Lesen. Hören. Und ein bisschen schreiben.

Schlagwort: sinfonie

Tanzende Klänge

Diri­gen­ten erken­nt man an zwei Din­gen: Ihrem Umgang mit dem Klang und ihren Bewe­gungsmustern. Und meis­tens hängt das eng zusam­men. Aber sel­ten wird das so wun­der­bar hör- und sicht­bar wie bei Jonathan Nott. Der kam mit dem SWR-Sin­fonieorch­ester Baden-Baden und Freiburg als Gast zum let­zen Mainz­er Meis­terkonz­ert der Sai­son in die Rhein­gold­halle. Und was der Brite da vor­führte, war grandios: Der Diri­gent tanzt die Musik, er malt und zeich­net mit den Hän­den und Armen, zele­bri­ert und empfind­et mit dem ganzen Kör­p­er. Beethovens vierte Sin­fonie dirigiert Nott in ein­er der­ar­ti­gen Deut­lichkeit, dass man fast die Par­ti­tur danach rekon­stru­ieren kön­nte. Kein Wun­der, dass das Orch­ester entsprechend plas­tisch und beseelt spielt: Sel­ten hat die Vierte eine der­ar­tige Präsenz erfahren, sel­ten ist sie aber auch als solch rev­o­lu­tionäre Musik zu hören. Denn Nott begreift Beethoven über­haupt nicht als Klas­sik­er, son­dern immer als Neuer­er und Erfind­er. Das Pathetis­che inter­essiert ihn dabei wenig, die feingeisti­gen Klangede­tails und for­malen Beson­der­heit­en aber dafür umso mehr. Er dehnt etwa die Ein­leitung des ersten Satzes bis ins unheim­liche – und diese Ahnung des Ungewis­sen ver­liert seine Inter­pre­ta­tion dann auch in den knack­ig­sten Momenten nicht mehr.

Auch das dritte Klavierkonz­ert zeich­nete diesen Weg vor. Gemein­sam mit dem Pianis­ten Till Fell­ner zeigt das Orch­ester unter Nott mit faszinieren­der Deut­lichkeit im Detail, wie mod­ern Beethoven gele­sen wer­den kann. Sich­er, die Wiener Tra­di­tion klingt immer noch mit, ein zart-schmelzen­des Wiener­isch umwe­ht den samti­gen Klang. Aber wie Fell­ner dann den Anfang des zweit­en Satzes als ver­wun­sch­ene Märchen­stim­mung spielt, zeigt wieder, dass dies nur noch eine ferne Erin­nerung ist. Inter­es­san­ter ist für Nott und Fell­ner offen­sichtlich die Ahnung der Mod­erne, die sie in der Par­ti­tur schon ent­deck­en, die rev­o­lu­tionäre Seite des Klas­sik­ers Beethoven. Das SWR-Sin­fonieorch­ester lässt sich dabei dur­chaus auch als Beethoven-Orch­ester hören – zumin­d­est für einen Beethoven, der so mod­ern ist. Das liegt auch am Kon­text, den Nott schafft: Den ver­meintlichen Klas­sik­er Beethoven ergänzt er mit zwei Klas­sik­ern der Mod­erne, mit Alban Bergs „Lyrisch­er Suite“ von 1928 und den 1971 kom­ponierten „Melo­di­en für Orch­ester“ von Györ­gy Ligeti. Prob­lem­los wan­dert das Orch­ester zwis­chen den Epochen und Stilen hin und her: Genau­so faszinierend wie Beethovens Vierte gelin­gen auch die Lyrische Suite von Alban Berg und vor allem die „Melo­di­en“ von Ligeti. Das Orch­ester spielt die wun­der­bar gelassen, in ein­er präzisen Klarheit und Kon­turi­ertheit, die man sich öfters wün­scht: Wie ein rein­er Gebirgs­bach sprudeln und wirbeln die Klänge, deren Unter­grund und Struk­tur dabei immer kristal­lk­lar und trans­par­ent her­vorstrahlt — die Klänge tanzen, genau wie ihr Diri­gent.

(geschrieben für die Mainz­er Rhein-Zeitung.)

