Lesen. Hören. Und ein bisschen schreiben.

Schlagwort: klassik Seite 4 von 11

st. petersburg und mainz

Der Zusam­men­prall zwei­er Kul­tu­ren gilt oft als ein Zei­chen von Unheil. Das muss aber nicht unbe­dingt so sein. Gera­de in der Musik haben sich immer wie­der gro­ße Ereig­nis­se aus dem Auf­ein­an­der­tref­fen voll­kom­men unter­schied­li­cher Sti­le und Musi­ker ereig­net. Das advent­li­che Chor­kon­zert im Dom war genau so ein Fall. Im Zen­trum stand zwar der St. Peters­bur­ger Kna­ben­chor. Aber die Main­zer lie­ßen es sich nicht neh­men, den Mäd­chen­chor wenigs­tens ein biss­chen sin­gen zu las­sen. Und das war eine groß­ar­ti­ge Idee. Denn einen gro­ßen Teil sei­ner Wir­kung und Ein­drück­lich­keit zog die­se Advents­mu­sik aus die­ser Kon­fron­ta­ti­on. Hier tra­ten zwei völ­lig ver­schie­de­ne Chor­tra­di­tio­nen ins Blick­feld, zwei ganz gegen­sätz­li­che Klang­kul­tu­ren.
Den Anfang mach­te der Main­zer Mäd­chen­chor. Nicht viel war es, was sie san­gen. Aber es reich­te Kars­ten Storck, um das Niveau und die Qua­li­tät sei­nes Ensem­bles wie­der ein­mal plas­tisch bewusst zu machen. Egal, ob ver­träumt und sanft schwin­gend wie der Satz des Weih­nachts­lie­des „Maria durch ein Dorn­wald ging“ oder federnd zupa­ckend wie bei der aus­ge­wähl­ten Magni­fi­cat-Ver­to­nung: Immer bewie­sen sie vol­le Prä­senz, vor­bild­li­che Klar­heit und Ein­heit des Klang­kör­pers, der alle Struk­tu­ren klar erken­nen ließ.
Und dann der Wech­sel zu den rus­si­schen Jun­gen. Das war nicht nur ein ande­res Geschlecht, das war eine ganz ande­re Idee des Chor­klangs. Denn Trans­pa­renz und kom­po­si­to­ri­sche Struk­tu­ren waren jetzt über­haupt nicht mehr wich­tig. Jetzt ging es vor allem dar­um, den Raum mit Klang aus­zu­fül­len – ein Vor­ha­ben, das im Main­zer Dom zu sehr anre­gen­den Ergeb­nis­sen führ­te.
Alles war immer im Fluss, jeder Über­gang wur­de von Wla­di­mir Ptschol­kin so sorg­sam abge­fe­dert, dass er nahe­zu uner­kenn­bar wur­de. Es war eine schein­bar nie ver­sie­gen­de Fül­le wei­cher Klang­bil­der, die sie aus den Wer­ken vor­wie­gend rus­si­scher Kom­po­nis­ten her­aus­hol­ten. Und es war immer wie­der ver­blüf­fend, wie naht­los sie sich in den Raum schmieg­ten, wie die gar nicht so vie­len Kin­der und Jugend­li­che die Ener­gien flie­ßen lie­ßen. Einen Sie­ger gab es in die­sem Kon­zert natür­lich nicht, nur zwei völ­lig unter­schied­li­che klang­li­che Ergeb­nis­se. Aber schön waren bei­de.

(geschrie­ben für die main­zer rhein-zei­tung)

