Lesen. Hören. Und ein bisschen schreiben.

Kategorie: literatur Seite 36 von 37

deutsche literaturgeschichte in einer stunde

auch wenn kla­bund der ver­fas­ser der jetzt als nach­druck der zwei­ten auf­la­ge von 1921 beim tex­tem-ver­lag erschie­nen deut­schen lite­ra­tur­ge­schich­te in einer stun­de. von den ältes­ten zei­ten bis zur gegen­wart istdie auto­ri­tät des schrift­stel­lers reicht in die­sem fal­le nicht aus, über die män­gel sol­cher unter­neh­men hin­weg­zu­täu­schen. das sind natür­lich zufor­derst ganz prin­zi­pi­el­le – eine sol­che „lite­ra­tur­ge­schich­te“ kann weder lite­ra­tur noch geschich­te sein, sie ist bloß eine knap­pe ver­samm­lung der höhen­kamm­li­te­ra­tur, eine auf­zäh­lung des kanons. auch wenn kla­bund sein ziel noch anders ver­fehlt – in einer stun­de wird der text kaum zu schaf­fen sein, ich brauch­te fast drei dafür (und habe nicht sehr getrö­delt). auf­fal­lend an kla­bunds unter­neh­mung sind eher die immer wie­der ein­ge­streu­ten unbe­kann­ten namen – z.b. johann chris­ti­an gün­ther, zu dem ihm ein­fällt: „wie ein sturm­wind braust [er], der göt­ter­bo­te einer neu­en zeit, in die deut­sche dich­tung.“ (35) anläss­lich eines ande­ren unbe­kann­ten schwingt er sich zu wah­ren groß­ta­ten auf: salo­mon „geß­ner war ein­mal eine euro­päi­sche berühmt­heit. es wird nicht bes­ser wer­den in der welt, ehe es geß­ner nicht wie­der ist. wir wer­den erst dann ewi­gen frie­den haben, wenn arka­di­sche dich­ter wie er wahr­haft popu­lär gewor­den sind.“ (41)

und damit sind wir ja auch schon beim eigent­li­chen pro­blem: kla­bund ist ein beken­nen­der und gna­den­lo­ser empha­ti­ker, um eine kürz­lich auf­ge­brach­te unter­schei­dung hier anzu­wen­den. als autor hat er natür­lich jedes recht, ein sol­cher zu sein – als lite­r­ar­his­to­ri­ker mei­nes erach­tens aber über­haupt kei­nes. und es ist natür­lich sehr pas­send, dass aus­ge­rech­net vol­ker wei­der­mann, an des­sen „licht­jah­re“ sich die von hubert win­kels (zeit vom 30.3.) ein­ge­führ­te unter­schei­dung der lite­ra­tur­kri­ti­ker zwi­schen empha­ti­kern und gnos­ti­kern über­haupt ent­zün­de­te, das vor­wort zu die­sem nach­druck bei­steu­ert: eine rück­ver­ge­wis­se­rung des eige­nen unter­neh­mens – seht her, auch der gro­ße kla­bund war (wie ich) ein empha­ti­ker! und die „licht­jah­re“ sind dann auf ein­mal so etwas wie eine fort­set­zung von kla­bunds werk, der ja zu beginn des 20. jahr­hun­derts auf­hört zu lesen und sich zu begeis­tern (und schon ab der zwei­ten hälf­te des 19. jahr­hun­derts gehö­rig ins schwim­men gerät und kaum noch sor­tiert bzw. zwi­schen gut und schlecht unter­schei­det und des­halb not­ge­drun­gen auch nichts mehr wirk­lich beschreibt, son­dern alles nur noch gehetzt anrei­ßen kann).

als sol­cher prä­sen­tiert kla­bund natur­ge­mäß einen voll­kom­men sub­jek­ti­ven blick auf die geschich­te der deut­schen lite­ra­tur und tut doch gleich­zei­tig so, als sei dies eine rich­ti­ge lite­ra­tur­ge­schich­te. dazu pas­send ist sein ansatz viel zu sehr per­so­nal geprägt, um wirk­lich zu rele­van­ten ein­schät­zun­gen zu kom­men – per­so­nal inso­fern, als er bedeu­tung zunächst an sei­ner eige­nen lese­er­fah­rung misst und per­so­nal auch inso­fern, als er lite­ra­tur­ge­schich­te als geschich­te von autoren­per­so­nen schreibt (die fast durch­weg männ­lich sind, natür­lich). das ergibt ein ziem­li­ches misch-masch, geprägt von einer fast aus­schließ­lich iden­ti­fi­ka­to­ri­schen lek­tü­re. epo­chen, geis­ti­ge ver­bin­dungs­li­ni­en, tra­di­tio­nen etc. kom­men bei ihm allen­falls am ran­de vor. und solch ein ansatz führt natur­ge­mäß zu eini­gen gerech­ten, aber auch zu eini­gen unge­rech­ten urtei­len und feh­lern (z.b. das hier: „fried­rich schil­ler ist der dich­ter der jugend“ (53) – dazu muss man schon eini­ges aus dem werk schil­lers aus­blen­den) – immer­hin unter­nimmt kla­bund nicht noch den ver­such, das zu ver­ber­gen: die (selbst-)sicherheit des urtei­lens hat schon fast etwas groß­ar­ti­ges. als zeit­do­ku­ment und in sei­ner aus­gra­bung gera­de zu die­sem zeit­punkt heu­te, wo sich immer mehr lite­ra­tur­kri­ti­ker als empha­ti­ker genü­gen und dar­auf auch noch stolz sind (was natür­lich in der tra­di­ti­on des gro­ßen grau­en­haf­ten anti-kri­ti­kers reich-rani­cki steht), ist das immer­hin eine ergötz­li­che lek­tü­re – für his­to­ri­sche wahr­heit und gerech­tig­keit ist kla­bund hier halt nicht zustän­dig.

ganz viele zeichen – zu viele?

macht die anein­an­der­rei­hung von ganz vie­len zei­chen einen text zum roman? „die gar­ni­tur“, eine art textagen­tur mit dem anspruch beson­de­rer inno­va­ti­vi­tät, scheint der idee nicht abge­neigt zu sein. ihre chefs mat­thi­as edling und jörg stein­leit­ner haben die 205.293 zei­chen einen roman genannt. so vie­le zei­chen sind das aber gar nicht – im groß­zü­gi­gen druck gut 150 seiten.wie das buch auf mei­ne lese­lis­te gekom­men ist – ich habe kei­ne ahnung, das ist eben manch­mal der nach­teil so exten­si­ver lis­ten­füh­re­rei­en… – gelohnt hat es sich jeden­falls nicht, noch nicht ein­mal als unter­hal­tung ist es wirk­lich brauch­bar. es ist so ein ver­such, die ame­ri­ka­ni­sche gangs­ter­sto­ry oder eher den gangs­ter­film nach euro­pa zu ver­le­gen. weil die autoren (oder, wie sie sich selbst benen­nen, das „autoren­team“) dafür aber über zu wenig krea­ti­vi­tät, vor­stel­lungs­kraft, stil­ge­fühl und ästhe­ti­sche urteils­si­cher­heit ver­fügt, klappt das nicht so rich­tig – ist auch alles eine stu­fe harm­lo­ser: stu­dent, der im pfle­ge­heim arbei­te­te, schnappt sich das vie­le bar­geld einer sei­ner gera­de ver­stor­be­nen pati­en­tin­nen, haut in den süden ab, nimmt auf dem weg noch eine hei­ße frau mit, die sich auch noch als klug her­aus­stellt, erlebt ver­schie­de­ne „aben­teu­er“ etc. etc. – kommt natür­lich reich, wenn auch etwas ver­sehrt, mit sei­ner traum­frau aus dem schla­mas­sel her­aus.
so ein text ist wohl das unaus­weich­ba­re ergeb­nis, wenn krea­ti­ve beson­ders krea­tiv und auch noch inno­va­tiv oder avant­gar­dis­tisch sein wol­len: eine außer­or­dent­lich bemüh­te plot-kon­struk­ti­on (deut­lich zu mer­ken der kon­struk­ti­ons­plan…), ein grau­en­haft bana­ler sti­lis­ti­scher brei, total plat­te und abge­lut­sche moti­ve und so wei­ter. – ande­re erklä­rungs­mög­lich­keit: so etwas pas­siert, wenn krea­ti­ve kur­se für krea­ti­ves schrei­ben besu­chen. der kunst­wil­len führt aber nur zur pseu­do­kunst – etwa im nach­rich­ten­ti­cker, der unten über die sei­ten läuft. viel­leicht ist das ja als beson­de­re rea­li­täts­ver­si­che­rung gemeint, es bringt aber über­haupt nichts
das bes­te noch der titel oder eigent­lich der gesam­te para­text, etwa auch das mot­to von nico­las cage (klar, deut­li­cher ver­weis auf das refe­renz­sys­tem die­ses tex­tes: frü­her stand hier ein bon­mot eines dich­ters, eine sen­tenz oder so etwas ähn­li­ches, jetzt ist es halt das ergeb­nis eines halb­wegs hel­len augen­blicks eines schau­spie­lers): „es gibt zu vie­le schwät­zer, zu vie­le lüg­ner, zu vie­le die­be. das beschleu­ni­gungs­tem­po unse­rer kul­tur [!!] ist so hoch, das bie­tet güns­ti­ge bedin­gun­gen für arsch­lö­cher. nur wer die his­to­rie kenn, kann sich eine kor­rek­te mei­nung bil­den.“ oder auch die auf­ma­chung – wirkt fast wie real­sa­ti­re (titel mit prä­sen­ta­tor, auf­ruf zur text­ein­sen­dung „aller gewichts­klas­sen“), über­treibt es damit aber („stab“, inkl. „per­for­mance-musik“, cate­ring von „mama&mama“ – sehr wit­zig…) so weit, dass es offen­bar doch tat­säch­lich ernst gemeint war (natür­lich wohl mit dem zwin­kern­den auge – es gibt kaum schlim­me­res als so ent­stan­de­ne tex­te – die sind näm­lich fast nie wirk­lich wit­zig und schon gar nicht gut)

