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Kategorie: kritik Seite 1 von 15

jazz oder was? die dritten jazztage des mainzer klangraums

zumin­d­est der erste tag, beim zweit­en abend kon­nte ich lei­der nicht dabei sein. aber die erste hälfte war schon ziem­lich an- & aufre­gend — genau wie es das line­up ver­hieß: triband, frau con­tra bass, daniel stel­ter band etc.

hier meine betra­ch­tun­gen für die mainz­er rhein-zeitung:
Zwei Duos und zwei Quar­tette: Schon der Auf­takt der drit­ten Klan­graum-Jaz­ztage Mainz bot ein reich­haltiges Pro­gramm: Mit Blue Snow, Frau­Con­tra­Bass, Triband und der Daniel-Stel­ter-Band war das Pro­gramm nicht nur gut voll­gepackt, son­dern auch sehr unter­schiedlich bestückt. Und einige Bekan­nte waren ja auch dabei, zusam­men mit den neuen Gesichtern beim ausverkauften ersten Tag in der Show­bühne. Die Ver­anstal­ter vom Klan­graum-Stu­dio freut der wach­sende Zus­pruch, die am am Ein­gang verge­blich noch um Ein­lass bit­ten­den ver­mut­lich weniger. Ddenn sie ver­passten wirk­lich einiges. Nach dem leisen, feinsin­nig-ver­spon­nen Auf­takt von Blue Snow, dem schweiz­erischen Per­cus­sion­is­ten-Duo, das mit Marim­baphon, Vibraphon und auch auf dem umfunk­tion­ierten Ikea-Tisch Rhyth­men aller möglichen Herkün­fte ganz ohne schweiz­er Gemütlichkeit mis­chte, war es aber mit der Ruhe und Gelassen­heit ganz schnell vor­bei.
Frau­Con­tra­Bass, das andere Duo, erfreuten schon im let­zten Jahr bei den Jaz­zta­gen. Auch jet­zt hat­ten Sän­gerin Katha­ri­na Debus und Bassist Hanns Höhn wieder viel lau­nige Musik dabei. Mit Ste­vie Won­der, Jamiro­quai und vie­len anderen wid­men die bei­den sich der Liebe – der kör­per­lichen und der pla­tonis­chen, der erfüll­ten und der ver­sagten. Trotz der Reduk­tion des musikalis­chen Mate­ri­als erzeu­gen sie großar­tige Effek­te: Höhn schram­melt, zupft, klopft und reibt an allen Eck­en und Enden seines Kon­tra­bass­es, Debus lässt ihre kräftige, volle Stimme röhren, scat­ten und schme­icheln.
Auch die Daniel-Stel­ter-Band, die zum Schluss, gegen Mit­ter­nacht, als das Pub­likum schon anf­ing zu schwächeln, der Show­bühne ein­heizte, war im let­zten Jahr schon zu Gast. Und immer noch scheinen die vier Män­ner über uner­schöpfliche Energiereser­voirs zu ver­fü­gen. Die Rhyth­mus­gruppe ist zwar per­son­ali­den­tisch mit der von Triband. Aber mit Ulf Klein­er an den Fend­er-Rhodes und Daniel Stel­ters sowie sein­er E‑Gitarre wird das ganz anders: Die druck­vollen, knack­ig dröh­nen­den Grooves wer­den mit dem Mut und der Kraft zu ganz schlicht­en, betören­den Melo­di­en großer Präg­nanz kon­fron­tiert und ergänzt. Egal, ob als Hom­mage an einen HipHop­per oder in der trau­ri­gen Geschichte eines unterge­hen­den Papier­bötchens: Alles über­flüs­sige wird gnaden­los entsorgt, auf der Suche nach dem Opti­mum ihrer Musik ist das Quar­tett schon ziem­lich nah am Ziel.
Damit knüpfen sie nicht nur per­son­ell an Triband an. Auch die machen nicht gerne viele unnötige Worte und Töne. Aber sie sind exaltiert­er, exper­i­men­tier­freudi­ger. Ihre Mis­chung aus Pop, Jazz, Funk und einem reich­lichen Schuss Soul ist dabei aber auch wun­der­bar aus­ge­feilt. Und live noch bess­er als im Stu­dio: Noch präzis­er in den Stim­mungen, noch genauer und auch noch konzen­tri­ert­er, noch – was man kaum glauben mag – ein biss­chen mehr entschlackt und zugle­ich gnaden­los fokussiert. Diese Strenge, gepaart mit der unbändi­gen Freude – die Musik­er scheinen oft noch mehr Spaß zu haben als das auch schon begeis­terte Pub­likum – das ist so zwin­gend, so unbarmherzig richtig – und so wun­der­bar gut.
Und es ist eine her­rliche Ergänzung für die Jaz­ztage und passt genau in deren Pro­fil. Nach dem ersten Abend war ja noch nicht Schluss: Am Sam­stag ging es genau­so bunt und umfan­gre­ich weit­er – dies­mal mit der Phoenix-Foun­da­tion und Lars Rei­chow, mit dem akustis­chen Jazz von Span­iol 4, dem elek­tro­n­isch abgeschmeck­ten Klän­gen von „2 fish­es in the big big sea“ und den hau­seige­nen Vibes.

klavierkunst für eine bessere welt

 

Er scheint ein ganz nor­maler junger Pianist zu sein, so wie er in Jeans und schwarzem Hemd auf die Bühne des Frank­furter Hofes kommt. Aber in Kai Schu­mach­er steckt mehr. Denn wer „The Peo­ple Unit­ed Will Nev­er Be Defeat­ed“ aufn­immt (für das Mainz­er Label Wer­go) und auch noch live spielt, der muss etwa Beson­deres sein. Schließlich ist Fred­er­ic Rzewskis riesiger Vari­a­tio­nen­zyk­lus nicht irgend ein Werk.