mit viel gefühl und genauigkeit: tschaikovskij und rachmaninov im staatstheater

Die ers­ten Töne kennt wahr­schein­lich jeder im aus­ver­kauf­ten Gro­ßen Haus des Staats­thea­ters. Tschai­kow­skijs ers­tes Kla­vier­kon­zert ist ein ewi­ger Hit, der immer für vol­le Säle sorgt. Vor allem, wenn er von einer Pia­nis­tin wie Evge­nia Rubi­no­va – auch in Mainz kei­ne unbe­kann­te Grö­ße mehr – vor­ge­tra­gen wird. Die ers­ten Töne also. Sie sind nicht nur ein Zei­chen des Wer­kes, son­dern sie zei­gen auch immer schon sehr deut­lich die Rich­tung, die die Inter­pre­ten neh­men. Im Staats­thea­ter wer­den meh­re­re Din­ge erkenn­bar. Ein­mal wird hier mit gro­ßer Genau­ig­keit und wirk­li­cher Lust am dif­fe­ren­zier­ten Klang musi­ziert. Ande­rer­seits der Klang an sich: Schon die ers­ten Töne der Pia­nis­ten zei­gen ihre geschmei­di­ge Kraft, ihre Fähig­keit, aus dem simp­len Flü­gel eine Unzahl an Klang­va­ria­tio­nen auf­stei­gen zu las­sen. Und schließ­lich die Ver­sen­kung in die Tie­fen der ima­gi­nä­ren Welt des Kla­vier­kon­zer­tes. Das sind alles alt­mo­di­sche, fast selbst­ver­ständ­li­che Tugen­den, die gera­de bei die­sem Kon­zert vie­le Musi­ker aber auf dem Altar der ober­fläch­li­chen Bril­lanz opfern. Nicht so die­ses Duo an den Tas­ten und auf dem Pult. Und das nicht aus Ver­le­gen­heit. Gera­de die bei­läu­fi­ge Non­cha­lance, mit der Rubi­no­va sich der vir­tuo­sen Pas­sa­gen ent­le­digt, zeigt ihre Fähig­kei­ten. Aber ihr geht es eben um etwas ande­res: Um die sub­ti­len Klang­fel­der und ihre viel­fäl­ti­gen Strö­mun­gen, die aus dem radi­kal nach innen gewand­ten Kampf zwi­schen Orches­ter und Solo­in­stru­ment erwach­sen. Die Genau­ig­keit, mit der sie sich dem poe­ti­schen Fein­zeich­nen hin­gibt, bringt immer wie­der erstaun­li­che Ergeb­nis­se und rich­ti­ge Ent­de­ckun­gen her­vor. So unmit­tel­bar leben­dig und andäch­tig-imit­füh­lend hört man das Seh­nen, die nie an ihre Ziel kom­men­de Suche nach Ver­hei­ßung und Erlö­sung aus der Unge­wiss­heit nur sel­ten.
Die zwei­te Kon­zert­hälf­te kehr­te die Ver­hält­nis­se voll­kom­men um. Zumin­dest was die Bekannt­heit der Musik angeht: Ser­gej Rach­ma­ni­nows „Sin­fo­ni­sche Tän­ze“, sei­ne letz­te Kom­po­si­ti­on, dürf­ten nur die wenigs­ten ken­nen – zumal das Phil­har­mo­ni­sche Staats­or­ches­ter sie hier zum ers­ten Mal spielt. Das ändert aber wenig an der Hin­ga­be, mit der Cathe­ri­ne Rück­wardt den Fluss die­ser Musik aus­brei­tet. Und es ist nicht ganz ein­fach, das zusam­men­zu­hal­ten. Aber es gelingt ihr trotz der klein­tei­lig auf­ge­lös­ten Struk­tur und der sehr abwechs­lungs­rei­chen Instru­men­ta­ti­on. Denn statt den momen­ta­nen Ner­ven­kit­zel und Ohren­schmei­che­lei­en zu erlie­gen, hält sie das kunst­vol­le Gleich­ge­wicht immer auf­recht. Und damit kommt Rach­ma­ni­now genau­so zu sei­nem Recht wie Tschai­kow­skij.
(geschrie­ben für die main­zer rhein-zei­tung)

sibelius und schostakowitsch im staatstheater

Es war kein rei­nes Zucker­schle­cken, das zwei­te Sin­fo­nie­kon­zert im Main­zer Staats­thea­ter. Aber dafür ein groß­ar­ti­ges Erleb­nis. Und das aus vie­len Grün­den. Zum einen wäre da die Solis­tin, die Cel­lis­tin Tat­ja­na Vas­sil­je­va. Schon die ers­ten Töne des hoch­vir­tuo­sen ers­ten Vio­lon­cel­lo-Kon­zer­tes von Dimi­t­ri Schost­a­ko­witsch setz­ten Maß­stä­be, denen Tat­ja­na Vas­sil­je­va auch durch­weg gerecht wird. Der gan­ze ers­te Satz ist ein ein­zi­ger atem­lo­ser Spurt, den die Rus­sin mit grenz­wer­ti­gem Druck und mit bis zum Zer­rei­ßen ange­spann­ter Kon­zen­tra­ti­on absol­viert. Über den stär­ker sin­gen­den, aber immer noch sehr fokus­sier­ten zwei­ten Satz bis in die fun­ken­sprü­hen­de Rasanz und kris­tall­ne Klar­heit der Kadenz bis zur inten­si­ven Dich­te des Schlus­ses reicht die Anspan­nung in einem ein­zi­gen gro­ßen Bogen.
Der zwei­te Grund für das beson­de­re Gelin­gen des Kon­zer­tes war das Phil­har­mo­ni­sche Staats­or­ches­ter. Denn die boten deut­lich mehr als übli­che Rou­ti­ne. Die klang­li­che Geschlos­sen­heit und ein­satz­freu­di­ge Hin­ga­be, mit der die Musi­ker spiel­ten, beflü­gel­te nicht nur Schost­a­ko­witschs Kon­zert, son­dern auch und vor allem die vier­ten Sin­fo­nie von Jean Sibe­l­i­us.
Und die führt auch schon direkt zum eigent­li­chen Zen­trum des Abends: Arvo Vol­mer. Denn vor allem an ihm lag es, dass die vier­te Sin­fo­nie zu so einem Erfolg wur­de. Ihm gelingt es näm­lich schein­bar ohne beson­de­re Anstren­gung, die vie­len, nach allen Sei­ten aus­grei­fen­den Epi­so­den die­ser Musik immer fest zusam­men zu schwei­ßen. Und dar­über hin­aus, die­se Ein­heit auch noch ganz natür­lich und orga­nisch wir­ken zu las­sen. Das ist zwar in jedem Moment sehr gut bedacht, aber nie bedäch­tig. Denn auch wenn er sich durch­aus Zeit für die genau aus­ge­ar­bei­tet Ent­fal­tung der Musik und ihrer Form nimmt – lang­wei­lig wird das nie. Das liegt vor allem dar­an, die Ein­heit sei­ner Inter­pre­ta­ti­on der inne­ren Logik der Sin­fo­nie sehr genau folgt. Sie behaup­tet nie eine hei­le Welt, son­dern ver­mit­telt auf ver­blüf­fend deut­li­che und über­sicht­li­che Wei­se ganz viel: Die Erfah­run­gen und Ein­sich­ten des Kom­po­nis­ten in den Zustand der Welt und das Wesen der Moder­ne. Das geht weit über bloß anre­gen­de Unter­hal­tung hin­aus und ist alles ande­re als harm­lo­se, belie­bi­ge Kunst – aber dafür umso loh­nen­der. Vor allem, wenn es so deut­lich und über­zeu­gend musi­ziert wird wie im Staats­thea­ter.

