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Lesen. Hören. Und ein bisschen schreiben.

mal wieder ein sinfoniekonzert

dies­mal darf im mainz­er the­ater der kapellmeis­ter ran — und er macht seine sache nicht schlecht, bei einem ziem­lich anspruchsvollen pro­gramm…

das träu­men ist das vor­recht der jugend. kein wun­der also, das beim zweit­en sin­foniekonz­ert, das aus­drück­lich den jugendlichen kom­pon­is­ten gewid­met war, ganz viel verträumte roman­tik zu hören war – aus dem 19., dem 20. und dem 21. jahrhun­dert. im mit­telpunkt dabei: zwei orch­ester­w­erke von anno schreier, dessen oper „kein ort. nir­gends“ ger­ade im kleinen haus auf dem spielplan ste­ht. und die ver­rat­en schon in den titeln ihre nähe zu den ideen der roman­tik: nacht­stück heißt das eine, frag­mente ist das andere über­schrieben.
schreiers orch­ester­stücke sind eine art von musik, die alles auf ein­mal sein will und deshalb kaum eine chance hat, irgen­det­was bes­timmtes tat­säch­lich zu sein. das riesige orch­ester beherrscht er sou­verän, ver­anstal­tet mit ihm ein entsprechen­des getüm­mel und zuweilen recht auf­dringlich­es klan­glich­es gewusel: feste zustände gibt es hier nie, selb­st das sowieso ständig sich verän­dernde klanggeschehen wird immer wieder unter­brochen und mit ein­er art kom­men­tar verse­hen – sehr gekon­nt, aber irgend­wie auch unge­heuer ziel­los und beliebig beim ersten hören. ganz ähn­lich erscheinen die vier frag­mente, die in mainz in ihrer rev­i­dierten fas­sung zum ersten mal erk­lan­gen. die sind so sehr vollgestopft mit motivis­chen und stilis­tis­chen zitat­en und anklän­gen, dass es ihnen nur sel­ten gelingt, einen eige­nen ton­fall zu entwick­eln. thomas dorsch schaffte es immer­hin, diese mis­chung aus krachen­der groteske und gefüh­liger see­len­schau sehr plas­tisch und mit großzügig dimen­sion­iertem kraftein­satz auch sehr pack­end zu gestal­ten.
als zuver­läs­siger klangver­wal­ter trat er auch mit hans wern­er hen­zes „la sel­va incan­ta­ta“ auf: präzise mis­chte er hier die mat­ten stre­icherk­länge mit den beein­druck­en holzbläsern, verbindet schw­erelose träume und gewichtige ern­sthaftigkeit in sehr klaren, über­sichtlichen abläufen. aber er kon­nte noch mehr. bei mendelssohn-bartholdys erster sin­fonie, auch ein echt­es jugendw­erk des zwanzigjähri­gen kom­pon­is­ten, griff er näm­lich noch ein­mal ganz tief in die trick­kiste. im ver­gle­ich zu dem brodel­nden feuer­topf, dessen deck­el er im ersten satz mit großer geste bei­seite schleud­erte und die ganze gewalt der grim­mi­gen attacke auf das pub­likum los lies, war der rest des konz­ertes auf ein­mal nur noch vorge­plänkel. und er kon­nte diesen ein­druck auch weit­er­hin behaupten: geschmei­dig zele­bri­erte er den zweit­en satz, blieb auch im scher­zo ein uner­müdlich wirbel­wind, der das orch­ester immer wieder an die gren­zen trieb und pfef­ferte das finale so sehr mit lei­den­schaft, dass die musik­er noch ein­mal wirk­lich auf­blüht­en und echte klasse zeigten.

die textfabrik von marlene streeruwitz

diese autorin schätze ich eigentlich sehr. ihre romane sind nicht nur sprach­liche her­vor­ra­gend gear­beit­ete kunst­werke, son­dern auch in ihrer for­malen gestal­tung. und nicht zulet­zt auch inhaltlich, in ihren zie­len, nicht bloß hochin­ter­es­sant, son­dern auch gut und richtig, um ein­n­mal diese großen worte zu bemühen. die nov­el­le morire in lev­i­tate (2004) allerd­ings zählt nicht dazu. das ist nichts, was mich irgend­wie beein­druck­en kön­nte. möglicher­weise hat­te ich auch ger­ade nur keine lust, mich mit dem ster­ben über­haupt und im beson­deren zu beschäfti­gen – das müsste eine zweite lek­türe noch ein­mal kon­trol­lieren. jet­zt hat­te ich auf jeden fall den ein­druck, das hier nur, ohne allzu große inspi­ra­tion und vor allem ohne dringlichkeit, ohne den drang, etwas sagen/gestalten/machen zu müssen (der bei streeruwitz son­st dur­chaus solide aus­geprägt ist – ger­ade das schätze ich ja so an ihr) – ok, wo war ich? – ach ja, der ein­druck, das hier ohne innere notwendigkeit die textfab­rik arbeit­en musste, um leer­lauf zu ver­mei­den. vielle­icht war es ja die äußere notwendigkeit, auf dem markt und in der öffentlichkeit präsent zu bleiben, die hin­ter der veröf­fentlichung dieser nov­el­le stand. aber jeden­falls erscheint das alles sehr abgenutzt, die stilis­tis­chen mit­tel ohne kon­se­quenz, ohne notwendi­ge verbindung mit dem text und seinem the­ma, die bilder vage und blass – kurz, mich hat es ziem­lich gelang­weilt. also ab in die wieder­vor­lage in 1,2 jahren.

