das soll jetzt nicht den eindruck erwecken, bei peter schünemanns kleinem, aber feinem band mit erzählungen: dunkles bild (münchen: hanser 2005) handele es sich um depressive prosa. aber die erfahrung der dunkelheit in verschiedenen graden, der düsternis (gerade im kontrast mit den aufscheinenden licht(blitzen)) ist doch ein pärgendes element dieser drei herrlichen texte. ihre dunkelheit, sprachmacht und ja, auch ihre menschenliebe, sowie natürlich ihre bildlichkeit erinnern mich teilweise (v.a. im dunklen bild) doch recht deutlich an texte von christoph ransmayr, besonders dessen letzte welt.
zwei texte haben mich besonders beeindruckt: zunächst der die sammlung eröffnenden und titelgebende, dunkles bild. schünemann erzählt in andeutungen, sorgfältig gesteuerte informationsvergabe (d.h. vor allem informationskontrolle: das ist einer dieser ganz seltenen texte, die nur ganz wenig und nur ganz allmählich mitteilen, aber dennoch ungeheuer lebendig und faszinierend sind), der erzählt also von einem maler, der vorübergehend (die gründe und umstände sind nicht so ganz klar), ein blindes kind bei sich aufgenommen hat. zusammen erfahren sie vor allem die kälte (und den mangel überhaupt). der maler ist auf der suche, auf der reise zu einem ungemalten und ungesehenen bild – er wird es erst im moment seines selbstmordes erkennen, der so zu einem wahren und wirklichen moment der erlösung und der schau der reinen wahrheit (was natürlich auch einen anspielung auf novalis, der jüngling zu sais, ist) wird (übrigens ist der tod (absichtlich herbeigeführt oder nicht) zentrales motiv von schünemanns erzählungen): „dann ließ ich los; un in der verhallenden sekunde sah ich endlich das bild, es waren nicht mehr die kalten augen der statuen, jahrtausendalt, es war das kleine gesicht, weiß, die verbrannte hoffnung in der lichtlosen nacht, nur sehr fern und allein das zarte leuchten in der tiefe seiner augen, das bild nun, nach dem ich geforscht, und der leise laut, der micht im sturz noch traf. “ (24)
im zitat wird die qualität der schünemannschen prosa schon ziemlich deutlich: expressionistisch beeinflusst, man könnte es fast eine bilderorgie nennen. die sprache lebt von der kraft ihrer bildlichkeit, d.h. ihrer metaphern und vergleiche. besonders in der massierung wirkt das gerade in dunkles bild ungeheuer konzentriert – obwohl diese erzählung nur ein kurzes stück ist, so ist sie doch von fesselnder, unbezwungener und ungezähmter, also unmittelbarer kraft. allerdings eben nicht so, wie das im moment eher zeitgemäß wäre, als scheinbare realitätsnahe, unmittelbare sprache ohne stilwillen. gerade der enorme stilwillen, die enorme geformtheit der sprache, der worte und ihrer verknüpfungen zu sätzen und absätzen, ist es erst, was mich beim lesen so ungeheuer fesselt. dazu kommt dann die bereits angesprochene reiche metaphorik und die postfigurative motivik.
die treibt vor allem in der zweiten erzählung, zwieland. eine büchner suite, ihre spielchen mit dem leser. denn dieser text ist bis zum überquellen vollgestopft mit anspielungenen, wiederaufnahmen, abwandelndem aufgreifen von bestimmten formulierungen, motiven, ideen aus büchners texten – aus dem danton, aus leonce und lena, natürlich aus dem lenz, aber auch aus den briefen und vielem anderen mehr. die erzählsituation ist recht einfach: eine betrachtung der letzten tage georg büchners. der autor liegt mit faulfieber in seiner eigenen variante der matrazengruft, wird von caroline und wilhelm schulz gepflegt, von minna besucht. das ganze sowohl in der eigenperspektive büchners als auch beobachtend, mit großer klarheit als auch im fiebertraum eine paradies der postfigurationen im quergang durch rückblick, biographie und werkschau.
der dritte text in diesem band, die novelle zenons spur, scheint mir gegen diese beiden erzählungen etwas abzufallen. jetzt ist es vor allem die auflösung des (künstlerischen) lebens in das nichts, das erzählt wird: ein bruderpaar, maler und schriftsteller, an der schwelle zum tod. der maler, epileptiker, erliegt einer krankheit, hat zuvor noch sämtliche überreste seiner künstlerischen tätigkeit getilgt. sein bruder, schriftsteller, folgt ihm offenbar in den tod. mir allerdings fehlt dieser novelle die spannkraft, das fesselnde moment oder einfach die konzentration der beiden anderen erzählungen. es kann freilich auch sein, dass ich nur noch nicht den passenden zugang, den richtigen moment der lektüre erwischt habe.
als ganzes mag das zwar zunächst wie ein reichlich anachronistisches unternehmen erscheinen, was schünemann hier vorlegt. aber jenseits von plattem aktualitätsdrang, von pseudo-kunst und gewollter bedeutsamkeit, ist das offensichtlich ein versuch der verschmelzung: das durchaus in hohen dosen vorhanden pathos dieser expressionistisch angehauchten sprache und ihrer väter wie kleist, novalis, hölderlin (büchner natürlich auch) zeigt seine überzeitlichkeit, stellt seine weiterhin mögliche funktion auch im 20. (alle texte sind nicht mehr ganz taufrisch) bzw. natürlich auch im 21. jahrhundert zumindest zur diskussion, wenn nicht gar unter beweis. zumindest ich möchte das behaupten, denn der versuch, das echo, den ruf vergangener zeiten hier einzufangen und lebendig und vor allem wirkmächtig zu machen, ist schünemann offensichtlich gelungen. das sagt nun allerdings wenig über die allgemeine verfügbarkeit dieser art von sprache (die auch eine bestimmte art des denkens, vor allem aber der wahrnehmung der welt und des subjektes impliziert) aus – peter schünemann kann darüber gebieten, und das ist ein glorreicher sieg für den autor, aber auch für den leser, der dafür noch ein paar offene nervenenden hat.
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