Lesen. Hören. Und ein bisschen schreiben.

Kategorie: literatur Seite 35 von 37

hofmannsthal gemalt

ulrich weinzierl behauptet, „skizzen” zum „bild” hugo von hof­mannsthal geschrieben zu haben. meine überzeu­gung nach der lek­türe: das sind nur stu­di­en zum hin­ter­grund des porträts. und ein bild ohne seinen gegen­stand ist ziem­lich lang­weilig. dazu passt, dass er aus hof­mannsthal einen schrift­steller ohne werk macht. lit­er­arisches kommt in diesem rundgang durch hof­mannsthals epis­tolo­graphis­ches werk näm­lich so gut wie gar nicht vor.

dafür hat weinzierl alles an briefen und zeug­nis­sen gele­sen, was es zu hof­mannsthal gibt, und auch ganz fleißig exz­er­piert. und dann hat er seinen zettelka­s­ten abgeschrieben. beze­ich­nend für diese arbeitsweise ist das fre­unde-kapi­tel, zugle­ich der haupt­teil der nicht ger­ade umfan­gre­ichen studie: dort erfährt man im end­ef­fekt mehr über die fre­unde als über den eigentlichen gegen­stand, hugo von hof­mannsthal. so entste­hen knapp 230 seit­en, dafür aber fast 1000 fußnoten, die auss­chließlich zitat­nach­weise bieten (mit aus­nahme ein­er quelle hat der autor näm­lich alles in die end­noten gepackt).

das wesentliche fehlt aber. hof­mannsthal bleibt blass: kein men­sch wird hier beschrieben, keine per­son — nur äußerun­gen wer­den referiert. noch nicht ein­mal einen min­i­malen biographis­chen abriss leis­tet sich weinzierl — für wen ist das buch denn dann eigentlich gedacht? denn sein­er ansicht nach gibt es ja über­haupt gar keine taugliche biogra­phie des autors. auch wed­er die epoche wird einge­hend charak­ter­isiert noch der men­sch. gut, in bezug auf die epoche gibt es immer­hin ansätze — was das gesellschaftliche leben ange­ht vor allem, in hin­blick auf poli­tis­che oder gar kul­turelle zusam­men­hänge gibt sich weinzierl bedeckt.

die forschung bleibt immer anonym, mit for­mulierun­gen wie „neueste forschun­gen” mogelt sich weinzierl da durch. andere biogra­phien oder deren ver­suche hat er kaum zur ken­nt­nis genom­men bzw. kaum ver­w­ertet. zumin­d­est spiegelt der text kein­er­lei auseinan­der­set­zung wider. seine eige­nen urteile erscheinen mir — der ich kein experte auf diesem gebi­et bin — dann immer etwas freis­chwebend, sozusagen feuil­leton­is­tisch: pointiert bis ins extrem, aber ohne wirk­lich sach­haltige nach­weise oder belege. dafür mok­iert sich weinzierl aus­ge­sprochen gern über jeden einzel­nen schreibfehler in den briefen, beson­ders wenn er den absender in seinem ver­hält­nis zu hof­mannsthal sowieso neg­a­tiv zeich­nen will.

selt­sam und befremdlich fand ich auch seine marotte, zwis­chen homophilie, homo­erotik und homo­sex­u­al­ität beliebig hin- und herzuwech­seln — je nach bedarf. eigentlich erscheint mir ja schon die gern gebrauchte wen­dung der homo­erotik als halbe korinthenkack­erei und augen­wis­cherei, wird sie doch in der regel — ins­beson­dere bei thomas mann — gebraucht, um eine nicht prak­tizierte, nicht offen und umfassend aus­gelebte homo­sex­u­al­ität zu beschreiben. das mag ja noch ange­hen, aber dann noch eine homophilie — die, wenn ich das richtig sehe, vor allem eine jugendliche schwärmerei sein soll — zu kon­stru­ieren, ist doch irgend­wie lächer­lich: entwed­er geht es um eine (sex­uelle) ori­en­tierung oder um fre­und­schaft.

ins­ge­samt hin­ter­lässt mich weinzierl zutief­st unbe­friedigt: die rät­sel­haftigkeit, das sprung­hafte wesen hof­mannsthal, wie es sich ger­ade in der Pflege (oder Zer­störung) sein­er Fre­und­schaft zeigt, den zahlre­ichen brüskierun­gen eben­so wie den fle­hen­den bit­ten um verge­bung, lassen weinzierl (und damit seine leser auch) aus­ge­sprochen rat­los zurück. viel mehr als bloßes referieren leis­tet er da, wo es um das eigentlich der biogra­phie, die erforschung des charak­ters, gehen sollte, nicht. dafür zieht er sich, je weit­er er im text fortschre­it­et, immer mehr auf ein äußerst sim­plizis­tis­ches erk­lärungsmod­ell zurück: hof­mannsthal war halt ein genie und hat entsprechend unerk­lär­lich gehan­delt. das gipfelt dann in solch absur­den und idi­o­tis­chen sätzen wie diesem: „hat hugo von hof­mannsthal seine frau seel­isch mißhan­delt? keineswegs mehr, als jedes andere genie das eben tut.” (210) mehr braucht man dazu wirk­lich nicht sagen.

ulrich weinzierl: hof­mannsthal. skizzen zu seinem bild. darm­stadt: wis­senschaftliche buchge­sellschaft 2006 (wien: zsol­nay 2005).