macht die anein­an­der­rei­hung von ganz vie­len zei­chen einen text zum roman? „die gar­ni­tur“, eine art textagen­tur mit dem anspruch beson­de­rer inno­va­ti­vi­tät, scheint der idee nicht abge­neigt zu sein. ihre chefs mat­thi­as edling und jörg stein­leit­ner haben die 205.293 zei­chen einen roman genannt. so vie­le zei­chen sind das aber gar nicht – im groß­zü­gi­gen druck gut 150 seiten.wie das buch auf mei­ne lese­lis­te gekom­men ist – ich habe kei­ne ahnung, das ist eben manch­mal der nach­teil so exten­si­ver lis­ten­füh­re­rei­en… – gelohnt hat es sich jeden­falls nicht, noch nicht ein­mal als unter­hal­tung ist es wirk­lich brauch­bar. es ist so ein ver­such, die ame­ri­ka­ni­sche gangs­ter­sto­ry oder eher den gangs­ter­film nach euro­pa zu ver­le­gen. weil die autoren (oder, wie sie sich selbst benen­nen, das „autoren­team“) dafür aber über zu wenig krea­ti­vi­tät, vor­stel­lungs­kraft, stil­ge­fühl und ästhe­ti­sche urteils­si­cher­heit ver­fügt, klappt das nicht so rich­tig – ist auch alles eine stu­fe harm­lo­ser: stu­dent, der im pfle­ge­heim arbei­te­te, schnappt sich das vie­le bar­geld einer sei­ner gera­de ver­stor­be­nen pati­en­tin­nen, haut in den süden ab, nimmt auf dem weg noch eine hei­ße frau mit, die sich auch noch als klug her­aus­stellt, erlebt ver­schie­de­ne „aben­teu­er“ etc. etc. – kommt natür­lich reich, wenn auch etwas ver­sehrt, mit sei­ner traum­frau aus dem schla­mas­sel her­aus.
so ein text ist wohl das unaus­weich­ba­re ergeb­nis, wenn krea­ti­ve beson­ders krea­tiv und auch noch inno­va­tiv oder avant­gar­dis­tisch sein wol­len: eine außer­or­dent­lich bemüh­te plot-kon­struk­ti­on (deut­lich zu mer­ken der kon­struk­ti­ons­plan…), ein grau­en­haft bana­ler sti­lis­ti­scher brei, total plat­te und abge­lut­sche moti­ve und so wei­ter. – ande­re erklä­rungs­mög­lich­keit: so etwas pas­siert, wenn krea­ti­ve kur­se für krea­ti­ves schrei­ben besu­chen. der kunst­wil­len führt aber nur zur pseu­do­kunst – etwa im nach­rich­ten­ti­cker, der unten über die sei­ten läuft. viel­leicht ist das ja als beson­de­re rea­li­täts­ver­si­che­rung gemeint, es bringt aber über­haupt nichts
das bes­te noch der titel oder eigent­lich der gesam­te para­text, etwa auch das mot­to von nico­las cage (klar, deut­li­cher ver­weis auf das refe­renz­sys­tem die­ses tex­tes: frü­her stand hier ein bon­mot eines dich­ters, eine sen­tenz oder so etwas ähn­li­ches, jetzt ist es halt das ergeb­nis eines halb­wegs hel­len augen­blicks eines schau­spie­lers): „es gibt zu vie­le schwät­zer, zu vie­le lüg­ner, zu vie­le die­be. das beschleu­ni­gungs­tem­po unse­rer kul­tur [!!] ist so hoch, das bie­tet güns­ti­ge bedin­gun­gen für arsch­lö­cher. nur wer die his­to­rie kenn, kann sich eine kor­rek­te mei­nung bil­den.“ oder auch die auf­ma­chung – wirkt fast wie real­sa­ti­re (titel mit prä­sen­ta­tor, auf­ruf zur text­ein­sen­dung „aller gewichts­klas­sen“), über­treibt es damit aber („stab“, inkl. „per­for­mance-musik“, cate­ring von „mama&mama“ – sehr wit­zig…) so weit, dass es offen­bar doch tat­säch­lich ernst gemeint war (natür­lich wohl mit dem zwin­kern­den auge – es gibt kaum schlim­me­res als so ent­stan­de­ne tex­te – die sind näm­lich fast nie wirk­lich wit­zig und schon gar nicht gut)