beethoven und das motorrad

so, erst­ein­mal der „offi­zi­el­le” text, den ich für die main­zer rhein-zei­tung geschrie­ben habe:

Motor­rä­der kom­men im klas­si­schen Kon­zert­le­ben recht sel­ten vor. Aber ande­rer­seits sind auch Posau­nen­kon­zer­te im tra­di­tio­nel­len Reper­toire eher dürf­tig gesät. Was liegt also näher, als die­se bei­den Sel­ten­hei­ten zur poten­zier­ten Unwahr­schein­lich­keit zu kom­bi­nie­ren?
Der Posau­nist Chris­ti­an Lind­berg hat kei­nen Hin­de­rungs­grund gefun­den. Er geht sogar noch einen Schritt wei­ter: Um das „Motor­bike Con­cer­to” von Jan Sand­ström so rich­tig authen­tisch auf­zu­füh­ren – schließ­lich ist es eigens für ihn kom­po­niert wor­den – schlüpft er sogar in eine pas­sen­de Motor­rad­kluft. Nur das Motor­rad fehlt also noch in der Rhein­gold­hal­le. Aber zusam­men mit der Staats­phil­har­mo­nie Rhein­land-Pfalz und deren Diri­gen­ten Ari Rasi­lai­nen ent­fal­te­te Lind­berg immer­hin eine täu­schend ech­te Geräuschkulisse.Das Motor­rad, das Lind­berg hier elo­quent und mit vol­lem Ein­satz ver­kör­pert, dröhnt und röhrt, quietscht und braust durch die diver­sen Land­schaf­ten. Sehr pit­to­resk ist das alles, ser­viert immer mit einem gehö­ri­gen Schuss Komik. Denn Sand­ström hat hier Pro­gramm­mu­sik reins­ten Was­sers geschrie­ben. Bekann­ter­ma­ßen ist ja ein Motor­rad mehr als ein blo­ßes Fort­be­we­gungs­mit­tel, son­dern ein regel­rech­ter Lebens­stil. Und auf Tour bekommt so eini­ges mit – so viel, dass auch das „Motor­bike Con­cer­to” noch nach allen Sei­ten von Ein­drü­cken und Ein­fäl­len über­quillt.1
Ganz im Gegen­satz dazu dann der Klas­si­ker über­haupt, Beet­ho­ven. Und gleich noch sei­ne „Über&”-Sinfonie, die Fünf­te. Hoch­tra­ben­de und gewich­ti­ge Deu­tun­gen umran­ken und über­wu­chern das Werk seit der Urauf­füh­rung vor ziem­lich genau zwei­hun­dert Jah­ren. Aber das schein Rasi­lai­nen gar nicht so sehr zu beküm­mern. Ohne beson­ders über­eif­ri­ge Über­hö­hung nimmt er sie erst ein­mal ein­fach als das, was sie schließ­lich ist: Musik. Und so offen blei­bend, ohne der Vag­heit anheim zu fal­len, ent­wi­ckel­te die Staats­phil­har­mo­nie ein sehr geschlos­se­nes Klang­bild. Der Diri­gent pro­fi­lier­te sich als flie­ßen­der Erzäh­ler, der gan­ze Lebens­ent­wür­fe und Geschich­ten ent­fal­tet.2 Ohne Zwei­fel oder auch nur das lei­ses­te Zögern über­ste­hen die selbst die har­ten Kon­fron­ta­tio­nen mit der Rea­li­tät im drit­ten Satz. Und immer wie­der über­wäl­ti­gend ist natür­lich die Wucht die­ses unzer­stör­ten Glau­bens an die Kraft des Indi­vi­du­ums, die das Fina­le unter der her­risch gebie­ten­den Hand des Diri­gen­ten ent­fal­tet. Und auch wenn die Staats­phil­har­mo­nie aus­ge­rech­net auf der Ziel­ge­ra­den, in den letz­ten Tak­ten, das Ende schon vor­weg­nimmt und deut­lich an Prä­zi­si­on und Klar­heit ver­liert, bleibt das Zusam­men­wir­ken aller Kräf­te selbst­ver­ständ­lich immer noch tri­um­phal – anders kann Beet­ho­vens Fünf­te gar nicht enden.3

