­sen, aber selbst die sind emo­tio­nal immer ver­blüf­fend genau. denn toka­rew fühlt sich nicht nur in jede nuan­ce der musik ein, er errich­tet regel­rech­te par­al­lel­wel­ten des klangs, die ganz und gar aus gefüh­len zu bestehen schei­nen. das wur­de vor allem bei den „sin­fo­ni­schen etü­den“ von robert schu­mann deut­lich. toka­rew gelin­gen hier noch ein­mal groß­ar­ti­ge momen­te – aber es blei­ben momen­te, die mehr oder weni­ger unver­mit­telt neben­ein­an­der ste­hen. und es wird bei ihm wie­der zu musik, die den ver­stand nicht braucht und will: wer sich ganz auf’s mit­füh­len und mit­emp­fin­den ein­lässt, dem beschert niko­lai toka­rew vie­le inten­si­ve erfah­run­gen.

soweit mein „offi­zi­el­ler“ text zum ers­ten von mir besuch­ten kon­zert des dies­jäh­ri­gen main­zer musik­som­mers. rich­tig echauf­fiert habe ich mich dabei aber weni­ger über die musik – das ist zwar über­haupt nicht mein fall, die­se art von inter­pre­ta­ti­on – son­dern über das vor­wort im pro­gramm­heft, gezeich­net von peter stie­ber, swr2 lan­des­mu­sik­di­rek­ti­on, und dem main­zer kul­tur­de­zer­nen­te peter kra­wi­etz. was die bei­den da für einen unsinn ver­zap­fen, ist reich­lich unge­heu­er­lich. das fängt schon mit dem ers­ten satz an: „einen platz auf dem ima­gi­nä­ren sie­ger­trepp­chen der kul­tur-welt­meis­ter­schaft hat deutsch­land seit jah­ren sicher“ – was soll das denn bit­te sein, eine kul­tur-welt­meis­ter­schaft? ist eine beet­ho­ven-sona­te bes­ser als eine chi­ne­si­sche oper? wie­der mal ein typi­sches bei­spiel (und ein ziem­lich kras­ses) für den typisch euro­päi­schen kul­tur-chau­vi­nis­mus. aber damit ja noch nicht genug, zu rich­ti­gen höhen­flü­gen schwin­gen die bei­den (natür­lich auch bei­des män­ner…) erst spä­ter auf: „in der kul­tur geht es um höchst­lei­tung, unter­hal­tung, ästhe­tik, auch um sig oder nie­der­la­ge.“ das ist ja mal wie­der ech­ter blöd­sinn: kul­tur ist doch kein wett­kampf! das ist doch etwas fun­da­men­tal ande­res, in kunst (oder auch all­ge­mei­ner kul­tur) geht es um gelin­gen und nicht­ge­lin­gen, um ver­ste­hen und nicht­ver­ste­hen, nicht um sieg – das ist wie­der so eine blöd­sin­ni­ge kampf­rhe­to­rik, aus­ge­löst von der bescheu­er­ten fuß­ball-wm.

und genau in dem ton­fall geht es dann mun­ter wei­ter: natür­lich wird auch die „kul­tur­na­ti­on“ deutsch­land wie­der ein­mal bemüht – auch so ein hane­büch­ner unsinn, der durch stän­di­ge wie­der­ho­lung auch nicht wah­rer wird: haben ande­re natio­nen kei­ne oder weni­ger kul­tur? was ist das eigent­lich für ein anti­quier­ter und unre­flek­tier­ter kul­tur­be­griff, der hier kur­siert? und das bei soge­nann­ten „ent­schei­dern“ der kul­tur­för­de­rung! das ein­zi­ge, was deutsch­land auf dem gebiet der kul­tur von ande­ren natio­nen unter­schei­det, ist doch höchs­tens sei­ne beson­ders aus­ge­präg­te und insti­tu­tio­na­li­sier­te musea­le pfle­ge der tra­di­tio­nen des 18. und vor allem 19. jahr­hun­derts in kon­zert, thea­ter, lite­ra­tur und kunst. das schlimms­te kommt aber erst noch: kul­tur, so wird zumin­dest unter­schwel­lig nahe­ge­legt, ist vor allem eine sache der eli­ten – auch wie­der so ein blöd­sinn, für den man stie­ber sofort frist­los ent­las­sen soll­te. schließ­lich ist er in der lei­tung einer öffent­lich-recht­li­chen anstalt beschäf­tigt, die von allen finan­ziert wird. was hin­ter sol­chen ideen für ein demo­kra­tie­ver­ständ­nis steht, will ich gar nicht so genau wis­sen…

doch selbst wenn man den bei­den chefs zugu­te hal­ten will, dass es ihnen ja um etwas posi­ti­ves, den erhalt der kul­tur, geht (was ich so nicht unbe­dingt tun wür­de), ihr argu­men­ta­ti­ons­an­satz und ihre begrün­dung ist ein­fach völ­lig dane­ben. „kul­tur ist eine wert­vol­le res­sour­ce für den gesell­schaft­li­chen fort­schritt, sie för­dert sozia­le kom­pe­tenz, intel­li­genz und erhöht die lebens­qua­li­tät.“ und das sehen die bei­den als kon­trär zu den die dis­kus­si­on bestim­men­den „öko­no­mi­schen kon­junk­tur­da­ten“? das ist das das­sel­be in grün… man kann sicher­lich die kul­tur im rah­men einer teleo­lo­gi­schen, mehr oder weni­ger uti­li­ta­ris­ti­schen ästhe­tik auf bestimm­te zie­le und idea­le ver­pflich­ten (jost her­mand tut das ja zum bei­spiel), aber eigent­lich soll­te, so mei­ne ich, kul­tur doch mehr sein. das gilt vor allem für ihren in die­sem zusam­men­hang eigent­lich gemein­ten teil, die kunst. die soll­te näm­lich außer­dem auch einen eigen­wert haben (von auto­no­mie muss man ja noch gar nicht unbe­dingt reden), sonst ist sie doch recht eigent­lich kei­ne kunst, son­dern „nur“ eine kul­tur­leis­tung unter vie­len ande­ren (und bräuch­te wohl auch nicht die finan­zi­el­le und struk­tu­rel­le för­de­rung, die sie bei uns – zu recht – erhält). aber die unter­schei­dung von kunst und kul­tur ist auch wie­der eine kul­tur­leis­tung, die stie­ber und kra­wi­etz offen­bar noch nicht so recht geglückt ist.