und noch einmal etwas zum lieben marcel

mrr bekommt jet­zt noch einen ehren­dok­tor (wofür eigentlich?), den neun­ten (bzw. den sech­sten in deutsch­land), wie er, stolz wie oskar, unbe­d­ingt erwäh­nen muss im inter­view, dass die „welt” aus diesem anlass mit ihm führte. schön und gut, wenn die hum­boldt-uni­ver­sität meint, mrr müsse unbe­d­ingt geehrt wer­den, soll sie doch … aber dann kommt gle­ich wieder so ein typ­is­ch­er reich-ran­ic­ki-satz: „Berlin, das war für mich der damals ver­pönte Hein­rich Heine. Das war für mich selb­stver­ständlich Thomas Mann.” berlin = thomas mann? in den 1930ern? wie kommt man denn bitte darauf? dafür gibt es doch nun wirk­lich kein­er­lei anlass, wed­er biographis­chen noch lit­er­arischen: thomas mann war lübeck und/oder münchen, aber doch nicht berlin. wed­er spielt die stadt in seinen werken noch in seinem leben eine größere rolle. und umgekehrt schon gar nicht. der rest ist dann nur noch das übliche nichtssagende geblub­ber: ein kri­tik­er, der sich weigert, posi­tion zu beziehen; hochtra­ben­des gewäsch über die rolle der juden in der zeit­genös­sis­chen deutschen lit­er­atur etc: mrr eben.

botho strauß träumt und phantasiert

es ist ja immer so eine sache mit den tex­ten von botho strauß: sie liegen mir nicht unbe­d­ingt. aber sie lassen qual­itäten erken­nen. das gilt auch für die nacht mit alice, als julia ums haus schlich. ein selt­sames traum­buch ist das, beherrscht von der ödnis der städte bzw. der stadt, näm­lich berlins. und schon sind wir mit­ten im prob­lem: der topos der öden, kalten, leeren stadt – das ist schon ziem­lich vorgestrig …

verblasste, schemen­hafte men­schengestal­ten schweben durch den text, die oft mehr schat­ten als fleisch und blut sind, lose über zufäl­lige und ange­ord­nete begeg­nun­gen miteinan­der verknüpft. strauße schreibt hier seine sicht der gegen­wart nach der post­mod­erne ‑die war ja im „par­tiku­lar“ und vor allem der „beginnlosigkeit“ an der rei­he gewe­sen. jet­zt ist alles leer und frei von alten sin­ngaran­ten, die nicht ein­mal mehr als zitat oder mate­r­i­al für col­la­gen o.ä. vorkom­men – ödnis eben. statt dessen, statt der wahren welt, herrscht eine traumwelt, weitab der real­ität. vor allem ver­schwindet und ver­schwimmt die gren­ze zwis­chen der phan­tastis­chen welt des traumes und den spär­lichen resten der real­ität zunehmend.

der text, das sind nur noch frag­mente und bruch­stücke: die kohä­sion wird, so scheint es mir im moment, von text zu text, von buch zu buch, niedriger: das schwebt aneinan­der vor­bei, wie große blasen in einem geschlosse­nen raum: ab und an verbinden sich welche, teilen sich irgend­wo und irgend­wann auch wieder, feste zustände gibt es ein­fach nicht mehr. dazu kommt dann noch, dass strauß unbe­stre­it­bar ein großar­tiger stilist ist (auch das scheint sich immer mehr auszuprä­gen …): per­ma­nent herrscht ein ver­hal­ten durch­scheinen­der zarter, leichter apoka­lyp­tis­ch­er grund­ton – am stärk­sten wohl in den ein­deuti­gen traumteilen – denn die traum­se­quen­zen sind in dif­feren­ziert­er evi­denz mon­tiert. und wun­der­bare beschrei­bung, her­rlich alt­modisch anmu­tende ver­gle­iche:

“wie lange noch dastehn? in dieser uni­ver­sal­rat­losigkeit. aus­sicht­s­los.” (147, hier total aus dem zusam­men­hang geris­sen)

ja ja, diese jugend …

was machen wir bloß mit der …, wohin soll die ewig par­ty und das ständi­ge abhän­gen nur führen? das muss doch endlich – und zwar ganz gewaltig bald – im total­en absturz, im endgülti­gen nieder­gang und chaos deutsch­lands enden. joachim lottmann schlägt sich damit ja immer wieder gerne rum: die jugend von heute. ihr zus­tand, ihre pläne, ihr benehmen, ihre orte, ihre musik, ihre was-auch-immer… lassen ihn auch im mit­tler­weile recht fort­geschrit­te­nen alter nicht los. das ist immer etwas erk­lärungs­bedürftig, und das weiß lottmann auch sehr genau. nur kann oder will er es nicht recht klar machen, warum sein erzäh­ler immer noch den jun­gen leuten hin­ter­her­hechelt, in ihnen immer noch die erlös­er vom all­t­ag sucht.das gilt natür­lich für kein text weniger als für „die jugend von heute“mischung aus rainald goetz auf der einen und ben­jamin lebert sowie stuck­rad-barre auf der anderen seite. nur eben bei weit­em nicht so kon­se­quent wie goetz (auch lange nicht so fähig zur analyse), aber lei­der auch nicht so leicht und harm­los wie die anderen pseu­do-pop­per. deshalb bleibt das weit­ge­hend indif­fer­ent und nichtssagend – egal, von welchem blick­winkel aus man das büch­lein betra­chtet.

