Lesen. Hören. Und ein bisschen schreiben.

Kategorie: pop Seite 2 von 3

fun­ny van dan­nen ist ein net­ter musik­er mit lusti­gen cds. har­ald sack ziegler ist so etwas wie ein fun­ny van dan­nen für fort­geschrit­tene: die musik ist noch trashiger, noch impro­visiert­er und konzen­tri­ert­er. und die texte sind noch absur­der, noch stärk­er reduziert und kon­den­siert. da heißt es dann z.b. in der bar­bie hymne  (auf der cd live 28.04.2006 — köln bürg­er­haus kalk, pri­on­musik 110): „ich liebe meine bar­bie sehr, weil ich nie von ihr ver­lassen werde”. oder es gibt einen taschen­tuch­walz­er, der

wun­der­bar auf­bauende, geschickt einge­set­zte, gestapelte, getürmte loops — bis der turm kurz vorm ein­stürzen ist, dann schnei­det er ein­fach ab … da er sowohl seinen gesang als auch seine — rudi­men­tären — instru­mente so in den elek­tro­n­is­chen kreis­lauf schickt, bauen sich ziem­lich dichte, kraftvolle klan­garrange­ments auf.

ein­fach skur­ril ist das. und her­rlich unter­halt­sam. und alles live von einem one-man-orch­ester auf der bühne — mit hil­fe des loop­ings alles kein prob­lem.

har­ald sack ziegler: live 28.04.2006. pri­on­musik 2007.

schubert is not dead

na, wer hätte das gedacht ;-). aber in der tat, wenn ich mir diese bei­den cds anhöre (schu­bert is not dead, pump­kin records 2007) wird wieder ein­mal klar, wie belast­bar schu­berts lieder (denn nur darum geht es hier) auch im 21. jahrhun­dert sind. die erste scheibe ist ganz der (lei­der nicht kom­plet­ten) win­ter­reise gewid­met, die zweite springt dann kreuz und quer durch das restliche vokale schaf­fen schu­berts. gut, alles ist nicht ger­ade große kun­st, manch­es ist auch für mich zu trashig und lo-fi. aber so alles in allem ist das doch eine nette idee — und weil die meis­ten der (mir sowieso unbekan­nten, vor­wiegend offen­bar öster­re­ichis­chen) musik­er sich nicht ger­ade sklavisch an schu­berts noten­text hal­ten, den kern aber doch in der regel recht gut tre­f­fen, ist das eine der besseren „aktu­al­isierun­gen” eines klas­sis­chen kom­pon­is­ten der let­zen jahr(zehnt)e. anhören!

muntermacher am morgen und am abend

ich hätte nie gedacht, dass das funk­tion­iert: raja­ton sings abba with lahti sym­pho­ny orches­tra. und dass ich so eine cd wirk­lich mag. aber es ist passiert. ger­ade höre ich sie wieder ein­mal, meine momen­tane lieblings-a-cap­pel­la-gruppe: die finnis­chen raja­ton. (in finn­land ist diese cd übri­gens ein gigan­tis­ch­er hit gewe­sen). und es ist enorm bemerkenswert, wie dicht die orch­ester­par­ti­tur am orig­i­nal ist — das ist ziem­lich klasse. und natür­lich die sän­gerin­nen und sänger: das faszinierende an raja­ton ist ja generell ihre riesige band­bre­ite an vokalen klang­far­ben. und hier wird das wieder ein­mal deut­lich: sie klin­gen unwahrscheinl sehr nach dem orig­i­nal — nur ein tick bess­er — gesan­glich gese­hen. noch eine nebenbe­merkung: die songs von abba, das ist mir beim hören wieder ein­mal sehr klar gewor­den, zählen ohne frage zum besten der pop-geschichte — echte kunst­werke schon, nahe an der per­fek­tion. das beste dieser cd sind aber wirk­lich die reinen a‑cap­pel­la-ver­sio­nen (obwohl mon­ey, mon­ey, mon­ey auch nicht schlecht und vor allem der unwirk­lich zwarte anfang von the win­ner takes it all bedrück­end schön ist): da ist etwa das verblüf­fende voulez-vous (mit zusät­zlich­er human beat­box), da einen enor­men dri­ve hat und wirk­lich groovt. und dann head over heels — das fängt fast harm­los, zieht dann mit sein­er klan­glichen macht aber total in den bann (auch wenn es nicht zu meinen abba-lieblings-songs gehört). und schließlich, ganz große kun­st, beza­ubernd vom ersten vokalen trom­mel­wirbel bis zum schlusston, faszinierend und ein­nehmend: fer­nan­do. ganz große musik — thank you for the music, the song and the singing!

raja­ton sings abba with lahti sym­pho­ny orches­tra. plas­tin­ka records 2006.

diese woche im frank­furter hof gehört: die nor­wegis­che sän­gerin kari bremnes — war mir bish­er unbekan­nt. ist aber auf ihre weise ganz schön:

Sie kommt von weit her – aus der nördlich­sten Ecke Nor­we­gens. Da wun­dert es kaum, dass ihre let­zte CD den Titel „Reise“ trägt. Und trotz ihrer fer­nen Herkun­ft hat Kari Bremnes in Deutsch­land einen treuen Fankreis. Auch in Mainz: Der Frank­furter Hof war mehr als ausverkauft.

