»Nächstens mehr.«

Lesen. Hören. Und ein bisschen schreiben.

kajak-videos

aus irgend einem grunde fällt mir das hier ger­ade ein — jed­er, der schon ein­mal (oder gar öfter) so ein video gese­hen hat, wird diese schilderung ken­nen…

gunnar homann

how to have some fun with some friends: szenen eines videoabends

ich bin ja kein pad­dler. aber ich kenne pad­dler. und die pad­dler, die ich kenne, schauen manch­mal pad­delvideos. da schau ich mit. gar nicht so sehr aus sozi­ol­o­gis­chem inter­esse, son­dern eher weil ich es unter gar keinen umstän­den ver­passen will, wenn mit­tel-irrsin­nige vol­lkom­men irrsin­ni­gen zuschauen. allein die fach­sim­pelei über boote! es gibt blaue. und es gibt grüne. und gelbe. es gibt solche von ein­er fir­ma, solche von ein­er anderen und solche von noch mal anderen fir­men. die mit­tel-irrsin­ni­gen, mit denen ich pad­del-videos schaue, erken­nen die marke immer sofort. was aber noch viel unglaublich­er ist: sie erken­nen sog­ar die vol­lkom­men irrsin­ni­gen, die in den booten sitzen, und zwar nur am helm!
jemand schiebt den ersten video rein. ach, denke ich, jet­zt geht es gle­ich wieder los: eine unternehmungslustig klin­gende stimme wird erk­lären, wo sich irrsin­nige wasser­fälle run­ter­stürzen wer­den. und tat­säch­lich: eine unternehmungslustige stimme erk­lärt, wo sich gle­ich ein paar irrsin­nige die wasser­fälle hin­un­ter­stürzen wer­den. der ort ist aber nicht so wichtig.
wichtiger ist, was jet­zt kommt: men­schen­fresser­musik. uah! bamm-bamm. uah! uah! bamm­bamm-bamm. und hier der erste irrsin­nige. er fährt an, macht alles falsch, über­schlägt sich, haut sich an felsen an, fällt in ein tosendes beck­en. so einen scheiß würde ich nie machen. die machen das aber. ein paar von den mit­tel-irrsin­ni­gen, mit denen ich das video schaue (und die momen­tan übri­gens nicht sehr intel­li­gent auf den bild­schirm star­ren), auch. aber wenig­stens lassen sie sich dabei nicht fil­men.

menschenfressermusik

wenn dann der erste depp endlich run­terge­poltert ist, kommt der moment, auf den ich in wirk­lichkeit gewartet habe: meine lieblingspas­sage in pad­delvideos, das sah­ne­häubchen, die amare­nakirsche auf der eis­creme­torte. denn jet­zt sehen wir den irrsin­ni­gen, der sich ger­ade alles kaputtge­hauen hat, beim inter­view auf der inten­sivs­ta­tion, quatsch, am ufer. er tropft, lacht und ist sehr lebendig. mit anderen worten: wir sehen irgend einen­jun­gen mann von der straße, für fünf dol­lar vor die kam­era gelockt, in ned­pren gesteckt, mit einem eimer wass­er übergössen und vor ein­er foto­tapete aufgestellt, um den klap­skalli zu erset­zen, der sich eben in den tod gestürzt hat.
na gut, vielle­icht irre ich mich. aber wenn der junge mann, den wir sehen, wirk­lich der junge draufgänger ist, macht das die fol­gende szene umso erschüt­tern­der. denn jet­zt fühlt ein unsicht­bar­er inter­view­er dem draufgänger knall­hart auf den zahn und hin­ter­fragt den ganzen wahnsinn mal so richtig und gesamtkri­tisch. man hört die frage zwar nie, aber aus der antwort kann man schließen, dass sie ziem­lich genau so laut­en muss: “sag mal steve, alte hütte, das ist zwar doof, aber in den anderen videos fra­gen die das auch immer. also, wieso pad­delst du eigentlich?”
und was antwortet der draufgänger? etwa: “och, weiß nich, aber da wo ich herkomme, sind eigentlich alle gestört”? ach woher. der draufgänger strahlt, ham­pelt ein biss­chen rum und ver­fällt in einen dem ohr schme­ichel­nden singsang, in dem sich neun worte unun­ter­brochen wieder­holen: yeah. it’s. great have. some. fun. with. some. friends. fünf minuten geht das so. ger­ade, wenn alle ein­schlafen, kommt wieder men­schen­fresser­musik und völ­lig über­raschend: der zweite pad­dler. obwohl er ganz genau gese­hen hat, wie es seinen vorgänger zer­bröselt hat, fährt er an den fall ran, macht alles falsch, über­schlägt sich, haut sich an, fällt in ein tosendes beck­en, dann wieder bamm­bammhave­some­fun-with­some­friends. plöt­zlich und wie aus heit­erem him­mel: der dritte pad­dler.
bevor ich auf ihn, sein boot, seinen helm sowie sein gesamtes ver­hal­ten genauer einge­hen werde, sollte ich vielle­icht kurz reka­pit­ulieren, was sich bish­er im ersten von den 23 hier zu behan­del­nden videos abge­spielt hat, damit auch die zu spät gekomme­nen gäste auf dem laufend­en sind. also: bish­er sind zwei pad­dler einen fall gefahren, haben alles falsch gemacht, sich über­schla­gen, um her­nach in ein tosendes beck­en zu fall­en. dann haben sie gemurmelt, es sei schön. spaß mit fre­un­den zu haben, und meine mit­guck­er haben blöd genickt.

