»Nächstens mehr.«

Lesen. Hören. Und ein bisschen schreiben.

kurz zusam­menge­fasst: gut erk­lärt (vielle­icht ein wenig anspruchsvoll und viel, aber immer­hin…), schlecht gespielt. das orch­ester ist offen­bar noch mit­ten im urlaub…

konzen­tra­tion auf das wesentliche ist ange­sagt: eine sin­fonie – son­st nichts stand auf dem pro­gram­mzettel für das erste konz­ert für junge leute dieser spielzeit im staat­sthe­ater. dafür war es aber auch nicht irgen­deine sin­fonie: beethovens fün­fte, eines der berühmtesten und bekan­ntesten exem­plare dieser gat­tung hat­te sich die diri­gentin cather­ine rück­wardt aus­ge­sucht, um der jugend mal zu zeigen, wie das funk­tion­iert. und wo die vier berühmtesten töne der musikgeschichte herkom­men, was sie für ein gewaltiges werk in gang set­zen.

denn die fün­fte ist und bleibt ein mords­brock­en, der nor­maler­weise recht schw­er ver­daulich ist. aber rück­wardt machte ihren fans im the­ater die sache ein gutes stück leichter: sie zer­gliederte die form, tröselte the­men und motive auf, zer­legte die sätze in kleine bruch­stücke und lauter schön­ste, beste, großar­tig­ste stellen. sie zeigte beethovens genial­ität bei der entwick­lung und ver­ar­beitung von min­i­mal­mo­tiv­en, erk­lärte den „läng­sten schlus­sakko­rd aller zeit­en“ und ließ das orch­ester zur demon­stra­tion der sin­gu­lar­ität der beethoven­schen sin­fonik auch mal schnell einen hal­ben satz mozart spie­len. denn zwei sachen nahm sie ganz beson­ders wichtig: den for­mauf­bau und die dra­maturgie dieser sin­fonie. nur auf das gebi­et der deu­tung wagte sie sich kaum vor. das ist ja auch das gute recht der prak­tik­er, die genau das in tönen­der weise, in der voll­ständi­gen auf­führung der sin­fonie, erledigt.

aber ganz ehrlich, die leis­tun­gen des orch­esters bei den klang­beispie­len ließen wenig gutes hof­fen. und so kam es dann auch tat­säch­lich: die som­mer­pause – die fün­fte war ihr erstes konz­ert in dieser sai­son – scheint den musik­ern noch sehr in den knochen zu steck­en. schon lange hat das phil­har­monis­che orch­ester nicht mehr so unko­r­diniert, so grob und unge­nau gespielt. vom mainz­er klang, der sich in den let­zten jahren ger­ade anf­ing zu ent­fal­ten, waren da nur noch ruinen übrig. hof­fentlich ändert sich das schnell wieder.

rück­wardt bemüht sich zwar sehr, aus dem klang­massen ein großes dra­ma zu for­men. und die musik­er lassen sich offen­bar so sehr mitreißen, dass sie sich schon das eine oder andere mal gehen lassen. die großen zusam­men­hänge, die dra­maturgie der kom­plet­ten sin­fonie wer­den so immer­hin recht deut­lich. aber dafür müssen eben alle klan­glichen finessen, alle dif­fizilen fein­heit­en und hin­ter­sin­ni­gen entwick­lun­gen geopfert wer­den. die paar weni­gen licht­en momente, vor allem in den eck­sätzen, reichen da ein­fach nicht aus: freude macht das so nicht.

benjamin lebert kann nicht

das war wohl nichts. dem kri­tik­er so eine steil­vor­lage zu liefern mit diesem titel, das ist wohl das mutig­ste an diesem büch­lein. natür­lich (alles andere hätte zumin­d­est mich sehr über­rascht) „kön­nen“ wed­er lebert noch sein held und alter ego tim gräbert. zumin­d­est nicht in dem sinn, in dem es hier ver­wen­det wird: näm­lich schreiben kön­nen. zumin­d­est die lit­er­arische fig­ur kann ander­er­seits doch – sex haben. son­st treibt sie allerd­ings auch nicht viel an. ein junger schrift­steller, der vor eini­gen jahren einen großen erfolg hat­te mit seinem ersten roman und nun nichts mehr zu papi­er bringt – wen das an ben­jamin lebert erin­nert, der ist nicht völ­lig schief gewick­elt. und entsprechend geht es weit­er: er vögelt lustig vor sich hin, ist aber – klis­chee, klis­chee – trotz­dem und immer noch nur ein armer ein­samer hund… der kerl trifft über eine bekan­nte (natür­lich aus dem ver­lag, wo anders als im medien­zirkus treibt er sich gar nicht herum) ein noch jün­geres mäd­chen, abi­turi­entin aus bre­men, die ger­ade in berlin prak­tikan­tin ist und die sich wohl ineinan­der ver­lieben sollen (was natür­lich nicht so ganz klar wer­den darf, wed­er den pro­tag­o­nis­ten noch den lesern). gemein­sam gehen sie auf eine reise durch skan­di­navien, etiket­tiert als ruck­sack­trip, fahren aber munter die ganze zeit taxi oder wenig­stens bus… das ganze endet in einem ziem­lichen fiasko: das mäd­chen dreht immer mehr durch, ist offen­bar schw­er geschädigt durch abwe­senden vater und überehrgeizige mut­ter, was schließlich in ein­er selb­stver­stüm­melung­sorgie endet, die wiederum über ein paar ver­wick­lun­gen dazu führt, das der „held“ gräbert sich mit einem anderen („großen“) schrift­steller anlegt und selb­st von einem schw­ert ver­let­zt wird. und danach endlich kein bock mehr hat, nach ams­ter­dam fährt und sich fröh­lich oder trau­rig bei den pros­ti­tu­ierten dort vergnüg um schließlich seine fre­undin bei deren eltern abzuliefern, damit er das prob­lem endlich los ist.

