Lesen. Hören. Und ein bisschen schreiben.

Kategorie: literatur

ist peter licht eine trübe tasse?

ich bleibe jet­zt ein­fach mal bei der früheren schreib­weise als nor­maler name. obwohl die neue kon­trahierte form den kun­stcharak­ter dieser beze­ich­nung ja schon deut­lich­er macht. ander­er­seits war es ja ger­ade der witz, das man (zunächst) nicht wusste, wo der kün­stler aufhört und der men­sch anfängt, der den früheren peter licht inter­es­san­ter gemacht hat. auch die musik sein­er ersten bei­den alben, stratosphären­lieder und 14 lieder, hat mir bess­er gefall­en als sein aktuell­stes, die lieder vom ende des kap­i­tal­is­mus. und zwar nicht nur (aber auch ein wenig) textlich (früher: mehr witz, mehr skuril­litäten, absur­ditäten der gegen­wär­tigkeit), son­dern vor allem musikalisch — wenn peter licht so stin­knor­malen gitar­ren­pop macht, wird das ganze pro­jekt irgend­wie doch eben auch ganz nor­mal und nichts beson­deres mehr. früher war zwar nicht alles bess­er, aber seine musik hat­te den entschei­den­den kick über­drehtheit mehr, der sie inter­es­sant wirken ließ.

aber hier soll es ja eigentlich um sein buch gehen: peter­licht: wir wer­den siegen! buch vom ende des kap­i­tal­is­mus. münchen: blu­men­bar 2006. und das lässt zunächst ein­mal die üblichen befürch­tun­gen wahr wer­den: geschrieben, sozusagen schwarz auf weiß, wirkt das alles nur noch halb so gut — plöt­zlich merkt man eben, wie bil­lig und abgenutzt die wortwitzeleien in wirk­lichkeit schon sind. schwarz auf weiß ist übri­gens falsch, das buch ist in (hell-)blau (mit ein wenig blass­rot) gedruckt. und in ein­er ziem­lich katas­trophalen schrift geset­zt, mit abso­lut unmöglichen i‑ligaturen — sog­ar rück­wärts bei der verbindung gi, die einem das lesen schon fast wieder ver­lei­den. aber immer­hin kann man ja noch peter lichts kugelschreiber-gekritzel bestaunen. aber auch das gab es schon mal, in der per­fek­ten form etwa bei dieter roths tele­fonze­ich­nun­gen — wenn man sich das vor augen hält, wirkt peter licht auf ein­mal wieder wie ein ganz kleines licht (‘tschuldigung, der witz musste jet­zt mal sein).

die absolute und ganz typ­is­che all-round-ver­mark­tung hat inzwis­chen von peter licht besitz ergrif­f­en: musik, the­ater, buch, dem­nächst kommt bes­timmt noch ein kinofilm… auch seine masche mit der anonymität ist natür­lich eben nur eine masche, die bei der ökonomis­chen ver­w­er­tung hil­ft: peter­licht ist die marke, die muss erkennbar sein und sich vom rest abheben. immer­hin behauptet peter licht m.w. nicht, dass es anders sei…

was ist das also für ein buch: das ist ein nettes und hüb­sches sam­mel­suri­um: kleine erzäh­lun­gen, notate, gedanken-fund­stellen, sinnsprüche und natür­lich lied­texte (kom­plett erwartungs­gemäß die “lieder vom ende des kap­i­tal­is­mus”, aber auch andere, ältere — inklu­sive dem fast unver­mei­dlichem “son­nen­deck”, das über­raschen­der­weise zu den gelun­gen­sten seit­en dieses buch­es gehört:

“wenn ich nicht hier bin
bin ich aufm son­nen­deck
bin ich bin ich bin ich bin ich
und wenn ich nicht hier bin
bin ich aufm son­nen­deck
oder im aquar­i­um
bin ich bin ich
und alles was ist
dauert drei sekun­den:
eine sekunde für vorher eine für nach­her
und eine für mit­ten­drin
für da wo der gletsch­er kalbt
wo die sekun­den
ins blaue meer fliegen

und wenn ich nicht hier bin
bin ich aufm son­nen­deck
bin ich bin ich bin ich bin ich”

[mit den drei sekun­den hat er sog­ar mal wirk­lich recht, das haben die psy­cholo­gen ja als die unge­fähre zeitspanne der “gegen­wart” bes­tim­men kön­nen.]