pro video 18.000.000 mal

nun aber wie ver­sprochen zum drit­ten paddler…nein, halt, es gibt eine über­raschung: es meldet sich näm­lich wieder die stimme. sie verkün­det, dass sich die pad­dler jet­zt woan­ders anhauen wer­den! und dieses mal fährt der pad­dler, der beim ersten mal zuerst gefahren ist, vielle­icht als drit­ter! dann aber wieder der zweite, der dritte, dann kommt der vierte, dann der fün­fte. dieser zyk­lus wird in gut gemacht­en videos min­destens 18 mil­lio­nen mal durch­laufen. dann kommt das näch­ste video. und dann alle videos hin­tere­inan­der weg. ich schaue gerne pad­delvideos with some friends. yeah. it’s great. eat some chips, have some fun, bamm­bamm­bamm. was daran gut
ist? keine ahnung. ich bin ja kein pad­dler.

(aus dem kanu­magazin)

klaus doldinger wird 70 — und spielt ein umwerfendes konzert

klaus doldingers geburt­stagskonz­ert dieses jahr in der mainz­er phönix­halle: ein langes (dreiein­halb stun­den) glück, mit eini­gen trock­e­nen, eher lah­men teilen (der anfang) und eher pein­lichen momenten — udo lin­den­berg ver­sucht zu sin­gen und, achtung!, zu scat­ten. vor allem in den bei­den pass­port-teilen aber jede menge beglück­ende momente — nicht nur momente, son­dern lange peri­o­den wun­der­bar­er musik. mit extrem smoother pow­er bei der clas­sic-for­ma­tion — wie hier bassist und schlagzeuger etwa miteinan­der agieren, ein­fach wun­der­bar — und reich­lich musikalis­chem exo­tismus, einge­bun­den in mod­ern jazz mit viel gespür für drama­tis­che abläufe und integrität im pass­port-today teil mit den marokkanis­chen gästen. und vor allem mit einem mein­er lieblingskey­board­er, mit rober­to di gioia. wie der spielt und schraubt zugle­ich, das hat schon enorme klasse. und, weil er fast immer eine hand und einen fuss an den reglern hat, kann er faszinierend lebendi­ge kläge entwick­e­len. zum schluss, in den abschließen­den “sahara sketch­es” auch bis hin zu fast reinen, leicht mod­ulierten sinus-tönen und ähn­lichen elek­tro­n­is­chen spiel­ereien. da kommt dann doldinger selb­st ger­ade noch so, qua­si mit hechel­nder zunge, mit: bei stück­en dieser art hält er sich selb­st stärk­er zurück, er scheint doch zu merken, dass seine grund­sät­zlich dem heute eher tra­di­tionell scheinen­den mod­ern jazz zuge­höri­gen impro­vi­sa­tion­s­muster und ‑tak­tiken nicht mehr ganz in diese musik passen. aber trotz­dem: klasse. auch wenn die unver­schämten und tra­di­tionell eh’ saudum­men blöd­köppe vom fernse­hen (unver­schämt, wie sehr die für ihre paar bilder, die sie dann eh’ nur mit­ten in der nacht — damit es ja nie­mand sieht — ausstrahlen, das zahlende! pub­likum belästi­gen) ziem­lich gen­ervt haben. dafür war der ton­tech­niker ziem­lich klasse — sehr flex­i­bel mit der dynamik vor allem, er kon­nte den mas­ter-regler auch mal wieder run­ter­fahren (dann hat man zwar das enorme grun­drauschen der anlage gehört, aber was soll’s). so nun genug der krit­telei (obwohl, da fällt mir ger­ade noch das fernseh-zitat von rainald goetz ein: “die hohlheit der leute vom fernse­hen ist wirk­lich abso­lut unübertrof­fen.” (abfall für alle) — und noch bess­er: “wer vom fernse­hen kommt, wer da arbeit­et, ist dumm, es hil­ft nichts, es hil­ft nichts, bis unter den eitri­gen schei­t­el, eit­el und dumm­frech, dum­m­dumm und saudumm, vielle­icht sog­ar teil­weise super­saudumm.” (aus rave))

jet­zt aber der offizielle text:

von „hän­schen klein“ bis in die sahara ist es ein weit­er weg. aber klaus doldinger ste­ht ja auch schon ein paar jahre auf der bühne. zu seinem 70. geburt­stag ist er mit ein­er ganzen bus­ladung fre­unde und wegge­fährten in die mainz­er phönix­halle gekom­men. und wie im richti­gen leben macht „hän­schen klein“ auf dem klavier den anfang – mit ein­er impro­vi­sa­tion über diese melodie hat er als schüler seine auf­nah­meprü­fung fürs kon­ser­va­to­ri­um geschafft. aber dann geht es ruck­zuck in musikalisch etwas kom­plexere gefilde.

plaud­ernd weist der jubi­lar den weg durch sein leben mit dem jazz: die anfänge mit dem klaus doldinger quar­tett, das er auch fast kom­plett noch ein­mal auf die bühne holt, sind für heutige ohren doch leicht anges­taubt. aber dizzy gille­spies „night in tunisia“ weist schon den weg – nicht nur des titels wegen, son­dern auch musikalisch: die unge­heuere begeis­terung für den jazz ist erwacht. und sie ist heute immer noch spür­bar, wenn die vier alten her­ren den damals mod­er­nen jazz noch ein­mal zum leben erweck­en. die näch­ste große sta­tion doldingers war dann „pass­port“.