das lek­torat hat sich dann tat­säch­lich erblödet, das ganze „ein roman über ein­samkeit und helden­hafte ver­suche, diese zu über­winden“ zu tit­ulieren – auf so einen schmar­rn muss man erst­mal kom­men. was mich aber viel mehr geärg­ert hat (und schließlich las ich das auf­grund ein­er pos­i­tiv­en rezen­sion, deren tenor unge­fähr war: jet­zt ist lebert endlich zu einem ernst zu nehmenden schrift­steller gereift), das der ganze ser­mon ein­fach unglaublich schlecht geschrieben ist. lebert kann wed­er vernün­ftig beobacht­en noch ordentlich beschreiben – ver­ste­ht also noch nicht ein­mal sein handw­erk. das ist alles schreck­lich blass und unspez­i­fisch, die fig­uren reden furcht­bar gestelztes zeug daher etc. etc. for­mal ist das sowieso der­maßen prim­i­tiv – schön hüb­sch der rei­he nach erzählt, ein paar völ­lig durch­schaubare andeu­tun­gen sollen wohl so etwas wie span­nung auf­bauen (etwa der strang mit dem brud­er des helden, der behin­dert ist – rein zufäl­lig natür­lich genau­so wie der held von „crazy„…. – und sich kür­zlich umge­bracht hat), in 47 kapiteln, die aber auch nur eine struk­tur sug­gerieren, die gar nicht vorhan­den ist, weil sie vol­lkom­men willkür­lich geset­zt sind.

ach ja, das „kannst du“ ist übri­gens ein zitat aus „mis­ery“ von stephen king (wom­it der ref­eren­zrah­men ja auch gek­lärt wäre…) und bezieht sich hier ganz konkret auf die fähigkeit­en der haupt­fig­ur, für seine fre­undin eine liebesgeschichte zu schreiben. das misslingt – wen über­rascht es – natür­lich auch wieder äußerst wortre­ich. genau­so wie leberts text ein schreck­lich­er fehlgriff ist – das war wohl nichts.

ben­jamin lebert: kanst du. köln: kiepen­heuer & witsch 2006.

nett: das quator ardeo aus paris gastiert im maison de france

eigentlich soll­ten sie ja im wei­her­garten spie­len, aber glück­licher­weise war der him­mel ziem­lich grau, so dass sie in den saal des mai­son de france umziehen durften. denn im freien wäre das vergnü­gen sich­er nur halb so schön gewe­sen, auch wenn es so ein wenig hitzig und stick­ig wurde… aber was nimmt man nicht alles für das erleb­nis guter kun­st in kauf.

zarte arbesken schweben durch das mai­son de france, fein wie spin­nweben – nur ungle­ich angenehmer – ver­bre­it­en sich die klänge von charles koech­lins erstem stre­ichquar­tett. das ardeo-quar­tett ist es, das diese traumwel­ten aus klang in mainz entste­hen lässt, ein junges stre­ichquar­tett aus paris. bei koech­lins erstem quar­tett wech­seln die erup­tiv­en klang­bal­lun­gen wüster drama­tis­ch­er aus­brüche immer wieder mit weit aus­ge­sponnenen, zer­brech­lich dün­nen melo­di­en. stets find­et sich noch eine unbekan­nte rich­tung, noch ein uner­forscht­es klangfeld für den kom­pon­is­ten an der schwelle vom 19. zum 20. jahrhun­dert. und die vier musik­erin­nen des ardeo-quar­tett sprin­gen mit sou­verän­er anmut und beweglichkeit von ein­er klang­welt in die näch­ste, ohne jedes zögern und ohne jeden bruch.

