Beethoven wurde erst nach seinem Tod zum urdeutschen Komponisten. Carl Nielsen und Jean Sibelius waren schon zu Lebzeiten nationale Ikonen. Besonders bei Sibelius wird das ganz deutlich: Die finnische Regierung gab zu seinem 50. Geburtstag die Komposition einer Symphonie – es wird seine fünfte – in Auftrag. Im 9. Sinfoniekonzert des Staatstheaters erklang sie zusammen mit der Helios-Ouvertüre von Carl Nielsen und dem vierten Klavierkonzert von Beethoven. Also nicht nur drei verschiedene Nationalmusiken, sondern auch Werke, die mit ihren Formen experimentieren. Beethovens viertes Klavierkonzert ist genau dafür berühmt: Das es neue Möglichkeiten des Zusammenspiels von konzertierendem Klavier und Orchester erprobt. Die Solistin in Mainz, Anna Vinnitskaya positioniert sich da sehr eindeutig: Schon mit ihren ersten einleitenden Takten, von Beethoven erstmals dem Klavier alleine anvertraut, zeigt sie sich als überlegene Kraft. Nirgendswo wird das so deutlich wie im zweiten Satz: Vinnitskaya spielt das Philharmonische Staatsorchester in Grund und Boden – ganz wie der Komponist es dachte. Und nicht etwas, weil Philharmonische Orchester so schlecht wäre. Nein, die Partitur verlangt das gerade zu. Das wird aber nicht immer so deutlich wie bei Anna Vinnitskaya. Ihre Präzision auf allen Ebenen macht das möglich: Die genau gestufte Tongebung, die überlegen eingesetzte Artikulation und ihre natürliche Phrasierung bestechen immer wieder durch hohe Genauigkeit, die sich auch im Orchesterpart wiederfindet.
Denn das Philharmonische Staatsorchester ist kurz vor der Sommerpause in hervorragender Form. Das zeigte schon die klare Tonsprache der Helios-Ouvertüre von Carl Nielsen am Beginn, vor allem aber die fünfte Symphonie von Jean Sibelius. Er selbst hat sie mal als eine einzige, auf den Triumph des Schlusses ausgerichtete Steigerung beschrieben. Und das passt auch auf die Mainzer Aufführung. Denn Dirigent Hermann Bäumer zeigt in hörenswerter Klarheit die Modernität der vor fast hundert Jahren entworfenen Musik. Das beginnt mit der verschleierten Form des ersten Satzes und erstreckt sich bis in den letzten Schlussklang. Vor allem aber wird Sibelius Fünfte im Theater ein klangliches Fest: Von den fantastisch klar und einprägsam klingenden ersten Abschnitten der Holzbläser am Beginn bis zu der grandios ungeheuerlichen Spannung des letzten Satzes, die bis in den allerletzten Moment der irrsinnig zerrischenen Schlussakkorde reicht: Unter Bäumers Händen wird die Partitur plastisch und lebendig, wie ein erweckter Organismus, wie zu Leben gekommene Ideen und wie eine vollkommene Nachbildung des mystischen Naturerlebnis, das Sibelius zu dieser Musik inspirierte.
(geschrieben für die Mainzer Rhein-Zeitung.)
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