georg kleins ideen von den deutschen

georg klein zählt ja nicht gera­de zu mei­nen lieb­lings­au­toren – wer schrift­stel­ler wie jirgl, kurz­eck etc. schätzt, wird das auch sel­ten tun. als klei­ne nacht­lek­tü­re zwi­schen­durch lässt er sich aber noch aus­hal­ten. etwa sein erzäh­lungs­band von den deut­schen (ham­burg: rowohlt 2002). der ist ziem­lich typisch für sei­ne art zu schrei­ben – näm­lich größ­ten­teils harm­los – oder sogar ganz? jeden­falls ist das zwei­fel­los ganz und gar glän­zend erzählt. aber auch oft mit dem ein­druck, es gin­ge nur noch um das erzäh­len an sich: das mit­tel ist zum zweck gewor­den. typisch ist dafür die per­fek­te beherr­schung des erzäh­le­ri­schen hand­werks. aber es wird auch bloß noch als hand­werk betrie­ben, nicht mehr als kunst. dafür fehlt den tex­ten näm­lich die dring­lich­keit, der durch nichts zu bän­di­gen­de drang zur äuße­rung, zur mit­tei­lung, der sich nur in der künst­le­ri­schen for­mung, der text­kon­sti­tu­ti­on äußern kann. ein neben georg klein für eine sol­che schreib­wei­se exem­pla­risch ste­hen­der autor ist etwa bodo kirch­hoff, auch hel­mut kraus­ser vefällt sol­chen ten­den­zen manch­mal. das ist ja alles über­haupt nicht ehren­rüh­rig. was mich an sol­chen autoren (weni­ger an kirch­hoff, dafür beson­ders an klein und kraus­ser) am meis­ten stört, ist ihre behaup­tung und womög­lich sogar über­zeu­gung, das sei wirk­lich schon gro­ße kunst, sei erzäh­len auf der höhe der zeit oder wie auch immer man das aus­drü­cken will. und das stimmt ein­fach nicht. es muss ja gar nicht immer moder­nis­tisch oder (for­mal) avant­gar­dis­tisch sein. aber gera­de die­se erzäh­lun­gen von klein sind ein­fach nur net­te unter­hal­tung, die so tun, als sei­en sie was beson­de­res – genau das rich­ti­ge eigent­lich für das heu­te offen­bar (wenn man sich die ver­kaufs­zah­len bestimm­ter bücher, etwa – auch so ein lieb­lings­bei­spiel von mir – dani­el kehl­mann, anschaut) weit ver­brei­te­te pseu­do-bil­dungs-bür­ger­tum, das nur noch die erbärm­li­chen res­te von bil­dung besitzt, sich aber immer noch in der pri­veli­gier­ten lage der ken­ner und wis­sen­den glaubt. sol­che leser haben an die­sen erzäh­lun­gen bestimmt viel spaß, dafür sorgt auch noch die ten­denz zum alle­go­ri­schen auf­bau der geschich­ten – aber letzt­lich scheint es mir fast immer irgend­wie ins lee­re zu lau­fen: man spürt die bemü­hun­gen und ist ver­stimmt – so funk­tio­niert kunst nicht, inso­fern er sein selbst­ge­steck­tes ziel per­ma­nent knapp zu ver­feh­len scheint, knapp unter der mess­lat­te ihn die kräf­te ver­las­sen. was bleibt, ist ein­fach harm­lo­se augen­wi­sche­rei, zudem in vie­len tei­len erschre­ckend schnul­zig und har­mo­nie­see­lig (etwa „der gute ray“), auch mal mit exo­ti­schen zuta­ten (vor­wie­gend loka­li­tä­ten, „lm lan­de od“). erschre­ckend ist das, denn gera­de die hier ver­brei­te­te harm­lo­sig­keit ist ja beson­ders gefähr­lich: sie täuscht über den wah­ren zustand von kunst und welt, sie sug­ge­riert längst nicht mehr vor­han­de­ne mög­lich­kei­ten des guten, gelin­gen­den, erfül­len­den lebens, des rich­ti­gen ver­hal­tens und führt den leser damit nicht nur in eine ästhe­ti­sche (und phi­lo­so­phi­sche) fal­le, son­dern auch unbarm­her­zig ins abseits, ins reich der lügen. und von dort ist es dann wirk­lich nicht mehr weit bis ins reich der vor­abend-tv-seri­en – das ist dann wahr­schein­lich nur noch eine fra­ge der unter­schied­li­chen her­kunft, erzie­hung, des diver­gie­ren­den habi­tus: georg klein als tv-schnul­ze für leser….

abtrünnig: eine trümmerlandschaft aus text

eine inten­si­ve und denkauf­wän­di­ge lek­tü­re: rein­hard jirgl: abtrün­nig. roman aus der ner­vö­sen zeit. mün­chen: han­ser 2005. ich bin jetzt nach einer lan­gen – meh­re­re wochen – lese­rei­se bis ans ende vor­ge­drun­gen. und ich kann jedem nur emp­feh­len, sich die­ser erfah­rung, die manch­mal zwar den cha­rak­ter eines exer­zi­ti­ums anneh­men kann, zu unter­zie­hen. den jirgl, schon lan­ge einer mei­ner favo­ri­ten unter den noch leben­den und schrei­ben­den autoren, hat hier ein beein­dru­cken­des kunst­werk geschaf­fen. und als sol­ches muss man es auch ganz bewusst und offen­siv rezi­pie­ren: als kunst – nicht als unter­hal­tung, denn als bett­lek­tü­re taugt die­ser roman sicher­lich über­haupt nicht.

da ist zunächst ein­mal sei­ne per­so­na­le son­der­or­tho­gra­phie, die hier – wie etwa auch in der genea­lo­gie des tötens – sehr eigen­wil­lig erscheint. v.a. scheint sie ihre sys­te­ma­ti­sie­rung ein wenig ver­lo­ren zu haben. kri­ti­ken the­ma­ti­sie­ren die­se sehr augeschein­li­che beson­der­heit der spä­te­ren jirgl­schen tex­te beson­ders gern. in der tat muss man aber sagen, dass sie ent­ge­gen etwa­iger befürch­tun­gen kein lese­hin­der­nis dar­stellt – sie wird sehr schnell sehr ver­traut. was sie aller­dings gera­de in abtrün­nig nicht wird, ist voll­kom­men ver­ständ­lich: vie­les bleibt zumin­dest bei der ers­ten lek­tü­re (viel­leicht hül­fe da eine sys­te­ma­ti­sche durch­drin­gung?) auf dem niveau der spie­le­rei, weil sich einer­seits kei­ne bedeu­tungs­zu­wachs oder ‑dif­fe­ren­zie­rung erken­nen lässt, ande­rer­seits auch weder eine absicht noch eine wenigs­tens ver­mut­ba­re regel­haf­tig­keit. in man­chen pas­sa­gen wirkt die­se extre­me ver­meh­rung der signi­fi­kan­zen oder zumin­dest außer­or­dent­li­che ver­deut­li­chung der viel­deu­tig­keit des geschrie­be­nen wor­tes, ins­be­son­de­re natür­lich durch die (ortho-)graphische eigen­wil­lig­keit, wie eine künst­lich for­cier­te annä­he­rung an die münd­lich­keit, das ora­le erzäh­len. ande­rer­seits ist sie in ihrer viel­ge­stal­tig­keit, die ja weit über die ver­ein­heit­li­chen­de, nor­mier­te (und damit ein­schrän­ken­de) regel­or­tho­gra­phie hin­aus­geht, auch offen­bar der ver­such der dis­am­bi­gu­ie­rung – der aller­dings wie­der dazu führt, das das schrift­bild extrem her­me­tisch, abschre­ckend & unüber­sicht­lich wirkt & auch tat­säch­lich wird: ent­zif­fer­bar ist das kaum noch, weil das sys­tem nicht so ein­fach zu durch­schau­en ist (ist es über­haupt ein sys­tem?). und das führt schließ­lich auch dazu, dass man ihm leicht den vor­wurf der spie­le­rei machen kann. tat­säch­lich scheint man­ches auch nur das zu sein, lässt sich man­che wort-ver­for­mung auch kaum anders auf­fas­sen. in sei­ner gesamt­heit ist das, wenn man außer­dem noch die for­ma­len irre­gu­la­ri­en und stol­per­stei­ne – etwa die quer­ver­lin­kun­gen und text­bau­stei­ne – bedenkt, ein kom­plett ver­min­ter text und damit (auch) ein angriff auf den leser: die irre­gu­lä­ren sat­zei­chen als klei­ne spreng­kör­per, als angrif­fe auf das schnel­le, ein­fa­che & gewöhn­li­che ver­ste­hen.

in abtrün­nig ist die geschich­te, die fabel, weit­ge­hend zur neben­sa­che gewor­den – noch nie war das bei jirgl (soweit ich sehe) so sehr der fall wie hier. im kern geht es um zwei män­ner, zwei lie­ben­de, die auf ver­schlun­ge­nen wegen nach ber­lin kom­men und dort auf tra­gisch-gro­tes­ke wei­se am und im leben schei­tern. das ist aber auch schon wie­der nur halb rich­tig, weil der zwei­te lie­ben­de, ein aus der ddr-nva in den bgs über­nom­me­ner grenz­schüt­zer, der einer flüch­ten­den ost­eu­ro­päe­rin zum ille­ga­len grenz­über­gang nach deutsch­land ver­hilft, auf der suche nach ihr nach ber­lin kommt, dort als taxi­fah­rer arbei­tet, sie wie­der­fin­det und just in dem moment, als sie zurück in ihre hei­mat gekehrt ist, um für die geplan­te hei­rat die not­wen­di­gen papie­re zu orga­ni­se­ren, von ihrem offen­bar psy­chisch gestör­ten bru­der ersto­chen wird, weil also die­ser zwei­te lie­ben­de, des­sen geschich­te natür­lich durch begeg­nung mit der des ande­ren man­nes ver­knüpft ist, gar kei­ne beson­ders gro­ße rol­le spielt.