Und das Pub­likum kann sich vom ersten Moment an gebor­gen fühlen. Denn in ihren aus der Zeit gefal­l­enen Liedern find­et jed­er Halt. Sie erzählen in poet­is­ch­er Manier vom rauen Leben im hohen Nor­den, von Dunkel­heit und Licht, von den kleinen und großen Wun­den des Lebens, von Men­schen und Land­schaften, von Über­leben­den und Opfern. Aber immer, egal worum es ger­ade geht, ob es ein Text von Edvard Munch ist oder eine Eigen­schöp­fung, ob englisch oder nor­wegisch, immer sind es die Gefüh­le, die zählen. Und genau da kommt auch die Musik her: Aus den inner­sten Winkeln der Seele. Und diese Empfind­samkeit macht die Musik Kari Bremnes’ so beein­druck­end ehrlich und wirkungsvoll.

Der kom­pak­te Sound ist ihr Marken­ze­ichen. Genau wie ihre warme Alt­stimme. Im san­ften Auf und Ab gleit­et sie über der Klangfläche der Key­boards, den ver­traut­en Riffs der Gitarre und dem beruhi­gen­den Gewuschel des Schlagzeugs dahin. Ganz ohne Zweifel ist ihre san­ft und unbeir­rt über allem schwebende Stimme die Haupt­sache hier. Die Band bleibt dann auch den Abend über im Halb­dunkel – obwohl die drei Musik­er dur­chaus beachtlich­es bieten und unverzicht­bar für die har­monis­che Stim­mung des Konz­ertes sind.

Im ständi­gen Pen­deln zwis­chen Folk und Pop, Rock und Jazz bewahrt Bremnes in aller Vielfalt immer die Ein­heit – die Har­monie ihre kristalli­nen Stimme, die Übere­in­stim­mung ihrer mitreißen­den vokalen Kraft mit den inten­siv­en Arrange­ments lassen die Welt außer­halb des Konz­ert­saales schnell verblassen.

Natür­lich muss hier auch unbe­d­ingt noch die nordis­che Melan­cholie erwäh­nt wer­den, die Bremnes immer wieder angedichtet wird. Aber das trifft es eigentlich über­haupt nicht. Denn ihre Songs sind alles andere als schw­er­mütig. Sie sind allerd­ings fast alle kleine oder große Träumereien: Ihre Musik ist ein per­ma­nen­ter Kampf der Musik gegen die ein­brechende Real­ität, eine immer wieder erneute Flucht aus der harten Wirk­lichkeit in das wohltuende Land der Phan­tasie.

so weit der „offizielle” text. jet­zt stellt sich natür­lich doch noch die eine oder andere frage. näm­lich zum beispiel, warum die nordis­che musik – ins­beson­dere die sän­gerin­nen – eigentlich so erfol­gre­ich ist? ver­mut­lich ist es ganz ein­fach die kom­bi­na­tion von exotik und ver­trautheit in genau dem richti­gen maße, die das aus­macht: es klingt so fremd, dass es unge­wohnt und span­nend ist. ander­er­seits nicht so fremd, dass es die eige­nen überzeu­gun­gen und erfahrun­gen in frage stellen kön­nte — es ist noch so ver­traut, dass sich jed­er prob­lem­los darin zurecht find­et.

trotz­dem: die musik ist eigentlich gefährlich. näm­lich insofern sie eine befreiung vom ver­ste­hen-müssen (also von der anstren­gung) anbi­etet und sug­geriert, das sei doch ganz in ord­nung so, also sich nicht um ver­ste­hen zu bemühen. übrig bleibt klang – und eine ahnung, eine ver­heißung, dass der unver­ständliche text noch mehr bieten kön­nte. und natür­lich ein gefühl der übere­in­stim­mung: der ständi­ge rekurs auf mehr oder weniger ver­traute gefüh­le, auf ein­samkeit, ver­lassen-sein, ent­täuschte oder gelin­gende liebe, angst (etwa in edvard munchs „der schrei”). das bleibt, weil es immer wieder genau dabei ste­hen bleibt, zwar intellek­tuell zutief­st unbe­friedi­gend. aber dem pub­likum gefällt’s. wahrschein­lich genau deshalb …

Die Haare sind grau gewor­den. Und die Stimme im Falsett nicht mehr ganz so klar und rein, son­dern an manchen Stellen auch mal etwas brüchig.Die großen Sta­di­en füllt er auch nicht mehr, die Räume sind klein­er gewor­den. Aber son­st hat sich nicht viel geän­dert. Jon Ander­son ist immer noch ein großer Sänger. Und ein charis­ma­tis­ch­er Unter­hal­ter, der sein Pub­likum immer gut im Griff hat. Er braucht nicht viel dafür: Ein Gitarre, ein Mikro, zwis­chen­durch auch ein­mal ein Klavier – das war schon alles. Denn Ander­son ist alleine auf der Bühne des Frank­furter Hofes – alleine mit den vie­len Songs sein­er lan­gen, lan­gen Kar­riere. Hin­ter ihm flim­mert allerd­ings auch noch eine Video­pro­jek­tion mit aus­ge­sucht kitschi­gen Bilderni. Eine gewisse Nos­tal­gie ist dem Abend also nicht abzus­prechen. Und das Pub­likum – vor­wiegend echte Fans, die mit ihrem Start groß (und älter) gewor­den sind und sein Reper­toire in- und auswendig ken­nen – erwartet auch gar nichts anderes.

Viele Rem­i­niszen­zen bes­tim­men das Pro­gramm, viele alte Hits vor allem, ins­beson­dere natür­lich aus der großen Zeit von Yes. Und aus der Zusam­me­nar­beit mit Van­ge­lis, die einige großar­tige Songs her­vorge­bracht hat. Ander­son erzählt gerne davon. Und wenn er darüber plaud­ert, wie das große „Soon“ für Yes ent­stand, damals, in den wilden 70ern, gerät er noch ein­mal richtig ins Schwär­men. Doch in der Haupt­sache singt er. Und dabei ist er sich immer treu geblieben: Er klingt heute noch fast genau­so wie vor 40 Jahren, als Yes ger­ade anf­ing. Gut, die für Ander­son typ­siche Falsett-Stimme ist ein kleines biss­chen geal­tert. Aber das ver­lei­ht ihr nur noch mehr Charak­ter.