Show 3 foot­no­tes

  1. und da haben wir auch schon eines der zen­tra­len pro­ble­me: im prin­zip hat sand­ström die form näm­lich über­haupt nicht bewäl­tigt. das ist bloß eine ein­falls­lo­se anein­an­der­rei­hung von epi­so­den. ande­rer pro­ble­me sind aber gra­vie­ren­der: die aus­sa­ge die­ser musik näm­lich gleich null. eigent­lich ist das nur ein sehr auf­wän­di­ger kin­der­gar­ten: sand­ström erfuhr, was lind­berg auf der posau­ne so alles anstel­len kann. und was er schon gehört hat. das hat er dann – weit­ge­hend tra­di­tio­nell (das moderns­te moment ist die eman­zi­pa­ti­on des geräu­sches (aber nur als geräusch, nicht als musi­ka­li­scher fak­tor), die aber auch schon seit hun­dert jah­ren geges­sen ist) – hin­ge­schrie­ben. tech­nisch mag das ziem­lich bis sehr anspruchs­voll sein, der posau­nist muss so eini­ges tun für sein geld. aber das meis­te sind eben mätz­chen. und die sind musi­ka­lisch so über­haupt nicht moti­viert. das schlimms­te dar­an ist ja fast, dass so etwas natür­lich gro­ßen erfolg beim publi­kum hat: die ober­flä­che ist halt nett, nicht so arg kom­pli­ziert und vor allem sehr sehr pit­to­resk. den­ken muss man nicht dabei. das ist wahr­schein­lich der größ­te erfolgs­fak­tor die­ser musik, dass sie den­ke­ri­schen mit­voll­zug eigent­lich sogar unter­bin­det, nicht nur nicht för­dert oder for­dert.
  2. nur so neben­bei: der unter­schied zur erzähl­wei­se sand­ströms ist enorm: denn beet­ho­ven hat inhal­te – so unspe­zi­fisch sie im musi­ka­li­schen aus­drucks­ver­fah­ren blei­ben mögen. sand­ström hat nur eine blo­ße bil­der­fol­ge, kei­ne nar­ra­ti­on, kei­ne – inhalt­lich gefüll­te – erzäh­lung. und das ist ein wesent­li­cher unter­schied. im prin­zip näm­lich schon die dif­fe­renz zwi­schen kunst­hand­werk und kunst. oder halt zwi­schen unter­hal­tungs­mu­sik und kunst. oder wie auch immer …
  3. nicht bespro­chen habe ich jetzt die das kon­zert eröff­nen­den „egmont-ouver­tü­re” von beet­ho­ven und schließ­lich fer­di­nand davis „con­cer­ti­no für posa­nue” op. 4. letz­te­res muss man aber eigent­lich auch nicht groß erwäh­nen – ein vir­tuo­sen­stück­chen halt, dass lind­berg mit tech­ni­scher sou­ve­rä­ni­tät sehr gelas­sen her­un­ter­spielt. beson­ders nach­hal­tig ist die wir­kung die­ser musik nicht gera­de. so eine dut­zend­wa­re aus dem 19. jahr­hun­dert halt – ganz nett, aber nicht sehr ein­drucks­voll. die egmont-ouver­tü­re hat rasi­lai­nen auch eher noch zum warm­ma­chen genutzt. auch das ist ja so eine unsit­te des kon­zert­we­sens, sich wäh­rend dem kon­zert noch ein­zu­spie­len, auf­ein­an­der ein­zu­stel­len. pas­siert aber sehr häu­fig. und wird oft genug auch ent­spre­chend geplant mit so kur­zen füll­stü­cken, damit wesent­lich nix wich­ti­ges ver­saut wird. nagut, so schlimm war’s auch nicht. aber halt auch nicht beson­der oder bemer­kens­wert.