und auch diese vier sind noch ein­mal nach mainz gekom­men. jet­zt geht es so richtig los: „pass­port clas­sic“ schleud­ert den mainz­ern eine explo­sive mis­chung aus psy­che­dlis­chen key­boards, klaren sax­ophon­lin­ien, funky bass­läufen und knall­harten drums um die ohren. ein regel­recht­es euphorie-gewit­ter ist es , das die halle jet­zt zum kochen bringt – nicht, dass das bei den massen an schein­wer­fern beson­ders schw­er gewe­sen wäre. aber jet­zt ist klar: solche musik kann man nur mit großer über­win­dung im sitzen hören, das muss man tanzen kön­nen.

so richtig schmerzhaft wird einem das mit der aktuellen beset­zung von pass­port bewusst. die musste zwar zunächst ein­mal dafür her­hal­ten, udo lin­den­berg bei seinen zwei geträllerten schlagern begleit­en. aber danach kon­nten sie so richtig losle­gen. die titelmelodie aus „das boot“ war dafür ein wun­der­bar­er über­gang – denn nun begann die zeit der musikalis­chen aus­flüge in alle teile der welt, nach ameri­ka, brasilien und natür­lich nach nach marokko, die let­zte sta­tion von pass­port. und da ist er auch schon wieder: doldingers unver­wech­sel­bar­er dri­ve, sein nie ver­siegen­der elan und sein gold­enes händ­chen bei der auswahl sein­er musik­er – wer leute wie rober­to di gioia für sich spie­len lässt, hat schon fast gewon­nen. und den rest übern­immt doldinger selb­st. er lässt die muskeln sein­er inte­gra­tiv­en kraft ganz unauf­fäl­lig spie­len. deshalb ist das kein belan­glos­er mix, son­dern eine echte sym­biose von afrikanis­ch­er, europäis­ch­er und amerikanis­ch­er musik – jen­seits aller gren­zen, nicht nur geo­graphisch, son­dern auch emo­tion­al: ein­fach unglaublich gute musik.

porno-pop noch einmal

so, jet­zt ist auch der rest des ban­des bewältigt — mit dur­chaus zwiespälti­gen ein­drück­en. aber wie sollte es bei einem sam­mel­band auch anders sein. der anfang war ja sehr vielver­sprechend, der rest allerd­ings lei­der nicht immer genau­so span­nend. clau­dia gehrke hat einen etwas wirren erfahrungs­bericht (rotkäp­pchen und die pornografie) beiges­teuert, in dem sie von der pub­lika­tion “mein heim­lich­es auge” berichtet und den schwierigkeit des umgangs damit, was ins­beson­dere an der schwierigkeit ein­er klaren (juris­tis­chen) def­i­n­i­tion von pornogra­phie liegt. jörg met­tel­man hat in flesh for fan­ta­sy. das porno-pop-for­mat dage­gen sehr schön die kon­stan­ten und var­i­anzen des porno her­aus­gear­beit­et, ins­beson­dere auf the­o­retis­ch­er ebene recht erquick­lich. er beobachtet dabei neben anderem vor allem den ver­lust der erre­gung, die mit dem obszö­nen und sein­er über­schre­itung ver­bun­den war. die hin­wen­dung zur kun­st vol­lzieht zunächst hol­ger liebs, der in spul mal vor, alter vor allem die gegen­seit­ige befruch­tung von kun­st und pornografie in den blick nimmt — nicht sehr span­nend, weil nicht beson­ders viel dabei her­aus kommt. kathrin rög­gla verzweifelt dann an ihren fig­uren, die fick­en wollen, wenn sie nicht sollen beziehungsweise umgekehrt und so weit­er… diemar schmidt nimmt in zwis­chen den medi­en die trans­me­di­al­ität als pornographis­che bewe­gung (und die pornogra­phie als inter­me­di­ale unternehmung) mit bezug auf schnit­zlers traum­nov­el­le und kubricks anlehnung, eyes wide shut, in den blick. das schien mir aber vor allem kurios, nicht ganz klar ist mir gewor­den, warum er so darauf behar­rt, dass inter­me­di­al­ität ein pornographis­ches phänomen sei. dem rap wen­det sich flo­ri­an wern­er mit “pornog­ra­phy on wax”? zu. schlüs­sig unter­sucht er rap-texte, ins­beson­dere von eminem, auf den vor­wurf der pornogra­phie (ins­beson­dere natür­lich im zusam­men­hang mit der mut­terbeschimp­fung) und erken­nt sie als im grunde als aufk­lärerische pornogra­phie: anklage und stilmit­tel zugle­ich, gefan­gen in der ambi­gu­i­tät des under­dogs im main­stream etc… und sven­ja flaßpöh­ler ver­sucht mit shake your tits!, die rolle der frau bzw. ihrer stel­lung zwis­chen men­sch und sex-objekt in diversen schat­tierun­gen anhand der beispiele madon­na, christi­na aguil­era und brit­ney spears zu beleucht­en. aber das bleibt ziem­lich­es wis­chi-waschi…