Auch seine Musik ist sich treu geblieben: Das neue Mate­r­i­al fügti sich bruch­los in das Reper­toire ein. Er ver­sucht sich auch mal am Reg­gae oder unter­legt sein Gitar­ren­spiel mit syn­thetis­chen Rhyth­men. Aber immer noch singt er gerne von ver­gan­genen Tagen und Zeit­en, vom Lieben und Leben überhaupt.Und trotz­dem bleibt er dabei ein unverbesser­lich­er Opti­mist: „Buddha’s Home“, eines sein­er neueren Stücke, ist getränkt vom Glauben an eine bessere Welt, an die Möglichkeit von ewigen Frieden. Wenn sich doch nur alle ein biss­chen mehr lieb­haben würden.Und ein wenig mehr Jon Ander­son hören wür­den – denn dann hätte kein­er mehr Lust auf Krieg und Verder­ben.

aelita — schwere- und orientierungslos im weltraum?

das tied+tickled trio (das auf dieser auf­nahme ein quin­tett ist) klingt auft aeli­ta ein wenig anders als gewohnt. vor allem gibt es sich, als sei es elek­tron­ik pur — das klingt viel kün­stlich­er und com­put­er­lastiger als ich frühere alben in erin­nerung habe. und oft aber auch wieder mit der fürs ttt bes­tim­menden typ­is­chen melan­cholie: keine selb­stvergessen­heit des gefrick­els, keine pes­simistis­che wel­tun­ter­gangsstim­mung, aber doch immer etwas, nur eine spur, verzweifelt; immer etwas angewidert und desil­lu­sion­iert von der häßlichkeit der welt; und — ja, auch das — immer ein kleines biss­chen empört, dass sich nie­mand außer ihnen daran stört und darum küm­mert.

nur lei­der wieder viel zu kurz: ein hap­pen für das kurze hören zwis­chen­durch sozusagen ;-) schwere kost ist es ja ger­ade nicht. aber schön ist es schon. chleb­nikov vor allem — wun­der­bar poet­is­che klangzusam­men­stel­lung, total eklek­tizis­tisch — aber was solls, das macht eben spaß. (inter­es­sant auch, dass mir in let­zter zeit immer wieder ver­weise und anspielun­gen auf chleb­nikov begeg­nen. über­haupt scheint die rus­sis­che kun­st des frühen 20. jahrhun­derts als ref­eren­zrah­men ger­ade wieder eine gewisse beliebtheit zu erfahren …)

laut.de ist damit nicht so ganz glück­lich gewor­den. da ste­ht auch ein satz, der mir noch ein­mal sehr klar machte, warum ich das so anders wahrnahm als frühe ttt-alben: „ Auf “Aeli­ta” ver­schwindet die von allen Seit­en geschätzte Jazz-Ästhetik, die den Stil des T&TT und das Spiel der Pro­tag­o­nis­ten bish­er her­vor­ra­gend kennze­ich­nete, in vollem Umfang.” das ist lei­der wahr. und man­i­festiert sich am stärk­sten in der nicht vorhan­de­nen entwick­lung der einzel­nen stücke: die sind von anfang an da — und bleiben ein­fach, wie sie sind, ger­ade so ste­hen — bis dann irgend­wie mal irgend­wann schluss ist. von daher ist es dann doch wieder ger­ade nicht zu kurz, son­dern manch­es mal fast zu lang… exit-music sieht das ähn­lich. und kann noch auf eine andere ref­erenz ver­weisen: „Drei mal ver­weisen die Instru­men­tal-Musik­er auf die sagenum­wobene Aeli­ta, die Mars-Köni­gin aus dem gle­ich­nami­gen Roman des rus­sis­chen Autors Alex­ej Tol­stoi.”

und jet­zt, wo ich das alles geschrieben habe, sehe ich auch, was das label auf sein­er home­page dazu schreibt: „[…] the Tied+Tickled Trio made a record, that deals with long gone utopias, con­cen­trat­ed, min­i­mal and melan­choly”. na, das passt dann ja …

aeli­ta ist übri­gens auch ein sow­jetis­ch­er stumm­film — und ein sow­jetis­ch­er mono­phon­er syn­the­siz­er

tied+tickled trio: aeli­ta. morr music 2007.

alles wieder geschlossen

nein, so heißt es ger­ade nicht: „alles wieder offen” behauptet das neue album (phase 3 der sup­port­er-zeit) der ein­stürzen­den neubaut­en. aber lei­der stimmt das immer weniger. das let­zte war ja noch als ver­such in die richtige rich­tung warzunehmen (nach­dem per­petu­um mobile auch schon nicht mehr die kraft der frühen en hat­te). aber das wird jet­zt immer schlim­mer.

blixa bargeld dreht mit­tler­weile total ab in die rolle des poète mau­dit. er kann sie aber dum­mer­weise nicht wirk­lich aus­füllen: klis­chee über klis­che über klis­chee häufen seine texte inzwis­chen. das war ja schon eine weile abzuse­hen. aber inzwis­chen strahlt diese hal­tung auch auf die musik aus. und er scheint die gruppe immer mehr zu dominieren. ent­täuschend vor allem bass von alex hacke — das ist völ­lig belan­g­los gewor­den.

