Ein Kom­pon­ist, der nicht schreiben kann, hat es schw­er heutzu­tage. Werkkom­mentare für Urauf­führun­gen, Pro­grammhefte, musikgeschichtliche Betra­ch­tun­gen und der eine oder andere biographis­che Split­ter sowie hin und wieder ein Werk­stat­tbericht sind Pflichtübun­gen bei der Ver­mark­tung des musikalis­chen Schaf­fens. Nicht alle Ton­set­zer sind dazu aber gle­icher­maßen begabt. Man­fred Tro­jahn gehört sicher­lich zu den besseren: An die Wort­ge­walt eines Wolf­gang Rihm reicht er zwar nicht her­an, genau­so wenig wie an die abstrakt-ana­lytis­che Schärfe Hel­mut Lachen­manns oder Hans Zen­ders (von denen allen auch aus­geze­ich­nete Sam­mel­bände ihrer schreiben­den Tätigkeit vor­liegen) – aber erzählen und schreiben kann er zweifel­los. Vor allem aber kann er dur­chaus für sich ein­ste­hen und seine Posi­tion vertei­di­gen. Und man kann diese Neben­pro­duk­te des schreiben­den Musik­ers nicht nur mit Gewinn, son­dern oft auch mit erhe­blichem Vergnü­gen lesen. Das man dafür nicht lange in den Archiv­en herumwühlen muss, hat man Hans-Joachim Wag­n­er und dem Frank­furter Stroem­feld-Ver­lag, son­st eigentlich nicht ger­ade eine Heim­statt musik(-wissenschaftlichen) Schrift­tums, zu ver­danken. Denn dort ist jet­zt ein umfan­gre­ich­er Band mit Tro­jahns „Schriften zur Musik“ erschienen. Das sind mit­tler­weile, nach eini­gen Jahrzehn­ten des Kom­ponierens und Schreibens, über 500 gedruck­te Seit­en: Texte zu ästhetis­chen Fra­gen, biographis­che Skizzen, Glossen, Noti­zen, viele Gespräche und natür­lich die Ein­führung­s­texte zu den eige­nen Werken. „Was wird es für ein Buch wer­den“, so fragt sich Tro­jahn im Vor­wort. Und er gibt drei Möglichkeit­en der Antwort vor: „Eine ver­steck­te Biogra­phie? Eine verkappte Ästhetik? Oder doch die Beschrei­bung ein­er Reise zu mir selb­st?“ Entschei­den lässt sich das kaum. Denn es von allem etwas dabei.Vor allem ist es aber ganz viel Recht­fer­ti­gung: Recht­fer­ti­gung des eige­nen Tuns vor sich selb­st und der Welt. Denn Tro­jahn zeigt sich als unbe­d­ingter, schar­fzüngiger Ver­fechter der Frei­heit der Kun­st. Und deshalb bekommt – naturgemäß – vor allem der Musik­be­trieb mit seinen Fes­ti­vals, The­atern, Ver­anstal­tern und den bösen, unwilli­gen und unver­ständi­gen Men­schen des Feuil­letons zu Zeit­en post­mod­ern­er Kun­st­be­trieb­samkeit immer wieder eine geballte Ladung Kri­tik ab. Ge- und beschrieben ist das dur­chaus mit ein­er Ver­an­la­gung zum geistre­ichen, gebilde­ten Bon­mot. Und auch Tro­jahns fast unver­brüch­lich scheinende Tra­di­tion­ver­bun­den­heit schim­mert ganz selb­stver­ständlich immer durch. Wichtiger und ein­flussre­ich­er ist aber sein unbd­ingter Glaube an die Beständigkeit der emo­tionalen Kraft der Musik – und dabei ins­beson­dere der Oper, des musikalis­chen The­aters oder wie auch immer man es nen­nen mag: Diese Gat­tung hat ihn – als Hör­er — schon früh gepackt, davon erzählt er immer wieder. Beson­ders in den Fokus sein­er Darstel­lung rückt dabei das Wun­der der „Darstel­lung“: „Denn schon damals [d.h. in sein­er Kind­heit] waren mir die dargestell­ten Per­so­n­en wesentlich wichtiger als die darstel­len­den.