Lesen. Hören. Und ein bisschen schreiben.

Schlagwort: kirchenmusik Seite 2 von 3

bachs h‑moll-messe in neuer ausgabe

War­um ver­tont der evan­ge­li­sche Kan­tor über­haupt in Deutsch­land die gro­ße katho­li­sche Mes­se? Woll­te Bach sei­ne Kol­le­gen mal zei­gen, wie man das richitg, nach allen Regeln der Kunst, macht? Dar­auf weiß auch Joshua Rif­kin kei­ne end­gül­ti­ge Ant­wort.
Doch kaum jemand hat die Dis­kus­si­on um die „rich­ti­ge“ Auf­füh­rung der Bach’schen Vokal­wer­ke in den letz­ten Jah­ren so befruch­tet wie der ame­ri­ka­ni­sche For­scher und Diri­gent. Also ist es auch voll­kom­men fol­ge­rich­tig, dass er eine neue kri­ti­sche Aus­ga­be der Mes­se ver­ant­wor­tet. Denn dass mit der Edi­ti­on der Neu­en Bach-Aus­ga­be noch nicht das letz­te Wort gespro­chen ist, war schon lan­ge klar.
Das wesent­li­che Pro­blem aller bis­he­ri­gen Aus­ga­ben ist näm­lich, dass sie gro­ße Tei­le von
Carl Phil­ipp Ema­nu­els Ergän­zun­gen und – gut­ge­mein­ten – Ver­bes­se­run­gen des Auto­gra­phes bei­be­hal­ten haben. Joshua Rif­kin war da nun um eini­ges genau­er und hat den Auto­graph noch ein­mal einer peni­blen kri­ti­schen Prü­fung unter­zo­gen.
Das Ergeb­nis betrifft – auf unter­schied­li­che Wei­se – gro­ße Tei­le des Noten­tex­tes. Im Detail sind das eigent­lich immer nur Klei­nig­kei­ten, die auch nicht unbe­dingt dazu nöti­gen, die Mes­se kom­plett neu zu ver­ste­hen. Da aber auch vie­le Arti­ku­la­tio­nen, Phra­sie­run­gen und Vor­trags­be­zeich­nun­gen betrof­fen sind, geben sie in der Sum­me aller­dings doch die Mög­lich­keit, die h‑Moll-Mes­se auch inter­pre­ta­to­risch neu zu ent­de­cken.
Das kla­re, über­sicht­li­che Noten­bild erlei­chert den Umgang und macht das Lesen in der Par­ti­tur auch optisch zum Ver­gnü­gen. Sehr schön ist außer­dem, dass Breit­kopf auch für die Käu­fer der Stu­di­en­par­ti­tur den Kri­ti­schen Bericht im Inter­net zum Down­load bereit­stellt. So kann jeder Leser die Ent­schei­dun­gen Rif­kins nach­voll­zie­hen.

Johann Sebas­ti­an Bach: Mes­se H‑Moll. BWV 232. Her­aus­ge­ge­ben von Joshua Rif­kin. Stu­di­en­par­ti­tur. Breit­kopf & Här­tel PB 5303.

(geschrie­ben für die neue chor­zeit, 1/​2009)

musik, den glauben zu festigen: voces cantantes in st. stephan

Anfangs lag noch ein sanf­ter blau­er Schim­mer über dem Kir­chen­raum. Doch bald schon schwand jede Außen­welt ganz und gar dahin. Das lag nicht nur an der ein­bre­chen­den Dun­kel­heit, son­dern vor allem an dem, was in der Kir­che pas­sier­te. Denn rei­ner Chor­klang erober­te den Raum, mach­te ihn sich zu eigen: St. Ste­phan fei­er­te das 30-jäh­ri­ge Jubi­lä­um der Chagall-Fens­ter mit einem Kon­zert der Voces Can­tan­tes.
Und mit einer pas­sen­den Aus­wahl Musik: Wer­ke, die zwar immer wie­der ein Außen mit sich brin­gen, im Kern aber ganz auf sich selbst kon­zen­triert blei­ben hat­te sich Alex­an­der Süß für sei­nen Kam­mer­chor aus­ge­sucht. Denn in allem, was hier erklang, geht es nicht um die Welt, son­dern um Gott, um den Glau­ben und die Zwei­fel der Chris­ten – egal ob mit Musik aus der Renais­sance oder der Roman­tik, egal ob nun Jaco­bus Gal­lus, Johan­nes Brahms oder Felix Men­dels­sohn Bar­thol­dy christ­li­che Tex­te ver­to­nen.
Der Kern des Kon­zer­tes waren eini­ge der vie­len Psalm­ver­to­nun­gen von Men­dels­sohn Bar­thol­dy. Und die tru­gen hier schon so viel Viel­falt in sich, dass sie allein schon aus­ge­reicht hät­ten. Denn die Voces Can­tan­tes bemüh­ten sich sehr und mit hör­ba­rem Erfolg um eine pas­sen­de Klang­ge­stalt für jeden Satz, fast sogar für jedes Wort. Immer wie­der such­te – und fand – Alex­an­der Süß die tref­fends­te Aus­drucks­form, die eine genau pas­sen­de, adäqua­te Umset­zung der stum­men Noten in aus­sa­ge­kräf­ti­gen Schall.
Und die Chor­sän­ger folg­ten ihm dabei sehr wil­lig. Ob es nun die durch­weg sehr fle­xi­blen Tem­pi, die wei­chen Ein­sät­ze oder der strah­lend tri­um­phie­ren­de Schluss­ak­kord waren – immer blie­ben sie eine homo­ge­ne Ein­heit. Dadurch blie­ben alle Gemüts­la­gen der Musik nicht nur erfahr­bar, son­dern auch ver­ständ­lich. Der Zwei­fel an der Gerech­tig­keit Got­tes leuch­te­te eben­so unmit­tel­bar ein wie die unbe­irr­ba­re Fes­tig­keit des Glau­bens und die Freu­de an der Gebor­gen­heit in Got­tes Hand oder an der Herr­lich­keit der Schöp­fung.
Dass der eine oder ande­re Über­gang dabei etwas abrupt erfolg­te, dass die Span­nungs­bö­gen manch­mal etwas kurz­at­mig blie­ben, trüb­te die Freu­de nur sehr gering­fü­gig und kurz­zei­tig. Denn schließ­lich endet alles immer wie­der im Wohl­klang, auf den die Voces Can­tan­tes abon­niert schie­nen. Kei­ne Zwei­fel blei­ben, wenn nur der Glau­be fest genug ist – und die Schön­heit der Musik groß genug.