mar­lene streeruwitz: morire in lev­i­tate. nov­el­le. frankfurt/main: fis­ch­er taschen­buch 2006. (erste aus­gabe im s. fis­ch­er ver­lag 2004)

die buschtrommelt wirbelt im patat herum

die buschtrom­mel ist nicht nur ein kom­mu­nika­tion­s­medi­um, son­dern macht auch eine menge krach. einen besseren namen kann sich ein kabarett-trio also eigentlich gar nicht geben. denn die drei män­ner, die da wieder ein­mal im patat auf der bühne ste­hen, hauen denn auch so richtig auf die pauke. sie tun dies schon seit fün­fzehn jahren – also noch länger als die michel­städter kleinkun­st­bühne. aber immer­hin kön­nen sie gemein­sam feiern. und dieses dop­pelte jubiläum­spro­gramm hat es in sich. denn die buschtrom­mel ist ein echter wirbel­sturm. die drei män­ner schlüpfen geschmei­dig von ein­er rolle in die näch­ste: schaus­pielerische ver­wand­lungskün­ste sind ohne zweifel das größte an diesem trio. wie etwa andreas brei­ing den engel adolf hitler gibt, der sich bei den deutschen entschuldigen möchte und dabei unun­ter­brochen unter auf­bi­etung absur­der zun­ge­nakro­batik damit zu kämpfen hat, sein falschen bärtchen am richti­gen platz zu hal­ten, ist wun­der­bar grotesk. oder wie jörg fab­riz­ius als auf­schwung­beauf­trager für die notwendi­ge pos­i­tive grund­hal­tung in der bevölkerung sorgt, indem er den ewigen nör­glern und pes­simis­ten serien­weise das lebenslicht aus­pustet – aber immer auf ganz indi­vidu­elle art! – das hat ein­fach klasse. und natür­lich ludger wil­helm, der bei sein­er geburt 15 minuten, nein 20, ach was, fast 30 minuten ohne sauer­stoff auskom­men musste. man merkt es aber fast gar nicht. ander­er­seits wäre son­st aber wohl nie so ein tre­f­flich­er assi aus dem ruhrpott aus ihm gewor­den, der unter auf­bi­etung aller sein­er beschei­d­nen kreativ­en kräfte ver­sucht, eine möglichst bil­lige beerdi­gung für seine oma zu organ­isieren– bei ihm wird das freilich schnell zu ein­er rechenauf­gabe und endet natür­lich in der total makabren entsorgung mit­ten auf der düs­sel­dor­fer kö.

so kalauern sich die drei mün­ster­an­er durch die „gefühlten höhep­unk­te“ ihre let­zten jahre. doch gefüh­le sind nicht immer die besten pro­gram­m­man­ag­er. vor allem nach der pause hat­te das trio näm­lich so einige durch­hänger: die witze über ulla schmidt – liebevoll als tode­sen­gel apos­tro­phiert – sind eben nicht mehr so ganz brand­neu. und auch zum restlichen berlin­er per­son­al fällt ihnen nicht allzu viel neues ein. die beobach­tung der „merkelsche unschär­fer­e­la­tion“ ist da noch ein echt­es high­light. bess­er sind die drei aber sowieso da, wo es nicht um gen­uin poli­tis­che, son­dern um gesellschaftliche phänomene geht. als zynis­che beobachter und kom­men­ta­toren des sozialen elends, die sich immer brav aus allem her­aushal­ten und munter wet­ten abschließen, wann der junkie von gegenüber wohl endlich aufhört, sich zu bewe­gen, sind sie nicht zu schla­gen. und ihre ulti­ma­tive lösung des schulden­prob­lems der brd hat auch einiges für sich: sie über­tra­gen die paar bil­lio­nen euro miese dem unternehmen „omer­ta“, das zwar auch nicht viel geld ein­treiben kann, mit don pasquale und der schlagkräfti­gen unter­stützung von lui­gi aber immer­hin den ernst der lage verdeut­lich ver­mag. von dort ist es dann auch nur noch ein klitzek­lein­er schritt zum inter­na­tionalen ter­ror. der beste­ht wahlweise aus dem ver­fas­sungss­chutz, der längst alle ehe­mals ter­ror­is­tis­chen zellen unter­wan­dert hat, der spd, die immer über­all ihre fäden zieht, oder der neuen cd von tokio hotel. sich selb­st hät­ten sie eigentlich auch gle­ich noch dazu zählen kön­nen. aber die buschtrom­mel singt doch wesentlich bess­er als die tee­nie-band. und ist auch erwach­sen­er. zumin­d­est ein biss­chen.