wesent­li­cher als das ist aber das moment, der abtrün­nig als „roman aus der ner­vö­sen zeit“ cha­rak­te­ri­siert. das ist das autis­ti­sche mono­lo­gi­sie­ren, das durch­bro­chen wird von essay­ar­ti­gen pas­sa­gen und geni­al erzähl­ten tei­len. natür­lich spie­gelt das wie­der­um nur das gro­ße, zen­tra­le pro­blem der haupt­fi­gur und der moder­nen gesell­schaft über­haupt: die suche nach dem ich, der iden­ti­tät, dem holis­ti­schen sub­jekt, dem eige­nen lebens- und sinn­ent­wurf – ein suche, die gran­di­os schei­tern muss und nur frag­men­te, zer­stö­rung und beschä­dig­te personen/​figuren/​menschen hin­ter­lässt. der ein­druck eines gro­ßen bruch­wer­kes bleibt dabei nicht aus: frag­men­tier­te per­sön­lich­kei­ten, sich auf­lö­sen­de sozia­le bin­dun­gen und gewis­sen­hei­ten, kurz eine recht radi­kal aus­ge­rich­te­te gesell­schafts­kri­tik sucht ihre form – und ver­liert sich dabei man­ches mal in essay-ein­schü­ben: abtrün­nig ist in ers­ter linie ein/​das buch vom schei­tern, sei­ne bibel sozu­sa­gen: „es gibt kein rich­ti­ges leben im fal­schen“ – oder: das gelin­gen ist ganz und gar unmög­lich gewor­den – & das muss man auch genau so kate­go­ri­al for­mu­lie­ren, denn es gilt nicht nur für die figu­ren des tex­tes, son­dern auch für ihn selbst. des­halb ist er so, wie er ist; ist er in einer nach her­kömm­li­chen maß­stä­ben defi­zi­tä­ren ver­fas­sung – er kann natür­lich auch nicht mehr anders sein, das lässt die moder­ne welt, die „ner­vö­se zeit“ nicht mehr zu. und genau wie die­se ist er eine ziem­lich gewal­ti­ge zu-mutung für den leser. denn er will ja nichts ande­res, als die­se schö­ne neue welt erklä­ren oder min­des­tens auf­zei­gen – des­halb natür­lich auch die (zeit­wei­se durch­aus über­hand neh­men­den) essay-pas­sa­gen, die den kunst­cha­rak­ter des gesam­ten tex­tes beein­flus­sen – & das durch­aus mit grenz­wer­ti­gen ergeb­nis­sen. denn im gan­zen ist das wohl so etwas wie ein anar­chis­ti­sches kunst­werk – hoff­nungs­los unüber­sicht­lich, kreuz und quer ver­linkt durch die selt­sa­men „link“-kästen, die ver­wei­se vor und zurück im text, die ein­ge­streu­ten zita­te und auch wie­der­ho­lun­gen, neu­an­läu­fe der beschrei­bung einer situa­ti­on aus ver­schie­de­nen blick­win­keln. das alles hat zum ergeb­nis, das der roman, der vom tod der gesell­schaft, vom tod des sozia­len lebens, spricht, auch den tod des romans beschreibt, exem­pli­fi­ziert – und auch refle­xiert. denn auch wenn es gar nicht oder höchst sel­ten expli­zit geschieht – vie­les im text (etwa schon die daten der nie­der­schrift (oder die behaup­te­ten daten – schließ­lich befin­den wir uns mit ihnen immer noch im fik­tio­na­len text)) deu­tet auf eine refle­xi­on der mög­lich­kei­ten des schrei­bens in einer ner­vö­sen, defi­zi­tä­ren, ver­kom­me­nen und immer wei­ter ver­kom­men­den gesell­schaft hin. und wenn ein text wie abtrün­nig das ergeb­nis die­ser pro­zes­se ist, kann man nun sagen, dass das schrei­ben unmög­lich oder gar obso­let wird? das scheint mir zwei­fel­haft – denn trotz sei­ner unzwei­fel­haft zu kon­sta­tie­ren­den schwä­chen ist abtrün­nig als gesam­tes doch ein beein­dru­cken­des kunst­werk bemer­kens­wer­ter güte. inter­es­sant wird aller­dings die fort­set­zung – mir scheint es gera­de mit die­sem buch so, als schrie­be sich der sowie­so schon am ran­de des ästhe­ti­schen und ins­be­son­de­re des lite­ra­ri­schen dis­kur­ses ste­hen­de jirgl immer mehr ins abseits: ob er die­se bewe­gung noch frucht­bar wei­ter­füh­ren kann?

strauss und das musiktheater – ein weites, aber sehr verholztes und ausgelaugtes feld

sam­mel­bän­de zu bespre­chen ist meist kei­ne beson­ders dank­ba­re auf­ga­be – das edi­tie­ren aller­dings oft auch nicht. die regel­mä­ßig über­gro­ße zahl der bei­trä­ge, ihre metho­di­sche und the­ma­ti­sche viel­falt und oft auch noch ihre stark diver­gie­ren­de qua­li­tät machen ein ein­heit­li­ches urteil fast unmög­lich. das gilt auch für den band „richard strauss und das musik­thea­ter“, der die vor­trä­ge der gleich­na­mi­gen inter­na­tio­na­len fach­kon­fe­renz in bochum 2001 ver­sam­melt. schon der titel zeigt ja an, wie umfas­send das spek­trum sein wird. zwei dut­zend bei­trä­ge unter­schied­lichs­ten umfangs und erkennt­nis­dich­te fül­len dann auch gut vier­hun­dert sei­ten. und die her­aus­ge­be­rin julia lieb­scher betont auch aus­drück­lich, das richard strauss aus allen mög­li­chen blick­win­keln betrach­tet wer­den soll, im ver­ein mit thea­ter- und film­wis­sen­schaft, mit der libretto­for­schung und der dra­ma­tur­gie. den ange­streb­ten „metho­do­lo­gi­schen plu­ra­lis­mus“ hebt sie zudem beson­ders her­vor.

ein zwei­ter leit­ge­dan­ke, der die meis­ten arbei­ten prägt, ist die über­zeu­gung von der moder­ni­tät und fort­schritt­lich­keit sowie der „uni­ver­sa­li­tät“ des strauss’schen oeu­vre: „zwei­fel­los ist strauss als letz­ter musi­ker der euro­päi­schen muik­ge­schich­te zu wür­di­gen, der jene uni­ver­sa­li­tät der musi­ka­li­schen kul­tur reprä­sen­tier­te, die in den plu­ra­len kunst­strö­mun­gen und spe­zia­li­sie­run­gen des 20. jahr­hun­derts end­gül­tig zer­bro­chen ist“ heißt es in der ein­füh­rung von lieb­scher. den anhal­ten­den ruhm strauss‘ auf die­se fak­to­ren zurück­zu­füh­ren, hat sich ja in den letz­ten jah­ren – gegen etwa ador­nos frü­hes ver­dikt – zuneh­mend durch­ge­setzt.