das ein stre­ichquar­tett über­haupt so vielfältig klingt wie das dritte aus koech­lins fed­er, ist ganz und gar nicht selb­stver­ständlich. aber wenn es einen kom­pon­is­ten gibt, bei dem das nicht so sehr über­raschend ist, dann ist es eben dieser charles koech­lin. denn er, dessen viele viele werke aus seinen lan­gen jahren des schaf­fens heute kaum noch zu hören sind, set­zt nicht nur in den quar­tet­ten genau diesen effekt, die beto­nung der klang­far­ben und klin­gen­den gestal­ten, ständig als eigen­wer­tiges kom­pos­i­torisches mit­tel ein. und die vier französin­nen haben das nicht nur begrif­f­en, son­dern kön­nen es auch in schall­wellen, in ein echt­es erleb­nis ver­wan­deln.

sog­ar beim quar­tett op. 13 von felix mendelssohn bartholdy blieben sie in ähn­lich­er weise klang­forscherisch tätig. schon die tat­sache, dass sie das tat­en, ist ein wenig ungewöhn­lich. wirk­lich über­raschen ist aber, dass sie mit diesem mate­r­i­al zu noch stärk­eren und ein­drucksvolleren ergeb­nis­sen kom­men. so ver­rückt es schein mag: die deutsche musik scheint ihnen mehr als nur ein quäntchen mehr zu liegen als die des fran­zosen koech­lin. mendelssohns quar­tett haben sie so verin­ner­licht, dass es schon fast impro­visiert anmutet: so ungezwun­gen ergibt sich eines aus dem anderen, so viel natür­liche kraft und begeis­terung tut eben jed­er musik gut. ein kleines biss­chen unfair ist das allerd­ings schon, denn koech­lin hat dieses pow­er­paket nur in abge­speck­ter form genießen dür­fen.

und ich muss mir den schmar­rn auch noch anhören — und mit meinem sturen pflicht­be­wusst­sein bleibe ich auch noch bis zum ende — man hofft ja doch, dass es nohc bess­er wer­den kön­nte. wurde es aber über­haupt nicht: der charme der sin­gen­den kreis­säge war eh’ schon nach weni­gen sekun­den ver­braucht… und das pro­gramm war so ama­teurhaft zusam­mengestüm­pert, das kön­nte wahrschein­lich sog­ar ich bess­er hin­bekom­men — obwohl ich ja kein großer show-pro­gramm-entwick­ler bin… naja, die meis­ten mainz­er waren vernün­ftig genug, sich das nicht anzu­tun (wahrschein­lich aber vor allem, weil sie’s gar nicht mit­bekom­men haben…). ok, soweit das inof­fizielle gejam­mere, jet­zt der offizielle teil (in dem ich allerd­ings auch noch ordentlich zur sache kom­men musste)

passt das über­haupt zusam­men – der unbarmherzig­ste gesellschaft­skri­tik­er unter den dichtern des zwanzig­sten jahrhud­nerts und eine musikalis­che revue? amy lev­erenz und markus fleis­ch­er meinen schon, die mainz­er sind da offen­bar eher gegen­teiliger auf­fas­sung. und sie haben in gewiss­er weise recht.

„die kun­stken­ner blieben weg“ heißt es in einem der gedichte brechts, die lev­erenz sich aufs noten­pult gelegt hat. und trifft damit auf die mainz­er sit­u­a­tion zu. als hät­ten sie es vorher gewusst, waren zu dieser revue im frank­furter hof, ver­anstal­tet vom mainz­er lit­er­atur­büro und dem kul­tur­som­mer rhein­land-pfalz, ziem­lich wenig leute gekom­men und noch weniger bis zum ende geblieben. ein „hap­py end“ sollte das sein, so behauptete der titel. und die hoff­nung darauf war wohl so das einzige, was die ver­streuten zuhör­er aufrecht hielt.

denn dieser revue fehlt so ziem­lich alles, was sie zu einem span­nen­den, unter­halt­samen oder wenig­stens inter­es­san­ten abend gemacht hätte. zum beispiel eine dram­turgie – fehlanzeige: lev­erenz stolpert sich durch brechts leben, ver­fehlt dabei auch noch wichtige sta­tio­nen und vertrödelt sich dann im ameri­ka-teil mit neben­säch­lichen schlagern. die musik – vor­wiegend belan­glose arrange­ments. markus fleis­ch­er bemüht sich, möglichst wenig zu stören und sorgt mit sein­er anachro­nis­tis­chen stromgi­tarre für weichen klangtep­pich ohne höhen oder tiefen. die sän­gerin und ihre stimme – ein ganz großes prob­lem. denn die passt viel bess­er in ver­raucht­en club als in die nüchtern-konzen­tri­erte atmo­sphäre des frank­furter hofs. hier offen­baren sich alle unzulänglichkeit­en, alle brüchigkeit­en und quälereien viel zu erbar­mun­g­los. und auch die büh­nen­präsenz – nur noch eine weit­ere leer­stelle.

