Anfangs lag noch ein sanfter blauer Schimmer über dem Kirchenraum. Doch bald schon schwand jede Außenwelt ganz und gar dahin. Das lag nicht nur an der einbrechenden Dunkelheit, sondern vor allem an dem, was in der Kirche passierte. Denn reiner Chorklang eroberte den Raum, machte ihn sich zu eigen: St. Stephan feierte das 30-jährige Jubiläum der Chagall-Fenster mit einem Konzert der Voces Cantantes.
Und mit einer passenden Auswahl Musik: Werke, die zwar immer wieder ein Außen mit sich bringen, im Kern aber ganz auf sich selbst konzentriert bleiben hatte sich Alexander Süß für seinen Kammerchor ausgesucht. Denn in allem, was hier erklang, geht es nicht um die Welt, sondern um Gott, um den Glauben und die Zweifel der Christen – egal ob mit Musik aus der Renaissance oder der Romantik, egal ob nun Jacobus Gallus, Johannes Brahms oder Felix Mendelssohn Bartholdy christliche Texte vertonen.
Der Kern des Konzertes waren einige der vielen Psalmvertonungen von Mendelssohn Bartholdy. Und die trugen hier schon so viel Vielfalt in sich, dass sie allein schon ausgereicht hätten. Denn die Voces Cantantes bemühten sich sehr und mit hörbarem Erfolg um eine passende Klanggestalt für jeden Satz, fast sogar für jedes Wort. Immer wieder suchte – und fand – Alexander Süß die treffendste Ausdrucksform, die eine genau passende, adäquate Umsetzung der stummen Noten in aussagekräftigen Schall.
Und die Chorsänger folgten ihm dabei sehr willig. Ob es nun die durchweg sehr flexiblen Tempi, die weichen Einsätze oder der strahlend triumphierende Schlussakkord waren – immer blieben sie eine homogene Einheit. Dadurch blieben alle Gemütslagen der Musik nicht nur erfahrbar, sondern auch verständlich. Der Zweifel an der Gerechtigkeit Gottes leuchtete ebenso unmittelbar ein wie die unbeirrbare Festigkeit des Glaubens und die Freude an der Geborgenheit in Gottes Hand oder an der Herrlichkeit der Schöpfung.
Dass der eine oder andere Übergang dabei etwas abrupt erfolgte, dass die Spannungsbögen manchmal etwas kurzatmig blieben, trübte die Freude nur sehr geringfügig und kurzzeitig. Denn schließlich endet alles immer wieder im Wohlklang, auf den die Voces Cantantes abonniert schienen. Keine Zweifel bleiben, wenn nur der Glaube fest genug ist – und die Schönheit der Musik groß genug.
(geschrieben für die mainzer rhein-zeitung.)
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