den mann nicht zu ken­nen, ist fast unmöglich. zumin­d­est sein­er musik kann man nicht entkom­men: klaus doldinger ist ein­fach fast all­ge­gen­wär­tig. dafür sorgt allein seine wohl bekan­nteste melodie, das titelthe­ma des „tatorts“, das den kri­mi seit mehr als dreißig jahren eröffnet. dabei hat­te klaus doldinger das zunächst gar nicht vorge­se­hen: jazz wollte er eigentlich spie­len. in berlin am 12. mai 1936 geboren, erhielt er sein aus­bil­dung am robert-schu­mann-kon­ver­sato­ri­um in düs­sel­dorf und hat­te auch schon während seines studi­ums mit der dix­ieland-com­bo „the feet­warm­ers“ die ersten erfolge. vom blues und aus­ge­sprochen tra­di­tionellem jazz kam er in dieser zeit zum mod­ern jazz und blieb dabei, bis hin zur jüng­sten for­ma­tion, den „old friends“, die einige urgesteine des deutschen jazz ver­sam­melt und immer noch ver­dammt frisch klingt. ab den frühen sechzigern kom­ponierte er auch unter­hal­tungsmusik wie kaum ein ander­er: für wer­bung, für’s fernse­hen und immer wieder für das kino.

am bekan­ntesten ist er aber als jazz-sax­o­phon­ist, kom­pon­ist und band­leader. und vor allem als chef von „pass­port“. mit dieser band hat doldinger zu beginn der siebziger den jaz­zrock in deutsch­land pop­ulär gemacht und in den let­zten drei jahrzehn­ten an die 30 alben veröf­fentlicht. aber ein ende ist noch nicht in sicht: ger­ade erst erschien „pass­port to marokko“, eine hom­mage doldingers an die musik nordafrikas.

so viel­seit­ig und gefragt seine film­musiken sind – mit dem sound­track für „das boot“ feierte er große erfolge -, so per­sön­lich ist sein jazz immer geblieben. denn doldinger ver­stand es, stets eine gewis­sen eingängigkeit zu pfle­gen und die aktuellen trends der musik­szene, ob es nun bossa nova, beat oder ganz aktuell welt­musik und hip-hop waren, nicht zu kopieren, son­dern in seine musikalis­che welt einzubauen. seine stärk­ste leis­tung ist vielle­icht diese inte­gra­tive kraft: egal, welche anre­gung er auf­greift, die musik bleibt immer doldinger pur.

inzwis­chen hat er so über 2000 songs kom­poniert, mehr als 4000 konz­erte in der ganzen welt gespielt und über 50 alben aufgenom­men. und obwohl er mit 70 jahren das rentenal­ter schon längst erre­icht hat, ist er immer noch unter­wegs. seinen geburt­stag feiert er mit einem großen hap­py-birth­day-konz­ert in mainz, für das er die klas­sis­che pass­port-beset­zung aus den siebzigern mit der aktuellen for­ma­tion und ein­er menge gäste wie udo lin­den­berg und uwe ochsenknecht zusam­men bringt.

mozart und die orgel

ein gespräch­skonz­ert mit ger­hard gnann in st. johan­nis, mainz.

Mozart war schon ein gemein­er Kerl: Da lobt er die Orgel als Köni­gin der Instru­mente immer wieder – und kom­poniert ein­fach nichts für sie. Aber die Organ­is­ten haben sich davon noch nie stören lassen. Denn es gibt einen Ausweg: Sie spie­len Werke, die Mozart für eine Orgel­walze geschrieben hat. Das ist, wie Ger­hard Gnann zu Beginn seines Gespräch­skonz­ertes in St. Johan­nis erläuterte, nichts anderes als eine kleine Orgel, deren Pfeifen von ein­er mech­a­nisch bewegten Walze ges­teuert wer­den – ein Organ­ist ist also unnötig.

Aber das war ein­mal, diese Walzen sind längst ver­loren. Doch die Noten sind immer noch da – eine unwider­stehliche Chance für die Organ­is­ten. Gnann erzählte dankenswert­er­weise aber auch den Rest der Geschichte: Dass die Phan­tasien Auf­tragswerke für ein Wiener Kuriositätenk­abi­nett waren. Und dass Mozart sie nur ungern und allein aus pekunären Inter­essen kom­ponierte. Ver­ständlich wäre die Musik aber auch ohne das gewe­sen. Denn Gnann befleißigt sich bei seinem Vor­trag angenehmer Tugen­den. Die Phan­tasie in f‑Moll KV 594 ist ihm nicht nur eine prachtvolle Schau­musik, son­dern vor allem eine tönende Szener­ie. Mit ehrlich­er, ein­fühlsamer Sach­lichkeit spielt er das und hält sich selb­st vor­bildlich zurück. Auch das in der Ausstel­lung für das Schlafgemach der Gra­zien vorge­se­hene Andante wird auf diese dezente Weise lebendig: Anmutig schre­it­en die Gra­zien, fast schweben sie wie zarte Schlafwan­d­lerin­nen im fahlen Mondlicht, ohne den Schleier je zu lüften. Etwas kraftvoller kommt dage­gen die zweite Phan­tasie KV608 daher: Auch wenn Gnann hier einige Übergänge etwas hölz­ern geri­eten, bleibt doch die ele­gante Mis­chung aus fließen­der Anmut und zuge­spitzter, aber maßvoller Dra­matik ver­di­en­stvoll.