musik, den glauben zu festigen: voces cantantes in st. stephan

Anfangs lag noch ein sanf­ter blau­er Schim­mer über dem Kir­chen­raum. Doch bald schon schwand jede Außen­welt ganz und gar dahin. Das lag nicht nur an der ein­bre­chen­den Dun­kel­heit, son­dern vor allem an dem, was in der Kir­che pas­sier­te. Denn rei­ner Chor­klang erober­te den Raum, mach­te ihn sich zu eigen: St. Ste­phan fei­er­te das 30-jäh­ri­ge Jubi­lä­um der Chagall-Fens­ter mit einem Kon­zert der Voces Can­tan­tes.
Und mit einer pas­sen­den Aus­wahl Musik: Wer­ke, die zwar immer wie­der ein Außen mit sich brin­gen, im Kern aber ganz auf sich selbst kon­zen­triert blei­ben hat­te sich Alex­an­der Süß für sei­nen Kam­mer­chor aus­ge­sucht. Denn in allem, was hier erklang, geht es nicht um die Welt, son­dern um Gott, um den Glau­ben und die Zwei­fel der Chris­ten – egal ob mit Musik aus der Renais­sance oder der Roman­tik, egal ob nun Jaco­bus Gal­lus, Johan­nes Brahms oder Felix Men­dels­sohn Bar­thol­dy christ­li­che Tex­te ver­to­nen.
Der Kern des Kon­zer­tes waren eini­ge der vie­len Psalm­ver­to­nun­gen von Men­dels­sohn Bar­thol­dy. Und die tru­gen hier schon so viel Viel­falt in sich, dass sie allein schon aus­ge­reicht hät­ten. Denn die Voces Can­tan­tes bemüh­ten sich sehr und mit hör­ba­rem Erfolg um eine pas­sen­de Klang­ge­stalt für jeden Satz, fast sogar für jedes Wort. Immer wie­der such­te – und fand – Alex­an­der Süß die tref­fends­te Aus­drucks­form, die eine genau pas­sen­de, adäqua­te Umset­zung der stum­men Noten in aus­sa­ge­kräf­ti­gen Schall.
Und die Chor­sän­ger folg­ten ihm dabei sehr wil­lig. Ob es nun die durch­weg sehr fle­xi­blen Tem­pi, die wei­chen Ein­sät­ze oder der strah­lend tri­um­phie­ren­de Schluss­ak­kord waren – immer blie­ben sie eine homo­ge­ne Ein­heit. Dadurch blie­ben alle Gemüts­la­gen der Musik nicht nur erfahr­bar, son­dern auch ver­ständ­lich. Der Zwei­fel an der Gerech­tig­keit Got­tes leuch­te­te eben­so unmit­tel­bar ein wie die unbe­irr­ba­re Fes­tig­keit des Glau­bens und die Freu­de an der Gebor­gen­heit in Got­tes Hand oder an der Herr­lich­keit der Schöp­fung.
Dass der eine oder ande­re Über­gang dabei etwas abrupt erfolg­te, dass die Span­nungs­bö­gen manch­mal etwas kurz­at­mig blie­ben, trüb­te die Freu­de nur sehr gering­fü­gig und kurz­zei­tig. Denn schließ­lich endet alles immer wie­der im Wohl­klang, auf den die Voces Can­tan­tes abon­niert schie­nen. Kei­ne Zwei­fel blei­ben, wenn nur der Glau­be fest genug ist – und die Schön­heit der Musik groß genug.

(geschrie­ben für die main­zer rhein-zei­tung.)

rebell oder nicht? markus groh in mainz

Inter­na­tio­na­le Pia­nis­ten aus Deutsch­land – nein, das ist kein Wider­spruch. Denn alle Künst­ler, die der SWR für die zehn­te Auf­la­ge sei­ner Kon­zert­rei­he „Inter­na­tio­na­le Pia­nis­ten“ nach Mainz holt, sind weit über die Gren­zen ihres Hei­mat­lan­des erfolg­reich. Auch Mar­kus Groh, der die Jubi­lä­ums­sai­son im Frank­fur­ter Hof eröff­nen durf­te. Und Erfolg hat er zu recht: Sein Main­zer Auf­tritt zeigt den jun­gen Pia­nis­ten als Musi­ker von Rang. Und auch als Rebell, der zwar im kon­ven­tio­nel­len Frack kommt, auf sei­nen Pfer­de­schwanz aber auch nicht ver­zich­tet. Die­ser Akkord von Auf­be­geh­ren und Tra­di­ti­on ist aller­dings mehr als eine blo­ße Äußer­lich­keit, er prägt sein Spiel durch und durch.
Denn er sucht sich immer sei­nen eige­nen Weg – ob es um die „Drei Inter­mez­zi“ von Brahms geht, um eine Beet­ho­ven-Sona­te oder um Erwin Schul­hoffs „Cinq Étu­des de Jazz“: Kon­ven­tio­nen sind für ihn nie selbst­ver­ständ­lich, son­dern müs­sen erst ein­mal auf den intel­lek­tu­el­len und musi­ka­li­schen Prüf­stand. Denn das ist die ande­re Sei­te von Mar­kus Groh: Er ist nicht nur ein gestan­de­ner Vir­tuo­se. Im Gegen­teil, die gewand­te Beherr­schung der Kla­vier­tech­nik ist rei­ne Neben­sa­che. Ihm geht es immer auch dar­um, die Struk­tu­ren der Kom­po­si­tio­nen hör­bar zu machen, mög­lichst jeden ein­zel­nen Ton – und wirk­lich jeden ganz für sich – so zu spie­len, dass sein Publi­kum qua­si mit dem Mikro­skop und dem Fern­glas gleich­zei­tig auf das Werk schau­en kann. Und das gelingt ihm ohne Zwei­fel. Die Brahms­schen Inter­mez­zi sind sel­ten so klar, so voll­kom­men logisch und nach­voll­zieh­bar zu hören. Dafür haben sie bei ande­ren Pia­nis­ten mehr Gefühl, mehr emo­tio­na­len Über­schwang. Denn Groh bleibt immer sehr cool. Beet­ho­vens G‑Dur-Sona­te op. 31/​1 ver­liert im Zuge des­sen ziem­lich viel von ihrem Esprit und Humor.
Die ita­lie­ni­sche Abtei­lung der „Années de Pèle­ri­na­ge“ von Liszt dage­gen berührt ihn hör­bar viel mehr. Hier gibt es auf ein­mal Momen­te, in denen sich Groh in der Musik fast zu ver­lie­ren scheint, in denen er voll­kom­men auf­geht im Klang – das gab es vor der Pau­se so nicht. Über­haupt der Klang: Da hat er eini­ges zu bie­ten, wenn er will. Vor allem die Prä­zi­si­on, mit der er die sanft glei­ten­den Über­gän­ge gestal­tet, ist fas­zi­nie­rend. Und sei­ne dyna­mi­schen Fähig­kei­ten beein­dru­cken mit einer fast uner­schöpf­li­chen Dif­fe­ren­zie­rung und Genau­ig­keit. Doch die Hin­ga­be, mit der Groh Liszt ent­fal­tet, ver­lei­tet ihn den­noch nie zu emo­tio­na­len Kurz­schlüs­sen: Immer bleibt sei­ne gro­ßen Stär­ke, sei­ne Fähig­keit, der Musik kris­tall­ne Klar­heit zu schen­ken etwa, unge­bro­chen. Und das ist so groß­ar­tig, dass er trotz sei­nes lan­gen Pro­gram­mes natür­lich nicht ohne Zuga­ben von der Büh­ne darf.