Zum einen sind da die tech­nis­chen Schwierigkeit­en: In diesen gut sechzig Minuten ist eine Menge ver­packt – rasende Läufe, don­nernde Akko­rde, wilde Sprünge, bru­tale Laut­stärke und sub­tile Fein­heit­en wech­seln ständig. Und die musikalis­chen Anforderun­gen sind auch nicht ger­ing: Diese 36 Vari­a­tio­nen erfordern viel Gestal­tungskraft, viel Über­sicht und gle­ichzeit­ig enorme Konzen­tra­tion im Detail.

Es geht aber noch weit­er: Wer diese Musik spielt, bezieht immer auch irgend eine poli­tis­che Posi­tion. Schließlich ist das Musik, die etwas verän­dern will. Denn Rzews­ki hat nicht irgend eine Melodie als Grund­lage genom­men, son­dern das chilenis­che „El pueblo unido jamás será ven­ci­do“, das Anfang der 1970er Jahre zum musikalis­chen Sym­bol des Wider­stands gegen Pinochet wurde.

Kai Schu­mach­er macht das im Frank­furter Hof überdeut­lich, er lässt näm­lich erst ein­mal das Orig­i­nal ein­spie­len – gle­ich ein erster Gänse­haut-Moment. Davon wird es noch eine ganze Menge geben. Denn was Rzews­ki kom­poniert hat, das ist nicht nur hochvir­tu­os und vielfältig, arti­fiziell und natür­lich zugle­ich. Son­dern auch so voller Ideen, Stile, Anklänge, dass es unge­heuer viel zu ent­deck­en gibt. Und Kai Schu­mach­er scheint das alles im Blick zu haben. Seine Inter­pre­ta­tion dieses auf­grund sein­er hohen Schwierigkeit nahezu nie gespiel­ten Werkes ist ger­ade dadurch aus­geze­ich­net, die kun­stvolle Gestalt der Musik beson­ders in den Fokus zu holen.

Ander­er­seits ver­liert der Zyk­lus dadurch an Schärfe – und auch die Gewis­sheit, dass das geeinte Volk wirk­lich niemals besiegt wer­den wird. Vielle­icht ist das zwangsläu­fig so, die welt­geschichtliche Entwick­lung seit 1975, als Rzews­ki das Mam­mutwerk kom­ponierte, ist ja keine reine Erfol­gs­geschichte der Befreiung unter­drück­ter Völk­er. Ger­ade diese Span­nung zwis­chen Opti­mis­mus und dem Bewusst­sein um Nieder­lage und Unter­drück­ung auf der anderen Seite führt Schu­mach­er immer wieder ganz beson­ders her­vor.

So real­isiert er mit elastis­chem Ton, mit fed­ern­der Kraft ein sehr offenes Kunst­werk: Das hier ist eine Auf­führung, die ger­ade die stilis­tis­che Vielfalt der Vari­a­tio­nen, von den ana­lytisch die Melodie zer­split­tern­den Sätzen über vir­tu­ose Tas­ten­don­ner­mo­mente bis zu Jazz- und Blues-Impres­sio­nen, beson­ders deut­lich macht. Diese Kon­traste arbeit­et Schu­mach­er sehr stark her­aus – und ist doch immer wieder dann beson­ders überzeu­gend, wenn er sich ganz in die Musik versenken kann, wenn die zarten und zer­brech­lichen Momente auch ihn selb­st neu ergreifen und berühren.

kammermusikalische europareise

so richtig habe ich den zusam­men­hang des pro­gramms ja nicht ver­standen: haydn — hin­demith — mendelssohn bartholdy: viel gemein­samkeit­en gibt es da nicht … ganz nett war’s aber trotz­dem, das war ja zu erwarten in der vil­la musi­ca ;-). also, los gehts:

San­ft weht die zarte Cel­lomelodie durch den Salon im ersten Stock, flutet durch das Trep­pen­haus und das ganze Anwe­sen, mit­füh­lend ver­fol­gt von der Vio­line und zart unter­malt von der Klavier­stimme: Die Vil­la Musi­ca ist aus dem Som­mer­schlaf erwacht.

Ganz angemessen geschieht das mit einem Konz­ert des hau­seige­nen Ensem­bles Ville Musi­ca, also den rou­tinierten Meis­tern der Kam­mer­musik, die hier nicht nur ihre Erfahrung und ihr Wis­sen an junge Kün­stler weit­ergeben, son­dern auch das Pub­likum an ihrem Kön­nen teil­haben lassen.