sting: songs from the labyrinth

oh mein gott, wie kon­nte das nur passieren. wer hat nur zuge­lassen, dass diese auf­nah­men an die öffentlichkeit gelangten: sting ver­sucht john down­land zu sin­gen. und so sehr ich (bish­er) sting mochte und auch noch mag — ger­ade kür­zlich erst wieder in erin­nerung gerufen durch den auf dimead­ozen ver­füg­baren mitschnitt des genialen konz­ertes „the art of the heart” in los ange­les — , auch wenn seine let­zten cds zunehmend schwäch­er wur­den (soweit sie aus dem stu­dio stammten, live ist er irgend­wie dann doch immer bess­er geblieben), naja, jeden­falls, was ich sagen wollte: eigentlich bin ich sting ganz pos­i­tiv zuge­tan. aber das geht ja nun gar nicht: er ver­sucht, laut­en­lieder von john down­land zu sin­gen. dum­mer­weise hat er mit­tler­weile fast über­haupt keine stimme mehr, falls er sie je hat­te. und das wird dann wirk­lich grotesk, wenn ein musik­er wie sting verzierun­gen, melis­men der barockzeit singt: absur­dere auf­führun­gen lassen sich ja kaum noch denken.

was mich aber noch mehr erschreckt: die cd ist bei der deutschen gram­mophon gesellschaft erschienen. das war ein­mal eine respek­table fir­ma — man denke nur daran, was sie mir der „archiv-pro­duk­tion” für die his­torisch informierte auf­führung­sprax­is getan hat! — , ein solides unternehmen der klas­sik-branche. wie die meis­ten großen haben sie aber nicht verkraftet, dass weniger leute ihre cds kaufen (wollen, kaufen wollen wer­den, was auch immer): die drehen da in ihren büros wohl inzwis­chen vol­lkom­men am rad … wenn ich mir vorstelle, was die jet­zt schon so zusam­menge­braut haben — ich sage nur „re-com­pose”… lustig ist das nur insofern, als es doch ger­ade so fir­men wie die dgg waren, die ein­mal so etwas wie cor­po­rate iden­ti­ty erfun­den haben (die gel­ben etiket­ten z.b.) — das alles ist längst ver­schwun­den, jet­zt herrscht fröh­liche anar­chie nach den geset­zen des mark­tes. oder was man dafür hält. denn sie scheinen nicht zu ver­ste­hen (wollen), dass es vielle­icht gar nicht so schlimm sein muss, dass man von ein­er einzi­gen cd keine hun­der­tausende exem­plare abset­zen kann. es gibt ja doch genug fir­men, die vor­ma­chen, dass man auch mit ver­gle­ich­sweise kleinen aufla­gen gutes geld ver­di­enen kann …

naja, soviel zur pro­duk­t­poli­tik der dgg — ich habe schon sehr lange keine cd mehr von ihnen gekauft, fällt mir ger­ade ein. zur sting-cd will ich gar nicht viel sagen. dass er halt nicht so richtig gut sin­gen kann — geschenkt. dass er aber unbe­d­ingt im mehrspurver­fahren seinen eige­nen chor spie­len muss — lächer­lich. dass er das ganze mit der — grauen­haft unter­mal­ten — lesung von briefz­i­tat­en aufzu­pep­pen müssen meint — auch so eine ver­fallser­schei­n­ung. nie­mand traut da bei den zuständi­gen leuten der musik mehr. und den käufern, den zuhör­ern, sowieso nicht: mir sieht das schw­er danach aus, als wolle man damit soge­nan­nte bzw. so emp­fun­dene „pop”-kunden zur klas­sik hinüberziehen. ob das mit so ver­queren pro­duk­ten, so mis­s­rate­nen auf­nah­men, die ja jedem klas­sikhör­er die zehen­nägel hochrolle, gelingt, bezweifel ich doch sehr. das einzige, was man diesem zeug mit viel gutem willen zugute hal­ten kann, ist der hauch von authen­tiz­ität, den sting halt auch in seinen schlecht­esten momenten noch ver­strö­men zu ver­mag: er ist ja nicht umson­st der pop-star gewor­den, der er ist — dazu gehört eben dur­chaus nicht zulet­zt auch eine ordentliche por­tion charis­ma. und ein klitzek­lein­er rest ret­tet sich manch­mal sog­ar in die down­land-lieder (die, noch neben­bei bemerkt, auch klangtech­nisch nicht beson­ders gut aufgenom­men sind). die einzige empfehlung: das reine laut­en­stück „for­lon hope fan­cy”. anson­sten durch­hören und schnell wieder vergessen.