Aber das war noch nicht alles. Die Organ­is­ten ken­nen näm­lich noch mehr Tricks. Mozart hat schießlich, in sein­er Salzburg­er Zeit, auch einige Sonat­en kom­poniert, bei den die Orgel mal mit­spie­len durfte – manch­mal sog­ar solis­tisch. Gnann sparte sich die oblig­a­torischen Stre­ich­er und machte gle­ich alles selb­st: Lock­er aus dem Handge­lenk schüt­telt er diese Musik, vol­lkom­men unkirch­lich verkün­det er die sehr „fro­he“ Botschaft mit immer wieder tänz­erisch anmu­ten­den, ver­führen­den Klän­gen. So etwas für den son­ntägliche Gottes­di­enst zu kom­ponieren, ist wirk­lich fast friv­ol – und ein klein wenig suber­siv.

popthe­o­rie, popdiskurs und pop­krik­tik sind schw­er ver­minte und heftig umkämpfte zonen. auch behrens spart nicht mit deut­lichen worten und harten attack­en vor allem in rich­tung jour­nal­is­mus, aber auch pro­duzen­ten und kon­sumenten bekom­men ihren teil ab. “das reden über pop ist bisweilen mehr pop als das, worauf es gerichtet ist” — die gnaden­lose per­for­ma­tive selb­st­bezüglichkeit des pop-sys­tems ist sein aus­gangspunkt — und das in weit­en teilen immer noch ekla­tant naive reden über pop­phänomene, die genau diesen umstand nicht erken­nen kön­nen und wollen. dazu gehört für behrens auch die man­gel­hafte beobach­tung und erken­nt­nis der ver­flech­tung von markt und pop, von pro­duk­tions- und kon­suma­tions­be­din­gun­gen: “zur dieskur­siv­en struk­tur gehört allerd­ings, daß diesem pro­duzen­ten­da­sein, also der ver­flech­tung im kru­den ökonomis­chen zusam­men­hang kauf aufmerk­samkeit geschenkt wird.” — “pop erscheint als ein außen­raum inner­halb des kap­i­tal­is­mus”, eine posi­tion die behrens nicht befriedi­gen kann. denn er ver­sucht doch, genau dieses desider­at einzu­holen und den pop als poli­tisch-gesellschaftlich­es phänomen wenn nicht zu ret­ten (weil er nur das scheit­ern des pro­jek­tes attestieren kann), so doch immer­hin zu durch­leucht­en und zu ver­ste­hen.

dazu kommt ein weit­er­er fak­tor, der das denken und reden/schreiben über bzw. in pop bes­timmt (und der immer wieder, etwa von diedrich diedrich­sen, reflek­tiert wurde und wird): der zusam­men­hang zwis­chen pop und pos­i­tivis­mus: “der pop recht­fer­tigt dne pos­i­tivis­mus und der pos­i­tivsimus recht­fer­tigt den pop”, das, was man auch als authen­tiz­itäts­falle beze­ich­nen kön­nte: “jed­er zugang, jedes urteil ste­ht und fällt mit dem beweis, dabeigewe­sen zu sein. wer nicht da war, kann nicht mitre­den.” egal wie fein man pop nun also in szenen, grup­pen, felder dif­feren­ziert: “pop ist wesentlich eine bes­timmte umgangs­form mit musik im kap­i­tal­is­mus.” und dann wird es wirk­lich schwierig, denn anschluss an die poli­tis­che kraft des pop zu garantieren oder gar seine sub­ver­sität zu bes­tim­men, denn es bleibt ein­fach immer dabei: “wesentlich ist das geschäft der pop­musik eines von reklame”.

behrens schlägt dann noch eine weit­ere schleife, von diesem punkt des pos­i­tivis­mus oder der sub­jekt-zen­tri­erten authen­tiz­itäts­falle: “pop ist ver­spätete spätro­man­tik” — auch wenn ihm hier, ger­ade in der par­al­lelisierung mit der “kunst”-musik, einige unge­naugikeit­en und fehler unter­laufen. doch dadau­rch ist nund klar: “am ende der bürg­er­lichen kun­st­musik ste­ht der pop: eine sub­jek­tive inner­lichkeit, der alles sub­jek­tive genom­men ist”.

da nun aber auch zu beboacht­en ist: “der affir­ma­tive charak­ter der pop­kul­tur tritt […] nicht präven­tiv [wie in der kul­tur des bürg­er­tum, als schutz vor den eige­nen wider­sprüchen], son­dern aggres­siv auf.” und weil pop das leben gnaden­los mit der kun­st ver­mis­cht und zwar in dem sinne, das er proklamiert, “das leb­ne zum kunst­werk erheben zu kön­nen” — ver­schwindet pop in der kul­turindus­trie. die weni­gen räume der sub­ver­sion kann er dann allerd­ings auch nicht mehr nutzen: “die sub­ver­sion, die hier stat­tfind­et, hat sich je schon mit ihrem platz abge­fun­den; sie schlägt deshalb so leicht vom poli­tis­chen ins ästhetis­che um, weil ihr poli­tikver­ständ­nis kün­st­lerisch gemeint war”. prob­lema­tisch wird dann vor allem, dass die “sub­ver­sive indi­vid­u­altiät des pop­sub­jek­ts unter­stellt wird”, die doch eigentlich erst das ende der sub­ver­sion sein kön­nte. das ist es, was behrens dann in aller schärfe als die “ide­ol­o­gis­che lüge im rebel­lis­chen pro­gramm” verortet: pop und sub­ver­sion bilden so einen schö­nen zirkel.