Das lässt sich gefall­en. Denn aus der Som­mer­pause kommt das Ensem­ble, das ja nur lose gefügt ist und in ver­schiede­nen Beset­zun­gen arbeit­et, mit frischem Elan zurück. Flott, fast unbeküm­mert, mit knack­iger Frische und der ensem­ble­typ­is­chen Mis­chung aus Genauigkeit und Läs­sigkeit, aus Gemein­samkeit und indi­vidu­eller Überzeu­gungskraft an jedem Instru­ment lassen sie Haydns Klavier­trio Nr. 42 in C‑Dur, eines der späten Meis­ter­w­erke nach sein­er zweit­en Eng­lan­dreise, sehr, sehr lebendig wer­den. Gewiss, eine Min­dest­dis­tanz bleibt immer spür­bar, das kann man vor allem im Andante sehr gut merken, so ganz haben sie sich dieses Trio nicht zu eigen gemacht. Aber dann blitzt doch wieder der Schalk zwis­chen den Sait­en her­vor – zumin­d­est einen kleinen, aber häu­fi­gen Erschei­n­un­gen.

Dieses frische Musizieren, die unver­brauchte Inter­pre­ta­tion kann man auch in Paul Hin­demiths Klar­inet­ten­quar­tett deut­lich spüren. Forsch und taten­durstig stoßen die Vier hier ein ums andere Fen­ster in andere Wel­ten auf, lassen Ein­blicke in Traum und Imag­i­na­tion zu, ermöglichen das unbeschw­erte Schweifen im Reich der Vorstel­lung. Mit immer neuen, ener­gis­chen Schüben sor­gen sie dafür, dass jed­er die Gele­gen­heit bekommt, diese Gren­ze zu über­schre­it­en und hinüber zu schauen in die Welt der Kun­st. Dazu mis­chen sie den pfif­fi­gen Witz Hin­demiths, seine weit­en Melo­di­en und schrof­fen Klang­bal­lun­gen mit großer Aus­dauer und feinem Gespür für die wohlge­formte Dra­maturgie. Und genau das macht Felix Mendelssohn Bartholdys erstes Klavier­trio am Schluss des Konz­ertes zum Hit des Abends. Denn das Konz­ert­fi­nale gelingt dem Ensem­ble ein­deutig am besten, am lebendig­sten und inten­sivsten. Patrick Demen­ga lässt sein Cel­lo hier noch ein­mal beson­ders weich und bes­timmt brum­men, Muriel Can­toreg­gi geigt auf- und her­aus­fordernd, drängt spielerisch immer wieder voran. Und Yuka Imamine am Klavier gibt ihre feine Zurück­hal­tung wenig­stens teil­weise auf. Die Mit­tel­sätze erzählen so zart und quirlig feinge­sponnene Elfengeschicht­en – typ­isch Mendelssohn Bartholdy eben. Und die Rah­men­sätze binden das in großer Offen­heit, vom Ensem­ble Vil­la Musi­ca mit Gespür für die richtige Dosis Größe und Majestät, klan­gliche Abrun­dung und lebendi­ge Nuancierung real­isiert, prächtig und klangvoll zusam­men.

(geschrieben für die mainz­er rhein-zeitung)

eine ernste sache: motetten der bach-familie

immer wieder erstaunlich: die ern­sthaftigkeit & hingabe des mainz­er fig­u­ral­chores — fast schon ver­bis­sen, wie sie sich den großen chor­w­erken näh­ern. ein biss­chen mehr freude möchte man ihnen fast wün­schen … aber dann auch wieder nicht: so kommt man näm­lich in den genuss toller konz­erte — auch wenn die mainz­er das über­haupt nicht zu würdi­gen wis­sen und die kirchen­bänke wieder ein­mal arg leer blieben.

Mit einem Fam­i­lienkonz­ert der beson­deren Art begann der Mainz­er Fig­u­ral­chor seine Jubiläums­sai­son. Der nun fast 30 Jahre alte Chor startet in die näch­sten Monate mit einem Pro­gramm, dass auss­chließlich Motet­ten der Musik­er­fam­i­lie Bach ver­sam­melte. Vom Stam­m­vater Johann Bach, dem ersten bekan­nten Kom­pon­is­ten der thüringis­chen Dynas­tie bis zu ihrem größten Vertreter, Johann Sebas­t­ian, reichte die Auswahl – alle Kom­pon­is­ten dieser Fam­i­lie zu vere­inen, würde jedes Konz­ert spren­gen. Und in St. Boni­faz war auch so schon genug zu hören. Denn dem Diri­gen­ten Ste­fan Weil­er, der den Chor seit sein­er Grün­dung leit­et, ist mal wieder ein außeror­dentlich­es Pro­gramm geglückt – außeror­dentlich in der Gestal­tung und außeror­dentlich in der Leis­tung des Chores.

Den Beginn macht­en fünf- bis sech­stim­mige Motet­ten der älteren Bach­gen­er­a­tio­nen aus dem The­men­feld Tod, Vergänglichkeit und Heils­gewis­sheit. Mit Johann Sebas­t­ian Bachs großer Motette „Jesu meine Freude“ war dann zugle­ich das Zen­trum des Konz­ertes und auch der Dreh­punkt erre­icht: Nun ging es abschließend in der auch musikalis­che sehr raf­finierten Steigerung zu dop­pelchöri­gen Motet­ten um die erwartungsvolle Freude, den Lobpreis Gottes – eine wirkungsvolle Dra­maturgie. Vor allem, weil der Fig­u­ral­chor wieder ein­mal sehr überzeugte. Vor allem durch seine extreme Konzen­tra­tion auf die gesamte Musik, ihre große Form und ihr kle­in­stes Detail.

weich klin­gen­der Beginn mit Johann Bachs „Unser Leben sei ein Schat­ten“, geschickt aufgeteilt auf den Hauptchor und ein ver­steckt platziertes Solis­ten­quar­tett – solche ein­fachen, aber wirkungsvolle ideen set­zt weil­er immer wieder geschickt ein.