(geschrie­ben für die main­zer rhein-zei­tung.)

schluss mit lustig

Carl Orffs „Car­mi­na Burana“ ist die klas­si­sche Kom­po­si­ti­on schlecht­hin. Und wenn es mit die­sem Ren­ner auf dem Pro­gramm schon ein popu­lä­res Kon­zert wird, dann auch rich­tig: Also kop­pel­te Jos­hard Daus Orffs größ­ten Hit noch mit Ser­gej Pro­kof­jews „Peter und der Wolf“. Damit ist ein aus­ver­kauf­tes Haus qua­si dop­pelt garan­tiert. Die Rhein­gold­hal­le war dann beim Semes­ter­ab­schluss­kon­zert des Col­le­gi­um musi­cum auch bis auf den letz­ten Platz besetzt.

Zwei Kra­cher stan­den also an. Und genau so liess es der Diri­gent des Uni­ver­si­täts­or­ches­ters auch spie­len: Kra­chend. Das klapp­te mal mehr, mal weni­ger gut.

„Peter und der Wolf“ leb­te in der Rhein­gold­hal­le vor allem von sym­pa­tisch-bär­bei­ßi­gem Erzäh­ler Dirk Sch­or­temei­er, der mit sono­rer Stim­me und gelas­se­nem Under­state­ment für Ord­nung sorg­te. Daus übte sich der­wei­len in größt­mög­li­cher Zurck­hal­tung. Immer­hin konn­te das Col­le­gi­um musi­cum mit gut vor­be­rei­te­ten Blä­ser­so­lis­ten auf­war­ten. Sonst blieb die klang­li­che Sei­te des musi­ka­li­schen Mär­chens aber blass und unauf­fäl­lig, ganz ohne Pepp oder Fun­keln: Denn wirk­lich bril­lie­ren konn­te das Orches­ter damit nicht.

Die „Car­mi­na Burana“ leben zu einem gro­ßen Teil von ihren Mas­sen. Auch auf der Büh­ne wird es mit Chor und Orches­ter des Col­le­gi­um musi­cum dabei recht eng. Aber dass Daus es nicht schafft, ohne aus­wär­ti­ge Unter­stüt­zung aus­zu­kom­men und sowohl Schlag­wer­ker als auch den Kin­der­chor DOREMI aus Mann­heim ein­la­den muss­te, ist schon selt­sam.

Man könn­te die­se klang­li­chen Mas­sen Orffs aller­dings auch dif­fe­ren­zie­ren. Daus mach­te sich die­se Mühe nicht. Am wohls­ten fühl­te er sich im for­tis­si­mo, das er immer wie­der breit und mas­siv aus­leb­te. Die­ser plat­te, ein­sei­ti­ge Zugang wird Orff zwar nicht ganz gerecht. Der eine Aspekt, die Über­wäl­ti­gung durch Kraft und freu­di­ge Erre­gung, der gelang ihm aber über­zeu­gend. Raum für klar struk­tu­rier­te Abläu­fe blieb da aller­dings nur sel­ten. Am ehes­ten waren sie noch in den Chor­par­tien zu hören – die Voka­lis­ten schie­nen allein für sub­ti­le­re Klang­ab­stu­fun­gen zustän­dig zu sein. Die Solis­ten unter­stütz­ten ihn dabei recht har­mo­nisch. Beson­ders der Bari­ton Wolf­gang Newer­la tat sich neben dem Tenor Dani­el Sans und der Sopra­nis­tin Ste­fa­nie Dasch her­vor: Durch die stimm­li­che und thea­tra­li­sche Ver­kö­pe­rung der Rol­le, die zwar vor Derb­hei­ten – etwa in sei­nem Auf­tre­ten als spie­len­der Säu­fer – nicht frei blieb, dane­ben aber auch noch viel Raum für fei­ne Abstu­fun­gen und geschickt gesetz­te Akzen­te ließ. Auch popu­lä­re Musik bie­tet näm­lich Raum und Mög­lich­kei­ten für kunst­vol­le Aus­ge­stal­tung.

(geschrie­ben für die main­zer rhein-zei­tung.)
 

Die dunk­len Wol­ken über Mainz ver­hie­ßen nichts Gutes. Die düs­te­re Schau­er­ge­schich­te von Ben­ja­min Brit­tens „Lach­ry­mae“ pass­te per­fekt zum dro­hen­den Wet­ter. Im Gegen­satz zu den Gewit­ter­vor­bo­ten ver­heißt ein Antritts­kon­zert an der Musik­hoch­schu­le aller­dings hoch­ka­rä­ti­ge Musik. Die Brat­schis­tin Clau­dia Bus­si­an war kei­ne Ent­täu­schung und zeig­te sich der Pro­fes­so­ren­eh­re wür­dig. Schon der Auf­takt zeig­ten sie als ver­sier­te und kon­zen­trier­te Inter­pre­tin, die nichts über­stürzt und eine sehr schnör­kel­lo­se Schön­heit bevor­zugt.