“der pop real­isiert in seinem rebel­lion­s­ge­bahren gle­ich­sam das grund­mo­tiv des jugen­stils: ‘das träu­men, man sei erwacht’ [w. ben­jamin, pas­sagen-werk].” — “gle­ich­wohl bricht alle sub­ver­sion im pop nicht nur am scheit­ern solch­er sub­jek­tiv­ität, son­dern auch an ihrem drän­gen und ihrer not, die utopis­che in der musik noch nach­hallt. davon möcht sich der [.…] pop freimachen, weil alles ver­sprechen, was noch nicht mit den monatl­ci­hen neuer­schei­n­un­gen abge­golten ist, als geschäftschädi­gend gilt.” — und so scheint mir die einzige möglichkeit, über pop heute über­haupt noch gewinnbrin­gend nachzu­denken.

roger behrens: die rav­ing soci­ety frißt ihre kinder. anmerkun­gen zum zweit­en jugend­stil.

blut & bier

mein gott, schon wieder so eine ent­täuschung. manche leute soll­ten wohl ein­fach nur bis zu einem bes­timmten alter schreiben. und bei franz xaver kroetz ist das offen­bar inzwis­chen über­schrit­ten. denn was er hier unter dem titel blut & bier. 15 unge­wasch­ene sto­ries vor­legt, ist bei tages­licht bese­hen, ein­fach mist. und zwar ziem­lich großer.

ich hat­te ja eigentlich gehofft, etwas von der sprach­lichen poe­sie des frühen kroetz, wie in bauern ster­ben, wun­schkonz­ert oder furcht und hoff­nung in deutsch­land auch in diesen geschicht­en wiederzufind­en. aber nix da, das ist nur noch selb­sthil­fe­prosa aus der schreib­w­erk­statt eines abgewrack­ten dichters, der genau weiß, dass er nichts mehr auf die rei­he bringt. noch nicht ein­mal mehr ordentliche beobach­tun­gen sind aufzuzeigen, kein inter­es­santes the­ma oder ein gelun­gener plot. wobei die meis­ten dieser wirk­lich recht dreck­i­gen g’schichten nicht ein­mal so etwas haben. apro­pos dreck: die vor­getäuschte kol­lo­qui­al­ität, die bedeu­tungsvoll-unab­sichtlich/be­deu­tungs­los ein­flocht­e­nen floskel der umgangssprache sind keinesweg legit­i­ma­tion für irgen­det­was, son­dern bloß ner­vend.

denn worum geht es hier eigentlich: genau, um kroetz. der taucht ziem­lich offen­sichtlich in fast allen erzäh­lun­gen auf – immer gibt es einen altern­den schrift­steller, der kaum noch etwas zu stande bringt, der über der schreib­mas­chine brütet, der von alko­hol und über­haupt dem auss­chweifend­en leben sein­er erfol­gre­ichen jugend geze­ich­net ist: „er schick­te sich rum. suchte eine neue. er fand ein loch. ein echt­es. das war er. ein arschloch.“ (28)

oder die tollen, ach so wage­muti­gen, ein­fach pein­lichen phan­tasien des altern­den her­rn beim anblick sein­er fam­i­lie – sein­er frau und sein­er bei­den töchter: „sie zogen sich aus. sechs tit­ten, drei ärsche, drei mösen, straffe haut über jungem fleisch“ … „mein gott, diese nut­ten, dachte er, diese gottver­dammten nut­ten.“ (38) und so geht das dann die ganze zeit…

manch­mal immer­hin scheint noch etwas vom sozialkri­tis­chen beobachter, dem ehe­ma­li­gen mit­glieder der kom­mu­nis­tis­chen partei, in den tex­ten auf – sel­ten genug. etwa wenn er im let­zten text „der ganz nor­mal super­mann“ das szenario ein­er ökol­o­gisch-egal­itären gesellschaft entwirft, in der alles, auch sex etc., streng lim­i­tiert sind, damit alle mal zum zuge kom­men.

lit­er­arisch ist das ein­fach mist: „schreiben kann doch heutzu­tage jed­er depp, aber er war ein guter mann, und darauf kommts doch let­ztlich an!“ (79). das, was mich an solchen tex­ten immer wieder am meis­ten anwidert, ist die tat­sache, dass ihr autor dur­chaus zu wis­sen scheint, dass er nur mist, nur bil­liges geschwurbel ohne kün­st­lerischen wert, pro­duziert – und trotz­dem nichts dage­gen untern­immt, nichts besseres schreibt oder wenig­stens den dreck unveröf­fentlich lässt.

damit wäre kroetz also auch abge­hakt – es sei denn, er macht einen münch­hausen und holt sich selb­st noch ein­mal aus dem sumpf sein­er selb­st­bezüglichen, selb­stver­liebten (immer­hin mit dem oblig­a­torischen winzi­gen schuss ironie), vor allem aber ein­fach schlecht­en prosa wieder her­aus.

franz xaver kroetz: blut & bier. 15 unge­wasch­ene sto­ries. ham­burg, rot­buch 2006

musicalisches vielerley

lon­don, ams­ter­dam, darm­stadt, salzburg, berlin, ham­burg – da ist jemand weit herum gekom­men. und das war nur der anfang, frankre­ich und ital­ien hat er auch aus­giebig bereist: der englis­che musik­forsch­er charles bur­ney. das inter­es­sante an seinen fahrten ist, dass er nicht ein­fach urlaub gemacht hat, son­dern sozusagen auf fort­bil­dung war. und er hat getreulich buch geführt – dort kann man heute noch vieles über das musik­leben europas im 18. jahrhun­dert ler­nen: ein „musi­calis­ches viel­er­ley“. das ist der titel für die abschlusskonz­erte ein­er koop­er­a­tion des musik­wis­senschaftlichen insti­tutes und der musikhochschule in der vil­la musi­ca.

