Diri­gen­ten erken­nt man an zwei Din­gen: Ihrem Umgang mit dem Klang und ihren Bewe­gungsmustern. Und meis­tens hängt das eng zusam­men. Aber sel­ten wird das so wun­der­bar hör- und sicht­bar wie bei Jonathan Nott. Der kam mit dem SWR-Sin­fonieorch­ester Baden-Baden und Freiburg als Gast zum let­zen Mainz­er Meis­terkonz­ert der Sai­son in die Rhein­gold­halle. Und was der Brite da vor­führte, war grandios: Der Diri­gent tanzt die Musik, er malt und zeich­net mit den Hän­den und Armen, zele­bri­ert und empfind­et mit dem ganzen Kör­p­er. Beethovens vierte Sin­fonie dirigiert Nott in ein­er der­ar­ti­gen Deut­lichkeit, dass man fast die Par­ti­tur danach rekon­stru­ieren kön­nte. Kein Wun­der, dass das Orch­ester entsprechend plas­tisch und beseelt spielt: Sel­ten hat die Vierte eine der­ar­tige Präsenz erfahren, sel­ten ist sie aber auch als solch rev­o­lu­tionäre Musik zu hören. Denn Nott begreift Beethoven über­haupt nicht als Klas­sik­er, son­dern immer als Neuer­er und Erfind­er. Das Pathetis­che inter­essiert ihn dabei wenig, die feingeisti­gen Klangede­tails und for­malen Beson­der­heit­en aber dafür umso mehr. Er dehnt etwa die Ein­leitung des ersten Satzes bis ins unheim­liche – und diese Ahnung des Ungewis­sen ver­liert seine Inter­pre­ta­tion dann auch in den knack­ig­sten Momenten nicht mehr.

Auch das dritte Klavierkonz­ert zeich­nete diesen Weg vor. Gemein­sam mit dem Pianis­ten Till Fell­ner zeigt das Orch­ester unter Nott mit faszinieren­der Deut­lichkeit im Detail, wie mod­ern Beethoven gele­sen wer­den kann. Sich­er, die Wiener Tra­di­tion klingt immer noch mit, ein zart-schmelzen­des Wiener­isch umwe­ht den samti­gen Klang. Aber wie Fell­ner dann den Anfang des zweit­en Satzes als ver­wun­sch­ene Märchen­stim­mung spielt, zeigt wieder, dass dies nur noch eine ferne Erin­nerung ist. Inter­es­san­ter ist für Nott und Fell­ner offen­sichtlich die Ahnung der Mod­erne, die sie in der Par­ti­tur schon ent­deck­en, die rev­o­lu­tionäre Seite des Klas­sik­ers Beethoven. Das SWR-Sin­fonieorch­ester lässt sich dabei dur­chaus auch als Beethoven-Orch­ester hören – zumin­d­est für einen Beethoven, der so mod­ern ist. Das liegt auch am Kon­text, den Nott schafft: Den ver­meintlichen Klas­sik­er Beethoven ergänzt er mit zwei Klas­sik­ern der Mod­erne, mit Alban Bergs „Lyrisch­er Suite“ von 1928 und den 1971 kom­ponierten „Melo­di­en für Orch­ester“ von Györ­gy Ligeti. Prob­lem­los wan­dert das Orch­ester zwis­chen den Epochen und Stilen hin und her: Genau­so faszinierend wie Beethovens Vierte gelin­gen auch die Lyrische Suite von Alban Berg und vor allem die „Melo­di­en“ von Ligeti. Das Orch­ester spielt die wun­der­bar gelassen, in ein­er präzisen Klarheit und Kon­turi­ertheit, die man sich öfters wün­scht: Wie ein rein­er Gebirgs­bach sprudeln und wirbeln die Klänge, deren Unter­grund und Struk­tur dabei immer kristal­lk­lar und trans­par­ent her­vorstrahlt — die Klänge tanzen, genau wie ihr Diri­gent.

(geschrieben für die Mainz­er Rhein-Zeitung.)