einige der hier mis­shan­del­ten lieder gibt es auch ganz ordentlich in der bei zweitausendeins ver­triebe­nen edi­tion lied — nur so als hin­weis…

sting: songs from the labyrinth. lieder von john down­land. mit edin kara­ma­zov (laute). deutsche gram­mophon 2006.

paul ingendaay liest …

… und zwar aus seinem buch “warum du mich ver­lassen hast”. inter­es­san­ter als die lesung – nix beson­deres, solide, über­legt, aber ohne inspi­ra­tion (wie wohl auch das buch in diese rich­tung zu tendieren scheint) – aber die beobach­tung, wie er mit dem pub­likum umge­ht. zunächst ein­mal wird es immer gründlich zuge­tex­tet: so viel gelaber und geschwalle habe ich von einem „dichter“ oder autor oder textpro­duzent (was wohl am besten passt) sel­ten erlebt. und fast schon zu bewun­dern, die fähigkeit des ein­schleimens, in so viel gerede um nichtigkeit­en und banal­itäten ver­packt, dass es fast gar nicht auf­fällt. naja, nicht mein fall eben, so eine mediokre dichter­lesung – da frage ich mich doch immer, wozu das gut sein soll…

paul ingen­daay liest. er macht das, weil er ein buch geschrieben hat. und er möchte das gerne an ganz viele leute verkaufen. auch in mainz. deshalb set­zt er sich abends in die kleine buch­hand­lung “shake­speare und so” und liest. sein buch heißt “warum du mich ver­lassen hast”. und es ist ziem­lich dick. er kann also nur ganz wenig daraus vor­lesen. denn son­st säßen seine hör­er, die hof­fentlich auch bald seine leser sind, ziem­lich lange da herum. und sie müssten nichts tun als zuhör­ern.

aber das wäre ja nicht das schlimm­ste. denn paul ingen­daay kann gut vor­lesen. mit wenig aufwand macht er das. nüchtern und sach­lich klingt seine stimme angenehm durch die buch­hand­lung. aber er weiß auch genau, was bei den lesern und zuhör­eren gut ankommt. denn das hier in mainz ist ja nicht seine erste lesung. er weiß also genau, wo er die lach­er auf sein­er seite hat. oder wo er die stimme ein wenig heben muss. oder das es schön ist, dass er zwis­chen­durch mal eine weile ste­hend liest.

sein buch erzählt mit viel witz und sen­si­bil­ität von marko. marko ist 15 und lebt in den siebzigern in einem katholis­chen inter­nat. das ist auch schon fast alles. denn es geht um “mäd­chen, büch­er und gott”. die mäd­chen fehlen marko und seinen fre­un­den sehr. das gibt anlass zu aller­lei lusti­gen und trau­ri­gen verzwei­flungstat­en. büch­er dage­gen gibt es mehr als genug. die kann man lesen und dann lange darüber reden. ob es genug gott gibt, ist hinge­gen nicht so ganz klar.

das ist also eine menge stoff. eben 500 seit­en dick. zum vor­lesen hat der autor sich ein paar pas­sagen aus dem anfang her­aus gesucht. da gibt es näm­lich ganz viel zu lachen. später tauchen noch span­nende ver­wick­lun­gen und hochdrama­tis­che vorgänge auf. aber die will paul ingen­daay noch nicht ver­rat­en. denn das buch soll man ja noch lesen.

dafür beant­wortet er nach dem lesen auch noch die fra­gen der hör­er. mit viel geduld. denn bes­timmt ist er schon ganz oft gefragt wor­den, was in seinem buch wahrheit und dich­tung ist. oder wie es ihm in sein­er jugend im katholis­chen inter­nat erg­ing.

kaufen darf und kann man das buch natür­lich auch gle­ich. und wenn man will, unter­schreibt paul ingen­daay das auch noch — damit auch jed­er glaubt, dass er es selb­st geschrieben hat. und das man ihn ein­mal leib­haftig gese­hen hat. das kann man dann seinen enkeln erzählen, später, wenn man alt ist. aber ob dann noch jemand weiß, wer paul ingen­daay ist? vielle­icht wird er dann ja ger­ade wieder­ent­deckt. als ein muster­beispiel des for­mvol­len­de­ten erzäh­lens, dass dem leser freude bere­it­et. oder so ähn­lich.

paul ingen­day: warum du mich ver­lassen hast. münchen: schirmer­graf 2006.