die stu­den­tis­chen musik­er kom­men ger­ade aus einem inter­pra­tionskurs, die musik­wis­senschaftler haben ein pro­grammheft beiges­teuert, das zu einem regel­recht­en büch­lein gewor­den ist – mit vie­len abbil­dun­gen, quellen und instruk­tiv­en ein­führun­gen

aber das ist nur bei­w­erk, eigentlich geht es um die musik, und zwar um kam­mer­musik mit vio­line aus eini­gen von bur­ney besucht­en städten – mit einem zusät­zlichen abstech­er nach dessau, um auch friedrich wil­helm rust mit ein­er vio­lin-sonate vorzuführen. so-young park hat sich der aparten mis­chung aus aus­druck­swillen und form­strenge mit klaren ton und großen gesten angekommen.l doch das ist schon vorge­grif­f­en – bur­neys reise begann natür­lich in lon­don. das ist durch eine triosonate von hän­del repräsen­tiert. mehr zu bestaunen gab es aber in ams­ter­dam. dort war näm­lich etwas ziem­lich ver­rück­tes zu find­en „il labir­in­to armon­i­co“ von pietro locatel­li. das ist ein teu­flisch schw­eres capric­co – ein vor­läufer pagani­nis sozusagen. musik kann man das kaum nen­nen, aber bewun­dern darf man die stu­pende vir­tu­osität schon, mit der sich igor tsin­man an den gebroch­enen dreik­län­gen, den dop­pel­grif­f­en und den anderen absur­ditäten abar­beit­et. salzburg wird – natür­lich – von mozart vertreten. jochen klein­schmidt und annette ziegler zeigen mit zwei sein­er kirchen­sonat­en ganz unbeschw­ert und fre­undlich, wie groß der abstand zu den meis­ten sein­er zeitgenossen war.

und schließlich in ham­burg, kurz vor der rück­kehr auf die insel, der ver­such, georg philipp tele­mann mal wieder von seinem image als biedere kom­ponier­mas­chine zu befreien. das gelingt den bei­den geigern mit der sonate in b‑dur für zwei vio­li­nen aber nur halb­wegs: das andante ist ohne zweifel außeror­dentlich anrührend – weil die bei­den es mit bedacht und vor­sicht so schweben lassen, als erk­länge es in der schw­erelosigkeit. der rest der sonate ist da nur die notwendi­ge vor­bere­itung, der take-off ins all und die – span­nende, weil ja immer beson­ders kri­tis­che – rück­kehr auf die erde. tele­mann hat davon wohl noch nichts gewusst, aber das macht ja nichts.

gestern abend gehört — im auf­trag, frei­willig wäre es nicht ganz mein ding gewe­sen: arturo san­doval group im frank­furter hof mainz.

das ist die offizielle fas­sung meines bericht­es:

kurz vor acht herrscht auf der bühne des frank­furter hofs noch reges treiben. da wird noch fleißig geschraubt, instru­mente aus­gerichtet, kabel ver­legt und mikros getestet: die frisch aus ali­cante einge­flo­gene arturo san­doval group ist noch gar nicht so richtig in mainz angekom­men. doch dann geht es schlag auf schlag: die musik­er nehmen die bühne in besitz und das pub­likum gle­ich noch dazu. so langsam kon­sti­tu­iert sich im ersten rit­uellen rundgang von the­ma und soli ein­mal quer durch die band auch der sound. natür­lich sticht arturo san­doval in der anson­sten sehr jung beset­zten gruppe beson­ders her­vor: er knallt, qui­etscht, presst, stöh­nt und wirbelt die töne aus sein­er trompete nur so her­vor. nicht ganz zufäl­lig ist er den ganzen abend das unange­focht­ene zen­trum nicht nur der bühne, son­dern des gesamten geschehens: bei ihm laufen alle fäden zusam­men, er greift immer wieder ein und gibt anweisun­gen. und er ist außer­dem eine band in der band: er spielt nicht nur trompete, son­dern auch schlag­w­erk und sog­ar der pianist muss ihm zeitweise weichen.

es scheint fast so, als verfin­ge er sich dabei selb­st immer wieder im gestrüpp sein­er musik: was zunächst wie unkon­trol­liert­er wild­wuchs wirkt, ent­pup­pt sich beim genaueren hin­hören aber immer als minu­tiös geplante und sorgsam kul­tivierte berech­nung – hier hat der zufall kein platz, selb­st der spon­tane ein­fall muss schw­er ums über­leben kämpfen. doch die arrange­ments zeigen immer wieder uner­wartetes: ger­ade noch mit­ten im kuban­is­chen pow­er-groove, stößt san­doval einen schrei in die trompete und alles ver­wan­delt sich jäh: mit einem schlag baut er eine vol­lkom­men neue szener­ie, aus dem hek­tis­chen par­tygeschehen wech­selt er unver­mutet an den strand ein­er roman­tis­chen voll­mond­nacht und beobachtet ein ver­liebtes pärchen. aber die ruhe trügt schon wieder: nicht lange, und die näch­ste par­ty nähert sich bere­its –für diese mal zieht sie noch vorüber, aber doch nicht ganz ohne effekt: der funke ist überge­sprun­gen, ganz langsam und zunächst noch unmerk­lich zieht es jet­zt alle doch wieder zum tanzen – wo san­doval unweiger­lich mit sein­er strahlen­den trompete und seinen uner­müdlichen mit­spiel­ern schon wartet. das per­fekt chore­o­gra­phierte auf und ab der musik sind ein­fach seine stärke – was eben noch ein blue­siges klavier­so­lo war, wird ruck­zuck zu ein­er groove-attacke, nur um wenige herz­schläge später erneut zum blues zu mutieren. und dabei lassen alle musik­er ihrer pro­fil­neu­rose freien lauf. das wäre unerträglich, käme dabei nicht so kraftvolle musik her­aus, die schlechter stim­mung ein­fach keine chance lässt.