Mysteriöse Großtat: Das Landesjugendorchester spielt Bruckner

„Kro­ne der Musik“ oder „Mys­teri­um“: Die achte Sin­fonie von Anton Bruck­n­er fordert Superla­tive ger­adezu her­aus. Denn sie ist selb­st alles andere als beschei­den. Zu ihrer Zeit – also 1892 – war die Achte die läng­ste Sin­fonie über­haupt. Knapp 90 Minuten dauert es, diesen mon­u­men­tal­en Brock­en aufzuführen – anderthalb Stun­den der Span­nung und Erlö­sung, aber auch der Anstren­gung. Und das nicht nur beim Hören, son­dern auch beim Spie­len. Denn dieses Riesen­werk ver­langt ins­beson­dere den Blech­bläsern viel ab, benötigt eine große Aus­dauer und viel Kraft – bei totaler Präzi­sion im Ide­al­fall. Nahe dran ist das beim Jubiläum­skonz­ert des rhein­land-pfälzis­chen Lan­desju­gen­dorch­esters im Großen Haus des Staat­sthe­aters zu erleben. Und das ist erstaunlich und bewun­dern­swert, denn Bruck­n­ers Achte ist auch für ges­tandene Profis harte Arbeit. Umso mehr muss man schätzen, was die Jugendlichen da gestemmt haben. Zum 40jährigen Beste­hen dieses außergewöhn­lichen Orch­esters durfte und sollte es aber etwas Außergewöhn­lich­es sein: Zwei Wochen haben die über 80 jun­gen Instru­men­tal­is­ten dafür geprobt. Und das Konz­ert im Staat­sthe­ater beweist, dass sich diese Arbeit gelohnt hat.

Der Diri­gent Klaus Arp führt sie beson­nen durch Untiefen und über Gipfel, erk­limmt mit dem Lan­desju­gen­dorch­ester die steilen Wände und geleit­et sie sich­er am Abgrund ent­lang. Denn die Achte gle­icht in fast jedem Moment einem Tanz auf dem Vulkan, zwis­chen Absturz ins Verder­ben und Aufheben ins Grandiose liegt hier nur ein schmaler Grat. Und das ist genau das, was man vielle­icht das Pro­gramm dieser Sin­fonie nen­nen kön­nte.

Ger­ade im Scher­zo, dem zweit­en Satz, wurde dieser Tanz unmit­tel­bar hör­bar — ein Tanz auf schmalem Grat, aber mit sicheren Füßen, die sich keinen Fehltritt erlauben: Strahlend und bers­tend geht Arp das Scher­zo an, dämpft das Trio dann mit viel Ruhe zur himm­lis­chen Länge ab, um in der Reprise erneut alles an gepf­ef­fer­t­er Erre­gung und aufgewühlten Gemütern zu ent­fes­seln. Schon von Beginn des ersten Satzes an führte er das Lan­desju­gen­dorch­ester zu einem sehr deut­lichen Klang mit klaren Akzen­ten. Dabei bleibt Arp aber zugle­ich vor­sichtig und tas­tend in der Anlage und macht die Sin­fonie zu einem echt­en Rät­sel – einem Mys­teri­um eben. Beson­ders spür­bar wird das im drit­ten Satz, der sich vor­sichtig ins Ungewisse vor­tastet und mit beson­der­er Zer­brech­lichkeit gefällt. Die geht zwar manch­mal etwas weit, wenn der Satz in Einzelepiso­den zer­fällt, behält aber doch so viel Nach­druck, dass man den Vorschein der Unendlichkeit zu hören glaubt.

Grandios ist dann das Finale, die Wuchtigkeit, die das Lan­desju­gen­dorch­ester hier entwick­elt, wie fein zise­liert die riesi­gen Klang­wände noch im größten Lär­men bleiben: Das ist eine wun­der­bare Verbindung von kör­per­lich­er Klanger­fahrung und Tran­szen­denz. Ein Tri­umph der Musik und der Musik­er, ganz fra­g­los.

(geschrieben für die Mainz­er Rhein-Zeitung.)