Westrand: Dieter M. Gräfs vagabundierende Lyrik

tja, das ist das ergeb­nis des man­is­chen bücherkaufens aus den rest­posten — so etwas rutscht auch immer wieder hinein. denn mit diesen gedicht­en kann ich nicht viel anfan­gen. das hat mehrere gründe — vielle­icht war ich ja auch nur nicht in der richti­gen stim­mung. aber ein­wände habe ich fol­gende:

  • die ständi­gen enjambe­ments: ich ver­ste­he diese über­frach­tung der gedichte damit ein­fach nicht, das ist längst vom stilmit­tel und aus­drucks­form zum manieris­mus verkom­men
  • die forcierte her­metik der bilder: das ist nicht nur vol­lkom­men bemüht, son­dern auch so ziel­los, ergeb­nis­los — es ergeben sich meist nicht ein­mal inter­es­sante fügun­gen aus der krampfhaften anstren­gung, möglichst ver­quere meta­phern zu bilden…
  • klar, die “ein­fache” lek­türe wird durch die dun­klen, verblassten, ver­schat­teten bilder absichtlich erschw­ert, ver­hin­dert und ver­langsamt bzw. auch nur unter­brochen, abge­brochen — jeden­falls irgend­wie ver­baut
  • das ner­vende daran ist aber vor allem, dass sich aus den fast nur in zweizeil­ern (zudem fast immer super kurzen zeilen) daherk­om­menden gedicht­en eigentlich nie ein fluss ein­stellt, schon gar nicht so etwas wie ein flow
  • und die ewigen anspielun­gen (die er zudem noch meint im appen­dix erk­lären zu müssen, weil sie solo eben doch nicht immer funk­tion­ieren) auf helden(-sagen) fan­gen auch nach weni­gen seit­en an zu ner­ven
  • kurzge­sagt: bil­dung­shu­berei, pseu­do-anspruchsvoll, ohne (erkennbaren) sinn und zweck und zusam­men­hang — das fängt schon mit dem mot­to (von gior­dano bruno, beze­ich­nen­der­weise zitiert nach rolf dieter brinkmanns rom, blicke) an und hört eigentlich erst mit dem appen­dix (auch der kann natür­lich nicht ein­fach anmerkun­gen oder anhang heißen) auf.

also: ein­fach ziel­los umher­schweifende, sich möglichst klug gebende, die bemühung dazu aber nie ver­hehlende lyrik — ziem­lich lang­weilig und spröde…

dieter m. gräf: wes­trand. gedichte. frankfurt/main: suhrkamp 2002.

Der Erlöser und Erretter ist da — Messias in der Christuskirche

also, ich halte davon ja nicht so viel, jet­zt auch noch die ganzen bear­beitun­gen gezielt aufzuführen, als eigen­ständi­ge kunst­werke sozusagen. zumal ich mozarts ver­sion wed­er notwendig noch — aus heutiger zuhör­ersicht, mit den möglichkeit­en und erfol­gen (–> paul mccreeshs her­aus­ra­gende ein­spielung bei der archiv-pro­duk­tion etwa!) im ohr und kopf, — für gelun­gen erachte — aus der heuti­gen sicht, wohlge­merkt und betont. denn zu mozarts zeit­en mag das dur­chaus ein ehren­wert­er ver­such gewe­sen sein, zumal er ja in die makrostruk­tur erfreulich wenig einge­grif­f­en hat. aber das völ­lig neue orch­ester, die umin­stru­men­tierun­gen und neuen stim­men, ändern doch (fast) alles. der bach­chor macht seine sache trotz­dem wun­der­bar, auch wenn ich mich wie so oft für den mes­sias dieses mal wieder nicht unbe­d­ingt begeis­tern kann — das schaffte bish­er nur mccreesh. ok, soviel zum aufwär­men, jet­zt geht es zur sache:

gewöhn­lich wird der „mes­sias“ von hän­del im advent oder eventuell noch vor den oster­feierta­gen musiziert. ihn am tag der deutschen ein­heit aufs pro­gramm zu set­zen, führt deshalb zu eini­gen unge­wohn­ten assozi­a­tio­nen. aber es gibt ja jet­zt auch schon lebkuchen, wei­h­nacht­en kann also nicht mehr weit sein. ralf otto lässt sich von solchen äußer­lichkeit­en sowieso nicht beson­ders beein­druck­en. und ger­ade beim „mes­sias“, den er für das diesjährige konz­ert des bach­chors am deutschen nation­alfeiertag auswählte, hat er damit ganz beson­ders recht. denn hän­dels ora­to­ri­um ist ja über­haupt keine kirchen­musik und außer­dem der­maßen abstrakt und – zumin­d­est was den text ange­ht – so undrama­tisch, dass man es für fast jeden anlass nutzen kann. zumal in der chris­tuskirche gar nicht der orig­i­nale mes­sias – von dem es ja auch schon mehr als genü­gend ver­sio­nen gibt – zu hören war, son­dern die von mozart ange­fer­tigte bear­beitung: das ist his­torische auf­führung­sprax­is auf meta-ebene. diese fas­sung hat aber jeden­falls den vorteil, dass sie immer schon deutsch ist.