und das die inof­fizielle (aber wahre) ergänzung:

frei­heit ist hier nicht wirk­lich möglich. auch wenn sie so tun, als wür­den sie impro­visieren. denn in dem fortwähren­den mäan­dern ist dafür kein platz: sich­er, da scheint alles vorhan­den zu sein – viele schleifen, uner­wartete biegun­gen, strom­schnellen, wasser­fälle, beschauliche strände – mal als gemütlich­er wiesen­fluss, meist aber als reißen­des wild­wass­er. aber es ist immer nur das da, was san­doval sehen und hören will. und auch wenn er das auss­chweifende, ver­schnörkelte liebt – es muss schon nach seinem willen sich richt­en.

im grunde ist das aber mehr sport als musik – oder mehr porno als kun­st: höher, schneller, weit­er – nein, lauter – darum geht es hier. und arturo san­doval bleibt natür­lich immer, welche über­raschung, unange­focht­en­er cham­pi­on, dafür weiß er schon zu sor­gen. und das pub­likum scheint das unbe­wusst auch zu wis­sen – denn genau die sportlichen erfolge, die beson­ders hohen töne, die beson­ders schnellen läufe und wirbel, die beson­ders laut­en trom­melschläge wer­den am begeis­ter­sten bejubelt – nicht die außergewöhn­lich gelun­gene phrase, nicht dier passende aus­druckk. aber um so etwas geht es hier eben über­haupt nicht, das unter­läuft den musik­ern nur so neben­bei und offen­bar auch eher unge­wollt. kun­st ist das deshalb eigentlich nicht mehr, das ist nur noch öffentliche selb­st­be­friedi­gung von sechs machos – ob es wirk­lich zufall ist, dass solche grup­pen (auch die von arturo san­doval) fast immer auss­chließlich aus män­nern beste­hen?

auf jeden fall ist so etwas eine unge­heure anmaßung, im grunde eine unver­schämtheit gegenüber dem pub­likum: der zuhör­er wird hier ganz offen­sichtlich für dumm verkauft, er wird als kulisse für die selb­st­be­weihräucherung und selb­st­bestä­ti­gung der beteiligten musik­er (ja, ich bin der beste, ich kann am öftesten, ich hab’ den größten…) wie eine tapete, oder ein­fach wie eine ware, benutzt. von respekt ist da nichts, aber auch gar nichts zu spüren. ok, weit­er will ich mich darüber jet­zt nicht aufre­gen…

halbmarathon

heute bin ich mal wieder mal meinen oden­wälder halb­marathon gelaufen: von der less­ingstraße in erbach auf den buch­wald­skopf ist der anfang. eigentlich wollte ich gar nicht viel weit­er, nur eine kleine halbe runde, vielle­icht mit ein­er zusät­zlich schleife, drehen. aber dann lief es so gut, dass ich ein­fach mal weit­er rich­tung son­nen­weg ger­an­nt bin. und dort war ich immer noch so fit, dass ich kurz­er­hand rich­tung bul­lauer bild abge­bo­gen bin. dort angekom­men, war das dauernde bergauf-laufen zwar schon zu spüren, aber da ich nun schon ein­mal auf der höhe war, habe ich gle­ich den weg zum würzberg­er jäger­tor eingeschla­gen. da fing es dann allmäh­lich an, trock­en zu wer­den: da ich ja eigentlich nur ein kleine runde laufen wollte, hat­te ich nichts zu trinken dabei. und zuvor habe ich auch nicht sehr gut aufge­tankt. von würzberg aus ging es dann ruck­zuck durch die hohl nach erns­bach, von dort natür­lich ins dreiseen­tal, wo es langsam wirk­lich hap­pig wurde: dehy­dri­ert und zunehmend unterzuck­ert fing ich an, mich zu quälen. der weg durch dorf-erbach wurde dann zu ein­er ziem­lichen qual. aber der let­zte anstieg am kreuzweg hat das dann natür­lich noch ein­mal getoppt — so quälend war das schon sehr lange nicht mehr. zuhause angekom­men, ging es mir zwar nicht beson­ders gut, es dauerte zwei, drei stun­den, bis ich wieder einiger­maßen fit war. aber der blick auf die uhr machte mich dann doch stolz: ich muss ziem­lich flott unter­wegs gewe­sen sein, die genaue zeit weiß ich zwar nicht, weil ich natür­lich wieder ein­mal erst spät nach der rück­kehr auf die uhr schaute, aber mehr als 1:50 kön­nen es auf keinen fall gewe­sen sein, eher wohl um die 1:45 — und das ist doch gar nicht so schlecht für diese strecke (und ohne wass­er!).

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