das schlimm­ste daran ist vor allem die per­ma­nente bil­dung­shu­berei der texte und ihre plat­te metaphorik, die immer so tut, als sei sie große kun­st. ein paar beispiele? gerne doch. „enklave mein­er wahl” in „nagorny karabach” ist zunächst — was für eine über­raschung — die „enklave meines herzens” — aber mehr als diese par­al­lelisierung bringt das ganze lied nicht fer­tig. ja, es ist wirk­lich ein lied. und selb­st klang ist inzwis­chen fast radiokom­pat­i­bel, so beliebig. und roman­tisch verk­lärt immer wieder. das klingt ganz ein­fach viel zu „nor­mal”, nach stan­dard-instru­menten — auch wenn bargeld betont, dass das alles „authen­tisch” sei: „Jed­er Ton basiert auf einem natür­lichen Klang, nicht auf Com­put­er­sounds, auch wenn esich das mitunter so anhört.” (in einem ziem­lich schlecht­en inter­view mit dirk peitz in der süd­deutschen zeitung vom 30. okto­ber 2007) … es gibt keine aus­brüche mehr — unvorstell­bar, dass die heute noch mit flex und schweißgerät auf die büh­nen gin­gen: sie wer­den halt auch älter.

und so mit­telmäßig geht es eigentlich durch­weg weit­er: „ich hat­te ein wort / ein langes, selb­st­gez­im­mertes wie eine Rinne, mit Rädern / schmal wie ein Ein­baum, oder etwas das Zement leit­en soll / ein Mod­ell zwar, wind­schnit­tig und wind­schief, aber meins” — so fängt „ich hat­te ein wort” an — grausam. und prim­i­tiv — auch der schluss: „ich gebs nim­mer­mehr preis”

„von wegen” hat immer­hin noch einige ahnun­gen und ankläge früher­er ideen, des früher strahlen­den spiel­triebs, der ent­deck­er­freude der „wahren” ein­türzen­den neubaut­en. und endlich wer­den auch ein­mal rosso­lo und mar­tinet­ti zitiert — aber der­maßen platt, mit der­maßen grausam-pein­lich-prim­itven geräuschhin­ter­grund — das ist schlim­mer als nichts.

es fehlt mir bei dieser plat­te also ein­fach der knack­punkt — der „win­ter­speck der möglichkeit­en” (auch so eine tolle zeile) ver­birgt das poten­zial. ok, jet­zt ist genug geschimpft, ganz so schlim­mm ist es dann eigentlich doch nicht — aber das ist ein­fach viel zu nett und zu belan­g­los für eine cd der ein­stürzen­den neubaut­en, das bleibt hin­ter ihren früheren werken zu weit zurück. das zeigt sich übri­gens stärk­er noch in den die entste­hung der plat­te beglei­t­en­den „jew­els” — da lässt sich eher inter­es­sante musik find­en. allerd­ings auch nur noch mit der zuhil­fe­nahme von tricks: um zu ideen zu kom­men, müssen sie sich dem zwang der aleatorik unter­w­er­fen und karten mit spielan­weisun­gen ziehen …

ein­stürzende neubaut­en: alles wieder offen (sup­port­er-ver­sion). potomak 2007.

tristesse royale revisited

lukas heinser (cof­fee and tv) hat noch ein­mal in der alten scharteke, der pro­gramm­schrift der neueren poplit­er­atur in deutsch­land aus den frühen neun­zigern, geblät­tert. und einige inter­es­sante beobach­tun­gen zusam­men getra­gen — vor allem zur belan­glosigkeit dieses man­i­festes für die heutige gesellschaft, lit­er­atur und den pop.

udo mader: fuchsbaumelodien

ihren weg hat diese cd zu mir mit der 55. aus­gabe der bad alche­my gefun­den. und natür­lich war ich sofort ganz beson­ders ges­pan­nt — die ton­träger-beila­gen, die rigo dittmann seinen heften bei­legt, haben mich noch nie ent­täuscht. und dieses mal war es sog­ar ein namensvet­ter (noch nie habe ich von einem mad­er musik gehört …). und diese cd hat mich nicht ent­täuscht, son­dern mit jedem hören erneut begeis­tert. denn zunächst ist das alles ganz harm­los, was hier in langer arbeit solis­tisch im heim­stu­dio zusam­menge­baut wurde.

das sind näm­lich wirk­lich aus­ge­sprochen syn­thetis­che, also im echt­en wort sinne zusam­men gefügte schön­heit­en, die immer wieder hochgr­a­dig aus­getüftelt sind und mit ihrer kom­plex­ität (die vor allem die klan­gliche kon­sti­tu­tion eines phantastischen/imaginären feldes bet­rifft, weniger die ablaufend­en struk­turen) kaum hin­ter dem berg hal­ten. allerd­ings, und das macht das ganze wieder so angenehm (und nie nervtö­tend-besser­wis­serisch), stellen sie ihre kon­struk­tion allerd­ings auch nicht aus: man darf sie wahrnehmen (und schätzen), muss sie aber über­haupt nicht reg­istri­eren, kann sie sog­ar get­rost über­hören und trotz­dem spaß an der musik haben.