Nationalmusikerexperimente: Beethoven, Sibelius & Nielsen

Beethoven wurde erst nach seinem Tod zum urdeutschen Kom­pon­is­ten. Carl Nielsen und Jean Sibelius waren schon zu Lebzeit­en nationale Iko­nen. Beson­ders bei Sibelius wird das ganz deut­lich: Die finnis­che Regierung gab zu seinem 50. Geburt­stag die Kom­po­si­tion ein­er Sym­phonie – es wird seine fün­fte – in Auf­trag. Im 9. Sin­foniekonz­ert des Staat­sthe­aters erk­lang sie zusam­men mit der Helios-Ouvertüre von Carl Nielsen und dem vierten Klavierkonz­ert von Beethoven. Also nicht nur drei ver­schiedene National­musiken, son­dern auch Werke, die mit ihren For­men exper­i­men­tieren. Beethovens viertes Klavierkonz­ert ist genau dafür berühmt: Das es neue Möglichkeit­en des Zusam­men­spiels von konz­ertieren­dem Klavier und Orch­ester erprobt. Die Solistin in Mainz, Anna Vin­nit­skaya posi­tion­iert sich da sehr ein­deutig: Schon mit ihren ersten ein­lei­t­en­den Tak­ten, von Beethoven erst­mals dem Klavier alleine anver­traut, zeigt sie sich als über­legene Kraft. Nir­gendswo wird das so deut­lich wie im zweit­en Satz: Vin­nit­skaya spielt das Phil­har­monis­che Staat­sor­ch­ester in Grund und Boden – ganz wie der Kom­pon­ist es dachte. Und nicht etwas, weil Phil­har­monis­che Orch­ester so schlecht wäre. Nein, die Par­ti­tur ver­langt das ger­ade zu. Das wird aber nicht immer so deut­lich wie bei Anna Vin­nit­skaya. Ihre Präzi­sion auf allen Ebe­nen macht das möglich: Die genau gestufte Tonge­bung, die über­legen einge­set­zte Artiku­la­tion und ihre natür­liche Phrasierung bestechen immer wieder durch hohe Genauigkeit, die sich auch im Orch­ester­part wiederfind­et.

Denn das Phil­har­monis­che Staat­sor­ch­ester ist kurz vor der Som­mer­pause in her­vor­ra­gen­der Form. Das zeigte schon die klare Ton­sprache der Helios-Ouvertüre von Carl Nielsen am Beginn, vor allem aber die fün­fte Sym­phonie von Jean Sibelius. Er selb­st hat sie mal als eine einzige, auf den Tri­umph des Schlusses aus­gerichtete Steigerung beschrieben. Und das passt auch auf die Mainz­er Auf­führung. Denn Diri­gent Her­mann Bäumer zeigt in hörenswert­er Klarheit die Moder­nität der vor fast hun­dert Jahren ent­wor­fe­nen Musik. Das begin­nt mit der ver­schleierten Form des ersten Satzes und erstreckt sich bis in den let­zten Schlussklang. Vor allem aber wird Sibelius Fün­fte im The­ater ein klan­glich­es Fest: Von den fan­tastisch klar und ein­prägsam klin­gen­den ersten Abschnit­ten der Holzbläs­er am Beginn bis zu der grandios unge­heuer­lichen Span­nung des let­zten Satzes, die bis in den aller­let­zten Moment der irrsin­nig zer­risch­enen Schlus­sakko­rde reicht: Unter Bäumers Hän­den wird die Par­ti­tur plas­tisch und lebendig, wie ein erweck­ter Organ­is­mus, wie zu Leben gekommene Ideen und wie eine vol­lkommene Nach­bil­dung des mys­tis­chen Natur­erleb­nis, das Sibelius zu dieser Musik inspiri­erte.

(geschrieben für die Mainz­er Rhein-Zeitung.)

Meisterkonzert mit und ohne Weihnachten

Es sieht fast wie ein nor­males Meis­terkonz­ert aus: Eine kleine Haydn-Sin­fonie, dann Beethovens viertes Klavierkonz­ert und zum Abschluss ein richtig großes sin­fonis­ches Werk, die achte Sin­fonie von Schu­bert. Aber Wei­h­nacht­en macht sich auch im Meis­terkonz­ert bemerk­bar – zumin­d­est ein biss­chen: Die Sin­fonie Nr. 26 von Haydn trägt näm­lich den Beina­men „Wei­h­nachtss­in­fonie“. Das ist zwar eigentlich ein Fehler, denn Haydn hat sie als Pas­sion­s­musik kom­poniert. Aber der besinnliche zweite Satz lässt sich auch im Advent gut hören. Vor allem, wenn ihn die Deutsche Staat­sphil­har­monie Rhein­land-Pfalz unter ihrem Gast­diri­gen­ten Fab­rice Bol­lon so far­big und bild­haft musiziert wie beim vierten Meis­terkonz­ert. In der Rhein­gold­halle hat­te Bol­lon schon mit den ersten Haydn-Tak­ten die Rich­tung vorgegeben: Kräftig zupack­end formt er vor allem sehr sat­te Stre­icherk­länge und bemüht sich um deut­liche, manch­mal sog­ar grelle Far­ben. Prachtvoll und sehr repräsen­ta­tiv wirken da selb­st die andächti­gen Klänge des Mit­tel­satzes.