“ Das Unge­heuer­liche, das aus dem Nichts „Per­so­n­en“, Fig­uren, Charak­tere entste­hen, geschaf­fen mit Worten und Musik (da der junge Man­fred Tro­jahn Oper in erster Lin­ie am Radio ken­nen­lernte ohne die ergänzen­den Zeichen der Bühne und der Gesten): Dieses Faszi­nosum der Jugend und der Reife schildert Tro­jahn mit glühen­der Begeis­terung. Zum Unternehmen der Werke­in­fühun­gen (dem Tro­jahn wie die meis­ten Kom­pon­is­ten sehr skep­tisch gegenüber­ste­ht) äußert er sich dage­gen eher pes­simistisch: „Im all­ge­meinen sind das aus­sicht­slose Ver­suche, denn nur die Dra­maturgie denkt, daß der Hör­er denken sollte, was der Kom­pon­ist denkt, daß der Hör­er denken müßte.“ Und da ist er auch schon wieder bei seinem Lieblings­the­ma, wie es in den „Schriften zur Musik“ ganz deut­lich zu erken­nen ist: Der Frei­heit der Musik. Das heißt für einen Kom­pon­is­ten wie Tro­jahn natür­lich keineswegs sub­jek­tive Beliebigkeit, unge­bun­denes Aus­to­ben sein­er Träume und Vorstel­lun­gen: „Kün­st­lerische Frei­heit ist Syn­onym für die Arbeit an ein­er Utopie gesellschaftlichen Lebens, und sie enthält den Anspruch aufs Ganze.“ Diese gesellschaftliche Situ­ierung der Musik, sie zieht sich in ver­schieden starken Aus­prä­gun­gen immer wieder durch seine Texte. Über­haupt liegt Tro­jahn viel daran, sein eigenes Schaf­fen zu kon­tex­tu­al­isieren und zu zeigen, dass er mit den Mit­teln und den Ergeb­nis­sen sein­er musikalis­chen Kreativ­ität nicht alleine ist. Und so sehr er Kom­po­si­tion als Prozess, als Zwis­ch­en­ergeb­nis ein­er fortwähren­den Entwick­lungs­geschichte und damit eng­stens verknüpft mit dem (Er-)Leben seines Schöpfers, dem Kom­pon­is­ten und seinen (Lebens-)Bedingungen, ver­ste­ht, so sehr beste­ht er gle­icher­maßen auf dem Handw­erk des Kom­ponierens. Solche gekon­nt gemachte und erar­beit­ete Musik möchte er dann aber auch noch gerne offen hal­ten – nicht offen im Ver­ständ­nis der offe­nen Form“, son­dern offen für die Rezep­tion: „Das zielt auf eine Musik abseits von Massen­wirkung“, indem es ganz wie zu den Zeit­en der bürg­er­lichen Bil­dung, inten­sive Beschäf­ti­gung mit Musik voraus­set­zt, „aber ohne exk­lu­siv­en Abschluß durch Unzugänglichkeit.“ Denn auch das wird in seinen gesam­melten Schriften noch ein­mal und immer wieder deut­lich: Tro­jahn ver­ste­ht sein Kom­ponieren als gesellschaftlich­es Tun. Und ger­ade deshalb ist er fast unaufhör­lich darum bemüht, sich selb­st und seine Werke in den richti­gen Kon­text einzuord­nen. Der frühe Schock der Etiket­tierung, der kaum einen Kom­pon­is­ten der let­zten Gen­er­a­tion so zeit­ig und so heftig getrof­fen hat wie ihn, macht sich hier immer wieder bemerk­bar. Fast ver­bis­sen und in der Sache uner­bit­tlich kämpft er dage­gen an – biographisch dur­chaus ver­ständlich, heute freilich in der Obses­siv­ität dur­chaus obso­let erscheinend: Solche Dinge nimmt doch kaum noch ein Hör­er, der seinen Ohren auch nur ein biss­chen ver­traut, wirk­lich ernst. Diese hefti­gen Kämpfe um die (Deutungs-)Hoheit sind zwar längst Ver­gan­gen­heit. Damit sind sie in dieser Samm­lung aber auch Erin­nerung an Zeit­en, als Neue Musik noch für Bewe­gung gut war, Aufmerk­samkeit erre­gen kon­nte, mehr als nur ein leicht­es Säuseln im Blät­ter­wald erre­ichte.

Man­fred Tro­jahn: Schriften zur Musik. Hrsg. von Hans-Joachim Wag­n­er. Frank­furt am Main, Basel: Stroem­feld 2006.
(erschienen in „die tonkun­st”, jg. 1 (2007), heft 3, seite 322–323)