sie klingt dann auch gle­ich von beginn an völ­lig anders. das liegt vor allem an der geän­derten orchestrierung, hier hat mozart am stärk­sten einge­grif­f­en und ergänzt. in der chris­tuskirche ist tat­säch­lich auch ein kom­plettes mod­ernes sin­fonieorch­ester, die staat­sphil­har­monie rhein­land-pfalz, am werk – und gar nicht so schlecht. davor ste­hen natür­lich die vier oblig­a­torischen solis­ten: tenor daniel sans bleibt in jed­er sekunde sou­verän, die mez­zoso­pranistin ger­hild romberg­er, die dieses mal allerd­ings etwas far­b­los blieb, lässt sich genau­so wenig aus der ruhe brin­gen wie die biegsame stimme der sopranistin moni­ka mauch. so richtig umw­er­fend war von den solis­ten allein der bass: aus­gerech­net klaus mertens, der eigentlich nur eine recht beschei­dene rolle hat, überzeugte mit aus­nehmend präzis­er und fes­sel­nder dar­bi­etung beson­ders. denn damit lag er voll auf der lin­ie von ralf otto. der heizte wieder ein­mal kräftig ein: starke akzente forderte er, baute die chöre wun­der­bar zur erhabenen größe auf und entliess doch das einzelne wort nie aus sein­er ver­ant­wor­tung. mit jedem schub­ser, den er seinen musik­ern verabre­ichte, set­zte er einen weit­eren baustein in die sorgfältig geplante architek­tur des klang­doms von hän­del und mozart, hievte mächtige brock­en mit viel kraft genau­so sich­er an ihren platz wie er fein­ste zise­lierun­gen her­ausar­beit­ete. kun­st und dra­ma, handw­erk und inspi­ra­tion gin­gen so eine frucht­bare verbindung ein –- egal, ob jet­zt ger­ade wei­h­nacht­en, ostern oder der tag der deutschen ein­heit ist.

schon wieder mozart: notturni und divertimenti

das ist aber, wenn es schon immer mozart sein muss, wenig­stens ein­mal etwas, was son­st nicht zu find­en ist: die not­turni für drei singstim­men und drei bas­sethörn­er. ulf roden­häuser hat damit wieder ein­mal ein typ­is­ches vil­la-musi­ca-pro­gramm gestrickt: klug und schön gle­icher­maßen…

nachts ist alles anders. was son­st ver­schieden ist, erscheint nun plöt­zlich gle­ich: die katzen sind alle grau. das ist ein per­fek­tes umfeld für mozarts not­turni und die katzen­wiegen­lieder von igor straw­in­sky. in der vil­la musi­ca war es allerd­ings noch heller nach­mit­tag, als die stu­den­ten – stipen­di­at­en der vil­la und teil­nehmer der singing-sum­mer-kurse – die bühne betrat­en. aber hin­der­nis war das keines, sie kön­nen es trotz­dem erre­ichen, das klassen­ziel – die ver­schmelzung von men­schlich­er stimme und instru­menten der klar­inet­ten­fam­i­lie zu einem klang.

die klar­inette, vor allem aber die bas­set­thörn­er, ihre tief­er­en ver­wandten, die man in freier wild­bahn kaum mehr antrifft , war schon zu mozarts zeit­en ein scheues tier. der hat sie aber trotz­dem geliebt und ihnen nicht nur instru­men­tales wie die diver­ti­men­ti kv 439b geschrieben, er hat sie auch mit leib­hafti­gen sängern zusam­men gebracht. schon zu sein­er zeit sagte man diesen blasin­stru­menten beson­dere nähe zur gesangsstimme nach. und genau das war auch in der vil­la musi­ca zu beobacht­en: die jun­gen stu­den­ten bemüht­en sich unter der leitung ihrer dozen­ten, ulf roden­häuser für die musik­er und clau­dia eder für die sänger, ausseror­den­lich um das mis­chen der klang­far­ben. und in den sechs miniatur­dra­men der not­turni, den aufs höch­ste eingedampften opern­szenen, gelang ihnen nicht nur das, sie bewahrten sich und ihrem pub­likum ausser­dem auch noch ein ganz klares klang­bild, dass es den sängern leicht machte und neben­bei für die zuhör­er die tex­thefte auch noch über­flüs­sig machte.