und wenn man das nun addiert, bleibt lediglich die frage: wieso hat nie­mand der sän­gerin diese pein­lichkeit erspart? oder um es mit brecht zu sagen: „ich rate lieber mehr zu kön­nen als man macht, als mehr zu machen als man kann“ – hätte amy lev­ernez des meis­ters rat doch nur befol­gt.

die mutter aller wanderflüsse: zwei tage an & auf der lahn

so, immer­hin zwei tage wan­der­pad­deln habe ich dieses jahr noch geschafft. gestern und vorgestern mal wieder, nach län­ger­er pad­del­tech­nis­ch­er absti­nenz, auf der lahn gewe­sen. um diese jahreszeit ist es da her­rlich ruhig — und wir hat­ten traumhaftes wet­ter, her­rlich­sten son­nen­schein, fast noch zu warm. denn wir sind ja auch recht zügig gepad­delt. die 31,5 km von wet­zlar bis kurz hin­ter weil­burg am ersten tag haben wir mit schleusen/wehren und mit­tagspause in 6 stun­den hin­ter uns gebracht. und auch am zweit­en tag waren wir noch ganz gut dabei, schließlich fließt die lahn dann inzwis­chen wesentlich langsamer. mehr zum fluss im meinem touren­buch.

auch das rheingau musik festival hat mal wieder ein ende gefunden

und zwar mit mozarts großer c‑moll-messe. dum­mer­weise (muss man echt fast sagen) habe ich die let­zte woche aber ger­ade ganz fan­tastisch in mainz gehört. da kon­nte die allzweck­waffe hel­muth rilling im kloster eber­bach lei­der nicht ganz mithal­ten — vor allem, weil seine musik­er, ins­beson­der der chor, nicht auf dem sel­ben niveau ange­siedelt waren. dafür war der bun­desvertei­di­gungsmin­is­ter da…

hoch hin­aus woll­ten sie: zum abschlusskonz­ert hat das rhein­gau musik fes­ti­val im kloster eber­bach noch ein­mal eine enorme tribüne für den chor aufge­baut. geholfen hat es aber nicht viel. um es gle­ich zu sagen, mozarts c‑moll-messe war an diesem abend kaum mehr als solides kun­sthandw­erk. das ist nichts schlecht­es, aber auch nicht beson­ders aufre­gend.

dabei war es eigentlich eine vielver­sprechende kon­stel­la­tion. schließlich war hel­muth rilling der auf­tragge­ber dieser messe. denn mozart selb­st, der sie übri­gens ganz aus­nahm­sweise ohne expliziten auf­trag plante und begann, hat sie wohl nie fer­tig kom­poniert. aber es gibt ja robert d. levin, pianist und mozart-spezial­ist, der schon des meis­ters requiem mit ein­er vortr­e­f­flichen ergänzung ver­arztet hat. und der eben let­ztes jahr für hel­muth rilling die c‑moll-messe kv 427 zu ende geschrieben hat. bemerkenswert daran ist, wie gut sich seine arbeit – die sich nur zum kleinen teil auf skizzen stützen kann – in den rest inte­gri­ert. aber aus­gerech­net rilling lässt an diesem abend viel von dem poten­zial, dass die mis­chung aus mozart und levin bietet, ungenutzt. vielle­icht liegt’s ja daran, dass er auswendig dirigiert – aber eine ganze menge bleibt unge­mein pauschal und ober­fläch­lich. das kyrie etwa ist vor allem steife rou­tine bar jed­er span­nung, ohne die andeu­tung eines geheimniss­es. und ger­ade davon bietet dieses messe unge­heuer viel – man muss es nur ent­deck­en und zum leben erweck­en. aber dafür scheinen sich wed­er das durchge­hend wuchtige orch­ester und der oft genug unflex­i­bel harte, nicht beson­ders durch­set­zungs­fähige chor (bei­de vom fes­ti­val des europäis­chen musik­fests stuttgart in den rhein­gau gekom­men) begeis­tern zu kön­nen.