Johann Sebas­t­ian Bachs Bear­beitung des Chorals „Jesu meine Freude“ verkör­perte hier den Umschwung des ban­gen christlichen Herzens zur fes­ten Überzeu­gung des erwarteten Heils der Ewigkeit. Mit präg­nan­ter Kraft und behut­sam geset­zten Momenten, mit der ganzen Vielfalt der musikalis­chen Rhetorik, die diesem Mit­glied der Bach-Fam­i­lie zur Ver­fü­gung ste­ht, ist das dann doch deut­lich größer und genialer als die Musik sein­er Vor­fahren. Typ­isch war schon der Beginn, die starke ana­lytis­che Durch­dringung des Chor­satzes durch Weil­er und seine Sänger, die unbe­d­ingte Gle­ich­berech­ti­gung aller Stim­men gegenüber der Melodie – dieses kluge, wis­sende Musizieren macht den Fig­u­ral­chor so anziehend. Auch wenn sie hin und wieder fast zu ernst, zu konzen­tri­ert erscheinen

Nach Johann Sebas­t­ian leit­et der rasche Jubelge­sangs von Johann Michael Bachs „Sei lieber Tag willkom­men“ über zu den raf­finiert­eren Freudengesänger – etwa der dop­pelchörige Motette „Herr, ich warte auf dein Heil“. Wieder hat Weil­er einen Chor durch Solis­ten­quar­tett erset­zt – dass er das kann, ist auch ein Zeug­nis der hohen Qual­ität des Chores. Und es ist hier ein wahrer Genuss, wie der san­ft tönende Chor die Solis­ten, die das Mot­to wieder­holen, umschlingt und in sich aufn­immt. Kein Wun­der, dass es dafür großen Beifall gab – auch wenn in St. Boni­faz viele Plätze frei geblieben waren.

(geschrieben für die Mainz­er Rhein-Zeitung)

romantische englische kammermusik — ja, das gibt es

der beweis dazu: das erste konz­ert der mainz­er rathauskonz­erte in dieser spielzeit am 11. sep­tem­ber. hier meine aus­führun­gen für die mainz­er rhein-zeitung:

Es war eine ein­ma­lige Gele­gen­heit, den Musik­ern ein­mal so richtig nahe zu kom­men. Denn bei den Mainz­er Rathauskonz­erten gibt es wed­er Bühne noch Orch­ester­graben. Im Gegen­teil, das Ensem­ble sitzt ganz unten – in der run­den Mitte des Ratssaales näm­lich. Und während es sich das Pub­likum hin­ter den Tis­chen und Mikro­fo­nen in den Drehstühlen bequem machte, musste das Eng­lish Piano Trio sich umrun­det von neugieri­gen Ohren und Augen der Musik hingeben. Wer wollte, kon­nte so den Instru­men­tal­is­ten also über die wortwörtliche Schul­ter schauen und gle­ich noch die Noten kon­trol­lieren. Nicht, dass das notwendig gewe­sen wäre. Denn das Eng­lish Piano Trio, aus der Mainz­er Part­ner­stadt Wat­ford kom­mend, beste­ht aus echt­en Voll­blut­musik­ern. Und sie sind schon so lange zusam­men – über zwanzig Jahre musizieren sie inzwis­chen gemein­sam – dass sie sich offen­bar blind ver­ste­hen: Da muss nie­mand Hin­weise geben, da muss kein­er sich sein­er Mit­stre­it­er vergewis­sern, schnell noch einen Blick auf die Geigerin wer­fen oder den Pianis­ten bestäti­gend anvisieren. Nein, diese drei find­en auch ohne all das zu ein­er har­monis­chen, aus­geglich­enen Bal­ance.

Für das erste diesjährige Rathauskonz­ert haben sie ein Pro­gramm zusam­mengestellt, dass vor­wiegend englis­che, mehr oder weniger bekan­nte Kam­mer­musik enthielt. Kon­ti­nen­tal war eigentlich nur die Eröff­nung mit Haydns spätem C‑Dur-Klavier­trio Nr. 35. Das absolvierten sie sehr gelassen, mit dem notwendi­gen Mut zur emphatis­chen Größe und zaubert so eine entspan­nte, san­ft und leicht fließende feine Tri­omusik.

Immer, wenn sie ganz auf sich selb­st gestellt waren, bevorzugten sie dieses Vorge­hen: Etwa auch bei Fran­cis Edward Bach­es Klavier­trio, einem genialen Wurf eines roman­tis­chen Jünglings. Fast noch zurück­hal­tender und beschei­den­er trat das Eng­lish Piano Trio aber immer dann auf, wenn die Sopranistin Yvonne Howard das Ensem­ble ergänzte. Sie sang, mit deut­lich opern­haften Ges­tus und Stimme, einige Lieder von Edward Elgar — natür­lich.

Aber daneben auch einige, fast über­raschend klar artikulierte deutsche Ver­to­nun­gen von Bache, der zwar nicht ganz an Schu­manns Größe her­an­langt, bei gle­ichen Tex­ten aber den­noch zu anmuti­gen, ansprechen­den Ver­to­nun­gen kam. Und Howard macht das mit Tim­o­thy Raven­scroft am Klavier mit innige Hingabe deut­lich.