Ähn­lich rustikal ließ er das Lud­wigshafen­er Orch­ester dann die achte Sin­fonie von Franz Schu­bert musizieren. Die hat ihren Beina­men „Große“ zwar vor allem bekom­men, weil Schu­bert noch eine zweite, frühere C‑Dur-Sin­fonie kom­poniert hat, die ein­fach deut­lich kürz­er ist. Bei Bol­lon ist das „groß“ aber dur­chaus entschei­dend: Mächtig und wuchtig stapelt er die dick­en Akko­rde auf das felse­feste Fun­da­ment der dröh­nen­den Posaunen. Unge­heuer mas­siv wirkt da fast jed­er Ton, jede Phrase wie für die Ewigkeit. Fra­gen oder gar Zweifel find­et der Diri­gent in dieser Par­ti­tur über­haupt keine, befiehlt stattdessen felsen­feste Gewis­sheit­en. Das ist natür­lich, ger­ade im zweit­en Satz und schließlich vor allem im Scher­zo, eine uner­bit­tliche Vere­in­fachung. Eine Vere­in­fachung, die trotz ihrer Verz­er­rung klan­glich dur­chaus wirken kann, auch wenn im Finale die Kantigkeit und Schärfe dieser Klangkon­struk­tion lei­der etwas ver­loren geht.

Viel faszinieren­der blieb da Beethovens viertes Klavierkonz­ert in Erin­nerung. Denn Jas­min­ka Stan­cul spielte das wun­der­bar schnörkel­los und trock­en, mit fast heiligem Ernst. Dabei blieb das Konz­ert im Kern auch bei ihr natür­lich unverkennbar roman­tisch. Aber die zart­füh­lige Poe­sie ihrer Phrasierung ver­band sich wun­der­bar mit ihrer klaren Tonge­bung. Vor allem aber gelang der Pianistin und dem Orch­ester ein erre­gen­des Miteinan­der – und genau darauf kommt es bei diesem Konz­ert an. Zumal Bol­lon aus dem Orch­ester auch feine Klang­far­ben kitzeln kon­nte, die die Staat­sphil­har­monie in der Rhein­gold­halle nicht immer bietet. So aus­ge­wogen und bal­anciert im Hin und Her der Musik war das wirk­lich ein intellek­tuell und emo­tion­al aufre­gen­des Spiel – und ganz unab­hängig von der Jahreszeit.

(geschrieben für die Mainz­er Rhein-Zeitung.)

Himmlische Freuden

„Wir genießen die himm­lis­chen Freuden“ — das Mot­to für seine Inter­pre­ta­tion scheint der Diri­gent Peter Hirsch direkt aus dem Schlusssatz der vierten Sin­fonie von Gus­tav Mahler genom­men zu haben. Damit endete er das dritte Sin­foniekonz­ert im Staat­sthe­ater – und damit tri­um­phierten er und das Phil­har­monis­che Staat­sor­ch­ester. Anfangs, bei Leos Janáceks Orch­ester-Bal­lade „Des Spiel­manns Kind“, reagierte das Mainz­er Pub­likum noch sehr zurück­hal­tend. Nicht ganz ohne Grund, denn das blieb wirk­lich noch ziem­lich blass. Gefall­en hat­ten auch Alban Bergs „Drei Bruck­stücke“ aus dessen Oper Wozzeck nicht – obwohl Hirsch und die Sopranistin Mar­lene Mild den grausi­gen Schreck­en dieser Musik sehr über­legt und gekon­nt Gestalt wer­den lassen. Aber ob das Pub­likum dann so eine Mahler-Sin­fonie erwartet hat­te? Denn Hirsch ging einen eige­nen, sehr gefährlichen Weg: Er radikalisierte die 1901 uraufge­führte Sin­fonie total – zu ein­er emi­nent mod­er­nen Musik.