daneben ste­ht aber auch etlich­es an lei­der ziem­lich ein­fältig-prim­i­tiv­en lyrik — zusam­men gemis­cht zu ein­er in jedem zeichen, in jedem banalen gekritzel bedeu­tung sug­gerieren­den mix­tur, die aber auch wieder nur leeres geblub­ber ist. das ganze dreht sich gerne immer wieder um licht & damit ver­bun­dene meta­phern. aber die zweit- oder drittver­w­er­tung sein­er ideen & gedanken, die in ihren ursprünglichen for­men — meist eben dem lied — wesentlich frisch­er & inter­es­san­ter wirken & auch sind, wie das die “trans­syl­vanis­che ver­wandte” sehr deut­lich macht, lässt sich am besten wieder mit peter licht selb­st charak­ter­isieren: “das hier macht lalala und versendet sich” punkt.

seinem spiel­trieb hat er dabei reilich freien lauf gelassen — oft wün­scht man sich nichts sehn­lich­er, als den gebrauch der ver­nun­ft und des ver­standes durch den autor. ich muss dann allerd­ings auch zugeben, dass es nicht ganz so schlimm ist, wie sich das hier jet­zt lesen mag. und dass trotz allem gemeck­er auch ein paar net­tigkeit­en dabei sind. und zwar vor allem da, wo die poet­is­che beschrei­bun­gen ein gle­ichgewicht mit den banal­itäten des all­t­ags, denen sich peter licht so gerne wid­met, auch sprach­lich einge­hen. und außer­dem lässt sich generell beobacht­en: eine gewisse leichtigkeit, ein schweben, — fast wie in der schw­erelosigkeit — die schw­erkraft ist ja, darauf hat peter licht bere­its früher hingewiesen — über­flüs­sig — im wel­traum geht’s ja auch ohne sie…

aber trotz­dem: im gesamten scheint mir das doch eben genau die art von bedeu­tungss­chwan­gerem ger­aune und pseudoin­tellek­tueller pseudokun­st zu sein, die mir den pop in sein­er ein­fachen form der gegen­wart so oft so sehr ver­lei­det. ist das jet­zt wom­öglich ein deutsches phänomen?

noch einmal bier-prosa. diesmal von franz dobler

nach “blut & bier”, den ja wirk­lich sehr unge­wasch­enen sto­ries von franz xaver kroetz, kommt gle­ich die näch­ste alko­hol-lek­türe: bier­herz. flüs­sige prosa von franz dobler (ham­burg: nau­tilus 1994). so richtig sauber ist das hier natür­lich auch nicht, das wäre von franz dobler auch wohl zu viel ver­langt. den anfang macht die wiederver­w­er­tung des vor­wortes zu einem the­ater­stück mit dem über­raschen­den namen “bier­herz”, in dem dobler v.a. erk­lärt, dass man mit seinem stück so ziem­lich alles machen kann, so lange nur der text von irgend jemand gesprochen wird. das ganze fix verquirlt mit ein paar tief­schür­fend­en und jed­er menge flach­schür­fend­en gedanken und ideen zum bier und seinem kon­sum und fer­tig sind die ersten dreißig seit­en des neuen büch­leins.… danach kommt lei­der nicht mehr viel: eine kleines “reise­tage­buch” durch louisiana und texas mit ein paar lau­ni­gen beschrei­bun­gen der musik‑, tanz‑, bar- und bierver­hält­nisse dorten ist da noch der höhep­unkt. der rest total ver­nach­läs­sig­bar: anek­doten, lau­nig erzählt, abso­lut unschein­bar und ohne beson­dere stilmerk­male, ästhetis­che eigen­heit­en oder son­stige her­aus­ra­gende eigen­schaften: flüs­sig eben, und schnell ver­ronnen.…

joachim lottmann beobachtet zombies in freier wildbahn

der neueste anschlag lottmanns auf guten geschmack und überkommene werte: joachim lottmann: zom­bie nation. köln: kiepen­heuer & witsch 2006.

