Das hört sich gewaltig an: Die kom­plet­ten Chor­w­erke von Györ­gy Kurtág hat das SWR Vokalensem­ble Stuttgart unter der Leitung von Mar­cus Creed aufgenom­men. Aber es ist kaum mehr als halbe CD dafür nötig. Denn es sind „nur“ drei Zyklen, die Kurtág fast alle schon Anfang der Achtziger kom­ponierte. Gewaltig ist diese CD aber den­noch – in mehrfach­er Hin­sicht. Denn Kurtágs Chor­w­erke sind fast nie zu hören: Im Konz­ert trauen sich nur wenige Ensem­bles das zu und Auf­nah­men gab es bish­er über­haupt nicht. Und außer­dem ist diese Musik, das lässt sich nicht anders sagen, unbe­d­ingt übe­wälti­gend.
Kurtág, seit jeher bekan­nt für seine hochverdichteten Minia­turen, betreibt mit der Chor­musik eine Forschung im Inneren der Töne. Mit herkömm­lichen Vorstel­lun­gen von Chork­lang hat das wenig zu tun – wie Hans-Peter Jahn im Book­let schreibt, sind diese Zyklen „vokale Kam­mer­musiken, Instru­men­tal­musik für Sänger“. Und ihre Geheimnisse wahren diese Ver­to­nun­gen lange. Dabei verza­ubern sie schon beim ersten Anhören, lassen aber in ihrer extremen Vielschichtigkeit, ihrer extremen Zusam­men­bal­lung und Konzen­tra­tion doch bei jedem wieder­holten Hören immer neue Ent­deck­un­gen und Erken­nt­nisse zu. Das SWR Vokalensem­ble singt das trotz der immensen Anforderun­gen mit höch­ster Präz­sion: sowohl vokaltech­nisch als auch emo­tion­al lässt diese CD keinen Wun­sch unbe­friedigt. Die unheim­liche Ruhe der aufge­fächerten Klänge und genau­so der sel­tene Über­schwung der deshalb nur um so heftigeren drama­tis­chen Aus­brüche – vor allem in den „Liedern der Schw­er­mut und Trauer“ op. 18, mit sorgfältiger, zurück­hal­tender Unter­stützung der Instru­men­tal­is­ten des Ensem­ble Mod­ern – ist hier ein­fach unge­heuer bewe­gende Musik, die direkt unter die Haut geht.

Györ­gy Kurtág: Com­plete Choral Works (Omma­gio a Lui­gi Nono, Eight Cho­rus­es to Poems by Dezsö Tan­dori, Songs of Despair and Sor­row). SWR Vokalensem­ble Stuttgart, Ensem­ble Mod­ern, Leitung: Mar­cus Creed. Hänssler Clas­sic 93.174.

erschienen in der zeitschrift des deutschen chorver­ban­des, der „neuen chorzeit”, aus­gabe juli/august 2007.