vor allem aber ist es eine fund­grube für lust­barkeit­en und schöne aussprüche, die ich zwar ger­ade abgetippt hat­te, die mir word­press aber jet­zt geklaut hat und die deshalb hier nicht mehr ste­hen. überig geblieben ist nur:

  • „unser kul­tur, also die jugend­kul­tur, war erken­nt­nisim­mun.“ (81)
  • „diese ganze musikin­dus­trie war für kinder gemacht, für men­schen zumin­d­est, die noch niemals vom baum der erken­nt­nis genascht hat­ten und es auch nie tun wür­den.“

jolo (wie der autor seinen stel­lvertreter, die erzäh­ler­fig­ur im buch nen­nt) würde sich wahrschein­lich krumm und scheck­ig lachen über all die, die diesen text auf irgend eine art und weise ernst nehmen… – vor satire- und ironiemerk­malen wim­melt es ja nur so im text…

man kön­nte ihn natür­lich einen bor­der­line-jour­nal­is­ten nen­nen, aber das wäre blödsinn. denn damit würde man lottmann natür­lich vol­lkom­men missver­ste­hen – was lottmann wiederum freuen würde, denn genau darauf spekuliert er ja, darauf legt er es an. es geht natür­lich um etwas anderes: wahrheit – was ist das? eine über­flüs­sige, anachro­nis­tis­che, in die irre führende idee, deren haupt­man­gel es naturgemäß ist, dass sie mit der wirk­lichkeit nicht zurande kommt, nichts mit dem erleben des lebens, dem „wahren“ leben also (ha, was für ein witz…) ein­fach keine verbindung mehr einge­hen kann. bzw. möglicher­weise eh‘ nie kon­nte… er selb­st for­muliert das dann so: „Die Jugend von heute hat einen erweit­erten Wirk­lichkeits­be­griff. […] Meinen. Sie glauben an nichts mehr, also an alles. Sie unter­schei­den nicht zwis­chen wahr und unwahr oder gut und böse. Sie däm­mern einem offe­nen Zukun­fts­feld ent­ge­gen. Wo andere noch eine Schädeldecke haben, hat die Jugend von heute eine weit offene Tür. So ein crazy Lottmann-Text kommt da ger­ade recht.“
(aus der taz, wo holm friebe, der als chef­denker der zen­tralen intel­li­genz-agen­tur auch mehrfach im text auf­taucht, dann dazu meint: “Alles Teil der Lottmann’schen Ver­schleierungstak­tik.”)

das prob­lem mit lottmann ist halt nur, dass er damit über­haupt nicht weit kommt. ihm fehlt ein­fach nicht nur die ana­lytis­che schärfe, son­dern auch die gestal­ter­ische kraft, die fähigkeit des formes unter ästhetis­chen gesicht­spunk­ten – da hat ihm halt ein autor wie rainald goetz (übri­gens in bei­den kat­e­gorien) einiges voraus … er selb­st sieht das (vgl. taz-bericht) nicht als nachteil: als „eth­nologe“ schreibe er eben nur auf, ohne wer­tung. das ist freilich schon wieder blödsinn, denn etwas auf­schreiben ohne wer­tung – wie soll das denn gehen? er hätte halt bess­er mal bei hubert fichte nach­le­sen sollen, wie so etwas ausse­hen und (sog­ar unter ver­schiede­nen gesicht­spunk­ten) funk­tion­ieren kann. olaf karnik bewun­dert das dann: „sein umher­schweifend­es Schreiben, seine unver­frorene Aufze­ich­nung banaler All­t­ags­beobach­tun­gen, motiviert von keck­er Selb­ster­mäch­ti­gung.“ aber das sind auch wieder nur leere hülsen: was ist an der aufze­ich­nung, die natür­lich über­haupt keine reine aufze­ich­nung ist, so unver­froren? und was ist an der selb­ster­mäch­ti­gung (mal abge­se­hen davon, dass die wohl jed­er autor aufzuweisen hat…) so keck? immer­hin ist das noch tre­f­fend­er als die behaup­tun­gen auf single-generation.de. “Mit seinem neuen Buch wird er zum Avant­gardis­ten des Anti-Pop.” ste­ht da – aber stimmt das? nein, denn er bleibt natür­lich pop. nur ist der pop halt nicht mehr der der 80er – das kann man bedauern oder feiern, aber es ist halt ein­fach so…

joachim lottmann: die jugend von heute. köln: kiepen­heur & witsch 2004.
eine web­seite zum buch gibt es auch, freilich fast ohne inhalt, dafür mit film­chen: www.young-kraut.de