Der in dieser Hin­sicht dur­chaus extrem­istis­che Diri­gent änderte auch sein Auftreten vol­lkom­men: Er schwebt fast vor dem Orch­ester, der Tak­tschlag ist kaum noch zu erken­nen, für jeden Klang formt er eine eigene Geste, ja fast eine eigene Erschei­n­ung. Per­ma­nent ver­wan­delt er sich vom imposan­ten Großmeis­ter und Domp­teur zum scheuen Kitz, vom steifen Zel­e­bran­ten zum wild fuchtel­nden Der­wisch: Und jed­er Klang, jede Phrase klingt dann auch ganz eigen. Diese Sin­fonie ist ein einziges Fest der Ambivalen­zen: Hirsch lässt sie im Zus­tand der per­ma­nen­ten Störung spie­len. Ruhe und Ord­nung, oder auch nur so etwas wie Gle­ichgewicht, gibt es hier nicht. Oder höch­stens ganz kurzzeit­ig. Leicht geht hier nichts, Verzögerun­gen und Stolpern wer­den zur geplanten Nor­mal­be­we­gung.

Und doch ist das Phil­har­monis­che Orch­ester immer ganz bei sich: Sein durch­weg sehr klar­er, schlanker Klang wird dann im zweit­en Satz etwa wun­der­bar hohl. Und vor allem ist das Orch­ester in der Lage, die irrsin­ni­gen Span­nun­gen, die Hirsch fordert, wirk­lich auszuhal­ten. Er zerdehnt die Musik gerne bis an die Schmerz­gren­ze, forciert Brüche bis kurz vor das Reißen – und das immer wieder und wieder. Ein uner­messlich riskantes Spiel ist das: Schafft er es, die schw­eren Zen­trifu­galkräfte noch im Schach zu hal­ten? Oder fliegt ihm gle­ich alles um die Ohren? Man erwartet die Katas­tro­phe fast in jedem Takt, nach jed­er Phrase rech­net man mit dem Chaos – und jedes Mal wird man erneut ent­täuscht. Oder eben begeis­tert: Selb­st im unendlich quälend langsamen drit­ten Satz wird die Span­nung nahezu unerträglich aus­geweit­et. Doch alles hält – auch dank Mar­lene Mild, die mit unschuldig-klarem Ton fast überdeut­lich wirkt. In der Kom­bi­na­tion ist das eine nahezu absurde Energie, die Hirsch aus der Sin­fonie entwick­elt. Und damit hat der Diri­gent fast geschafft, dass die Schlusszeilen wahr wer­den: „Kein’ Musik ist ja nicht auf Erden, die unser­er ver­glichen kann wer­den.“

(geschrieben für die Mainz­er Rhein-Zeitung.)

 

Es ist vollbracht: Gardiners Brahms-Aufnahmen

John Eliot Gar­diner hat eine Vor­liebe für große und ungewöhn­liche Pro­jek­te. Nach der Bach-Pil­grim­age hat er sich inzwis­chen einem anderen großen B zugewen­det: Brahms und seinen Sin­fonien. Dessen vier Sym­phonien reichen aber nicht, das war dem Diri­gen­ten offen­bar zu wenig. Also hat Gar­diner für seine Live-Auf­nah­men noch große Chor­w­erke hinzuge­fügt — vorn Brahms, seinen Zeitgenossen, aber auch von ganz alten Meis­tern wie Gabrieli, Schütz und Bach. Er will damit vor allem die Vokaltät der Brahmss­chen Orch­ester­w­erke her­vorheben. Inzwis­chen ist er damit auch fer­tig: Vier wun­der­schön klin­gende und auch schön anzuschauende CDs sind es gewor­den, die er mit “seinem” Orch­ester, dem Orchestre Révo­lu­tion­naie et Roman­tique, und dem Mon­tever­di-Choir einge­spielt hat und auf seinem eignen Label Soli Deo Glo­ria veröf­fentlicht hat (vgl. Neue Chorzeit xx/xx).

Die dritte Sym­phonie wird auss­chließlich von Chor­w­erken des Meis­ters selb­st ger­ahmt. Vor allem der „Gesang der Parzen” und die „Nänie” stechen pos­i­tiv her­vor: Mit Augen­maß lässt Gar­diner den Mon­tever­di-Choir sowohl den drama­tis­chen Ges­tus als auch feine Details der Tex­taus­deu­tung real­isieren.