über all dem hängt dabei immer eine leicht res­ig­na­tive melan­cholie: das bewusst­sein, dass die welt damit nicht zu ändern sei – aber was soll’s, davon lassen wir uns trotz­dem nicht vom musik­machen abhal­ten — das scheint die ein­stel­lung udo maders (bei mam­bo-bar ste­ht ein biss­chen etwas über ihn) zu sein.

zugle­ich sind die fuchs­baum­melo­di­en auch ein schönes beispiel für ent-tabuisierung (um es vor­läu­fig ein­mal so zu beze­ich­nen) des akko­rdeons in der aktuellen musikkul­tur, dem zeit­genös­sis­chen musik-diskurs (in sein­er gesamten bre­ite). was udo mad­er daran offen­bar inter­essiert, ist ger­ade die unvol­lkom­men­heit seines ein­fachen, ten­den­ziell beschädigten instru­mentes (das klan­glich wirk­lich sehr beschei­den ist), dass er mit­samt seinen dys­funk­tion­al­itäten allerd­ings wiederum per­fekt und naht­los in die kleinen idyllen, die minia­turen sein­er traum-phan­tasien ein­baut.

der pseu­do-dilet­tan­tismus dieser cd geht aber über die wahl der instru­mente hin­aus. denn die musik gibt sich gerne den charak­ter des unfer­ti­gen, unkon­trol­lierten, unbezähmten, spon­taneität – aber das stimmt alles wieder nur halb, das ist (natür­lich) in langer arbeit genauestens aus­getüftelt.

über­haupt bietet udo mad­er mit seinen fuchs­baumelo­di­en immer eine vielzahl der hör­möglichkeit­en (vielle­icht passt der von win­ter & win­ter so gern ver­wen­dete und geprägte begriff „hör­film“ hier in beson­der­er weise: als hör-kurz­film sozusagen …). denn seine melo­di­en sind vor­wiegend kurze ein­drück, oft kaum mehr als kleine ein­fälle, die nie in größe oder umfassende for­men gezwun­gen wer­den. das hat auch deshalb immer etwas anar­chis­tisch-archais­ches: die unbeküm­mertheit um wirkung und posi­tion­ierung im geschichtlichen und ästhetis­chen feld scheint das klan­gliche ergeb­nis wesentlich zu bes­tim­men: just for fun sozusagen, kein ziel ist damit beab­sichtigt (schon gar nicht das des pop, näm­lich star-sta­tus/berühmtheit …), ein­fach für eigenes ich gemacht (was natür­lich nie wirk­lich stim­men kann, denn dann wäre es nicht veröf­fentlicht wor­den – aber indem es im eigen­ver­lag, völ­lig selb­st bes­timmter her­stel­lung pro­duziert, erscheint, wird das prob­lem zumin­d­est extrem reduziert, nahe ins unwahrnehm­bare ver­schoben …)

es bleibt aber kat­e­go­r­i­al doch sehr schw­er zu fassen: alles, was mir dazu ein­fällt, stimmt immer nur halb oder teil­weise. meine konzepte passen alle nicht richtig. vielle­icht macht das diese cd so reizvoll: obwohl sie eigentlich doch so unspek­takulär ist: dass sie in keine schublade passt. und dass ich mir auch keine lade für sie kon­stru­ieren kann, die wirk­lich passt.

udo mad­er: fuchs­baum­melo­di­en.

ein kleiner nachtrag zum hubert-fichte-jubiläum

„Es ergeben sich Über­schnei­dun­gen“ heißt es am Anfang der Palette. Und das ist, das klitzek­leine Hubert-Fichte-Jahr zum 20. Todestag macht es deut­lich, noch sehr unter­trieben. Im Zen­trum ste­ht natür­lich das etwas über­raschende Erscheinen des Ban­des Die zweite Schuld von Fichte selb­st. Fis­ch­er, inzwis­chen Ficht­es Hausver­lag, hat sich entschlossen, die Geschichte der Empfind­lichkeit, dieses vielköpfrige Mon­ster, mit dem Fichte sein schrift­stel­lerisches Werk krö­nen wollte, damit vorzeit­ig zum Abschluss zu brin­gen. Das bringt allerd­ings wenig Über­raschun­gen, wenig prinzip­iell Uner­wartetes. Auch die span­nende Frage, warum Fichte dieses Buch mit einem Sper­rver­merk verse­hen hat­te, hängt plöt­zlich ganz und gar in der Luft: So spek­takulär ist das alles gar nicht. Über den Zeit­punkt der Veröf­fentlichung kann man übri­gens tre­f­flich stre­it­en. Und das ist schon typ­isch für alles, was mit der Geschichte der Empfind­lichkeit zu tun hat: Defin­i­tive Klarheit­en gibt es hier im Moment fast gar keine, zu oft hat Fichte hier selb­st noch geschwankt. Auch seine Angaben zur Dauer der Sper­rfrist vari­ieren, man hätte das Buch auch guten Gewis­sens  und mit guten Argu­menten erst in 10 Jahren her­aus­brin­gen kön­nen. Davon abge­se­hen, ist Die zweite Schuld eigentlich ein unmöglich­es Buch. Und das mehrfach: Es ist ein­fach nicht fer­tig – und nir­gendswo in der Geschichte der Empfind­lichkeit fällt das so sehr auf wie hier -, es ist aber auch eine dop­pelte Zumu­tung an den Leser: Von Fichte selb­st und seit­ens der Her­aus­ge­ber.