erst ab dem glo­ria taucht dann, vor allem in den let­zten chören und dem quo­ni­am-terzett, echter und inniger aus­druck immer häu­figer auf. und wenn man mal vom etwas lust­losen, trä­gen cre­do absieht, wird es mit fortschre­i­t­en­der dauer immer bess­er. das sanc­tus ist ein richtig kräftiges, tat­säch­lich erfülltes stück musik. und im bene­dic­tus dür­fen die solis­ten noch ein­mal um die wette sin­gen. die sopranistin ruth ziesak, stel­len­weise beängsti­gend unsich­er, machte aus­gerech­net hier allerdins keine beson­ders gute fig­ur. simona hou­da-sat­ur­ová blieb zwar etwas unschein­bar, aber solide. ganz ähn­lich ließen sich die män­ner hören: sowohl tenor cor­by welch als auch bass markus mar­quardt bemüht­en sich, möglichst wenig aufz­u­fall­en. doch in den let­zten momenten, im agnus dei, kam dann tat­säch­lich bei allen doch noch das feuer zum vorschein, das den ersten teilen so sehr gefehlt hat: der volle ein­satz aller kehlen und see­len, der diese messe erst zu einem ereig­nis wer­den lässt.

piazzolla tanzt, mozart schaut zu

so, noch ein­mal nachricht­en vom mainz­er musik­som­mer. dies­mal habe ich das ma’alot-quin­tett erwis­cht, im wei­her­garten, gespielt wurde die selt­same kom­bi­na­tion von piaz­zol­la und mozart, die total blödsin­nig nebeneinan­der standen und sich bloß anschwiegen… viel mehr gibt’s eigentlich nicht sagen — außer das die bestuh­lung im wei­her­garten nicht ger­ade sehr bequem ist.. und das pub­likum dies­mal ziem­lich träge war…

also, so hat’s die rhein-zeitung bekom­men:

die fräcke waren eigentlich über­flüs­sig: die wahre kul­tur zeigt sich schließlich im klang und nicht in der klei­dung. und sie passten auch nicht so recht ins gemütliche ambi­ente des wei­her­garten. vor allem aber ging die dien­stk­lei­dung des ma’alot-quintetts (zumin­d­est ihrer vier män­ner) nicht so recht mit der musik zusam­men, die sie am meis­ten spiel­ten. denn astor piaz­zol­las werke sind nie nur reine konz­ert­saal­musiken, son­dern immer auch noch unter­hal­tung.

das liegt natür­lich am tan­go, von dem (fast) jed­er note aus sein­er hand beseelt ist. zwar würde es wohl schw­er­fall­en, zu seinem tan­go nue­vo einen klas­sis­chen paar­tanz aufs par­kett zu leg­en, aber ganz lässt piaz­zol­la seine herkun­ft nie los. bestes beispiel dafür ist wohl die „his­toire du tan­go“, eine vier­sätzige suite, die genau das tut, was ihr titel ver­spricht: eine geschichte der tan­go­musik in klin­gen­den beispie­len zu schreiben. der klar­inet­tist des ma’alot-quintetts, ulf-gui­do schäfer, hat das für sein ensem­ble zurecht­gerückt. und die fünfe brin­gen mit dieser musik sog­ar die stuhlbeine zum tanzen. das ist näm­lich genau das, was der gemeine mit­teleu­ropäis­che konz­ertbe­such­er mit dem tan­go verknüpft: lei­den­schaft pur. und das ma’alot-quintett zeigt wun­der­bar die entwick­lung von der nacht­musik in den konz­ert­saal, vom anrüchi­gen tanz zur hochkul­tur.

fast eben­so erfol­gre­ich nahm sich das bläserquin­tett des „tan­go bal­lets“ von piaz­zol­la an. immer wieder wech­sel­ten sie ganz non­cha­lant und beiläu­fig vom flö­ten­den frohsinn zur besinnlichen nach­den­klichkeit und der gedanken­ver­loren melan­cholie. so kam nie lang­weile auf. geschlossen­er blieb das ensem­ble bei den „esta­ciones porte­nas“, der argen­tinis­chen ver­sion von vivald­is „vier jahreszeit­en“. hier­bei fiel die para­doxe mis­chung des ma’alot-quintetts vielle­icht am deut­lich­sten auf: da ver­suchen sich fünf musik­er in ein­er klas­sis­chen beset­zung der europäis­chen kun­st­musik an mehr oder min­der echter südamerikanis­chen folk­lore. und es funk­tion­iert erstaunlich gut. vielle­icht ist es ein wenig zu gut, zu schön – aber das stört ja kaum.

ganz umson­st hat sich das ma’alot-quintett übrin­gens doch nicht in die fräcke gewor­fen: für mozart gehört sich das immer noch. und weil eben mozart­jahr ist, darf auch möglichst kein konz­ert ohne den jubi­lar vorüberge­hen. auch wenn es über­haupt nicht ins pro­gramm passt. die har­moniemusik zu „così fan tutte“ und das andante für eine orgel­walze, die ulf-gui­do schäfer für sein ensem­ble bear­beit­et hat, sind zwar auch schöne musik und die fünf bläs­er spie­len auch frisch und fröh­lich drauf los – aber das ist im wei­her­garten, umgeben von piaz­zol­las musik, wed­er beson­ders passend noch beson­ders span­nend.