auch ohne die sänger zeigten die klar­inet­tis­ten, dass man auch ohne sen­ti­men­tal­en kitsch emo­tionale musik machen kann: mit ver­stand und kön­nen nutzen sie die reichen möglichkeit­en, bleiben dabei immer gelassen und ohne aufre­gung: so wün­scht man sich den mozart: zart anschmiegsamer wohlk­lang mit rück­grat sozusagen, beson­ders berührend aus­ge­führt im ada­gio kv 580a. straw­in­skys katzen­wiegen­lieder sind genau­so kurz, vor allem aber sehr humor­voll – und das geniesst die mez­zoso­pranis­tis regi­na pätzer sichtlich.

damit es nicht bei den kleinigkeit­en aus der nacht blieb, stand auch noch jens-peter osten­dorfs „1791“ auf dem pro­gramm, eine hom­mage an mozart aus anlass des let­zten jubiläums, vor allem aber ein zeug­nis des spielerischen umgangs mit klang­ma­te­ri­alen aus der musikgeschichte, mit vielfach gebroch­enen und reflek­tierten motivteilen, die mit grossen effek­ten den anspruch auf grossar­tigkeit erheben. und die in ermü­den­der aus­führlichkeit bis zum ver­s­tum­mend er musik führen – was roden­häuser aber nie daran hin­dert, seine schüler immer wieder neu zu grösster musikalis­ch­er exak­theit anzutreiben.

nachtrag: so klingt china, wenn es in deutschland zu besuch weilt

und wenn es zeigen muss, dass die all­ge­meinen vorstel­lun­gen nicht ganz daneben lagen.…

der schnei­dende klang der sheng mis­cht sich unauf­fäl­lig mit dem näseln der erhu und dem zir­pen der unzäh­li­gen sait­en von zheng, yangqin und pipa: im foy­er des swr ist einiges anders als son­st. die fünf solis­ten des nationalen fil­morch­esters aus peking sind auf ein­ladung der vil­la musi­ca und des swr gekom­men, um in mainz zu zeigen, wie sich „der klang chi­nas“ anhört. „der“ klang meint hier expliz­it den tra­di­tioneller musik, alter und neuer, in ver­schiede­nen beset­zun­gen. und dazu gehören eben vor allem und zuerst ein­mal die exo­tis­chen instru­mente: die sheng ist eine art mundorgel, die erhu ähnelt ent­fer­nt ein­er geige mit zwei sait­en, ohne griff­brett und putzig kleinem kor­pus – die ähn­lichkeit beste­ht im grunde also nur darin, dass es ein stre­ichin­stru­ment ist. zheng ist ein zither-ähn­lich­es instru­ment, wohinge­gen yangqin bloß die chi­ne­sis­che vari­ante des hack­bretts und pipa eine laute ist.
das ist alles reich­lich selt­sam und unge­wohnt, die fotoap­pa­rate der deutschen klick­en und klack­en auch unen­twegt. und doch ist die musik gar nicht so viel anders: man ver­ste­ht es schon irgend­wie — oder glaubt zumin­d­est, es zu tun.
der klang der instru­mente und die art des zusam­men­spie­lens ist zunächst der größte unter­schied. doch je genauer man hin­hört, desto ver­trauter wird das. das chi­ne­sis­che hack­brett etwa unter­schei­det sich kaum von der europäis­chen vari­ante, wird allerd­ings hochvir­tu­os einge­set­zt: die schlegel wirbeln über die sait­en, das kann man kaum noch mitver­fol­gen. auch die zheng erscheint nicht ganz so fremd: eigentlich nur eine etwas ungewöhn­lich zither. dern ton­höhen sich vari­ieren lassen und deren klang mit der zweit­en hand tief­greifend verän­dernd wer­den kann: vom zit­tern­den vibra­to bis zum dröh­nen­den brum­men reichen die möglichkeit­en.
und alles ste­ht im dien­ste eines poet­is­chen musikver­ständ­nis. man muss sich nur die titel anschauen – die sind selb­st schon reine poe­sie: „der pfau begrüßt den früh­ling“, „blühende mond­nacht auf dem früh­lings­fluss“ oder „blühende blu­men und der voll­mond“. und so erscheint die musik auch: immer sehr beschreibend, die natur oder ein mythis­ches geschehen abbildend, immer in großer har­monie und ein­tra­cht – was nicht heißt, dass da stets belan­glogs dahin plätschert: titel wie der „kampf gegen den tai­fun“ oder tanz­musiken ent­fachen auch unge­heure wirbel – mit fünf instru­menten kön­nen die chi­ne­sen jeden­falls eine menge dampf machen.