Das The­ma ist der deutsche Lit­er­aturbe­trieb – mit einem leicht eth­nol­o­gisch gefärbten Blick und der ewigen Suche suche nach den wahren Motiv­en des Han­delns entwick­elt Fichte die Szener­ie des Lit­er­arischen Col­lo­qi­ums in Berlin mit seinen Teil­nehmer, den Dozen­ten und Fichte selb­st. Das Buch trägt außer­dem den Unter­ti­tel „Abbitte an Joachim Neu­gröschel“. Und damit ist offen­bar das stärk­ste Motiv für diese Arbeit genan­nt. Denn Fichte geht es gar nicht so sehr um das LCB selb­st, son­dern viel mehr um die sich dort man­i­festieren­den Macht­struk­turen und kreuz und quer ver­laufend­en Anti- und Sym­pa­thien. Erar­beit­et und geschrieben ist das ganz offen­sichtlich aus einem Unbe­ha­gen, als Teil­nehmer in dieseSi­t­u­a­tion selb­st ver­wick­elt gewe­sen zu sein, die anlässlich ein­er Kri­tik eines Textes von Neu­gröschel durch Grass, die Fichte bedenken­los fort­set­zte, in einem sym­bol­is­chen Juden- und/oder Schwu­len­mord gipfelt. Dafür hat Fichte einige der dama­li­gen Teil­nehmer inter­viewt. Und das sind natür­lich wieder typ­is­che Fichte-Inter­views, mit ihrer beson­deren Inten­sität und dem zwar genau geführten und ges­teuert, aber sich stets kol­lo­qui­al geben­den Dia­log-Ablauf. Gesprochen hat er mit Neu­gröschel selb­st, mit Elfriede Ger­s­tel, Her­mann Peter Piwitt und Wal­ter Höllerer. Dazu kom­men immer wieder kurze Skizzen, kleine Sit­u­a­tions­beschrei­bun­gen aus Berlin und der Gruppe 47. Und am Ende noch eine frühe Fichte-Erzäh­lung, „Im Tief­stall“.

Verzweifeln kann man an diesem Buch, d.h. an sein­er äußeren Gestalt. Denn so lobenswert es ja von den Leuten bei Fis­ch­er ist, das noch zu veröf­fentlichen – hätte man das nicht gle­ich richtig machen kön­nen? Wie die gesamte Geschichte der Empfind­lichkeit ist das auch ein furcht­bar­er mis­chmasch und nicht nur völ­lig inkon­se­quent, son­dern auch unprak­tisch und dadurch fast unles­bar. Z.B. das Höllerer-Inter­view, oder bess­er gesagt die kär­glichen Reste, die Fichte noch selb­st tran­skri­biert hat­te. Im Manuskript sind die Gesprächs­fet­zen noch mit den Ini­tialen verse­hen – weil zwis­chen­durch viele Dialogteile fehlen, ist das ja nicht ger­ade ganz verkehrt. Jet­zt ste­hen da nur noch Spiegel­striche. Und spätestens nach ein paar seit­en muss man rat­en, wer ger­ade spricht – sehr müh­sam ist so etwas… Denn damit ist der zen­trale Teil des geplanten Ban­des eigentlich über­haupt nicht les­bar, ganz zu schweigen davon, dass noch zwei wichtige Inter­views ganz und gar fehlen, die hat Fichte noch nicht ein­mal geführt: Mit Oswald Wiener und HC Art­mann.

Schon deshalb wäre der Unter­ti­tel, den Fichte notiert hat, eigentlich gar nicht so schlecht gewe­sen: Frag­mente. Nun heißt der Band aber „Glossen“, eine der frag­würdi­ger­eren Her­aus­ge­ber-Entschei­dun­gen. Die zweite Schuld ist wahrschein­lich vor allem der Band der Geschichte der Empfind­lichkeit, der die Schwierigkeit­en – und lei­der eben auch die Unzulänglichkeit­en – dieser pos­tu­men Edi­tion am stärk­sten her­vorteten lässt. Nur als zwei Beispiele noch: Das unfer­tige Höllerer-Inter­view druck­en die Her­aus­ge­ber mit den Coun­ter­num­mer ab, denn: „Die Lizenz Ficht­es, eine unortho­doxe Gram­matik und Syn­tax unge­filtert zu belassen und dafür eine entsprechende informelle Inter­punk­tion einzuset­zen, machen diese zum Instru­ment, das präzise das Aus­ge­sagt über­mit­telt“ – was immer das heißen soll. Oder die abschließende Erzäh­lung „Im Tief­stall“. Die wird gedruckt nach ein­er Veröf­fentlichung von 1965, nicht nach der Form, in der sie Hubert Fichte maschi­nengeschrieben in das Manuskript einge­fügt hat­te – ohne das irgend­wie zu begrün­den.

Ähn­lich unbe­friedi­gend sind auch andere Novitäten,  z.B. die Edi­tion der Hör­w­erke bei Zweitausendeins. Immer­hin ist sie jet­zt über­haupt mal erschienen, nach lan­gen, lan­gen Verzögerun­gen. Aber auch hier wieder ist die Art der Veröf­fentlichung zumin­d­est ernüchternd, wenn nicht verärg­ernd. Davon, dass die Kom­prim­ierung auf 2 mp3-CDs wed­er der klangqual­ität noch dem Han­dling irgend­wie ent­ge­genkommt (so teuer sind doch CD-Pres­sun­gen gar nicht mehr?), die Auswahl bleibt, um es milde auszu­drück­en, unbe­friedi­gend. Fast alles wichtiges fehlt: die vie­len Hör­spiele – zu nen­nen wäre ja nur Ich würde ein oder Lohen­steins Ibrahim Bas­sa schlum­mern weit­er­hin in den Rund­funkarchiv­en — mit Aus­nahme von Gott ist ein Math­e­matik­er, das ja schon vor einiger Zeit bei sup­posée wieder zugänglich gemacht wurde. Dort gibt es ja auch schon die wirk­lich her­aus­ra­gende Fichte-Lesung im Ham­burg­er Star­club, seine Palais‑d’amour-Interviews und seine Gespräche mit Lil Picard. Das alles hat Zweitausendeins natür­lich nicht. Dafür eine Menge Rund­fun­kle­sun­gen, deren Aus­sagekraft sich in sehr engen Gren­zen bewegt. Denn die sind zwar alle­samt nicht schlecht, aber doch auch ziem­lich belan­g­los. Denn Fichte liest in der ster­ilen Atmo­sphäre des Stu­dios gewöhn­lich auch entsprechend nüchtern. Höhep­unk­te sind aber auch zu verze­ich­nen. Das Fea­ture Djem­ma el Fna, das fast schon ein Hör­spiel ist (und damit ganz typ­isch für Ficht­es ganz eige­nen umgang mit dem Medi­um Radio). Auch das kurze Hör­spiel Romy und Julius von 1973, eine rol­len­ver­tausche Ver­sion von Romeo und Julia, gehört ohne Zweifel zu den besseren arbeit­en Ficht­es. Und immer­hin ist auch San Pedro Claver dabei, das Fichte selb­st zu seinen zen­tralen Werken gezählt hat und das sich die let­zten Leben­stage des spanis­chen Jesuit­en und Mis­sion­ars in einem echt radio­pho­nen, 14stimmigen imag­inären Raum vorstellt – eine para­doxe Fig­ur, gefan­gen zwis­chen ihrer Liebe zu den Sklaven und der Ange­hörigkeit zu ein­er ver­sklaven­den Macht, der katholis­chen Kirche,  vorgestellt in ein­er Art szenis­ch­er Rit­us, den Fichte faszinierend sich­er und wirk­mächtig beherrschte.