der trompeter axel dörn­er hat gestern den swr-jaz­zpreis bekom­men. und er hat dafür einen abend lang gezeigt, warum das unbe­d­ingt richtig war: weil er nicht nur ein guter trompeter ist, son­dern — was für mich viel entschei­den­der scheint — weil er es ver­mag, grup­pen zu for­men. zwei davon hat er nach mainz mit­ge­bracht: “die ent­täuschung” — alles andere als der name…, und sein exper­i­mentelles trio “TOOT”. und dörn­er zeigte sich eigentlich den ganzen abend nicht nur kaum, son­dern nie im mit­telpunkt. bei der ent­täuschung war es vor allem der unge­heuer­liche rudi mahall, der das zen­trum des geschehens gerne an sich zog (ohne das das schlecht wäre, wer so inten­siv und inno­va­tions­freudig mit der bassklar­inette arbeit­en und spie­len kann, darf so etwas), bei toot vor allem thomas lehn und sein syn­the­siz­er, die das klan­gliche geschehen doch sehr stark prägten. aber ich hat­te dann doch den ein­druck, dass es sehr stark von dörn­er abhing, dass diese kon­stel­la­tio­nen entste­hen kon­nten — kon­stel­la­tio­nen, in denen neues, faszinieren­des, exper­i­mentelles entste­hen und aus­pro­biert wer­den kann — fer­tige lösun­gen hat er nicht, will er wohl auch nicht (das wäre ja still­stand). für den zuhör­er ist das natür­lich mehr “arbeit”, er muss sich das selb­st noch for­men, nach anknüp­fungspunk­ten, nach (be-)deutungen suchen — eine musik, die kein (oder nur ein sehr min­i­males, extrem reduziertes) bedeu­tungs- und formin­ven­tar hat bzw. ger­ade darauf aus ist, diese vor­gaben mit allen mit­teln zu unter­laufen und zu ver­hin­dern, ist wesentlich anstren­gen­der und unbe­que­mer zu hören. und dazu kommt natür­lich noch, dass die klang­land­schaft von toot ziem­lich karg ist, oft eher wie verblasste schwarz-weiß-bilder, schnapp­schüsse, als wie ein cin­e­mas­cope-farb­film. ger­ade dörne arbeit­et mit sein­er verk­a­bel­ten trompete schließlich vor allem an for­men des klanges kurz vor dem ver­s­tum­men, for­men des mehr oder min­der ton­halti­gen rausches etc.

ok, soweit die kon­fusen über­legun­gen. so habe ich das dann für die rhein-zeitung beschrieben:

wer seine band „die ent­täuschung“ nen­nt, muss sich schon ziem­lich sich­er sein, das sie genau das nicht her­vor­ruft. axel dörn­er ist in dieser hin­sicht völ­lig unge­fährdet. immer­hin war seine arbeit mit der „ent­täuschung“ ein­er der gründe, warum der trompeter dieses jahr die vom land rhein­land-pfalz und dem swr ges­tifteten 10.000 euro des swr-jaz­zpreis­es über­re­icht bekam. und nach alter musik­er sitte bedank­te er sich dafür mit einem konz­ert. „die ent­täuschung“ war dabei als der tra­di­tionelle teil angekündigt wor­den – aber zum glück pflegt das quar­tett eine sehr zeit­genös­sis­che art, mit der tradti­tion des jazz umzuge­hen. sich­er basiert das hör­bar auf dem bebop, aber ist auch unverkennbar aus dem jahr 2006. vor allem der witz und humor aller vier musik­er sorgt dafür. das schaut recht harm­los aus, ein ganz nor­males quar­tett mit schlagzeug, bass, bassklar­inette (der fan­tastis­che rudi mahall) und trompete. und es fängt auch unauf­fäl­lig an. doch dann brechen die musik­er immer wieder aus: da gibt es die selt­sam­sten sprünge, die ver­rück­testen tem­pi­wech­sel an den absur­desten stellen, da gehen die bei­den bläs­er mit­ten in ein­er num­mer ins trep­pen­haus und spie­len dort weit­er. das ist reine cam­ou­flage, der suber­sive bebop ein­er post­mod­er­nen zap­per-gen­er­a­tion – unge­heuer frisch und unter­halt­sam. und auch wenn es schein­bar total unkon­trol­liert daher kommt, die musik­er um den coolen, vol­lkom­men gelasse­nen axel dörn­er haben das in jedem moment fest im griff.