Die Brat­scher haben frei­lich ein Pro­blem: Eigent­lich begin­nen erst die Kom­po­nis­ten des 19. und 20. Jahr­hun­derts, ihr Instru­ment über­haupt für ein Solo wert zu erach­ten. Ande­rer­seits muss das gar kein Pro­blem sein: Sie neh­men sich ein­fach Cel­lo-Lite­ra­tur vor. Zum Bei­spiel Bachs Cel­lo-Sui­ten. Bus­si­an mach­te sich die C‑Dur-Suite ganz zu eigen. Auch wenn sie dabei sehr unbe­tei­ligt schien – die Musik sprach eine ande­re Spra­che. Man muss­te aller­dings genau und auf­merk­sam hin­hö­ren. Denn sie trug nicht dick auf, ihre Kunst liegt im Detail, in der sorg­sam aus­ge­ar­bei­ten Dyna­mik, den geschmack­vol­len Tem­pi, dem effekt­si­che­ren Timing und dem siche­ren Gespür für dra­ma­tur­gi­sche Effek­te. Und nicht zu ver­ges­sen, die Nobles­se ihres geschmei­di­gen Tones. Das Poten­zi­al der Musik wird damit voll aus­ge­schöpft, aber nie über­reizt. Das ist ein schma­ler Grat, den bei Bach vie­le ver­feh­len. Bus­si­an wan­delt fest und unbe­irr­bar, auch vom ein­drin­gen­den Lärm der Fuß­ball­fans unbe­ein­druckt, mit fes­tem Schritt und das Ziel immer im Auge auf dem engen Pfad. Wer so bewusst und klar arti­ku­liert spielt, mei­det natür­lich jedes Extrem: Weder über­mä­ßi­ge Empha­se oder Pathos noch leicht­fer­ti­ges Geplän­kel haben hier eine Chan­ce. Kunst wird als Kunst unend­lich ernst genom­men – nur ein klit­ze­klei­nes Lächeln meint man in der fina­len Gigue doch zu hören.

Nach soviel Ernst wirk­te Rebec­ca Clar­kes Sona­te für Vio­la und Kla­vier fast hei­ter. Bus­si­ans Kol­le­ge Burk­hard Schaef­fer am Kla­vier hält sich – wie­der ein­mal – vor­nehm zurück in die­sem Stru­del von Gefüh­len und Far­ben, bie­tet aber stil­si­che­re Beglei­tung, die der Brat­schis­tin die weit aus­ho­len­de Ent­fal­tung ihrer klang­li­chen Über­zeu­gungs­kraft über­haupt erst ermög­licht.

(geschrie­ben für die main­zer rhein-zei­tung.)

wunschkonzert der klassikliebhaber

Das 19. Jahr­hun­dert ist sehr beliebt in Mainz. Zumin­dest wenn es um klas­si­sche Musik geht. Beim gro­ßen Wunsch­kon­zert des Phil­har­mo­ni­schen Staats­or­ches­ters in der Phö­nix-Hal­le war jeden­falls fast nur Musik aus die­ser Zeit zu hören. Und den ein­zi­gen Kom­po­nis­ten des 18. Jahr­hun­derts, Joseph Haydn, hat ein Tipp­feh­ler im Pro­gramm auch noch um hun­dert Jah­re jün­ger gemacht. Aber der Rei­he nach: Das Kon­zert begann mit einem furio­sen Auf­akt. Die Car­men-Ouver­tü­re von Geor­ges Bizet mach­te es dem Orches­ter leicht, das Publi­kum gleich mit den ers­ten Tönen für sich ein­zu­neh­men. Zügig zieht die Diri­gen­tin Cathe­ri­ne Rück­wardt das durch. Über­haupt hat sie heu­te nicht beson­ders viel Ruhe. Beson­ders deut­li­ches Bei­spiel war Sme­ta­nas „Die Mol­dau“. Da wirkt gera­de der Beginn fast schon gehetzt – aus­ru­hen kann man sich auf die­ser Fluss­fahrt jeden­falls kaum. Ein­zi­ge gro­ße Aus­nah­me bleibt da Samu­el Bar­bars berühm­tes „Ada­gio for Strings“. Da zeigt sich das Main­zer Orches­ter nicht nur mit wei­chen Strei­ch­er­klän­gen und für sei­ne Ver­hält­nis­se viel Schmelz, Rück­wardt kos­tet den Kitsch auch in jeder Note aus – jede ande­re Stra­te­gie ist bei die­sem Hit sowie­so ver­ge­bens.