Überzeu­gen­der noch gelan­gen allerd­ings die „Paläste des Windes“, wie ein dem Trio gewid­metes Werk des Englän­ders Joseph Phibbs heißt, das hier in Mainz seine deutsche Erstauf­führung erfuhr. Der Text ist zwar nur ein ephemeres Liebesgedicht, aber in Kom­bi­na­tion mit der atmo­sphärisch dicht­en, nur sehr ver­hal­ten mod­ern anmu­ten­den Musik immer­hin nahege­hend und dur­chaus bewe­gend. Das passte wun­der­bar in den den schö­nen, trotz der eigentlich unvorteil­haft direk­ten Akustik des Ratssaales sog­ar aus­ge­sprochen intimer Kam­mer­musik­abend, mit dem die „neuen“ Rathauskonz­erte eröffnet wur­den.

(geschrieben für die mainz­er rhein-zeitung)

20 jahre upart in mainz: grund zum feieren. mit vandermark & brötzmann

Gemein­sames Musikhören und die dazu gehören­den Diskus­sio­nen waren und sind die Keimzelle dieses Vere­ins. Vor zwanzig Jahren fan­den sich einige Ide­al­is­ten zusam­men, um den Jazz, die freie impro­visierte Musik häu­figer nach Mainz zu brin­gen: Der Upart-Vere­in war gegrün­det. Im Kern ist das seit damals vor allem eine basis­demokratisch organ­isierte Vere­ini­gung von Ide­al­is­ten und Fans. Ange­fan­gen hat alles an der Uni­ver­sität, im Asta, der 1987 das erste „Akut-Fes­ti­val“ ver­anstal­tete. Und der harte Kern machte dann nach dem Ende des Studi­ums ein­fach weit­er – jet­zt eben als Vere­in. Die knapp zwanzig Mit­glieder – viel größer ist der Vere­in auch heute nicht, trotz des steti­gen Kom­mens und Gehens – über­nah­men das Akut-Fes­ti­val und führten es in Eigen­regie fort.
Das ist auch heute noch der Kern der Ver­anstal­tungsar­beit von Upart. Auch wenn sie vor eini­gen Jahren den schw­eren Entschluss fassen mussten, nur noch im zwei­jähri­gen Tur­nus große Namen der impro­visierten Musik nach Mainz zu holen. Das lag, natür­lich, am Geld: Das Pub­likum­sin­ter­esse an exper­i­menteller, freier Musik ist in den bei­den Dekaden deut­lich zurück­ge­gan­gen, wie Grün­dungsmit­glied Uwe Saß­mannshausen weiß: „Es ist nicht ein­fach­er gewor­den.“ Auch die Zuschüsse von Stadt und Land sind immer weit­er geschrumpft. Und doch machen sie immer weit­er, ver­sichtert Saß­mannshausen: „Wir sind halt unver­drossene Ide­al­is­ten. So lange es irgend­wie geht und wir noch Spaß daran haben, wird es Upart weit­er geben.“
Und das ist ein großes Glück für Mainz, wie man beim Jubiläum­skonz­ert in der Alten Patrone erfahren kon­nte. Dafür hat­te sich der Vere­in zwei große Meis­ter des zeit­genös­sis­chen Jazz geleis­tet: Den deutschen Sax­o­phon­is­ten Peter Brötz­mann und seinen amerikanis­chen Kol­le­gen Ken Van­der­mark. Zunächst vergnügten sich die bei­den Bläs­er im inti­men Duo. Aus­gerüstet mit ver­schiede­nen Sax­o­pho­nen und Klar­inet­ten stürzten sie sich ins Vergnü­gen – nicht nur für das Pub­likum, son­dern offen­bar auch für die bei­den Bläs­er. Mit großer, nie nach­lassender Inten­sität, wahnsin­nigem Ideen­re­ich­tum und natür­lich der ger­ade für Brötz­mann typ­is­chen unge­bändigten Energie.
In ganz andere Gefilde stürmte das Frame-Quar­tett, Van­der­marks Kern­truppe aus Chica­go mit Fred Lon­berg-Holm am elek­tro­n­isch ver­stärk­ten und gewan­del­ten Cel­lo, Nate McBride am eben­falls elek­tro­n­isch behan­del­ten Bass und Tim Daisy am – ganz klas­sis­chen – Schlagzeug. Mit ver­track­ten Arrange­ments, per Handze­ichen abgerufe­nen Schnit­ten, exper­i­men­tieren diese vier an der Gren­ze zwis­chen teil­weise notiert­er und impro­visiert­er Musik. Sie begin­nen mal mit verträumten Stre­ich­er-Intro, lassen krachende Gewit­ter fol­gen, unter­brechen das mit harten Beats oder syn­thetis­chem Gefrick­el aus den Effek­t­geräten – und sie find­en aus den unwegsam­sten Gebi­eten immer auf fast wun­der­same Weise wieder zusam­men. Mit solch­er Musik kann man zwar keine großen Massen anziehen, am immer­hin die Alte Patrone ganz gut füllen. Und Geld ver­di­enen muss Upart mit ihren Konz­erten ja nicht – der unschlag­bare Vorteil ehre­namtlich­er Ini­tia­tiv­en.