mainzer volkslauf

das war nichts. in einem anfall von über­mut hat­te ich mich nach dem güt­ters­bach­er halb­marathon für die 20km des mainz­er volk­slaufes angemeldet. nicht gerech­net habe ich mit den prob­le­men, meine form wieder sta­bil zu bekom­men. und irgend­wie war auch ger­ade die luft ein biss­chen raus, län­gere läufe habe ich kaum noch gemacht, jeden­falls in den wochen vor dem 23. 9. viel zu wenig kilo­me­ter gesam­melt. dann habe ich auch erst spät real­isiert, dass der lauf zu ein­er für mich extrem ungün­sti­gen zeit, näm­lich um 14 uhr, startet. naja, jet­zt wollte ich es halt ein­fach durchziehen.

der sam­stag war dann schon nicht ver­heißungsvoll — für meine ver­hält­nisse viel zu warm (um die 25 °, sehr son­nig). bei der anfahrt zum großen sand habe ich mich auch noch ver­tan und und gon­sen­heim ver­franst — sehr pein­lich. son­st lief alles prob­lem­los: zur anmel­dung, start­num­mer abge­holt, den cham­pi­onchip aktiviert und ein wenig war­mge­laufen, noch schnell ein biss­chen wass­er getankt und fer­tig für den start. der erfol­gte pünk­tlich um 14 uhr. und damit fin­gen die prob­leme auch schon sehr bald an. die ersten kilo­me­ter waren — wie fast die gesamte strecke — ziem­lich eng. ich hat­te enorme schwierigkeit­en, ein vernün­ftiges tem­po zu find­en. und ich merk­te schnell, dass ich ziem­lich unfit war. die 1:40, die ich so grob angepeilt hat­te — sub 1:45 soll­ten es auf jeden fall wer­den — waren dann auch schon nach den ersten bei­den kilo­me­tern (5:23, 5:5:26) gegessen.

es wurde allerd­ings auch nicht wirk­lich bess­er. die strecke, die ich nicht kan­nte, hat mir eigentlich über­haupt nicht gefall­en, ich hätte vielle­icht auch meine anderen schuhe anziehen sollen. jeden­falls ging mir das ständi­ge kreuz-und-quer-gekurve durch den gon­sen­heimer wald rund um die 14-nothelfer-kapelle schon sehr bald auf die ner­ven. der sandi­ge boden war auch nicht so mein ding. vor allem nervte micht der ständig wech­sel zwis­chen min­i­malen anstiegen und leicht­en abwärtspas­sagen viel mehr als ich erwartete — keine ahnung, warum mir das so ver­flixt schw­er vorkam. so in der mitte der ersten runde war ich schon kurz davor, nach dieser runde abzubrechen. aber dann ging es doch eine weile wieder recht gut und ich raffte mich auf zum weit­er­laufen — zumal ich auch über­haupt keinen plan mehr hat­te, wo ich ger­ade war — ich hechelte nur noch von kilo­me­ter­markierung zu kilo­me­ter­markierung, bekam bei dem blick auf meine stop­puhr immer wieder das kalte grausen (anson­sten war es ja reich­lich warm…) der erste krampf machte sich bei der rück­kehr zur kapelle auch schon bemerk­bar, mit ein paar dehnun­gen hin­derte ich ihn aber am man­i­fest­wer­den, musste die unter­brechende übung aber noch zweimal ins laufen ein­flecht­en. und am km 12 wurde es dann richtig quälend — jet­zt war der mann mit dem ham­mer nur noch für mich da. und als wäre das nicht genug, fing auch noch mein rechter fuß blödsin­nig zu schmerzen an — wie ich später fest­stellte, habe ich mir eine ziem­lich riesige blase in der nähe de bal­lens gelaufen (wohl an der kante der innen­sohle — ist mir jeden­falls noch nie passiert, so etwas). beim let­zten anstieg durch die schneise (eigentlich ein klacks für jeman­den, der ab und an im oden­wald läuft…) wurde jed­er schritt zur qual. mit mehreren kleinen geh­pausen und dank der vie­len auf­muntern­den anfeuerun­gen der mich nun stetig über­holen­den läufer kon­nte ich mich immer­hin noch aufraf­fen, ins ziel zu tra­ben — glück­lich war ich aber nur über das ende der qual.

die zeit­en sahen dann so aus:
5:23
5:26
5:01 (ein ver­such, das ganze noch zu ret­ten ;-))
5:20
5:05
10:50 (km-schild überse­hen)
5:15
5:10
10:58 (km-schild überse­hen)
5:24
5:37
5:42
6:56 (das muss die erste beinah-krampf-pause gewe­sen sein)
5:31
6:09
5:54
6:01
5:52
macht zusam­men nach mein­er stop­puhr eine gesamtzeit von 1:51:43 — das offizielle ergeb­nis wollte ich nicht mehr abwarten, im inter­net ist es jet­zt auch endlich: 1:51:17. und damit war ich sog­ar noch drit­ter in mein­er alter­sklasse — sehr ver­wun­der­lich…

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