Er scheint ein ganz nor­ma­ler jun­ger Pia­nist zu sein, so wie er in Jeans und schwar­zem Hemd auf die Büh­ne des Frank­fur­ter Hofes kommt. Aber in Kai Schu­ma­cher steckt mehr. Denn wer „The Peo­p­le United Will Never Be Defea­ted“ auf­nimmt (für das Main­zer Label Wergo) und auch noch live spielt, der muss etwa Beson­de­res sein. Schließ­lich ist Fre­de­ric Rzew­skis rie­si­ger Varia­tio­nen­zy­klus nicht irgend ein Werk.

Zum einen sind da die tech­ni­schen Schwie­rig­kei­ten: In die­sen gut sech­zig Minu­ten ist eine Men­ge ver­packt – rasen­de Läu­fe, don­nern­de Akkor­de, wil­de Sprün­ge, bru­ta­le Laut­stär­ke und sub­ti­le Fein­hei­ten wech­seln stän­dig. Und die musi­ka­li­schen Anfor­de­run­gen sind auch nicht gering: Die­se 36 Varia­tio­nen erfor­dern viel Gestal­tungs­kraft, viel Über­sicht und gleich­zei­tig enor­me Kon­zen­tra­ti­on im Detail.

Es geht aber noch wei­ter: Wer die­se Musik spielt, bezieht immer auch irgend eine poli­ti­sche Posi­ti­on. Schließ­lich ist das Musik, die etwas ver­än­dern will. Denn Rzew­ski hat nicht irgend eine Melo­die als Grund­la­ge genom­men, son­dern das chi­le­ni­sche „El pue­blo uni­do jamás será ven­ci­do“, das Anfang der 1970er Jah­re zum musi­ka­li­schen Sym­bol des Wider­stands gegen Pino­chet wurde.

Kai Schu­ma­cher macht das im Frank­fur­ter Hof über­deut­lich, er lässt näm­lich erst ein­mal das Ori­gi­nal ein­spie­len – gleich ein ers­ter Gän­se­haut-Moment. Davon wird es noch eine gan­ze Men­ge geben. Denn was Rzew­ski kom­po­niert hat, das ist nicht nur hoch­vir­tu­os und viel­fäl­tig, arti­fi­zi­ell und natür­lich zugleich. Son­dern auch so vol­ler Ideen, Sti­le, Anklän­ge, dass es unge­heu­er viel zu ent­de­cken gibt. Und Kai Schu­ma­cher scheint das alles im Blick zu haben. Sei­ne Inter­pre­ta­ti­on die­ses auf­grund sei­ner hohen Schwie­rig­keit nahe­zu nie gespiel­ten Wer­kes ist gera­de dadurch aus­ge­zeich­net, die kunst­vol­le Gestalt der Musik beson­ders in den Fokus zu holen.

Ande­rer­seits ver­liert der Zyklus dadurch an Schär­fe – und auch die Gewiss­heit, dass das geein­te Volk wirk­lich nie­mals besiegt wer­den wird. Viel­leicht ist das zwangs­läu­fig so, die welt­ge­schicht­li­che Ent­wick­lung seit 1975, als Rzew­ski das Mam­mut­werk kom­po­nier­te, ist ja kei­ne rei­ne Erfolgs­ge­schich­te der Befrei­ung unter­drück­ter Völ­ker. Gera­de die­se Span­nung zwi­schen Opti­mis­mus und dem Bewusst­sein um Nie­der­la­ge und Unter­drü­ckung auf der ande­ren Sei­te führt Schu­ma­cher immer wie­der ganz beson­ders hervor.

So rea­li­siert er mit elas­ti­schem Ton, mit federn­der Kraft ein sehr offe­nes Kunst­werk: Das hier ist eine Auf­füh­rung, die gera­de die sti­lis­ti­sche Viel­falt der Varia­tio­nen, von den ana­ly­tisch die Melo­die zer­split­tern­den Sät­zen über vir­tuo­se Tas­ten­don­ner­mo­men­te bis zu Jazz- und Blues-Impres­sio­nen, beson­ders deut­lich macht. Die­se Kon­tras­te arbei­tet Schu­ma­cher sehr stark her­aus – und ist doch immer wie­der dann beson­ders über­zeu­gend, wenn er sich ganz in die Musik ver­sen­ken kann, wenn die zar­ten und zer­brech­li­chen Momen­te auch ihn selbst neu ergrei­fen und berühren.