Es hat sich aber noch mehr getan. Schon im let­zten jahr, 2005, war in den Ham­burg­er Deich­torhallen die „Leben­sreise“ von Hubert Fichte und Leonore Mau zu sehen. Das Kat­a­log­buch dazu schrieb Wil­fried F. Schmoeller – als eine Art vor­läu­fige Biogra­phie Ficht­es.  Er scheut nicht vor seinen Urteilen zurück, weiß auch viel und hat einiges Licht in die Reisen Ficht­es gebracht. Nur zu Leonore Mau und ihren Fotogra­phien fällt ihm erstaunlich wenig ein, näm­lich fast gar nichts. Dafür gibt es – bei einem als Ausstel­lungskat­a­log konzip­ierten Buch natür­lich kaum anders zu erwarten – eine große Auswahl von ihr und anderen Fotographen (etwa Chris­t­ian von Alvensleben, der Fichte für sein wun­der­schön kitschiges Port­fo­lio 1960 einen Tag bei der Land­wirtschaft­sar­beit  in der Provence beobachtete). Das hätte ein schönes und ein gutes Buch wer­den kön­nen, das auch ohne die Ausstel­lung hil­fre­ich und wohltuend ist. Denn Schoeller schreckt nie vor deut­lichen Worten und eige­nen Wer­tun­gen zurück. Aber es ist doch nur eine Mogel­pack­ung, ein Etiket­ten­schwindel: Leonore Mau ist eben wieder ein­mal nur die fotografierende Dichter­gat­tin, die zur Illus­tra­tion ein paar Bilder beis­teuern darf, son­st aber nach Möglichkeit über­haupt nicht vorkommt. Es bleibt also doch wieder nur Ficht­es „Leben­sreise“, die für Schoeller eher ein „Lebenslabyrinth“ ist (aber wer kann das nicht von sich behaupten?) Seinem „Reise­fahrplan“ fol­gt Schoeller, mit auswer­tung der ver­streuten Dat­en, auch der Reisepässe, und stellt pflicht­gemäß auch die dabei ent­standen Büch­er vor, was bei der Geschichte der Empfind­lichkeit zu recht kuriosen Ein­schätzun­gen und Verk­nap­pun­gen führt. Es hat fast den Anschein, als sei das als Vorar­beit, Par­alipom­e­na ein­er Biogra­phie zu ver­ste­hen – die Frage ist dann nur noch, wer wagt sich als erstes, seine Arbeit wirk­lich so zu nen­nen. Denn geschrieben wird sie, mehr oder weniger aus­führlich und direkt, von nahezu allen, die über Fichte veröf­fentlichen. Es wäre wohl auch das näch­ste, das fol­gerichtige Pro­jekt – neben ein­er „richti­gen“ Werkaus­gabe. Aber ger­ade die wird wohl, vor allem was die Geschichte der Empfind­lichkeit bet­rifft, noch eine Weile Desider­at bleiben.

Auch Peter Braun hat sich auf eine Reise begeben, Eine Reise durch das Werk von Hubert Fichte. Das ist ein Ver­such, eine „spez­i­fis­che Poet­ik der Orte“ zu beobacht­en oder zu kon­sti­tu­ieren. Aber genau in diesem Punkt bleibt die Arbeit von Braun frag­il, schwammig, und unbes­timmt: Worin sich denn die Orte nun genau unter­schei­den, was das „orts­ge­bun­dene Erzählen“ (43) denn nun wirk­lich aus­macht – wird kaum deut­lich. Klar, bes­timmte Dinge passier(t)en nun ein­mal an bes­timmten Orten. Aber ist Ficht­es Zugriff auf die Djem­ma el Fna wirk­lich kat­e­go­r­i­al anders als der auf, sagen wir, den Gänse­markt? Oder die Palette? Braun geht übri­gens noch ein Schrittchen weit­er als Schoeller und sieht den ganzen lit­er­arische out­put gle­ich als „Lebenss­chrei­bung“ – damit ist er dann endgültig leg­timiert, das Leben und das Werk des Autors beliebig durcheinan­der zu wer­fen. Entsprechend umstand­los springt Braun dann auch hin und her. Über­haupt ist er ein ganz großer Inte­gra­tor. Alles wird zu einem großen Buch, Leben und Werk, Roman und Inter­view, Hör­spiel und Fea­ture wird zu einem einzi­gen, gigan­tis­chen Werk zusam­mengemixt – natür­lich hat er dabei ein kleines biss­chen Recht, die inter­textuellen Bezüge sind ja schon bei der ersten Lek­türe über­haupt nicht zu überse­hen. Aber er ver­liert dabei doch lei­der immer wieder die jew­eils eige­nen Qual­itäten der Texte aus den Augen. Zeitliche Struk­turen der Erzäh­lun­gen Ficht­es kann Peter Braun etwa nur unzure­ichend, nur sehr neben­bei, über­haupt ein­mal würdi­gen. Wenn man das so hin­tere­inan­der weg liest, drängt sich fast ein etwas unlieb­samer Ein­druck auf: Irgend­wie bleibt ein schales Gefühl. Denn neu ist das nicht. Das führt bekan­nte Motive, Ideen, Analy­sen weit­er, aber ohne dabei wirk­lich neue Per­spek­tiv­en auf Ficht­es Werke zu eröff­nen: Ein beson­der­er Erken­nt­nis­gewinn ist hier nicht zu beobacht­en. Das trifft im grunde vor allem Peter Brauns Buch – von einem Ausstel­lungskat­a­log muss man nicht unbe­d­ingt eigen­ständi­ge Forschung erwarten. Aber auch Braun hat das bedacht und will die „Reise“ als Ein­führung ver­standen sehen: „vor­rangiges Ziel […] ist es, die Schwelle vor der eige­nen Lek­türe zu senken.“ (16)  Aber dann stellt sich natür­lich die Frage: für wen bloß? Und es macht dann doch den Ein­druck, als solle es den geplagten Stu­den­ten von der Last befreien, Fichte über­haupt zu lesen – die exten­sive, seit­en­lange Zitier­erei trägt da nicht unwesentlich zu bei.