der ers­te teil des ban­des ist „musi­ka­li­sche dra­ma­tur­gie“ über­schrie­ben und wid­met sich vor allem den ver­schie­de­nen for­men der über­füh­rung des (theater-)textes in musik­thea­ter. und obwohl er damit auf eine lan­ge for­schungs­tra­di­ti­on auf­bau­en kann, ist er doch ins­ge­samt der schwächs­te teil des ban­des. die meis­ten auf­sät­ze kau­en näm­lich bloß – teil­wei­se sehr minu­ti­ös – die ent­ste­hungs­ge­schich­ten, die pro­zes­se der zusam­men­ar­beit zwi­schen libret­tist und kom­po­nist, also die trans­for­ma­tio­nen von thea­ter in oper bzw. musik­thea­ter, durch. beson­de­re erkennt­nis­se erwach­sen dar­aus nicht oder zumin­dest arg sel­ten. eine deut­li­che aus­nah­me ist aller­dings jür­gen maeh­ders gekonn­te stu­die zur „klang­far­ben­kom­po­si­ti­on und dra­ma­ti­schen instru­men­ta­ti­ons­kunst in den opern von richard strauss“. die­se grund­le­gen­de arbeit, eine instru­men­ta­ti­ons­ana­ly­se in der nach­fol­ge von egon wel­lesz, macht sich die „inter­de­pen­denz von klang­far­be und orches­ter­satz“ mit der dra­ma­tur­gi­schen akti­on zu ihrem the­ma. und genau in die­ser schnitt­men­ge begibt er sich auf die suche nach der werk­in­ten­ti­on – eine müh­sa­me auf­ga­be. vor allem die ein­füh­rung neu­er instru­men­te, die erwei­te­rung und ver­dich­tung des appa­ra­tes las­sen maeh­der dann strauss als nach­fol­ger und fort­set­zer der bemü­hun­gen richard wag­ners erken­nen – ein nach­fol­ger, der aller­dings weit über sei­nen vor­gän­ger hin­aus­reicht. das vor­drin­gen in und aus­lo­ten von grenz­be­rei­chen orches­tra­ler klang­far­ben wie dem ton­hö­hen­lo­sen akkord und dem über­gang zum geräusch, dem umschwung des ver­schmel­zungs­klan­ges in die ver­schleie­rung beto­nen die fort­schritt­lich­keit des opern­kom­po­nis­ten: „durch wech­sel­sei­ti­ge dena­tu­rie­rung der ein­zel­nen töne erzeug­te der kom­po­nist das ers­te »syn­the­ti­sche geräusch« der musik­ge­schich­te, den grenz­fall extre­men instru­men­ta­to­ri­schen raf­fi­ne­ments.“ und mit der hil­fe einer detail­lier­ten situ­ie­rung der strauss’schen tech­ni­ken in der orchestra­ti­ons­tech­nik des fin de siè­cle kann maeh­der zu dem schluss kom­men, dass mit strauss der abschied von der epi­go­na­len nach­fol­ge des musik­dra­mas aus der „ein­sicht in das inners­te sei­ner musi­ka­li­schen spra­che“ voll­zo­gen wor­den sei.

der zwei­te teil, „insze­nie­rung – dar­stel­lung – gesang“ vesam­melt eini­ge über­le­gun­gen zur auf­füh­rungs­pra­xis. joa­chim herz als prak­ti­ker pro­pa­giert den begriff der „werk­ge­rech­tig­keit“ anstel­le der für ihn unmög­li­chen „werk­treue“ und legt anhand der „frau ohne schat­ten“ die beweg­grün­de sei­ner insze­nie­rung dar. dabei kreist er in ers­ter linie um das pro­blem der ver­ständ­lich­keit – eine insze­nie­rung sol­le, so herz, sich dar­um bemü­hen, text, musik und vor allem die büh­ne, d.h. letzt­lich die gan­ze insze­nie­rung beson­ders zur „expli­ka­ti­on der fabel“ zu nut­zen – im fal­le sei­ner „frau ohne schat­ten“ wäre das für ihn ein „hohe­lied von der ver­än­der­bar­keit des men­schen“.

peter-micha­el fischer lie­fert eine sehr grund­le­gen­de und tech­nisch soli­de arbeit zu den „anfor­de­run­gen an die pro­fes­sio­nel­le sän­ger­stim­me“ und reflek­tiert dabei vor allem das pro­blem des „opern­mu­se­ums“: jede zeit­epo­che hat nicht nur ein ande­res stimm­ide­al, son­dern auch ande­re stimm­tech­ni­schen fähig­kei­ten und mög­lich­kei­ten, die es heu­te sowohl bei der beset­zung als auch bei der inter­pre­ta­ti­on ent­spre­chend zu berück­sich­ti­gen gilt. im fal­le strauss sieht er das beson­de­re in der eta­blie­rung eines neu­en, aus dem natür­li­chen sprach­duk­tus ent­wi­ckel­ten gesangs­stil durch den kom­po­nis­ten, der den bel­can­to um neue anfor­de­run­gen – bedingt durch die erwei­ter­te ver­to­nung von spra­che – ergänzt. tho­mas see­dorf ver­voll­stän­digt die­se aus­füh­run­gen mit sei­nem bei­trag „kom­po­si­to­ri­sche rol­len­kon­zep­ti­on und sän­ge­ri­sche rea­li­sie­rung“ im wesent­lich details. see­dorf kann näm­lich anhand der vor­be­rei­tung der urauf­füh­run­gen zei­gen, dass strauss, immer der thea­ter­rea­li­tät ver­pflich­tet, „im prag­ma­ti­schen umgang mit dem eige­nen werk“ zu gro­ßen kon­zes­sio­nen hin­sicht­lich der details der stimm­füh­rung bereit war, um aus dar­stel­le­risch und musi­ka­li­schen grün­den gewünsch­ten sän­ge­rin­nen die ent­spre­chen­den par­tien zu ermög­li­chen und fol­gert dar­aus: „strauss hat auf sei­nem ursprüng­li­chen ide­al nicht bestan­den, son­dern ande­re inter­pre­ta­tio­nen zuge­las­sen.“ eine sol­che, näm­lich die ari­ad­ne-insze­nie­rung von jos­si wie­ler und ser­gio morabi­to, nimmt sich robert braun­mül­ler zum gegen­stand. er lie­fert eine aus­führ­li­che auf­füh­rungs­ana­ly­se und ver­gleicht dabei die kon­kre­te insze­nie­rungs­pra­xis mit den vor­ga­ben von strauss – mit ernüch­tern­dem ergeb­nis. „seit jah­ren erschöp­fen sich die meis­ten insze­nie­run­gen in der kon­ti­nu­ier­li­chen fort­füh­rung einer tra­di­ti­on.“

von dort aus ist der weg nicht weit zur unter­su­chung der rezeption(sgeschichte): die im drit­ten teil ver­sam­mel­ten bei­trä­ge beto­nen durch­weg die fle­xi­bi­li­tät des kom­po­nis­ten hin­sicht­lich der werk­treue – solan­ge die „inten­ti­on“ gewahrt blieb oder ihr damit gar gedient wur­de, war strauss zu kür­zun­gen und umstel­lun­gen, in guten augen­bli­cken sogar zur umar­bei­tung fähig.

wäh­rend ros­wi­tha schlöt­te­rer-trai­mer bei ihrer unter­su­chung der „mus­ter­auf­füh­run­gen“ unter cle­mens krauss in mün­chen immer­hin noch so etwas wie eine grund­ten­denz der insze­nie­ren­den inter­pre­ta­ti­on, näm­lich das „stre­ben nach größt­mög­li­cher deut­lich­keit“ fin­det, begnügt sich gün­ther les­nig gleich mit einer rei­nen daten­samm­lung zu den salo­me-auf­füh­run­gen in wien, mai­land und new york. sonst glänzt der drit­te, mit „rezep­ti­on“ über­schrie­be­ne teil vor allem durch sei­ne glanz­lo­sig­keit. hans-ulrich fuss kann in sei­ner unter­su­chung ver­schied­ner auf­nah­men der salo­me immer­hin zei­gen, dass es bei strauss nicht immer sinn­voll ist, mög­lichst exakt zu spie­len: bestimm­te tex­tu­ren for­dern die undeut­lich­keit als eigen­stän­di­ges ästhe­ti­sches attri­but über­haupt erst her­aus. und mar­tin els­te macht sich eini­ge gedan­ken über den unter­schied einer oper als ton­auf­nah­me oder als thea­ter: grund­ver­schie­de­ne tem­pi-not­wen­dig­kei­ten für ent­spre­chen­de dra­ma­tur­gi­sche effek­te for­dert er etwa. vor allem aber: „das blo­ße hören einer oper kommt dem ein­tau­chen in eine traum‑, in eine schein­welt gleich“ – und kon­stan­tiert dann noch wenig über­ra­schend: „oper von schall­plat­te wird pri­mär als abso­lu­te musik gehört.“ das ver­bin­det er – ein wenig para­dox – mit der qua­si-natür­li­chen bevor­zu­gung der spra­che, d.h. der gesangs­stim­men bei ton­auf­nah­men. er sieht dann dar­in auch eine nahe­zu idea­le rezep­ti­ons­wei­se der oper – befreit von allen neben­säch­lich­kei­ten, als purer akus­ti­scher traum. das scheint mir aber dann doch ein arger fehl­schluss, der viel zu stark von der per­sön­li­chen fas­zi­na­ti­on des autors durch opern­auf­nah­men aus­geht – es gibt ja durch­aus auch rezi­pi­en­ten, die opern mehr oder weni­ger aus­schließ­lich in der kom­bi­na­ti­on aus akus­ti­schen und visu­el­len rei­zen genie­ßen kön­nen.