Auch die vierte CD dieser Rei­he fängt ganz aus­ge­sprochen drama­tisch an, mit Beethovens Cori­olan-Ouvertüre. Und geht dann auch so weit­er . Geschmei­dig und diszi­plin­iert zugle­ich ist Gar­diners Inter­pre­ta­tion aller vier Sym­phonien, die schwungvoll die Dra­matik der Par­ti­tur weckt, ohne je bemüht zu wirken. Genau­so natür­lich und ganz entspan­nt selb­stver­ständlich (darin wirken diese Auf­nah­men fast klas­sisch) lässt er den Mon­tever­di-Choir auch die Vokalw­erke sin­gen. Selb­st die etwas spröderen Brahmss­chen „Fest- und Gedenksprüche” fließen bei ihm ganz har­monisch aus den Laut­sprech­ern. Nicht nur hier, auch bei den aus­gewählten Chorsätzen von Gio­van­ni Gabrieli, Hein­rich Schütz und Johann Sebas­t­ian Bach, zeich­nen sich diese Auf­nah­men immer durch eine angenehme Kom­bi­na­tion aus Freude an der Detail­ge­nauigkeit und großzügiger klan­glich­er Gestal­tung aus.

Ob die unmit­tel­bare Nach­barschaft der großen Vokalw­erke die Sym­phonien nun wirk­lich in einem ganz anderen Licht erscheinen lässt, ist eigentlich egal. Jeden­falls gelin­gen Gar­diner alle vier in vorzüglich­er Weise. Und wenn es dazu noch inter­es­sante Chor­musik gibt — umso bess­er.

(geschrieben für die Neue Chorzeit.)

genies der klassik — bekannte und weniger bekannte

Genies waren sie egentlich alle drei. Und doch hat nur Wolf­gang Amadeus Mozart geschafft, was Louis Spohr und Lui­gi Cheru­bi­ni ver­wehrt blieb: Dauer­haft im Bewusst­sein der Musik­lieb­haber und auf den Konz­ert­po­di­en präsent zu sein. Seine 29. Sin­fonie stand im vierten Sin­foniekonz­ert des The­aters neben dem einzi­gen sin­fonis­chen Werk Cheru­bi­nis, dass eher sel­ten zu hören ist. Auch Spohr ist wenn über­haupt mit Kam­mer­musik zu hören – ganz bes­timmt nicht mit seinem Con­cer­tante für zwei Vio­li­nen und Orch­ester. Denn wann sind schon zwei Vio­lin­is­ten von Rang bere­it, sich gegen­seit­ig die Schau zu stehlen? Selb­st Ingolf Tur­ban und Kol­ja Less­ing machen das nicht allzu oft. Lei­der. Denn sie kön­nen es wahrlich vortr­e­f­flich. Ihre per­fek­te, oft beina­he sym­bi­o­tisch scheinende Ergänzung in musikalis­ch­er Hin­sicht demon­stri­erten sie im Staat­sthe­ater schon vor dem ersten Ton – mit ein­er genau syn­chro­nisierten Ver­beu­gung. Und so fuhren sie dann auch fort. Klan­glich gelang ihnen der Spa­gat zwis­chen vol­lkommen­er Übere­in­stim­mung und behar­ren­der Indi­vid­u­al­ität erstaunlich gut. Obwohl kein­er der bei­den seine eige­nen Qual­itäten ver­leugnete, ergänzten sich Tur­bans deut­lich­es, präsentes Spiel und Lessigs emo­tionaler gefärbte Klang­welt vorzüglich. Die Vielfalt der Ein­fälle, die immer neuen Wen­dun­gen und nicht enden wol­len­der Mit­teilungs­drang Spohrs fan­den in den bei­den Solis­ten jeden­falls sehr ener­gis­che, detail­ver­liebte und sorgsame Für­sprech­er.
Stark war auch das Engage­ment Cather­ine Rück­wardts mit dem Phil­har­monis­chen Staat­sor­ch­ester für Cheru­bi­nis D‑Dur-Sin­fonie. Die birgt von sich aus einiges drama­tis­ches Poten­zial und viele Gele­gen­heit­en zum effek­tvollen Auftrumpfen. In solch­er Umge­bung bewährte sich die ruhige Hand der Diri­gentin ganz beson­ders. Denn Rück­wardt ließ sich nicht von der wirkungsmächti­gen Ober­fläche ver­führen, son­dern schaute tiefer. Und ent­deck­te da nicht nur zauber­hafte klan­gliche Bilder, son­dern auch ein gekon­nt aus­gear­beite musikalis­che Erzäh­lung. Diese Musik wogt im The­ater ganz plas­tisch hin und her, zwitschert und plätschert, stürmt voran, schreckt auch zurück, prallt sog­ar auf Wider­stände und lässt sich den­noch treiben, — und das alles ist auch noch in klas­sis­che For­men ver­packt: Ein typ­isch klas­sich­es Geniew­erk eben.

(geschrieben für die mainz­er rhein-zeitung)

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