(mein text für die mainz­er rhein-zeitung. eine aus­führlichere betra­ch­tung des konz­ertes ste­ht schon seit vorgestern im blog.)

rock gegen orgel oder wie ein englischer organist im dom gegen die mainzer nachwuchsrocker ankämpft

Die Konkur­renz war stark. Und vor allem sehr laut. Der englis­che Organ­ist John Scott musste im Dom wirk­lich alle sprich­wörtlichen Reg­is­ter ziehen, um gegen die Bands auf dem Liebfrauen­platz anzukom­men. Die meiste Zeit gelang ihm das auch recht gut, aber so manche zarte und leise Stelle ging dann doch im here­in­schwap­pen­den Rock unter. Dafür war hier das Pub­likum exk­lu­siv­er – nur wenig Orge­len­thu­si­as­ten fan­den am Mittwoch Abends in den Dom.

Gelohnt hat sich der Weg aber dur­chaus. Denn der in New York tätige Scott, den eine Koop­er­a­tion der Domkonz­erte mit dem Kul­tur­som­mer Rhein­land-Pfalz nach Mainz brachte, präsen­tierte ein klas­sis­ches Orgelkonz­ert­pro­gramm. Zumin­d­est auf den ersten Blick. Das begann ganz typ­isch mit deutsch­er Orgel­musik des 17. Jahrhun­derts, um sich dann bis in die Gegen­wart und nach Eng­land vorzuar­beit­en. Und da wurde es dann richtig span­nend. Sich­er, Scott kann als ver­siert­er Organ­ist auch die vor­bach­schen Meis­ter sou­verän dar­bi­eten. Sein sehr behut­samer Umgang mit dem Noten­text, seine fast zer­brech­lich auf­scheinen­den klan­glichen Ideen, die abwech­slungsre­ichen Reg­istrierun­gen, sein defen­sives und weich­es Spiel – all das ste­ht Georg Muf­fat genau­so zugute wie Pachel­bels Choral­par­ti­ta über „Was Gott tut, das ist wohlge­tan“.

Aber erst mit dem Über­gang zum englis­chen Teil des Pro­gramms ent­fal­tete sich Scotts ganze Fasz­i­na­tion und Spannkraft. Schon Samuel Sebas­t­ian Wes­leys Larghet­to zeigte die Rich­tung – allerd­ings vor­erst nur in Andeu­tun­gen. Sehr sachte bre­it­ete Scott das aus, fast schon ein wenig ver­huscht formierte er Klangschwaden in san­ft anrol­len­den Wellen – so kon­nten die med­i­ta­tiv­en Vari­a­tio­nen sich wun­der­bar ent­fal­ten. Und dann ging es mit einem hartem Schnitt rein in die vir­tu­ose, majestätis­che Pracht. Begin­nend mit der Fan­ta­sia & Toc­ca­ta des Iren Charles Vil­liers Stan­ford, ließ der Englän­der seinen Hän­den und Füßen nun wirk­lich freien Lauf. Aber auch hier, in den deut­lich auf Vir­tu­osität konzip­ierten Werken, zauberte Scott immer wieder wun­der­bar san­ft glei­t­ende Übergänge. Dumm nur, dass aus­gerech­net jet­zt, in die feinsin­nig zurück­ge­zo­ge­nen Gespin­ste, die Außen­welt in Gestalt der Rock­musik immer wieder ein­brach. Dafür kon­nte Scott, vol­lkom­men sou­verän­er Herrsch­er über den Spieltisch der Mainz­er Domorgel, mit den „Wild Bells“ von Michael Berke­ley das Ter­rain dann wieder mehr als behaupten. Dieses phan­tastis­che Werk voller vir­tu­os­er Ein­fälle und Tricks ist genau das, was der Titel ver­heißt: Eine impres­sion­is­tisch ange­hauchte Klangstudie über wild gewor­dene, fast irrsin­nig tönende Glock­en. Und das gab Scott zum Schluss noch ein­mal Gele­gen­heit, aus dem Vollen zu schöpfen, einen Wet­tkampf der Zun­gen zu insze­nieren und im vir­tu­osen Rausch beein­druck­ende Klang­be­we­gun­gen vorzuführen.

(geschrieben für die mainz­er rhein-zeitung.)

felix austria mit beata olanda (und deutschen zuhörern)