ande­res schließ­lich sam­melt sich unter der rubrik „tri­via“: richard strauss‘ leben und wer­ke sind ja nicht ganz uner­forscht. da kann man sich also auch durch­aus mal auf neben­schau­plät­zen tum­meln und dort nach inter­es­san­tem mate­ri­al suchen. der ertrag lässt frei­lich wie­der­um meist zu wün­schen übrig. und den­noch, schließ­lich ist strauss‘ werk auch noch nicht wirk­lich umfas­send und detail­liert unter­sucht – da böten sich durch­aus noch mög­lich­kei­ten für inter­es­san­te ana­ly­sen – die aller­dings auch zeit­ge­mä­ße metho­den erfor­der­ten. aber damit hat, und das zeigt die­ser band in sei­ner gesamt­heit eben auch, die musik­wis­sen­schaft nicht immer die glück­lichs­te hand: das meis­te hier vesam­mel­te ist in die­ser hin­sicht vor allem hoch­gra­dig unspek­ta­ku­lär, unbe­darft bis unre­flek­tiert und arbei­tet mit alt­mo­di­scher, teil­wei­se auch ein­fach unzu­rei­chen­der metho­dik. dass etwa die musik strauss „an der leben­di­gen auf­füh­rung ori­en­tiert“ und „auf unmit­tel­bar sinn­li­che gegen­wart“ aus­ge­rich­tet ist (hans-ulrich fuss), wird zwar wie­der­holt ange­merkt, schlägt sich in den ana­ly­sen aber erstaun­lich wenig nie­der. ver­mut­lich ist genau das einer grün­de, war­um die erfor­schung der musik­thea­ter­pro­duk­ti­on richard strauss‘, wie sie die­ser band prä­sen­tiert, oft so bie­der und alt­ba­cken wirkt.

julia lieb­scher (hrsg.): richard strauss und das musik­thea­ter. bericht über die inter­na­tio­na­le fach­kon­fe­ren­ze bochum, 14. bis 17. novem­ber 2001. ber­lin: hen­schel 2005.

eine wunderbar sprechende „gegensprechstadt“

ja genau, so heißt näm­lich der neu­es­te lyrik­band von ger­hard falk­ner. genau­er gesagt: gegen­sprech­stadt – ground zero. und im grun­de ist es auch gar kein lyrik­band, son­dern nur ein gedicht, ein lan­ges eben – so ca. 70 sei­ten. und es kommt nicht nur in der kook­books-typi­schen aus­stat­tung daher, son­dern auch noch mit cd. dadrauf hat falk­ner gro­ße tei­le (lei­der nicht alles) sei­nes gedich­tes gele­sen, und david moss macht ein wenig musik dazu. aller­dings sehr wenig – das ist ziem­lich ent­täu­schend: ein mit­schnitt einer live-lesung, zu der moss nicht beson­ders viel ein­ge­fal­len ist – ein eher unge­wöhn­li­cher zustand für die­sen künst­ler.

egal, eigent­lich geht es ja vor allem um das gedicht. nach­dem mich falk­ners alte meis­ter nicht so sehr begeis­tern konn­te, schafft gegen­sprech­stadt das vom ers­ten bis zum letz­ten vers. das ist nicht nur das bes­te (und in dem umfang auch ers­te) ber­lin-gedicht, das ich ken­ne. das ist auch eine sehr zeit­ge­mä­ße form des dich­tens: mit geschich­te gesät­tigt, ohne des­halb so bedeu­tungs­hu­be­risch-bil­dungs­schwer daher­zu­kom­men wie die letz­ten durs-grün­bein-bän­de. falk­ner treibt das spiel mit den allu­sio­nen, den zita­ten und den quer­ver­wei­sen ziem­lich kunst­voll – und ziem­lich weit. es ist öfters kurz davor, wirk­lich zu ner­ven, die stän­di­gen halb-bedeu­ten­den pop­kul­tu­rel­len anspie­lun­gen. aber sie tun es dann meis­tens eben doch nicht. denn „moti­ve bekann­ter gedich­te“ „sind humus. mon­ta­ge­teil. zitat. anlei­he. link. refe­renz. ver­beu­gung.“ (74) – ein klei­ner hieb auf die „pop­li­te­ra­ten“ darf in einem sol­chen fall nicht feh­len: „eine zeit, in der man bei künst­lern /​wenn man sie aus­zieht /​auf ck- oder joop!-unterwäsche stößt /​(als letz­te schicht sozu­sa­gen /​vor der eigent­li­chen inspi­ra­ti­on) /​ist reif für eine revi­si­on /​sie soll­te bei tschechow /​wie­der in die leh­re gehen, /​oder mit pyn­chon her­aus­zu­fin­den ver­su­chen /​wo die wirk­li­chen ver­fol­ger ste­cken /​damit sie zurück­fin­det /​(um im bild der spra­che zu blei­ben) /​zum ehr­li­chen baum­woll­ripp mit ein­griff /​denn gro­ße poe­sie /​auch wo sie glück­lich ver­wirrt /​ist mar­ken und moden abhold“ (36)

das gan­ze chan­giert dann ziem­lich unre­gel­mä­ßig (nach dem ers­ten lek­tü­re­ein­druck) zwi­schen his­to­risch vor­ge­form­ten lang­ge­dicht und der vor­lie­be für ein­zel­im­pres­sio­nen, anein­an­der­ge­reiht und sequen­ziert. die üer­gän­ge – und das macht gegen­sprech­stadt wahr­schein­lich so geschmei­dig – blei­ben aber immer flie­ßend. denn falk­ner schafft es eben, dem all­täg­li­chen nach­zu­bli­cken, das musi­ka­li­sche detail der stadt ber­lin über­all zu fin­den und in wor­te zu fas­sen – aber auch, die gro­ßen momen­te, die revo­lu­tio­nen und kata­stro­phen, den 11. sep­tem­ber, den 3. okto­ber und den 15. märz (falk­ners geburts­tag, iden des märz) mit ein­zu­be­zie­hen.

rhyth­misch erscheint das aufs ers­te, ohne genaue­re ana­ly­se, sehr leicht und unbe­schwert: ein unge­zwun­ge­ner umgang mit vers­for­men macht das gedicht – und davon legt gera­de falk­ners lesung beson­ders deut­lich zeug­nis ab – sehr flie­ßend. die­se „poly­me­re poe­sie“, wie der autor das nennt, kreist immer wie­der um phä­no­me­ne der zeit, ihrer sub­jek­tiv total zer­split­ter­ten wahr­neh­mung, um das zäh­len. spra­che scheint da als medi­um und bewe­gung glei­cher­ma­ßen ret­tung zu bie­ten – als flucht­punkt und als ver­ar­bei­tungs­mög­lich­keit: „auch die­ses gedicht ist ein gedicht ohne einen /​hel­den ist natür­lich ein gedicht /​ohne einen hel­den ist natür­lich /​ein gedicht“ (56). und ein gedicht ist das hier auf jeden fall – ein wirk­lcih beein­dru­cken­des – schon lan­ge nicht mehr so begeis­tert lyrik ver­schlun­gen.