Auch in ande­rer Hin­sicht ist das Ada­gio eine Aus­nah­me: Der Rest des Kon­zer­tes besteht näm­lich vor­wie­gend aus mehr oder weni­ger fet­zi­gen und schmis­si­gen Wer­ken. Zum Bei­spiel Felix Men­dels­sohn-Bar­thol­dy Ouver­tü­re „Die schö­ne Melu­si­ne“. Die spielt das Orches­ter schön prä­zi­se und sehr beredt als direk­te Klang­erzäh­lung. Eben­falls sehr plas­tisch formt Rück­wardt Rein­hold Gliè­res Matro­sen­tanz aus dem Bal­lett „Roter Mohn“. Ob es frei­lich irgend­wo Matro­sen gibt, die zu die­sem pit­to­res­ken, def­tig wum­mern­den Pracht­stück tan­zen kön­nen, ist doch sehr zwei­fel­haft. Die Fra­ge stellt sich bei Jean Sibe­l­i­us‘ „Fin­lan­dia“ gar nicht erst: Da reicht schon das Hören. Und Hören kann man in der Phö­nix-Hal­le eine Men­ge. Denn das Phil­har­mo­ni­sche Staats­or­ches­ter zele­briert zum Abschluss des Wunsch­kon­zer­tes noch ein­mal die Musik und sich selbst. Breit und schwer­ge­wich­tig kom­men die Klang­mas­sen mit einer Unmen­ge an Pathos pom­pös daher­ge­schrit­ten – genau so, wie ein sol­ches natio­na­les Klang­po­em es eben ver­dient.

(geschrie­ben für die main­zer rhein-zei­tung.)

die roam fährt in den norden europas

Zu Beginn wur­den die Ohren erst ein­mal rich­tig geputzt. Die Elche auf dem Pro­gramm­heft zie­hen aber völ­lig unbe­ein­druckt von Erkki-Sven Tüürs „Sear­ching for Roots“ ihres Weges. Hät­ten sie nur mal hin­ge­hört. Denn dann hät­ten sie einen kur­zen, span­nungs­ge­la­de­nen Aus­flug in die zeit­ge­nös­si­sche Musik erlebt: Dicht geschich­te und kom­plex ver­schach­tel­te Klan­ge­be­nen, die sich immer wie­der an ver­schie­de­nen Stel­len des Orches­ter lich­te­ten, um klei­ne Motiv­fet­zen frei­zu­ge­ben. Doch auch die Rhei­ni­sche Orches­ter­aka­de­mie Mainz (ROAM), die ihr neun­tes Kon­zert mit die­ser „Hom­mage à Sibe­l­i­us“ began­nen, blieb unter Cle­mens Heil bleibt aus­ge­spro­chen kühl und zurück­hal­tend, beton­te die for­ma­le Sei­te der Musik und beließ es bei deut­li­cher emo­tio­na­ler Distanz.

Alles ande­re als frisch und kühl war aller­dings die sti­ckig-dump­fe Luft im Schloss – die mach­te das Zuhö­ren eher anstren­gend. Aber die Leis­tun­gen der jun­gen Musi­ker der ROAM ent­schä­dig­ten dafür mit Leich­tig­keit. Dabei ist das Vio­lin­kon­zert von Carl August Niel­sen ein ziem­lich schwer ver­dau­li­cher Bro­cken. Die Solis­tin Dorot­tya Ujlaky schien sich auch vor­sorg­lich hin­ter ihrem Noten­pult zu ver­ste­cken. Grund dafür gab es frei­lich nicht: Sou­ve­rän, klar und vor allem im zwei­ten Satz mit schmel­zen­der Süße meis­ter­te sie das lei­der so sel­ten zu hören­de Kon­zert. Dass sie sich dabei alle Sen­ti­men­ta­li­tä­ten ver­sag­te, war mehr als kon­se­quent. Doch manch­mal schlug es fast in das Gegen­teil um – dann schien sie vom sport­li­chen Aspekt zu sehr ein­ge­nom­men. Aber das waren nur weni­ge Momen­te in einer Unzahl schö­ner Stel­len. Und im beglü­cken­den Zusam­men­spiel mit dem Orches­ter erga­ben sie ein pit­to­resk anmu­ten­des Pan­oram nor­di­scher Kli­schees.

Doch wie so oft hat­te sich die ROAM das Bes­te für den Schluss auf­ge­spart: Die zwei­te Sin­fo­nie von Jean Sibe­l­i­us. Der in Schwe­den gebo­re­ne Kom­po­nist ist ja soet­was wie der­Meis­ter der fin­ni­schen Musik über­haupt. Klang­schön­heit und Ner­ven­kit­zel wur­den hier auf hohem Niveau zusam­men geführt. Das, nun­ja, Groß­ar­ti­ge war aber ein­deu­tig die Fähig­keit Heils, die Span­nung über alle Brü­che und Ent­la­dun­gen hin­weg immer noch mehr anwach­sen zu las­sen. Und auch wenn das Orches­ter nun an man­cher Stel­le etwas an Prä­zi­si­on ver­lor – die Wucht und das Tem­pe­ra­ment, die ganz direkt zu hören­de Freu­de der Musi­ker beim Spie­len mach­te das alle­mal wett. Denn genau die­se Mischung aus Enga­ge­ment und for­ma­ler Klar­heit, aus Form­be­wusst­sein und Spiel­freu­de sorg­te unab­läs­sig für beacht­li­ches Gän­se­haut-Poten­zi­al.

(geschrie­ben für die main­zer rhein-zei­tung.)

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