Wer lesen kann und das wom­öglich gar selb­st tut, ist dage­gen ein­deutig im Vorteil – das Meiste von dem, was Braun hier ver­sam­melt, kann, soll und muss man doch recht eigentlich selb­st ent­deck­en – es hat etwas von Vorver­dau­ung, wenn er aus­führlich und dur­chaus in der Sache zutr­e­f­fend, aber let­ztlich auch über­flüs­sig für denk­ende und ver­ste­hende Leser, die ganzen Querverbindun­gen in Ficht­es Prosa aufzutrödeln sucht.
Sein Blick­winkel ist dafür natür­lich sehr stark fokussiert (um ihn nicht eingeschränkt zu nen­nen) und etwas monogam: Er konzen­tri­ert sich auf die einzel­nen Orte, wo Schoeller mehr das Ele­ment der Reise, also der Bewe­gung, im Blick­feld hat: die per­ma­nente Verän­derung, Trans­gres­sion, Trans­for­ma­tion, wie auch immer. Und er ent­deckt diese Prozesse auch in der Prosa Ficht­es, v.a. in der eth­nol­o­gis­chen (falls man die mal behelf­sweise so benen­nen darf, auch wenn es nicht ganz exakt zutrifft) natür­lich beson­ders deut­lich. Für Schoeller zeigt sich Ficht­es Reisen dabei let­ztlich nur als (mehr oder min­der) äußer­lich­er Aus­druck ein­er „Expe­di­tion nach Innen“, eines per­ma­nen­ten Forschens in nur schein­bar chao­tis­chen Sprün­gen zwis­chen Ham­burg und Bahia de Sal­vador, Schroben­hausen und São Luíz de Maran­hão.

Allen, die das schon selb­st gemerkt haben und sich immer noch näher mit Fichte beschäfti­gen wollen, sei unbe­d­ingt emp­fohlen: Michael Fischs Bib­li­ogra­phie, die auch ger­ade in ein­er Neu­fas­sung erschienen ist. Selb­st so etwas harm­los­es wie eine Bib­li­ogra­phie, die den passenden Titel Explo­sion der Forschung führt, geht nicht ohne Trubel von­stat­ten, wenn es um Hubert Fichte geht. Damals, beim Erscheinen der ersten Fas­sung 1996, gab es eini­gen Wirbel mit der Ham­burg­er Hubert-Fichte-Arbeit­stelle, die auch Anspruch auf diese Bib­li­ogra­phie erhob. Aber egal wie: Hil­fre­ich ist das schon, auch wenn die Gliederung nicht immer bis ins Let­zte überzeugt. Und doch ist sie eben genau in dieser Form (auch) ein klares Zeichen für den momen­ta­nen Umgang mit Fichte: Die Erforschung scheint sich in ein­er Kon­so­li­dierungsphase, im Über­gang,  zu befind­en: Der Autor entschwindet langsam aber unaufhalt­sam und muss immer wieder neu ent­deckt, d.h. ver­standen wer­den. Es kön­nten sich also noch ein paar mehr Über­schnei­dun­gen ergeben.

  • Hubert Fichte: Die zweite Schuld. Glossen. (Die Geschichte der Empfind­lichkeit). Frankfurt/Main: S. Fis­ch­er 2006.
  • Hubert Fichte: Hör­w­erke 1966–86. Hre­saus­gegebn von Robert Galitz, Kurt Kreil­er und Mar­tin Wein­mann. Frankfurt/Main: Zweitausendeins 2006.
  • Wil­fried F. Schoeller: Hubert Fichte und Leonore Mau. Der Schrift­steller und die Fotografin. Frankfurt/Main: S. Fis­ch­er 2005.
  • Peter Braun: Eine Reise durch das Werk von Hubert Fichte. Frankfurt/Main: Fis­ch­er Taschen­buch 2005.
  • Michael Fisch: Hubert Fichte – Explo­sion der Forschung. Bib­li­ogra­phie zu Leben und Werk von Hubert Fichte. Unter Berück­sich­ti­gung des Werkes von Leonore Mau. Biele­feld. Ais­the­sis 2006.

(ste­ht auch in der test­card no. 16)

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