der erzäh­ler – ein autor-klon mit dem namen johan­nes­lohmer, „erfind­er“ des pop-romans – beobachtet sich beim recher­chieren / schreiben eines fam­i­lien­ro­mans, der seinem jugen­dro­man fol­gen soll: „der erste fam­i­lien­ro­man der poplit­er­atur“ behauptet der klap­pen­text (was natür­lich blödsinn ist, allein fichte hat da ja schon einiges dazu geschrieben). und natür­lich ist „zom­bie nation“ auch gar kein­er. höch­stens als per­si­flage auf die aktuelle schwemme auf dem bücher­markt. dazu ist lottmann ja immer wieder gut: als seis­mo­graph. und als schlag­wort-liefer­ant – ein beispiel? aber klar doch, gle­ich auf dem umschlag: „was frauen den män­nern antun, ist der eigentliche irak-krieg unser­er epoche.“ das ste­ht da ein­fach mal so und wartet, dass jemand drauf anspringt. was ja hier­mit offiziell erledigt wäre …

„die let­zten tage der berlin­er repub­lik“ sind das zen­trum des romans – die ansprüche sind gesunken, die men­schheit war ein­mal, heute geht es nur noch um uns: die mit­dreißiger oder vierziger kul­turschaf­fend­en… typ­isch für lottmann ist natür­lich wieder der ironie-overkill, sein schein-real­is­mus, inklu­sive vol­lz­i­tat einiger jour­nal­is­tis­chen arbeit­en lottmanns
(aus der sz und der taz), verquickt noch dazu mit eini­gen pri­vat­en abson­der­lichkeit­en — und schon ist das neue buch fer­tig. schnell geschrieben, schnell gele­sen und wahrschein­lich auch schnell wieder vergessen.

das fab­u­lieren hat lottmann aber ganz gut draf: die hyper­tro­phe meta­phern­schlacht im geiste ein­er simulierten erzäh­lerischen unschuld, die natür­lich ständig geschickt umspielt wird – genau wie das imag­inierte zwiege­spräch zwis­chen erzäh­ler und imag­inärem leser gerne mal reflek­tiert, umge­dreht wird, um dann doch keine rück­sicht zu nehmen oder ger­ade erst recht, je nach momen­tan­er stim­mung: „es fällt mir schw­er, den leser mit ein­er wieder­gabe eines frem­den lebens zu behel­li­gen, anstatt über das eigene leben zu bericht­en.“ – „der lit­er­aturbe­trieb verzei­he mir, aber ich kon­nte nicht anders, als wieder mit ihr zu schlafen.“

das gesamt­paket wird dann mit dem her­rlichen rosa des umschlags abgerun­det: die züchtige unschuld – aber dann natür­lich die stre­ichze­ichung der bar­busi­gen jungfrau mit gülden­em haar –, die beobach­tung der schreck­lich angepassten jugend des jahres 2005 und verzwei­flung über ihre sinnlosigkeit beschäfti­gen lottmann: wer schon in sein­er jugend das leben sein­er eltern führt – was soll aus dem noch wer­den? und wenn das ein ganzes volk so macht? dann amüsiert man sich mit sein­er heim­lichen liebe, der bild-zeitung: „ein schön­er beginn, eine tolle geschichte, mit einem nachteil: sie stand in der bildzeitung und war somit erfun­den.“

und wer sind nun eigentlich die zom­bies? und die zom­bie nation? keine ahnung. aber sie haben die große koali­tion ver­schuldet und ver­ant­wortet.

fussball

ein klein­er zwis­chen­ruf, aus der faz vom fre­itag:

jochen jung: wm

deutsch­land, deutsch­land, übe alles,
übe alles für die welt-
meis­ter­schaft, den fall des fall­es,
damit kahn das led­er hält.
oder lehmann. oder bälamm.
oder kant. auf jeden fall,
und trotz all dem blö­den schmäschlamm,
hal­ten soll er halt den ball.

blut & bier

mein gott, schon wieder so eine ent­täuschung. manche leute soll­ten wohl ein­fach nur bis zu einem bes­timmten alter schreiben. und bei franz xaver kroetz ist das offen­bar inzwis­chen über­schrit­ten. denn was er hier unter dem titel blut & bier. 15 unge­wasch­ene sto­ries vor­legt, ist bei tages­licht bese­hen, ein­fach mist. und zwar ziem­lich großer.