ger­hard falk­ner: gegen­sprech­stadt – ground zero. gedicht & cd mit music by david moss. idstein: kook­books 2005.

kroetz gibt auf

heu­te gele­sen in einer der lie­gen geblie­be­nen aus­ga­ben der süd­deut­schen von letz­ter woche (die nach­richt beruht auf einer vor­ab­mel­dung der zeit):

franz xaver kroetz hat genug. nach­dem er zwei jah­re an sei­nem neu­es­ten thea­ter­stück „tän­ze­rin­nen & drü­cker” geses­sen habe und von sei­nem jüngs­ten gedicht­band ledig­lich 490 exem­pla­re ver­kauft habe, wol­le er das schrei­ben künf­tig sein las­sen. auch auf der büh­ne wer­de man ihn nicht mehr sehen, sag­te kroetz, der sich selbst als ‚depres­si­ver, aus­ge­brann­ter schrift­stel­ler’ bezeich­net: ‚mit dem schau­spie­lern ist es ja auch vor­bei. als regis­seur will ich arbei­ten.

ob das jetzt eine gute nach­richt ist? nach dem letz­ten erzäh­lungs­band kann ich immer­hin sei­nen ent­schluss befür­wor­ten, mit dem schrei­ben auf­zu­hö­ren … doch ob er als regis­seur noch etwas ver­nünf­ti­ges hin­be­kommt, ent­zieht sich aller­dings mei­ner kennt­nis. aber wenn er wirk­lich so spar­sam ist, dann muss er ja höchst­wahr­schein­lich auch nicht mehr viel arbei­ten…

ironische musik? schumanns heine-vertonungen unter der lupe

robert schu­mann und hein­rich hei­ne, die bei­den gro­ßen genies der roman­tik, haben in die­sem jahr ihren 150. todes­tag – auch wenn sich mozart vor­drängt. dabei ist gera­de die­ses traum­paar viel inter­es­san­ter. und es ist auch noch lan­ge nicht alles gesagt. bei­de ver­bin­det näm­lich nicht nur das jahr ihres todes, son­dern auch ein blick für die jeweils ande­re kunst. bei­de waren außer­dem wun­der­ba­re musik­schrift­stel­ler. und nicht zuletzt hat schu­mann eben hei­ne öfter ver­tont als jeden ande­ren dich­ter. die­se lie­der muss­ten aller­dings im lau­fe der zeit so eini­ge unbill erfah­ren. genau das hat tho­mas syn­of­zik, direk­tor des robert-schu­mann-hau­ses in zwi­ckau, offen­bar gereizt. denn sei­ne pünkt­lich zum jubi­lä­um erschie­ne­ne stu­die hat zwei zie­le: zum einen will syn­of­zik mit der rezep­ti­ons­ge­schich­te mal so rich­tig auf­räu­men. und er will das ver­hält­nis von musik und iro­nie unter die lupe neh­men. der titel ver­spricht dabei aller­dings ein wenig mehr als das buch ein­lö­sen kann. denn sein fokus bleibt beschränkt: es geht um die hei­ne-lie­der – und um nichts ande­res.

der ver­such, der roman­ti­schen iro­nie über­haupt ana­ly­tisch hab­haft zu wer­den, macht den anfang. syn­of­zik sieht sie vor allem als aus­druck der ambi­va­lenz und der ambi­gui­tät. das beob­ach­tet er in hei­nes lyrik und danach sucht er in sei­nen detail­lier­ten har­mo­ni­schen, metri­schen, melo­di­schen und struk­tu­rel­len ana­ly­sen der musik. und er fin­det dabei so vie­le und ein­deu­ti­ge musi­ka­li­schen umset­zun­gen der iro­nie, dass man die frü­he­ren ver­su­che, genau das schu­manns ver­to­nun­gen abzu­spre­chen, kaum glau­ben mag. ob es nun die boden­lo­se har­mo­nik des chor­sat­zes „die lotus­blu­me“, die tona­le ambi­va­lenz von „im wun­der­schö­nen monat mai“, die ros­si­ni-per­si­fla­ge in „die rose, die lilie, die tau­be“ oder die para­do­xen schluss­wen­dun­gen und iro­ni­schen poin­ten – syn­of­zik spürt sie mit viel ana­ly­ti­schem geschick und scharf­blick auf. was sei­nem buch gera­de am ende der lek­tü­re aller­dings ein wenig abgeht, ist der grö­ße­re zusam­men­hang. inter­es­sant wäre schon noch, wie sich die­se beob­ach­tun­gen mit ande­ren lie­der schu­manns oder hei­ne-ver­to­nun­gen ande­rer kom­po­nis­ten ver­glei­chen lie­ßen.

tho­mas syn­of­zik: hein­rich hei­ne – robert schu­mann. musik und iro­nie. köln: dohr 2006. 191 sei­ten. 24,80 euro.

ist reich-ranicki ein literaturkritiker?

die fra­ge ist nicht ganz so banal wie sie scheint. denn es tau­chen zumin­dest bei mir immer wie­der zwei­fel auf. ver­steht er über­haupt, was lite­ra­tur ist? und was kri­tik? wenn ich dann heu­te in der taz ein inter­view mit unser aller lieb­ling mar­cel reich-rani­cki lese, kom­me ich aus dem ver­zwei­fel­ten lachen kaum noch her­aus. denn wenn ein lite­ra­tur­kri­ti­ker sät­ze von sich gibt wie: „der leser liest bücher zu einem ein­zi­gen zweck: um sich die zeit zu ver­trei­ben“ – dann ist wohl wirk­lich hop­fen und malz ver­lo­ren. dann bleibt uns wohl wirk­lich nur noch elke hei­den­reich. aber noch ist es ja nicht so weit. zumin­dest nicht ganz. ein paar rest-leser gibt es ja noch. sonst wür­de hand­ke auch kei­ne bücher ver­kau­fen. über den will mrr sich bezeich­nen­der­wei­se gar nicht erst äußern. na ja, wenn man als lite­ra­tur­kri­ti­ker immer noch und immer wie­der dar­auf besteht, dass man bei der lek­tü­re wis­sen muss „in wel­cher situa­ti­on war der autor“, dann soll­te man sich schleug­nist nach einem pas­sen­de­ren gehirn oder einem ange­mes­se­ne­ren job umse­hen. so wird das jeden­falls nix mehr – denn was weiß er denn im güns­tigs­ten fall über die situa­ti­on des autors? er kann viel­leicht raus­be­kom­men, ob er mate­ri­ell abge­si­chert war. ob er gera­de irgend­wel­chen öffent­li­chen oder offen­sicht­li­chen ärger hat­te und hat. aber sonst? sonst bleibt ihm doch auch nur die lek­tü­re und der text. und das reicht ja auch, damit hat man doch auch mehr als genug zu tun.

aber reich-rani­cki freut sich lie­ber über die tol­le arbeit, die er mit sei­nem kanon geleis­tet hat – und hat immer noch nicht kapiert, wie sinn­los und über­flüs­sig die­se gan­ze sache ist. denn ers­tens lie­ße er sich mit sei­nen eige­nen waf­fen schla­gen: wenn er der ansicht ist, bücher oder lite­ra­tur all­ge­mein wür­den nur zum zeit­ver­treib gele­sen, dann bräuch­te ja nie­mand einen kanon, dann könn­te jeder lesen, was er lus­tig fän­de (und so ist es ja auch). das zeigt ja, wie undurch­dacht und wider­sprüch­lich mrrs posi­ti­on ist. wer nur den kanon lesen will – braucht er dafür einen kof­fer mit allen tex­ten? nein, natür­lich nicht. und erst recht nicht, wenn die tex­te sowie­so alle stän­dig ver­füg­bar sind. damit fällt näm­lich reich-rani­ckis haupt­ab­wehr­ar­gu­ment gegen kri­tik an sei­ner aus­wahl – die ja, wie er selbst wie­der zugibt, auch eine sub­jek­ti­ve ist, also kei­nen wirk­li­chen „kanon“ im eigent­li­chen sin­ne dar­stellt – schon wie­der weg: wür­de es ihm wirk­lich dar­um gehen, einen ver­bind­li­chen kanon zu zemen­tie­ren, lie­ße er sich nicht von so läp­pi­schen und rein kom­mer­zi­ell gedach­ten argu­men­ten wie dem gewicht der aus­ga­be der tex­te sei­nes kanons beein­flus­sen. dann könn­te er näm­lich schlicht und ein­fach eine ent­spre­chen­de lis­te ver­öf­fent­li­chen. aber dar­an zeigt sich eben: es geht ein­fach um das geld. und nicht um die lite­ra­tur. des­halb ist mrr auch kein lite­ra­tur­kri­ti­ker, son­dern – wie auch schon zu zei­ten des liteari­schen quar­tetts, des­sen schwund­stu­fe jetzt halt eine solo­per­for­mance von elke hei­den­reich ist – nur ein bera­ter für die frei­zeit­ge­stal­tung. und das ist etwas ganz ande­res.