die textfabrik von marlene streeruwitz

diese autorin schätze ich eigentlich sehr. ihre romane sind nicht nur sprach­liche her­vor­ra­gend gear­beit­ete kunst­werke, son­dern auch in ihrer for­malen gestal­tung. und nicht zulet­zt auch inhaltlich, in ihren zie­len, nicht bloß hochin­ter­es­sant, son­dern auch gut und richtig, um ein­n­mal diese großen worte zu bemühen. die nov­el­le morire in lev­i­tate (2004) allerd­ings zählt nicht dazu. das ist nichts, was mich irgend­wie beein­druck­en kön­nte. möglicher­weise hat­te ich auch ger­ade nur keine lust, mich mit dem ster­ben über­haupt und im beson­deren zu beschäfti­gen – das müsste eine zweite lek­türe noch ein­mal kon­trol­lieren. jet­zt hat­te ich auf jeden fall den ein­druck, das hier nur, ohne allzu große inspi­ra­tion und vor allem ohne dringlichkeit, ohne den drang, etwas sagen/gestalten/machen zu müssen (der bei streeruwitz son­st dur­chaus solide aus­geprägt ist – ger­ade das schätze ich ja so an ihr) – ok, wo war ich? – ach ja, der ein­druck, das hier ohne innere notwendigkeit die textfab­rik arbeit­en musste, um leer­lauf zu ver­mei­den. vielle­icht war es ja die äußere notwendigkeit, auf dem markt und in der öffentlichkeit präsent zu bleiben, die hin­ter der veröf­fentlichung dieser nov­el­le stand. aber jeden­falls erscheint das alles sehr abgenutzt, die stilis­tis­chen mit­tel ohne kon­se­quenz, ohne notwendi­ge verbindung mit dem text und seinem the­ma, die bilder vage und blass – kurz, mich hat es ziem­lich gelang­weilt. also ab in die wieder­vor­lage in 1,2 jahren.

mar­lene streeruwitz: morire in lev­i­tate. nov­el­le. frankfurt/main: fis­ch­er taschen­buch 2006. (erste aus­gabe im s. fis­ch­er ver­lag 2004)

paul ingendaay liest …

… und zwar aus seinem buch “warum du mich ver­lassen hast”. inter­es­san­ter als die lesung – nix beson­deres, solide, über­legt, aber ohne inspi­ra­tion (wie wohl auch das buch in diese rich­tung zu tendieren scheint) – aber die beobach­tung, wie er mit dem pub­likum umge­ht. zunächst ein­mal wird es immer gründlich zuge­tex­tet: so viel gelaber und geschwalle habe ich von einem „dichter“ oder autor oder textpro­duzent (was wohl am besten passt) sel­ten erlebt. und fast schon zu bewun­dern, die fähigkeit des ein­schleimens, in so viel gerede um nichtigkeit­en und banal­itäten ver­packt, dass es fast gar nicht auf­fällt. naja, nicht mein fall eben, so eine mediokre dichter­lesung – da frage ich mich doch immer, wozu das gut sein soll…

paul ingen­daay liest. er macht das, weil er ein buch geschrieben hat. und er möchte das gerne an ganz viele leute verkaufen. auch in mainz. deshalb set­zt er sich abends in die kleine buch­hand­lung “shake­speare und so” und liest. sein buch heißt “warum du mich ver­lassen hast”. und es ist ziem­lich dick. er kann also nur ganz wenig daraus vor­lesen. denn son­st säßen seine hör­er, die hof­fentlich auch bald seine leser sind, ziem­lich lange da herum. und sie müssten nichts tun als zuhör­ern.

aber das wäre ja nicht das schlimm­ste. denn paul ingen­daay kann gut vor­lesen. mit wenig aufwand macht er das. nüchtern und sach­lich klingt seine stimme angenehm durch die buch­hand­lung. aber er weiß auch genau, was bei den lesern und zuhör­eren gut ankommt. denn das hier in mainz ist ja nicht seine erste lesung. er weiß also genau, wo er die lach­er auf sein­er seite hat. oder wo er die stimme ein wenig heben muss. oder das es schön ist, dass er zwis­chen­durch mal eine weile ste­hend liest.

sein buch erzählt mit viel witz und sen­si­bil­ität von marko. marko ist 15 und lebt in den siebzigern in einem katholis­chen inter­nat. das ist auch schon fast alles. denn es geht um “mäd­chen, büch­er und gott”. die mäd­chen fehlen marko und seinen fre­un­den sehr. das gibt anlass zu aller­lei lusti­gen und trau­ri­gen verzwei­flungstat­en. büch­er dage­gen gibt es mehr als genug. die kann man lesen und dann lange darüber reden. ob es genug gott gibt, ist hinge­gen nicht so ganz klar.

das ist also eine menge stoff. eben 500 seit­en dick. zum vor­lesen hat der autor sich ein paar pas­sagen aus dem anfang her­aus gesucht. da gibt es näm­lich ganz viel zu lachen. später tauchen noch span­nende ver­wick­lun­gen und hochdrama­tis­che vorgänge auf. aber die will paul ingen­daay noch nicht ver­rat­en. denn das buch soll man ja noch lesen.

dafür beant­wortet er nach dem lesen auch noch die fra­gen der hör­er. mit viel geduld. denn bes­timmt ist er schon ganz oft gefragt wor­den, was in seinem buch wahrheit und dich­tung ist. oder wie es ihm in sein­er jugend im katholis­chen inter­nat erg­ing.

kaufen darf und kann man das buch natür­lich auch gle­ich. und wenn man will, unter­schreibt paul ingen­daay das auch noch — damit auch jed­er glaubt, dass er es selb­st geschrieben hat. und das man ihn ein­mal leib­haftig gese­hen hat. das kann man dann seinen enkeln erzählen, später, wenn man alt ist. aber ob dann noch jemand weiß, wer paul ingen­daay ist? vielle­icht wird er dann ja ger­ade wieder­ent­deckt. als ein muster­beispiel des for­mvol­len­de­ten erzäh­lens, dass dem leser freude bere­it­et. oder so ähn­lich.

paul ingen­day: warum du mich ver­lassen hast. münchen: schirmer­graf 2006.

