Es sieht fast wie ein normales Meisterkonzert aus: Eine kleine Haydn-Sinfonie, dann Beethovens viertes Klavierkonzert und zum Abschluss ein richtig großes sinfonisches Werk, die achte Sinfonie von Schubert. Aber Weihnachten macht sich auch im Meisterkonzert bemerkbar – zumindest ein bisschen: Die Sinfonie Nr. 26 von Haydn trägt nämlich den Beinamen „Weihnachtssinfonie“. Das ist zwar eigentlich ein Fehler, denn Haydn hat sie als Passionsmusik komponiert. Aber der besinnliche zweite Satz lässt sich auch im Advent gut hören. Vor allem, wenn ihn die Deutsche Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz unter ihrem Gastdirigenten Fabrice Bollon so farbig und bildhaft musiziert wie beim vierten Meisterkonzert. In der Rheingoldhalle hatte Bollon schon mit den ersten Haydn-Takten die Richtung vorgegeben: Kräftig zupackend formt er vor allem sehr satte Streicherklänge und bemüht sich um deutliche, manchmal sogar grelle Farben. Prachtvoll und sehr repräsentativ wirken da selbst die andächtigen Klänge des Mittelsatzes.
Ähnlich rustikal ließ er das Ludwigshafener Orchester dann die achte Sinfonie von Franz Schubert musizieren. Die hat ihren Beinamen „Große“ zwar vor allem bekommen, weil Schubert noch eine zweite, frühere C‑Dur-Sinfonie komponiert hat, die einfach deutlich kürzer ist. Bei Bollon ist das „groß“ aber durchaus entscheidend: Mächtig und wuchtig stapelt er die dicken Akkorde auf das felsefeste Fundament der dröhnenden Posaunen. Ungeheuer massiv wirkt da fast jeder Ton, jede Phrase wie für die Ewigkeit. Fragen oder gar Zweifel findet der Dirigent in dieser Partitur überhaupt keine, befiehlt stattdessen felsenfeste Gewissheiten. Das ist natürlich, gerade im zweiten Satz und schließlich vor allem im Scherzo, eine unerbittliche Vereinfachung. Eine Vereinfachung, die trotz ihrer Verzerrung klanglich durchaus wirken kann, auch wenn im Finale die Kantigkeit und Schärfe dieser Klangkonstruktion leider etwas verloren geht.
Viel faszinierender blieb da Beethovens viertes Klavierkonzert in Erinnerung. Denn Jasminka Stancul spielte das wunderbar schnörkellos und trocken, mit fast heiligem Ernst. Dabei blieb das Konzert im Kern auch bei ihr natürlich unverkennbar romantisch. Aber die zartfühlige Poesie ihrer Phrasierung verband sich wunderbar mit ihrer klaren Tongebung. Vor allem aber gelang der Pianistin und dem Orchester ein erregendes Miteinander – und genau darauf kommt es bei diesem Konzert an. Zumal Bollon aus dem Orchester auch feine Klangfarben kitzeln konnte, die die Staatsphilharmonie in der Rheingoldhalle nicht immer bietet. So ausgewogen und balanciert im Hin und Her der Musik war das wirklich ein intellektuell und emotional aufregendes Spiel – und ganz unabhängig von der Jahreszeit.
(geschrieben für die Mainzer Rhein-Zeitung.)
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