doch das änderte sich bald: mit dem trio toot ver­ließ der preisträger dann die let­zten reste des fes­ten bodens. jet­zt gaben auch keine kom­ponierten the­men mehr halt, nicht ein­mal die herkömm­lichen töne spiel­ten eine rolle, von tra­di­tionellen song-struk­turen ganz zu schweigen. was der vokalartist phil minton und thomas lehn am syn­the­siz­er da mit dörn­er pro­duzierten, ist nur noch eine einzige suche, eine jagd nach neuen, angemesse­nen aus­drucksmöglichkeit­en. und das recht min­i­mal­is­tis­che gefrick­el, knarzen, rauschen und wis­pern, das nun aus den laut­sprech­ern dringt, ver­langt scharf gespitzte ohren und geschärfte aufmerk­samkeit. das tran­sis­torische ist dieser exper­i­mentellen impro­vi­sa­tion fest eingeschrieben, nie sind die drei mit einem klang zufrieden, nie pro­duzieren sie behagliche wohlfühl-musik. ihr meti­er ist, ganz ähn­lich wie bei der „ent­täuschung“, die suche nach alter­na­tiv­en, der impuls zum nach­denken, auch zum nicht-ein­ver­standen-sein. damit hat dörn­er die gren­zen des jazz freilich längst hin­ter sich gelassen – und das pub­likum im mainz­er funkhaus auch sehr stra­paziert: die rei­hen lichteten sich unter­dessen spür­bar.

natur und kunst

die bei­den kom­men ja ab und an miteinan­der in berührung, meist allerd­ings nur in ein­er rich­tung, um die es hier jet­zt auch geht: ein nettes kleines konz­ert lokaler kräfte im gon­sen­heimer rathaus, das um das the­ma “naturver­to­nun­gen” kreist — mit heftigem hin- und her-sprin­gen zwis­chen den stilen und jahrhun­derten (ein beitrag zur tat­säch­lich stat­tfind­en­den berührung in umgekehrter rich­tung, also kul­tur in der natur, find­et sich etwa hier.) so, genug der vorrede, jet­zt der eigentlich text:

rauschende flüsse, sprudel­nde quellen, wogende wälder – fer­tig ist die natur. viel mehr bekommt die musik näm­lich nicht von ihr mit, wären da nicht nur die vogel­stim­men. aber die sind ja immer schon mehr oder weniger musik gewe­sen. und obwohl sich die natur in der real­ität noch ein wenig vielfältig präsen­tiert, die möglichkeit­en sind auch so für die musik schon uner­gründlich. ein paar, ganz wenige eigentlich, dieses ein­drin­gens der natur in die akustis­che kun­st waren jet­zt im gon­sen­heimer rathaus zu hören. die drei musik­erin­nen des duo flau­tiano machen das mit einem run­dum­schlag: aus barock, roman­tik und gegen­wart haben sie der kam­mer­musik ein paar stich­proben zum the­ma „wind, wald und wass­er“ ent­nom­men.

nicht fehlen darf bei einem solchen the­ma natür­lich olivi­er mes­si­aen, der meis­ter der inte­gra­tion von vogel­stim­men in die kom­ponierte musik. von ihm haben sich die pianistin ange­li­ka raff und ihre part­ner­in, die flötistin susanne gimm, sein erstes werk, in dem er sich ganz dem klang eines vogels ver­schreibt, aus­ge­sucht: „le mer­le noir“, die schware amsel. damit kön­nen die bei­den zugelich zeigen, wie gut sie aufeinan­der abges­timmt sind: im ständi­gen auf und ab, in den vielfälti­gen stim­mungen des kurzen stücks bildet das duo eine geschlossene ein­heit, das den unzäh­li­gen details, den natur­nachah­mungen und atmo­sphärischen ein­drück­en ihren raum lässt.

vor der roman­tik rauschte und plätscherte es in der musik eher sel­ten. hän­dels „neun deutsche arien“ bieten immer­hin zwei beispiele: regi­na dahlen singt mit wohldosiert­er kraft und klar­er artiku­la­tion vom zit­tern­den glänzen der spie­len­den wellen, von der her­rlichkeit der natur. aber erst die roman­tik ist die hochzeit der ver­mäh­lung von natur und kun­st: ob in liedern oder sonat­en – ganz ohne geht es nur noch sel­ten ab. carl rei­neck­es „undine“, eine pro­gram­ma­tis­che sonate für flöte und klavier, erfordert zwar eher großzügiges assozi­ieren, um die natur in der musik zu erken­nen. aber sie bre­it­et ein wun­der­bares panoram aus – mit kleinigkeit­en geben die musik­erin­nen sich hier nicht ab. immer haben sie große zusam­men­hänge im blick, stets bleibt alles im fluss, behar­rlich fol­gen sie den wellen­be­we­gun­gen des emo­tionalen erlebens, das erst in der besinnlichen ver­söh­nung des schlusses seine erfül­lung find­et.