Westrand: Dieter M. Gräfs vagabundierende Lyrik

tja, das ist das ergeb­nis des man­is­chen bücherkaufens aus den rest­posten — so etwas rutscht auch immer wieder hinein. denn mit diesen gedicht­en kann ich nicht viel anfan­gen. das hat mehrere gründe — vielle­icht war ich ja auch nur nicht in der richti­gen stim­mung. aber ein­wände habe ich fol­gende:

  • die ständi­gen enjambe­ments: ich ver­ste­he diese über­frach­tung der gedichte damit ein­fach nicht, das ist längst vom stilmit­tel und aus­drucks­form zum manieris­mus verkom­men
  • die forcierte her­metik der bilder: das ist nicht nur vol­lkom­men bemüht, son­dern auch so ziel­los, ergeb­nis­los — es ergeben sich meist nicht ein­mal inter­es­sante fügun­gen aus der krampfhaften anstren­gung, möglichst ver­quere meta­phern zu bilden…
  • klar, die “ein­fache” lek­türe wird durch die dun­klen, verblassten, ver­schat­teten bilder absichtlich erschw­ert, ver­hin­dert und ver­langsamt bzw. auch nur unter­brochen, abge­brochen — jeden­falls irgend­wie ver­baut
  • das ner­vende daran ist aber vor allem, dass sich aus den fast nur in zweizeil­ern (zudem fast immer super kurzen zeilen) daherk­om­menden gedicht­en eigentlich nie ein fluss ein­stellt, schon gar nicht so etwas wie ein flow
  • und die ewigen anspielun­gen (die er zudem noch meint im appen­dix erk­lären zu müssen, weil sie solo eben doch nicht immer funk­tion­ieren) auf helden(-sagen) fan­gen auch nach weni­gen seit­en an zu ner­ven
  • kurzge­sagt: bil­dung­shu­berei, pseu­do-anspruchsvoll, ohne (erkennbaren) sinn und zweck und zusam­men­hang — das fängt schon mit dem mot­to (von gior­dano bruno, beze­ich­nen­der­weise zitiert nach rolf dieter brinkmanns rom, blicke) an und hört eigentlich erst mit dem appen­dix (auch der kann natür­lich nicht ein­fach anmerkun­gen oder anhang heißen) auf.

also: ein­fach ziel­los umher­schweifende, sich möglichst klug gebende, die bemühung dazu aber nie ver­hehlende lyrik — ziem­lich lang­weilig und spröde…

dieter m. gräf: wes­trand. gedichte. frankfurt/main: suhrkamp 2002.

benjamin lebert kann nicht

das war wohl nichts. dem kri­tik­er so eine steil­vor­lage zu liefern mit diesem titel, das ist wohl das mutig­ste an diesem büch­lein. natür­lich (alles andere hätte zumin­d­est mich sehr über­rascht) „kön­nen“ wed­er lebert noch sein held und alter ego tim gräbert. zumin­d­est nicht in dem sinn, in dem es hier ver­wen­det wird: näm­lich schreiben kön­nen. zumin­d­est die lit­er­arische fig­ur kann ander­er­seits doch – sex haben. son­st treibt sie allerd­ings auch nicht viel an. ein junger schrift­steller, der vor eini­gen jahren einen großen erfolg hat­te mit seinem ersten roman und nun nichts mehr zu papi­er bringt – wen das an ben­jamin lebert erin­nert, der ist nicht völ­lig schief gewick­elt. und entsprechend geht es weit­er: er vögelt lustig vor sich hin, ist aber – klis­chee, klis­chee – trotz­dem und immer noch nur ein armer ein­samer hund… der kerl trifft über eine bekan­nte (natür­lich aus dem ver­lag, wo anders als im medien­zirkus treibt er sich gar nicht herum) ein noch jün­geres mäd­chen, abi­turi­entin aus bre­men, die ger­ade in berlin prak­tikan­tin ist und die sich wohl ineinan­der ver­lieben sollen (was natür­lich nicht so ganz klar wer­den darf, wed­er den pro­tag­o­nis­ten noch den lesern). gemein­sam gehen sie auf eine reise durch skan­di­navien, etiket­tiert als ruck­sack­trip, fahren aber munter die ganze zeit taxi oder wenig­stens bus… das ganze endet in einem ziem­lichen fiasko: das mäd­chen dreht immer mehr durch, ist offen­bar schw­er geschädigt durch abwe­senden vater und überehrgeizige mut­ter, was schließlich in ein­er selb­stver­stüm­melung­sorgie endet, die wiederum über ein paar ver­wick­lun­gen dazu führt, das der „held“ gräbert sich mit einem anderen („großen“) schrift­steller anlegt und selb­st von einem schw­ert ver­let­zt wird. und danach endlich kein bock mehr hat, nach ams­ter­dam fährt und sich fröh­lich oder trau­rig bei den pros­ti­tu­ierten dort vergnüg um schließlich seine fre­undin bei deren eltern abzuliefern, damit er das prob­lem endlich los ist.