Nein, viel Spaß ver­ste­hen diese vier nicht. Dafür ist ihnen die Sache viel zu ernst. Schließlich geht es um große Musik. Und das erfordert nicht nur Ernst, son­dern auch volle Hingabe. Eines wird näm­lich schnell klar in der St. Anto­niuskapelle: Für „La Bea­ta Olan­da“ gibt es keine hal­ben Wege. Alles oder Nichts heißt die Devise für das Spezial­is­te­nensem­ble – trotz des Namens übri­gens eine ziem­lich deutsche Sache. Und das heißt wiederum: Sie geben alles. Denn Scheit­ern ste­ht nicht auf dem Pro­gramm. Dafür aber eine kleine Run­dreise durch den deutschen und öster­re­ichis­chen Barock – mit deut­lichem Schw­er­punkt auf dem Alpen­land. Sowohl Bach als auch Hän­del, bei­de mit ein­er Vio­lin­sonate vertreten, wer­den da eher zur Neben­sache. Viel span­nen­der und viel vitaler auch gelingt dem Quar­tett die Auswahl aus den Sonat­en von Johann Hein­rich Schmelz­er und Hein­rich Ignaz Franz von Biber. Die kön­nen bei­de ein reich­es Oeu­vre vor­weisen – nicht nur quan­ti­ta­tiv. Und vor allem für Vio­lin­is­ten. Schmelz­er, Hofkapellmeis­ter im Wien Kaiser Leopolds, war als Kom­pon­ist genau­so ange­se­hen wie als Vio­lin­ist. Und für den Salzburg­er Hof­musikus Biber gilt nur zwanzig Jahre später das gle­iche: Gefeiert­er Ton­set­zer und europaweit berühmter Vir­tu­ose auf der Geige. Entsprechend anspruchsvoll sind viele sein­er Sonat­en.
Für Clau­dia Hoff­mann scheint die tech­nis­che Her­aus­forderung aber nicht beson­ders hoch zu sein. Fast gelassen und ohne Furcht wählen sie und ihre Mit­stre­it­er forsche Tem­pi, forcieren die Kon­traste zwis­chen ruhi­gen Abschnit­ten und wild-brausenden Pas­sagen noch zusät­zlich.
Ihre tech­nis­chen Fähigkeit­en stellen sie dabei genau­so wenig her­aus wie sich selb­st. Egal ob in Schmelz­er Duosonat­en für Diskantgambe und Vio­line (aus der Samm­lung „Duo­de­na selec­tarum sonatarum“) oder sein­er drit­ten Sonate aus den großen „Sonatae unarum fid­i­um“, ganz gle­ich ob in Tanzsätzen oder Osti­nati – immer macht „La Bea­ta Olan­da“ das Mate­r­i­al zu absoluter, ganz und gar rein­er Musik. Da wird dann auch nichts mehr his­torisiert – das Wis­sen um die zeit­genös­sis­che Auf­führung­sprax­is ist auch nur noch ein Mit­tel, dieser Musik zu ihrer voll­ständi­gen, unpartei­is­chen Mate­ri­al­isierung zu ver­helfen. Und das funk­tion­iert blendend. Vielle­icht auch deshalb, weil der kleine Raum der St. Anto­niuskapelle das gut unter­stützt: Mit­ten im musikalis­chen Geschehen wäh­nt man sich als Pub­likum, so direkt und unmit­tel­bar umfan­gen einen die reich­halti­gen Klänge.
Und direkt ist schließlich auch der Zugriff des Ensem­bles: Mit voller Kraft wer­fen sie sich etwa in die Kon­traste und Span­nun­gen der Sonat­en. Da gibt es keine Beschöni­gun­gen, aber auch keine über­triebe­nen Drama­tisierun­gen, son­dern ein­fach nur Musik – mal entspan­nend, mal span­nungs­ge­laden­er als jed­er Kri­mi. Und wenn sie dann das Konz­ert mit Bibers c‑Moll-Sonate enden lassen, zeigen sie nicht nur großen Mut, son­dern auch unbarmherzige Härte: So ein Cliffhang­er ist ziem­lich gemein. Aber auch ganz schön gut.

(konz­ert des mainz­er musik­som­mers, geschrieben für die mainz­er rhein-zeitung)

oh, merry england!

Der arme Steven Devine. Der Cem­bal­ist muss am Schluss einen ziem­lich steifen Hals gehabt haben. Denn mehr als in seine Noten blick­te er beim Konz­ert in der Augustin­erkirche zu seinen Ensem­blekol­le­gen von Lon­don Baroque. Und dafür musste er ständig schrägt über seine rechte Schul­ter schauen. Die Ver­renkun­gen haben sich aber gelohnt. Zumin­d­est für das Pub­likum, das so Erstk­las­siges zu hören bekam.

Die per­ma­nente visuelle Kom­mu­nika­tion des Quar­tetts, die nicht nur vom Cem­ba­lo aus­ging, son­dern den Gam­bis­ten Charles Med­lam genau­so ein­be­zog wie die bei­den Geigerin­nen Ingrid Seifert und Han­nah Med­lam, diese ständi­ge gegen­seit­ige Kon­trolle und Vergewis­serung der Gemein­samkeit­en führt zu einem starken, wun­der­bar konzen­tri­erten Klang­bild. Die Erfahrung aus über dreißig Jahren gemein­samen Musizierens hil­ft da natür­lich auch noch. Jeden­falls gab es einiges zu sehen: Nicht nur aufmerk­same, hellwache und kom­mu­nika­tive Musik­er, deren Blicke sich öfter kreuzten als ihre Melo­di­en, son­dern auch ganz viel Bewe­gung: Da tanzten die Bögen munter über die Sait­en und die Fin­ger wirbel­ten die Griff­bret­ter hoch und runter – Langeweile hat­te keine Chance in der Augustin­erkirche.

Nur der Bach-Noten­band auf dem Pult vor Devine blieb stummes, unbe­weglich­es Req­ui­sit – ganz der englis­chen Musik hat­ten die Lon­don­er sich gewid­met. Natür­lich, würde man sagen, wüsste man nicht, dass die Lon­don­er auch ganz aus­geze­ich­net deutsche und ital­ienis­che Barock­musik spie­len kön­nen. Aber davon gab es dieses Mal nur in der Zugabe eine klitzek­leine Kost­probe.