ich hat­te ja eigentlich gehofft, etwas von der sprach­lichen poe­sie des frühen kroetz, wie in bauern ster­ben, wun­schkonz­ert oder furcht und hoff­nung in deutsch­land auch in diesen geschicht­en wiederzufind­en. aber nix da, das ist nur noch selb­sthil­fe­prosa aus der schreib­w­erk­statt eines abgewrack­ten dichters, der genau weiß, dass er nichts mehr auf die rei­he bringt. noch nicht ein­mal mehr ordentliche beobach­tun­gen sind aufzuzeigen, kein inter­es­santes the­ma oder ein gelun­gener plot. wobei die meis­ten dieser wirk­lich recht dreck­i­gen g’schichten nicht ein­mal so etwas haben. apro­pos dreck: die vor­getäuschte kol­lo­qui­al­ität, die bedeu­tungsvoll-unab­sichtlich/be­deu­tungs­los ein­flocht­e­nen floskel der umgangssprache sind keinesweg legit­i­ma­tion für irgen­det­was, son­dern bloß ner­vend.

denn worum geht es hier eigentlich: genau, um kroetz. der taucht ziem­lich offen­sichtlich in fast allen erzäh­lun­gen auf – immer gibt es einen altern­den schrift­steller, der kaum noch etwas zu stande bringt, der über der schreib­mas­chine brütet, der von alko­hol und über­haupt dem auss­chweifend­en leben sein­er erfol­gre­ichen jugend geze­ich­net ist: „er schick­te sich rum. suchte eine neue. er fand ein loch. ein echt­es. das war er. ein arschloch.“ (28)

oder die tollen, ach so wage­muti­gen, ein­fach pein­lichen phan­tasien des altern­den her­rn beim anblick sein­er fam­i­lie – sein­er frau und sein­er bei­den töchter: „sie zogen sich aus. sechs tit­ten, drei ärsche, drei mösen, straffe haut über jungem fleisch“ … „mein gott, diese nut­ten, dachte er, diese gottver­dammten nut­ten.“ (38) und so geht das dann die ganze zeit…

manch­mal immer­hin scheint noch etwas vom sozialkri­tis­chen beobachter, dem ehe­ma­li­gen mit­glieder der kom­mu­nis­tis­chen partei, in den tex­ten auf – sel­ten genug. etwa wenn er im let­zten text „der ganz nor­mal super­mann“ das szenario ein­er ökol­o­gisch-egal­itären gesellschaft entwirft, in der alles, auch sex etc., streng lim­i­tiert sind, damit alle mal zum zuge kom­men.

lit­er­arisch ist das ein­fach mist: „schreiben kann doch heutzu­tage jed­er depp, aber er war ein guter mann, und darauf kommts doch let­ztlich an!“ (79). das, was mich an solchen tex­ten immer wieder am meis­ten anwidert, ist die tat­sache, dass ihr autor dur­chaus zu wis­sen scheint, dass er nur mist, nur bil­liges geschwurbel ohne kün­st­lerischen wert, pro­duziert – und trotz­dem nichts dage­gen untern­immt, nichts besseres schreibt oder wenig­stens den dreck unveröf­fentlich lässt.

damit wäre kroetz also auch abge­hakt – es sei denn, er macht einen münch­hausen und holt sich selb­st noch ein­mal aus dem sumpf sein­er selb­st­bezüglichen, selb­stver­liebten (immer­hin mit dem oblig­a­torischen winzi­gen schuss ironie), vor allem aber ein­fach schlecht­en prosa wieder her­aus.

franz xaver kroetz: blut & bier. 15 unge­wasch­ene sto­ries. ham­burg, rot­buch 2006

briefe einer freundschaft

nun ja, eigentlich sind es ja nur frag­mente: hwh war offen­bar doch recht schlampig beim aufheben… jeden­falls fehlen vor allem von bach­manns briefe ein großer teil, auch son­st einige lück­en, die die lek­türe nicht ger­ade erle­ichtern, weil die bezüge ständig fehlen.

anson­sten sind die briefe dieser ach so tollen, fast schon mythol­o­gisierten fre­und­schaft nicht dazu ange­tan, mein eher abneigen­des ver­hält­nis zu hwh zu rev­i­dieren. denn der briefwech­sel ist ganz schön asymetrisch: hwh fordert und ver­langt und drän­gelt, bach­mann hält dage­gen lange zeit auf abstand. und aus dem von hwh immer wieder ange­forderten libret­to wird ja auch lange nix…

das liebe geld, die schwieri­gen arbeits­be­din­gun­gen, seel­is­che mühen und jubel — und natür­lich ital­ien, das gelobte land für hwh sind die immer wieder auf­tauchen­den the­men. und auch wenn er ib immer wieder davon überzeu­gen zu ver­sucht, es ihm mit dem gang ins exil nachzu­tun, daran scheit­ert er immer wieder: ib bleibt höch­sten ein paar wochen, mal monate, dann ist sie wieder unter­wegs, rast­los wie immer.