das lek­torat hat sich dann tat­säch­lich erblödet, das ganze „ein roman über ein­samkeit und helden­hafte ver­suche, diese zu über­winden“ zu tit­ulieren – auf so einen schmar­rn muss man erst­mal kom­men. was mich aber viel mehr geärg­ert hat (und schließlich las ich das auf­grund ein­er pos­i­tiv­en rezen­sion, deren tenor unge­fähr war: jet­zt ist lebert endlich zu einem ernst zu nehmenden schrift­steller gereift), das der ganze ser­mon ein­fach unglaublich schlecht geschrieben ist. lebert kann wed­er vernün­ftig beobacht­en noch ordentlich beschreiben – ver­ste­ht also noch nicht ein­mal sein handw­erk. das ist alles schreck­lich blass und unspez­i­fisch, die fig­uren reden furcht­bar gestelztes zeug daher etc. etc. for­mal ist das sowieso der­maßen prim­i­tiv – schön hüb­sch der rei­he nach erzählt, ein paar völ­lig durch­schaubare andeu­tun­gen sollen wohl so etwas wie span­nung auf­bauen (etwa der strang mit dem brud­er des helden, der behin­dert ist – rein zufäl­lig natür­lich genau­so wie der held von „crazy„…. – und sich kür­zlich umge­bracht hat), in 47 kapiteln, die aber auch nur eine struk­tur sug­gerieren, die gar nicht vorhan­den ist, weil sie vol­lkom­men willkür­lich geset­zt sind.

ach ja, das „kannst du“ ist übri­gens ein zitat aus „mis­ery“ von stephen king (wom­it der ref­eren­zrah­men ja auch gek­lärt wäre…) und bezieht sich hier ganz konkret auf die fähigkeit­en der haupt­fig­ur, für seine fre­undin eine liebesgeschichte zu schreiben. das misslingt – wen über­rascht es – natür­lich auch wieder äußerst wortre­ich. genau­so wie leberts text ein schreck­lich­er fehlgriff ist – das war wohl nichts.

ben­jamin lebert: kanst du. köln: kiepen­heuer & witsch 2006.

und ich muss mir den schmar­rn auch noch anhören — und mit meinem sturen pflicht­be­wusst­sein bleibe ich auch noch bis zum ende — man hofft ja doch, dass es nohc bess­er wer­den kön­nte. wurde es aber über­haupt nicht: der charme der sin­gen­den kreis­säge war eh’ schon nach weni­gen sekun­den ver­braucht… und das pro­gramm war so ama­teurhaft zusam­mengestüm­pert, das kön­nte wahrschein­lich sog­ar ich bess­er hin­bekom­men — obwohl ich ja kein großer show-pro­gramm-entwick­ler bin… naja, die meis­ten mainz­er waren vernün­ftig genug, sich das nicht anzu­tun (wahrschein­lich aber vor allem, weil sie’s gar nicht mit­bekom­men haben…). ok, soweit das inof­fizielle gejam­mere, jet­zt der offizielle teil (in dem ich allerd­ings auch noch ordentlich zur sache kom­men musste)

passt das über­haupt zusam­men – der unbarmherzig­ste gesellschaft­skri­tik­er unter den dichtern des zwanzig­sten jahrhud­nerts und eine musikalis­che revue? amy lev­erenz und markus fleis­ch­er meinen schon, die mainz­er sind da offen­bar eher gegen­teiliger auf­fas­sung. und sie haben in gewiss­er weise recht.

„die kun­stken­ner blieben weg“ heißt es in einem der gedichte brechts, die lev­erenz sich aufs noten­pult gelegt hat. und trifft damit auf die mainz­er sit­u­a­tion zu. als hät­ten sie es vorher gewusst, waren zu dieser revue im frank­furter hof, ver­anstal­tet vom mainz­er lit­er­atur­büro und dem kul­tur­som­mer rhein­land-pfalz, ziem­lich wenig leute gekom­men und noch weniger bis zum ende geblieben. ein „hap­py end“ sollte das sein, so behauptete der titel. und die hoff­nung darauf war wohl so das einzige, was die ver­streuten zuhör­er aufrecht hielt.

denn dieser revue fehlt so ziem­lich alles, was sie zu einem span­nen­den, unter­halt­samen oder wenig­stens inter­es­san­ten abend gemacht hätte. zum beispiel eine dram­turgie – fehlanzeige: lev­erenz stolpert sich durch brechts leben, ver­fehlt dabei auch noch wichtige sta­tio­nen und vertrödelt sich dann im ameri­ka-teil mit neben­säch­lichen schlagern. die musik – vor­wiegend belan­glose arrange­ments. markus fleis­ch­er bemüht sich, möglichst wenig zu stören und sorgt mit sein­er anachro­nis­tis­chen stromgi­tarre für weichen klangtep­pich ohne höhen oder tiefen. die sän­gerin und ihre stimme – ein ganz großes prob­lem. denn die passt viel bess­er in ver­raucht­en club als in die nüchtern-konzen­tri­erte atmo­sphäre des frank­furter hofs. hier offen­baren sich alle unzulänglichkeit­en, alle brüchigkeit­en und quälereien viel zu erbar­mun­g­los. und auch die büh­nen­präsenz – nur noch eine weit­ere leer­stelle.

und wenn man das nun addiert, bleibt lediglich die frage: wieso hat nie­mand der sän­gerin diese pein­lichkeit erspart? oder um es mit brecht zu sagen: „ich rate lieber mehr zu kön­nen als man macht, als mehr zu machen als man kann“ – hätte amy lev­ernez des meis­ters rat doch nur befol­gt.

