John Eliot Gardiner hat eine Vorliebe für große und ungewöhnliche Projekte. Nach der Bach-Pilgrimage hat er sich inzwischen einem anderen großen B zugewendet: Brahms und seinen Sinfonien. Dessen vier Symphonien reichen aber nicht, das war dem Dirigenten offenbar zu wenig. Also hat Gardiner für seine Live-Aufnahmen noch große Chorwerke hinzugefügt — vorn Brahms, seinen Zeitgenossen, aber auch von ganz alten Meistern wie Gabrieli, Schütz und Bach. Er will damit vor allem die Vokaltät der Brahmsschen Orchesterwerke hervorheben. Inzwischen ist er damit auch fertig: Vier wunderschön klingende und auch schön anzuschauende CDs sind es geworden, die er mit “seinem” Orchester, dem Orchestre Révolutionnaie et Romantique, und dem Monteverdi-Choir eingespielt hat und auf seinem eignen Label Soli Deo Gloria veröffentlicht hat (vgl. Neue Chorzeit xx/xx).
Die dritte Symphonie wird ausschließlich von Chorwerken des Meisters selbst gerahmt. Vor allem der „Gesang der Parzen” und die „Nänie” stechen positiv hervor: Mit Augenmaß lässt Gardiner den Monteverdi-Choir sowohl den dramatischen Gestus als auch feine Details der Textausdeutung realisieren.
Auch die vierte CD dieser Reihe fängt ganz ausgesprochen dramatisch an, mit Beethovens Coriolan-Ouvertüre. Und geht dann auch so weiter . Geschmeidig und diszipliniert zugleich ist Gardiners Interpretation aller vier Symphonien, die schwungvoll die Dramatik der Partitur weckt, ohne je bemüht zu wirken. Genauso natürlich und ganz entspannt selbstverständlich (darin wirken diese Aufnahmen fast klassisch) lässt er den Monteverdi-Choir auch die Vokalwerke singen. Selbst die etwas spröderen Brahmsschen „Fest- und Gedenksprüche” fließen bei ihm ganz harmonisch aus den Lautsprechern. Nicht nur hier, auch bei den ausgewählten Chorsätzen von Giovanni Gabrieli, Heinrich Schütz und Johann Sebastian Bach, zeichnen sich diese Aufnahmen immer durch eine angenehme Kombination aus Freude an der Detailgenauigkeit und großzügiger klanglicher Gestaltung aus.
Ob die unmittelbare Nachbarschaft der großen Vokalwerke die Symphonien nun wirklich in einem ganz anderen Licht erscheinen lässt, ist eigentlich egal. Jedenfalls gelingen Gardiner alle vier in vorzüglicher Weise. Und wenn es dazu noch interessante Chormusik gibt — umso besser.
(geschrieben für die Neue Chorzeit.)
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