über die gemein­samen arbeit­en erfährt man aber dann doch gar nicht so viel — außer, dass sie solch­es lieber mündlich besprachen. einzige aus­nahme: die libret­to-arbeit am “prinz von hom­burg” — aber die war von hwh auch so schon recht aus­führlich doku­men­tiert

übri­gens auch die edi­tion nicht so wahnsin­nig umw­er­fend: die kom­mentare sind teil­weise bloße selb­stver­ständlichkeit­en, die auch noch oft wieder­holt wer­den, anderes wichtiges fehlt dage­gen ganz — irgend­wie bleibt der ein­druck eines halb­herzi­gen ver­suchs, nicht fisch noch fleisch.
inge­borg bach­mann, hans wern­er hen­ze: briefe ein­er fre­und­schaft. hrsg. von hans höller. münchen, zürich: piper 2004

was kann literatur?

genau, das ist immer wieder die frage.

aber hier geht es um sebas­t­ian kiefers essay mit diesem titel. eigentlich kön­nte hier vieles und inter­es­santes passieren, aber bei kiefer kommt vor allem einiges selt­sames her­aus. das fängt damit an, dass für ihn lit­er­atur nur aus sätzen beste­ht. und die prob­leme fan­gen damit ja ger­ade erst an. immer­hin hat er bemerkt, dass konkrete poe­sie und laut­poe­sie da prob­lema­tisch wer­den. aber er weist ihnen den schwarzen peter gle­ich wieder selb­st zu: sie müssen ihm beweisen, dass sie über­haupt lit­er­atur seien – und das kön­nen sie sein­er mei­n­ung nach eben nicht. (mal abge­se­hen von der frag­würdi­gen argu­men­ta­tion­sstrate­gie: müssen sie über­haupt lit­er­atur sein? muss man das bes­tim­men kön­nen, ob es lit­er­atur oder „bildende“ kun­st ist? ich sage nur dieter roth…) so ein­sichtig das argu­ment des satzes als grund­lage aller lit­er­atur auch schein mag, mir scheint doch eine unter­forderung des lesers vorzuliegen: kiefer behauptet näm­lich, dass jed­er unvoll­ständi­ge satz vom leser automa­tisch (!) ver­voll­ständigt würde, auch die gebilde der konkreten poe­sie zu sätzen geformt wür­den. das ist natür­lich ein sehr eingeschränk­ter begriff des ver­ste­hens. und das prob­lem der eingeschränk­ten sichtweisen set­zt sich fort: er schlägt dann ein ver­such der „bauhaus-lit­er­atur“ vor, die – im anschluss an hölder­lins poet­ik und klop­stock – eine art ton-satz-lehre der lit­er­atur sein soll – ein­er lit­er­atur, die „nicht anderes als eine kom­po­si­tion­skun­st des satzar­ti­gen bezugnehmens sein kann“ (60). da bin ich doch sehr skep­tisch, ob sich das so wirk­lich hal­ten lässt.

man muss kiefer bei allen frageze­ichen, die in meinem text auf­blinken, doch zugute hal­ten, dass er sich dezi­diert von der „mehrheit­slit­er­atur“ abwen­det und den kun­stcharak­ter des lit­er­arischen schreibens wieder gestärkt sehen will – in ein­er art neuen „hohen“ tons, die die lit­er­atur aus der „zone des geschmacks“ (169) rück­führt und eine extrem elitäre „brave new art world“ begrün­det.

mein prob­lem damit noch ein­mal: das ziel deckt sich verblüf­fend genau mit meinen ansprüchen und ide­alen der lit­er­atur (etwa: „wortkun­st mit uni­ver­sal­isier­barem erken­nt­nisanspruch“ (170)), aber die sta­tio­nen dahin sind doch mit selt­samkeit­en gepflastert …

sebas­t­ian kiefer: was kann lit­er­atur? graz, wien: droschl 2006 (essay 55)

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