kugelblitze sausen quer durch die lüfte und mittenhinein in mein literarisches nervenzentrum

noch eine frucht des woch­enen­des: endlich habe ich ulrike draes­ners let­zten gedicht­band mit dem titel kugel­blitz (münchen: luchter­hand 2005) gele­sen – er lag ja schon eine weile bere­it und hat auch schon zwei anläufe hin­ter sich gehabt, die allerd­ings bei­de ins leere liefen. auch dieses mal reichte die begeis­terung nicht für den ganzen band, der in drei große abschnitte (mit vor­spiel und nach­spiel) unterteilt ist: „(lieben)“, „(kriege)“ und „(später)“. fasziniert hat mich vor allem der erste teil, im zweit­en abschnitt fand ich viel mehr rou­tine und langeweile für den leser, der dritte teil zeigt aber dann wieder stark nach oben.

das ist wirk­lich zeit­genös­sis­che, mod­erne (oder schon zweite mod­erne?) lyrik. wesentlich­es, immer wieder auf­tauchen­des moment ist die erfahrung der natur beziehungsweise die prob­leme mit der erfahrbarkeit von natur, mit dem kon­takt zwis­chen men­sch und natur, v.a. die unfähigkeit des ver­ste­hens ihrer zeichen und die unerk­lär­lichkeit ihrer vorgänge: „nie / sagte jemand / ein begre­fil­ich­es / wort dazu“ (9). eben­so wiederkehrend: die gemachtheit der natur­erfahrung. dazu passen die dun­klen ver­gle­iche natur – technik/zivilisation, wie sie in der „enten­brust“ der straßen­bahn auf­taucht. und fol­gerichtig heißt ein gedicht dann auch „novo e raro mira­col di natu­ra“.

natur ist dabei (natür­lich [!]) nie ein­fach nur noch natur, son­dern erst in abgren­zung vom men­schen zur natur gewor­den. dabei wird sie aber ger­ade in ihrer zwit­ter­stel­lung inter­es­sant: natur scheint hier als das andere auf, das große gegenüber – aber (zumin­d­est schein­bar) befind­et es sich auch als solch­es wenig­stens teil­weise in der ver­fü­gungs­ge­walt des men­schen – die elek­triz­ität ist, beim titel des buch­es nicht ver­wun­der­lich, ein gern genutztes bild dafür: „hüh­n­er säu­bern ihr ei während du dir bere­its / einen ihrer schenkel in den mund“ (16, novo e raro micaol di natu­ra)

das vor­drin­gen der (noch unge­bändigten) natur in den zivil­i­sa­tion­sraum, das hoheits­ge­bi­et des men­schen als ver­nun­ft­be­gabtem tier – dafür ste­ht natür­lich schon das titel­gebende bild des kugel­blitzes: als blitz ist er zwar ein ele­mentares und vol­lkom­men unmit­tel­bares natur­ereig­nis. aber er ist es nicht in nor­maler erschei­n­ung, son­dern qua­si geformt, in behaupteter (näm­lich vom men­schen) kugel-form, also ein­er geometrisch „per­fek­ten“ form, d.h. der blitz wird zu ein­er rein nach ver­nun­ft­grün­den geformten erschei­n­ung (gedeutet). nicht nur natur wird zur zivil­i­sa­tion, son­dern auch und vor allem geschieht der trans­for­ma­tionsvor­gang in ent­ge­genge­set­zter rich­tung, vom men­schen in die natur. aber das führt zu rei­bun­gen, zu zusam­men­stößen: die natur bleibt eben auch dann noch, wenn men­schen sie nach eige­nen „ideen“ for­men wollen, „ver­schlossen“, dunkel und unver­ständlich: “ er dachte auf ihn. / so ver­ste­hen wir ‚natur‘. ist toll­wut / wenn ein­er sich wehrt? ach, es bud­delt / nach zufall, pfeift auf gedächt­nis, mis­cht.“ (77)

dazu wird dann vor draes­ner als kun­stvoll erdachter und aus­ge­führter kon­tra­punkt das dial­o­gis­che moment der gedichte (in der ersten und der drit­ten per­son, im indika­tiv und kon­junk­tiv), die anrede des „du“ einge­führt: der ver­such, die liebe zu beschreiben, zu kon­sta­tieren, zu behaupten und selb­stver­ständlich auch wieder zu for­men – samt den notwendig damti ein­herge­hen­den zweifeln. der erste große teil des buch­es heißt nicht umson­st „(liebe)“. und später heißt es ein­mal: „falls dies stimmt // wird auch das paar eine ver­mu­tung sein“ (22). die liebe, also die verbindung von ich und du zum wir, ste­ht dabei genau wie schon das sub­jekt für sich, immer in frage, ist nicht mehr ohne weit­eres als gelin­gende vorauszuset­zen: „das röhrchen der liebe (ver­loren)“ (28), „sicher­er auch // du?“ (30)

das ganze geschieht eigentlich immer in sehr geziel­tem auf­bau und mehrdeutigkeit­en: über­lap­pende sätze ohne gliederungsze­ichen, per­fek­tion des enjambe­ments, sein­er mehrdeutigkeit im syn­tak­tis­chen sinn sind mit­tel, die draes­ner per­fek­tion­iert hat. dazu passt auch der hohe grad an reflekiertheit – nie etwas unbe­dacht­es, kein wort, über das nicht nachgedacht wurde – genau das, was lyrik eben aus­machen (sollte). das wiederum entspricht der unmöglichkeit der unmit­tel­baren erfahrung, von der eigentlich auch jedes gedicht berichtet – das wahre träu­men: „sie dachte wie solch ein tier wohl schläft mit dem blu­men­topfrück­en / und sah mit braunem zuck­er bestreut all das vertäumte trara / (ange­blich des traums) aber sofort war er wach (die ohren) sofort // fiel er wieder um wie ein kind – wie es weint – alle / gefüh­le also seien erlernt“ (19). schuld an dieser grundle­gen­den ent­frem­dung des men­schen von sein­er umge­bung und sein­er selb­st ist z.b. die „nähe von maschi­nen“ (19, so heißt das gedicht)

