Das 19. Jahrhundert ist sehr beliebt in Mainz. Zumindest wenn es um klassische Musik geht. Beim großen Wunschkonzert des Philharmonischen Staatsorchesters in der Phönix-Halle war jedenfalls fast nur Musik aus dieser Zeit zu hören. Und den einzigen Komponisten des 18. Jahrhunderts, Joseph Haydn, hat ein Tippfehler im Programm auch noch um hundert Jahre jünger gemacht. Aber der Reihe nach: Das Konzert begann mit einem furiosen Aufakt. Die Carmen-Ouvertüre von Georges Bizet machte es dem Orchester leicht, das Publikum gleich mit den ersten Tönen für sich einzunehmen. Zügig zieht die Dirigentin Catherine Rückwardt das durch. Überhaupt hat sie heute nicht besonders viel Ruhe. Besonders deutliches Beispiel war Smetanas „Die Moldau“. Da wirkt gerade der Beginn fast schon gehetzt – ausruhen kann man sich auf dieser Flussfahrt jedenfalls kaum. Einzige große Ausnahme bleibt da Samuel Barbars berühmtes „Adagio for Strings“. Da zeigt sich das Mainzer Orchester nicht nur mit weichen Streicherklängen und für seine Verhältnisse viel Schmelz, Rückwardt kostet den Kitsch auch in jeder Note aus – jede andere Strategie ist bei diesem Hit sowieso vergebens.
Auch in anderer Hinsicht ist das Adagio eine Ausnahme: Der Rest des Konzertes besteht nämlich vorwiegend aus mehr oder weniger fetzigen und schmissigen Werken. Zum Beispiel Felix Mendelssohn-Bartholdy Ouvertüre „Die schöne Melusine“. Die spielt das Orchester schön präzise und sehr beredt als direkte Klangerzählung. Ebenfalls sehr plastisch formt Rückwardt Reinhold Glières Matrosentanz aus dem Ballett „Roter Mohn“. Ob es freilich irgendwo Matrosen gibt, die zu diesem pittoresken, deftig wummernden Prachtstück tanzen können, ist doch sehr zweifelhaft. Die Frage stellt sich bei Jean Sibelius’ „Finlandia“ gar nicht erst: Da reicht schon das Hören. Und Hören kann man in der Phönix-Halle eine Menge. Denn das Philharmonische Staatsorchester zelebriert zum Abschluss des Wunschkonzertes noch einmal die Musik und sich selbst. Breit und schwergewichtig kommen die Klangmassen mit einer Unmenge an Pathos pompös dahergeschritten – genau so, wie ein solches nationales Klangpoem es eben verdient.
(geschrieben für die mainzer rhein-zeitung.)
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