Englis­che Musik des 17. Jahrhun­dert also – das ist vieles, was kaum noch jemand wirk­lich ken­nt: Kam­mer­musik von Kom­pon­is­ten wie John Jenk­ins, Christo­pher Simp­son, William Lawes oder Matthew Locke ist heute nicht mehr sehr ver­bre­it­et. Zu ihrer Zeit waren das in und um Lon­don aber alles aus­gewiesene, geschätzte Meis­ter. Die For­men reichen von empfind­samen Tanzsätzen – großar­tig etwa das Cem­baloso­lo „A sad Pavan for these dis­tract­ed times“, in der Thomas Tomkins die Wirren nach der Hin­rich­tung des Königs Charles in eine für das 17. Jahrhun­dert extrem emo­tionale Musik fasst – bis zur typ­is­chen englis­chen Gat­tung der Grounds. Von diesen freien Vari­a­tio­nen über ein wieder­holtes Bass­the­ma hat­te das Ensem­ble einige dabei, etwa Christo­pher Simp­sons “Ground Divi­sions“, die dem Gam­bis­ten Charles Med­lam viel Möglichkeit­en gab, nicht nur seine Fin­ger­fer­tigkeit, son­dern auch seinen Ein­fall­sre­ich­tum vorzuführen.

Die abschließende Hän­del-Sonate – in Eng­land gilt George Fred­er­ic Han­del ja genau­so selb­stver­ständlich als Englän­der wie hier als Deutsch­er – allerd­ings war dann nicht mehr ganz so typ­isch englisch. Aber Lon­don Baroque ist kosm­poli­tisch genug, auch das zu meis­tern: Mit ihrer typ­is­chen Ein­füh­lungskraft und der wun­der­bar wach­samen, reak­tions­freudi­gen Gemein­samkeit ihres ener­gis­chen Spiels macht­en sie sich Hän­del genau­so zu eigen wie den Rest des Pro­gramms.

(gechrieben für die mainz­er rhein-zeitung)

haydn, nichts als haydn: die eröffnung des mainzer musiksommers

Fes­tlich­er geht es kaum. Passender aber auch nicht: Denn die feier­liche Eröff­nung des Mainz­er Musik­som­mers – der dieses Jahr schon seinen zehn­ten Geburt­stag feiern kann – verbindet sich im ersten Konz­ert mit ein­er inten­siv­en Würdi­gung eines der diesjähri­gen Jubi­lare der Musikgeschichte. Domkapellmeis­ter Math­ias Bre­itschaft dirigierte zum Auf­takt der diesjähri­gen, gemein­sam von SWR und der Stadt Mainz ver­anstal­teten Konz­ertrei­he, näm­lich ein reines Haydn-Pro­gramm. Und obwohl er in „seinem“ Raum, dem Dom, naturgemäß vor­wiegend Kirchen­musik her­an­zog, ein gle­icher­maßen repräsen­ta­tives und abwech­slungsre­ich­es. Denn neben dem Zen­trum, der Großen Orgel-Solo-Messe und dem „Te Deum Lau­damus“ noch zwei Orgelkonz­erte aus dem reichen Fun­dus, den Haydn auch da hin­ter­lassen hat.

Der Lim­burg­er Organ­ist Markus Eichen­laub meis­terte dabei auch die vir­tu­osen Pas­sagen fast non­cha­lant, immer mit coolem under­state­ment und läs­siger Ele­ganz, die ihre Wirkung vor allem aus der leicht dahin fliegend, lock­er und entspan­nt wirk­enden tech­nis­chen Präzi­sion schöpfte. Das Kurpfälzis­che Kam­merorch­ester ließ Bre­itschaft etwas erdi­ger und stärk­er grundiert begleit­en. So bot er dem Solis­ten viel Raum, der sich – aus der Par­ti­tur spie­lend – aber lieber zurück­hielt und geschmei­dig in den Gesamtk­lang eingliederte.

Doch im Zen­trum des Eröff­nungskonz­ertes stand mit der großen und großar­ti­gen Messe eine fröh­lich-über­schwängliche Ver­to­nung des Ordi­nar­i­ums. Und Bre­itschaft ließ keinen Zweifel an sein­er Bere­itschaft, der Messe nicht nur Pow­er ohne Ende mitzugeben, son­dern auch stark kon­trastierende zarte und innige Momente. Und dann wieder war die Messver­to­nung spritzig-pulsierend bis zur Gren­ze des Wah­n­witzes. Aber es ging alles gut – der Domkam­mer­chor war bestens prä­pari­ert und ver­wöh­nte mit jugendlich-frischem und schlanken Klang. Und die ver­sierten Solis­ten, neben der gewohnt sou­verä­nen Jan­ice Creswell und der klaren Diana Schmid sowie dem zurück­hal­tenden Bass Clemens Bre­itschaft vor allem der charis­ma­tis­che und engagierte Tenor Daniel Jenz, ließen auch keine Wün­sche offen.

Ähn­lich forsch ging der Domkap­pellmeis­ter auch das C‑Dur-Te deum an. Das wurde dann so ras­ant und energieprotzend, dass es fast einen Tick ange­berisch wirk­te. Aber nur fast: Denn Bre­itschaft blieb immer ger­ade noch so kon­trol­liert und ziel­gerichtet, dass das Te deum zu ein­er unwider­stehlichen Ver­führung, ein­er san­ften, unmerk­lichen Überre­dung hin zu Glauben und Kirche, wurde. Dass so wun­der­schöne Musik ent­stand, war fast nur ein Neben­pro­dukt. Aber wenn das so gut gelingt, dann lässt man ihm die Absicht zur Ver­führung – die schließlich dur­chaus im Sinne Haydns ist – gerne durchge­hen. Und hofft, dass die restlichen Konz­erte des Musik­som­mers genau­so viele Ver­heißun­gen preis­geben wer­den.

(geschrieben für die mainz­er rhein-zeitung.)

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