wie es sich für echt mod­erne lyrik gehört (und das vergessen ja viele autoren und andere lei­der immer wieder) wird außer­dem auch die generelle prob­lematik des sub­jek­tes, sein­er iden­tität und die der ander­er men­schen (als adres­sat­en – der sprache, der lyrik, der liebe) the­ma­tisiert. „dies löchrige tuch ich spreche // dich // durch es. wenn ich sage ‚du‘. wenn / cih sage ‚ich wollte …‘ ‚ich …‘ ein / kinder­gesicht. oh ges­per­rt! löchriger // busch: so sprech ich dich wenn. / ich sage: du, eben, lüstern“ an ander­er stelle heißt es dann: „du bist. doch wo? / […] du bist nicht / wo nicht wen, du / gehst, der wald ste­ht still. / […] / […] ein / schat­ten ruft. was altes / weiß von dir. die kehle / streckt sich schon. der / wolf liebt seinen satz. / das rudel ruft.“ (81, vor gram­matik). und damit wird auch der näch­ste große the­menkom­plex dieser lyrik deut­lich: außer­dem in frage gestellt wer­den die worte in all­ge­meinen. genauer gesagt, wird auch hier nur die grundle­gende erfahrung der mod­erne, das alles in frage ste­ht, nur noch bekräftigt, aufgenom­men und ver­ar­beit­et. beson­ders gilt dies natür­lich für die verbindung wort – ding: „das eich­hörnchen drehte / die nuss eifrig wie wir das wort ‚nuss‘ / im gehirn“ (23). auch ein titel greift das auf: „tauch­er, rade­brech / (vom vier­fachen sinn der schrift)“ (82). die verge­gen­wär­ti­gung der schiller­schen bal­lade geht dann unge­fähr so: „anzüge mit füßen hin­gen / am gelän­der, im trock­n­er / hin­gen köpfe // je weit­er ein boot ent­fer­nt ist / umso tiefer nach unten muss man / um es zu hören // mit dem andrang der schwärze / gegen die maske vorm gesicht. // ertrinken.verstehen“ (82) – das ist natür­lich die tragik über­haupt: erst ertrinken, dann ver­ste­hen … die bei­den let­zten gedichte führen das noch ein­mal alles zusam­men. da heißt es dann „sehn­sucht rief mich / hast du ner­ven / gern komme ich gern / bin dein­er stimme ich / gefol­gt / immer so blu­men / blitzend, ver­wirrt (84), während die let­zten zeilen, das post­skrip­tum (außer­halb der drei großen teile) die schrift­form schon nahezu voll­ständig ver­loren ist und nur noch sprache ist – in lautschrift notiert, auf englisch – wenn ich das richtig entz­if­fert habe, ste­ht da: „you too / loved you / was invent­ed“

der zweite teil, „(kriege)“, blieb mir zumin­d­est bei der ersten lek­türe jet­zt ver­schlossen­er, nüchtern­er und oft auch deut­lich gewoll­ter. die poli­tis­che absicht etwa lässt sich zu leicht spüren und fassen – das tut der (kunst-)erfahrung der lyrik nicht gut. dabei ver­lieren die gedichte gle­icher­maßen an deut­lichkeit wie an der so faszinierend, weil stu­pend beherrscht­en mehrdeutigkeit.
„mit eige­nen augen sehen: getrimmt / zoomen begriffe weg. bis wir tröpfel­nd / vor sehn­sucht und glauben daliegen wie / der kopf ein­er geliebten katze unter / ein­er hand, die uns stre­ichelt oder stre­icht,“ (62f)

das ist alles zusam­men natür­lich ein fast wahnsin­niges pro­gramm. wer glaubt, ob all dieser fra­gen, dieser the­o­retisch-reflek­tieren­den gedankengän­gen gin­ge der kun­stcharak­ter der gedichte ver­loren, der itt. denn es ist kein wahn, keine hybris. denn die gedichte bleiben trotz der gefahr der the­o­retis­chen über­las­tung meist, d.h. in ihren über­wiegen­den teilen, immer auch sinnliche gebilde. eine unmit­tel­bare qual­ität der fügung ihrer worte (weniger der rhyth­men, mehr aus dem klang und den ver­mis­cht­en, kreuz und quer geschichteten bildlichkeit­en gear­beit­et) fes­selt das lesende auge und hirn, die vorstel­lungskraft. und sie zeu­gen von der faszinieren­den konzen­tra­tion, die diese gedichte bes­timmt. mehr lässt sich von lyrik eigentlich kaum noch ver­lan­gen. manch­es ist dabei dur­chaus gren­zw­er­tig – qual­itätsmäßig gese­hen: wenn genau diese konzen­tra­tion sich ver­liert, wirkt das ganze sehr schnell nur noch manieris­tisch. aber es bleibt festzuhal­ten: das sind 85 seit­en pure poe­sie unser­er zeit mit der ver­heißung, diese auch zu über­dauern. w

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