gut, das war der also offizielle text­teil. nicht mehr hineingepasst hat v.a. sofia gubaiduli­nas “klänge des waldes”. obwohl das auch mal wieder ganz schön zu hören war. natür­lich auch hier wieder die oblig­at­en vogel­stim­men (was wäre ein wald ohne die gefiederten viech­er), aber vor allem ein sehr atmo­sphärisches stim­mungs­bild, noch beina­he (naja, vielle­icht doch nicht so beina­he) roman­tis­ches stück musik. wobei die grund­hal­tung, das emo­tionale emp­fan­gen und (hör-)bildliche wiedergeben dieser stim­mung in der musik eben doch ziem­lich von der roman­tis­chen ästhetik bes­timmt ist. jeden­falls sehr schöne, plas­tis­che momente — vor dem inneren auge tauchen ein­same, unberührte, leicht ver­wilderte märchen­wälder auf, san­fte nebelschwaden, hier und da blitzt immer wieder ein ein­samer son­nen­strahl durch das dach der grü­nen wüste, anson­sten eher gedämpftes licht etc. usw. — also irgend­wie eben die typ­is­chen empfind­un­gen der roman­tik­er — oder die entsprechen­den klis­chees.

mozart, nichts als mozart

nun gut, es gibt schlim­meres ;-) aber beson­ders begeis­tert bin ich von solchen pro­gram­men nun mal nicht… aber nett war’s trotz­dem, nur nicht beson­ders aufre­gend oder gar inno­v­a­tiv bzw. indi­vidu­ell, d.h. ein­ma­lig — das pro­gramm hät­ten die beteiligten wahrschein­lich an jedem abend an jedem ort genau so auch gespielt (und haben es wahrschein­lich auch schon…)

ok, jet­zt der offizielle text:

zu mozarts zeit­en hätte es das nicht gegeben: ein konz­ert nur mit jahrhun­derteal­ter musik. heute dage­gen wird ger­ade so mozart gefeiert. aber meist sind es immer­hin spezial­is­ten, die so etwas tun. etwa die eng­lish baroque soloists beim rhein­gau musik fes­ti­val. zusam­men mit dem pianis­ten robert levin und der mez­zoso­pranistin bernar­da fink hat john eliot gar­diner im wies­baden­er kurhaus einen ganzen abend nur mozart gespielt. aber immer­hin ein buntes pro­gramm: ein klavierkonz­ert, eine sin­fonie, zwei arien (mit der grund­soli­den bernar­da fink) und noch ein konz­ert­satz für vio­line und klavier.

gar­diner ist dafür zwar in mön­chis­ches schwarz gehüllt. aber er dirigiert eher wie ein gueril­lakämpfer. mit einem fast unheim­lichen biss packt er jede note fest am kra­gen und braust fast aggre­siv durch sein pro­gramm: langeweile und mit­tel­maß sind die feinde, die es auszu­til­gen gilt. und er muss dabei auf nie­man­den rück­sicht nehmen, er kann den klang reduzieren, bis fast nur noch struk­turen zu hören sind sind und auch ganz schön grob drein­fahren – die baroque soloists fol­gen ihm ohne zögern: das ist schon eine beein­druck­ende spielkul­tur. seine inter­pre­ta­tive leis­tung scheint sich allerd­ings im inten­siv­en aus­bre­it­en der extreme in jed­er musikalis­chen dimen­sion zu erschöpfen: hohe tem­pi, große dynamikun­ter­schiede, heftig­ste beto­nung sor­gen in einem kos­mis­chen aufeinan­der­prallen der kraft­felder für heftige span­nung. so gibt gar­diner der musik ihre eck­en und kan­ten zurück – das ist, auch wenn es nicht mehr ganz taufrisch ist, immer noch erfrischend.

im pianis­ten robert levin hat er dafür einen passenden part­ner gefun­den. der geht zwar nicht ganz so rauh und kämpferisch er an die solopar­tie des c‑dur-konz­ertes, doch mit eben­bür­tiger ern­sthaftigkeit. so bleibt das alles nicht nur aus­geglichen, son­dern auch zivil­isiert. wie flink seine fin­ger wirk­lich sind, bewies er nicht nur in der impro­visierten kadenz, son­dern vor allem im konz­ert­satz für klavier, vio­line und orch­ester. von mozart gibt es dazu zwar ger­ade mal ein frag­ment des anfangs, aber levin hat daraus einiges gemacht. auf­fäl­lig ist vor allem die große rolle des orch­esters: den solis­ten wird zwar einiges abge­fordert – levin und kati debret­zeni beweisen mit blitzend-per­len­den tonkaskaden auch ihre behände leichtigkeit – aber das ist mehr als eine reine bravourleis­tung, das ist erfül­lende musik.

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