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oh, merry england!

Der arme Steven Devine. Der Cem­bal­ist muss am Schluss einen ziem­lich steifen Hals gehabt haben. Denn mehr als in seine Noten blick­te er beim Konz­ert in der Augustin­erkirche zu seinen Ensem­blekol­le­gen von Lon­don Baroque. Und dafür musste er ständig schrägt über seine rechte Schul­ter schauen. Die Ver­renkun­gen haben sich aber gelohnt. Zumin­d­est für das Pub­likum, das so Erstk­las­siges zu hören bekam.

Die per­ma­nente visuelle Kom­mu­nika­tion des Quar­tetts, die nicht nur vom Cem­ba­lo aus­ging, son­dern den Gam­bis­ten Charles Med­lam genau­so ein­be­zog wie die bei­den Geigerin­nen Ingrid Seifert und Han­nah Med­lam, diese ständi­ge gegen­seit­ige Kon­trolle und Vergewis­serung der Gemein­samkeit­en führt zu einem starken, wun­der­bar konzen­tri­erten Klang­bild. Die Erfahrung aus über dreißig Jahren gemein­samen Musizierens hil­ft da natür­lich auch noch. Jeden­falls gab es einiges zu sehen: Nicht nur aufmerk­same, hellwache und kom­mu­nika­tive Musik­er, deren Blicke sich öfter kreuzten als ihre Melo­di­en, son­dern auch ganz viel Bewe­gung: Da tanzten die Bögen munter über die Sait­en und die Fin­ger wirbel­ten die Griff­bret­ter hoch und runter – Langeweile hat­te keine Chance in der Augustin­erkirche.

Nur der Bach-Noten­band auf dem Pult vor Devine blieb stummes, unbe­weglich­es Req­ui­sit – ganz der englis­chen Musik hat­ten die Lon­don­er sich gewid­met. Natür­lich, würde man sagen, wüsste man nicht, dass die Lon­don­er auch ganz aus­geze­ich­net deutsche und ital­ienis­che Barock­musik spie­len kön­nen. Aber davon gab es dieses Mal nur in der Zugabe eine klitzek­leine Kost­probe.

Englis­che Musik des 17. Jahrhun­dert also – das ist vieles, was kaum noch jemand wirk­lich ken­nt: Kam­mer­musik von Kom­pon­is­ten wie John Jenk­ins, Christo­pher Simp­son, William Lawes oder Matthew Locke ist heute nicht mehr sehr ver­bre­it­et. Zu ihrer Zeit waren das in und um Lon­don aber alles aus­gewiesene, geschätzte Meis­ter. Die For­men reichen von empfind­samen Tanzsätzen – großar­tig etwa das Cem­baloso­lo „A sad Pavan for these dis­tract­ed times“, in der Thomas Tomkins die Wirren nach der Hin­rich­tung des Königs Charles in eine für das 17. Jahrhun­dert extrem emo­tionale Musik fasst – bis zur typ­is­chen englis­chen Gat­tung der Grounds. Von diesen freien Vari­a­tio­nen über ein wieder­holtes Bass­the­ma hat­te das Ensem­ble einige dabei, etwa Christo­pher Simp­sons “Ground Divi­sions“, die dem Gam­bis­ten Charles Med­lam viel Möglichkeit­en gab, nicht nur seine Fin­ger­fer­tigkeit, son­dern auch seinen Ein­fall­sre­ich­tum vorzuführen.

Die abschließende Hän­del-Sonate – in Eng­land gilt George Fred­er­ic Han­del ja genau­so selb­stver­ständlich als Englän­der wie hier als Deutsch­er – allerd­ings war dann nicht mehr ganz so typ­isch englisch. Aber Lon­don Baroque ist kosm­poli­tisch genug, auch das zu meis­tern: Mit ihrer typ­is­chen Ein­füh­lungskraft und der wun­der­bar wach­samen, reak­tions­freudi­gen Gemein­samkeit ihres ener­gis­chen Spiels macht­en sie sich Hän­del genau­so zu eigen wie den Rest des Pro­gramms.

(gechrieben für die mainz­er rhein-zeitung)

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