ist peter licht eine trübe tasse?

ich blei­be jetzt ein­fach mal bei der frü­he­ren schreib­wei­se als nor­ma­ler name. obwohl die neue kon­tra­hier­te form den kunst­cha­rak­ter die­ser bezeich­nung ja schon deut­li­cher macht. ande­rer­seits war es ja gera­de der witz, das man (zunächst) nicht wuss­te, wo der künst­ler auf­hört und der mensch anfängt, der den frü­he­ren peter licht inter­es­san­ter gemacht hat. auch die musik sei­ner ers­ten bei­den alben, stra­to­sphä­ren­lie­der und 14 lie­der, hat mir bes­ser gefal­len als sein aktu­ells­tes, die lie­der vom ende des kapi­ta­lis­mus. und zwar nicht nur (aber auch ein wenig) text­lich (frü­her: mehr witz, mehr sku­r­il­li­tä­ten, absur­di­tä­ten der gegen­wär­tig­keit), son­dern vor allem musi­ka­lisch – wenn peter licht so stink­nor­ma­len gitar­ren­pop macht, wird das gan­ze pro­jekt irgend­wie doch eben auch ganz nor­mal und nichts beson­de­res mehr. frü­her war zwar nicht alles bes­ser, aber sei­ne musik hat­te den ent­schei­den­den kick über­dreht­heit mehr, der sie inter­es­sant wir­ken ließ.

aber hier soll es ja eigent­lich um sein buch gehen: peter­licht: wir wer­den sie­gen! buch vom ende des kapi­ta­lis­mus. mün­chen: blu­men­bar 2006. und das lässt zunächst ein­mal die übli­chen befürch­tun­gen wahr wer­den: geschrie­ben, sozu­sa­gen schwarz auf weiß, wirkt das alles nur noch halb so gut – plötz­lich merkt man eben, wie bil­lig und abge­nutzt die wort­wit­ze­lei­en in wirk­lich­keit schon sind. schwarz auf weiß ist übri­gens falsch, das buch ist in (hell-)blau (mit ein wenig blass­rot) gedruckt. und in einer ziem­lich kata­stro­pha­len schrift gesetzt, mit abso­lut unmög­li­chen i‑ligaturen – sogar rück­wärts bei der ver­bin­dung gi, die einem das lesen schon fast wie­der ver­lei­den. aber immer­hin kann man ja noch peter lichts kugel­schrei­ber-gekrit­zel bestau­nen. aber auch das gab es schon mal, in der per­fek­ten form etwa bei die­ter roths tele­fon­zeich­nun­gen – wenn man sich das vor augen hält, wirkt peter licht auf ein­mal wie­der wie ein ganz klei­nes licht (‚tschul­di­gung, der witz muss­te jetzt mal sein).

die abso­lu­te und ganz typi­sche all-round-ver­mark­tung hat inzwi­schen von peter licht besitz ergrif­fen: musik, thea­ter, buch, dem­nächst kommt bestimmt noch ein kino­film… auch sei­ne masche mit der anony­mi­tät ist natür­lich eben nur eine masche, die bei der öko­no­mi­schen ver­wer­tung hilft: peter­licht ist die mar­ke, die muss erkenn­bar sein und sich vom rest abhe­ben. immer­hin behaup­tet peter licht m.w. nicht, dass es anders sei…

was ist das also für ein buch: das ist ein net­tes und hüb­sches sam­mel­su­ri­um: klei­ne erzäh­lun­gen, nota­te, gedan­ken-fund­stel­len, sinn­sprü­che und natür­lich lied­tex­te (kom­plett erwar­tungs­ge­mäß die „lie­der vom ende des kapi­ta­lis­mus“, aber auch ande­re, älte­re – inklu­si­ve dem fast unver­meid­li­chem „son­nen­deck“, das über­ra­schen­der­wei­se zu den gelun­gens­ten sei­ten die­ses buches gehört:

„wenn ich nicht hier bin
bin ich aufm son­nen­deck
bin ich bin ich bin ich bin ich
und wenn ich nicht hier bin
bin ich aufm son­nen­deck
oder im aqua­ri­um
bin ich bin ich
und alles was ist
dau­ert drei sekun­den:
eine sekun­de für vor­her eine für nach­her
und eine für mit­ten­drin
für da wo der glet­scher kalbt
wo die sekun­den
ins blaue meer flie­gen

und wenn ich nicht hier bin
bin ich aufm son­nen­deck
bin ich bin ich bin ich bin ich“

[mit den drei sekun­den hat er sogar mal wirk­lich recht, das haben die psy­cho­lo­gen ja als die unge­fäh­re zeit­span­ne der „gegen­wart“ bestim­men kön­nen.]

dane­ben steht aber auch etli­ches an lei­der ziem­lich ein­fäl­tig-pri­mi­ti­ven lyrik – zusam­men gemischt zu einer in jedem zei­chen, in jedem bana­len gekrit­zel bedeu­tung sug­ge­rie­ren­den mix­tur, die aber auch wie­der nur lee­res geblub­ber ist. das gan­ze dreht sich ger­ne immer wie­der um licht & damit ver­bun­de­ne meta­phern. aber die zweit- oder dritt­ver­wer­tung sei­ner ideen & gedan­ken, die in ihren ursprüng­li­chen for­men – meist eben dem lied – wesent­lich fri­scher & inter­es­san­ter wir­ken & auch sind, wie das die „trans­syl­va­ni­sche ver­wand­te“ sehr deut­lich macht, lässt sich am bes­ten wie­der mit peter licht selbst cha­rak­te­ri­sie­ren: „das hier macht lala­la und ver­sen­det sich“ punkt.

sei­nem spiel­trieb hat er dabei rei­lich frei­en lauf gelas­sen – oft wünscht man sich nichts sehn­li­cher, als den gebrauch der ver­nunft und des ver­stan­des durch den autor. ich muss dann aller­dings auch zuge­ben, dass es nicht ganz so schlimm ist, wie sich das hier jetzt lesen mag. und dass trotz allem geme­cker auch ein paar net­tig­kei­ten dabei sind. und zwar vor allem da, wo die poe­ti­sche beschrei­bun­gen ein gleich­ge­wicht mit den bana­li­tä­ten des all­tags, denen sich peter licht so ger­ne wid­met, auch sprach­lich ein­ge­hen. und außer­dem lässt sich gene­rell beob­ach­ten: eine gewis­se leich­tig­keit, ein schwe­ben, – fast wie in der schwe­re­lo­sig­keit – die schwer­kraft ist ja, dar­auf hat peter licht bereits frü­her hin­ge­wie­sen – über­flüs­sig – im welt­raum geht’s ja auch ohne sie…

aber trotz­dem: im gesam­ten scheint mir das doch eben genau die art von bedeu­tungs­schwan­ge­rem gerau­ne und pseu­do­in­tel­lek­tu­el­ler pseu­do­kunst zu sein, die mir den pop in sei­ner ein­fa­chen form der gegen­wart so oft so sehr ver­lei­det. ist das jetzt womög­lich ein deut­sches phä­no­men?

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