(geschrie­ben für die main­zer rhein-zei­tung.)

kleines gebet, große wirkung (zumindest musikalisch)

Es sind nur 28 Tak­te. Aber sie sind ernst gemeint. Vid­man­t­as Bar­tu­lis„Mal­delé“ ist wirk­lich ein „klei­nes Gebet“ (so lässt sich „Mal­delé“ über­set­zen) – ein lei­ses aber inni­ges, ganz offen­bar von Her­zen kom­men­des Fle­hen und Bit­ten. 1995 hat der 1954 gebo­re­ne Litaue Bar­tu­lis sein „Gebet“ auf einen Text des litaui­schen Dich­ters Vale­ri­jus Rud­zins­kas kom­po­niert, jetzt ist es in der Rei­he „Neue Chor­mu­sik aus Litau­en“ beim Eres-Ver­lag, der auch sonst der bal­ti­schen Chor­mu­sik beson­de­re Auf­merk­sam­keit wid­met, erschie­nen.

Aus dem Beginn, einem kur­zen klang­ma­le­ri­schen Gemur­mel schält sich der Text her­aus. Für einen sicher vier­stim­mig sin­gen­den Chor (nur ganz kurz, näm­lich für zwei Tak­te, wird die Vier­stim­mig­keit zum acht­stim­mi­gen Chor auf­ge­teilt) ist das kei­ne beson­de­re Her­aus­for­de­rung. Bar­tu­lis ver­weilt durch­weg – mit mini­ma­len Aus­wei­chun­gen in die Moll­par­al­le­le – in ange­nehm sing­ba­ren G‑Dur. Kom­po­si­to­risch ver­folgt er offen­bar eine Stra­te­gie der tota­len Reduk­ti­on: Har­mo­nisch wird das Gebet fast aus­schließ­lich von Kaden­z­drei­klän­gen bestimmt, eine zusätz­li­che Quar­te ist schon das höchs­te. Auch sonst zeich­net sich „Mal­delé“ kon­se­quent durch sei­ne Schlicht­heit aus: Eine ein­fachs­te Repri­sen-Form, ganz leicht fass­ba­re Har­mo­nik, völ­lig unkom­pli­zier­te Melo­dik und Rhyth­mik – alle ste­hen sie ganz im Dienst des Betens, der fra­gen­den Suche nach dem gött­li­chen Licht, von dem der Text spricht.

Vid­man­t­as Bar­tu­lis: Mal­delé für gemisch­ten Chor. Eres Chor­edi­ti­on 3503 (Neue Chor­mu­sik aus Litau­en). 3 Sei­ten. 1,65 Euro.

(geschrie­ben für die Neue Chor­zeit, Janu­ar 2008).

heinz benker: marianisches triptychon

Kraft­voll tönt es, das „Maria­ni­sche Tri­pty­chon“ von Heinz Ben­ker für 3 bis 5 glei­che Stim­men. Aber oft ist es doch ein wenig arg aka­de­misch gedacht, arg tro­cken kom­po­niert. Gut acht Minu­ten dau­ern die drei grund­sätz­lich drei­stim­mi­gen, nur stel­len­wei­se auf vier oder fünf Stim­men erwei­ter­ten Chor­sät­ze. Und doch zeigt sich in die­ser Zeit kaum Peso­nal­stil. So bleibt das alles also außer­or­dent­lich unschein­bar, in nahe­zu jeder Hin­sicht ohne spe­zi­el­len Anspruch. Denn auch von den Inter­pre­ten ver­langt Ben­ker damit kei­ne beson­de­ren Kunst­fer­tig­kei­ten. Das ist Musik für den kirch­li­chen All­tag, die der 2000 ver­stor­be­ne baye­ri­sche Schul­mu­si­ker hier vor­ge­legt hat – nicht mehr und nicht weni­ger. Im Gedächt­nis bleibt davon aller­dings wenig haf­ten. Zu wenig for­men sich Mari­en­glau­be, Mari­en­leid und Mari­en­lob näm­lich zu einem eigen­stän­di­gen, indi­vi­du­el­len Werk. Weder text­lich noch musi­ka­lisch zei­gen sich kla­re Posi­tio­nen, die die­ser Musik ihre schlich­te Bläs­se aus­trei­ben könn­ten. Doch im rich­ti­gen Kon­text, im pas­sen­den Umfeld mag das viel­leicht tat­säch­lich gut zu gebrau­chen sein und sich ent­fal­ten kön­nen – schwer zu rea­li­sie­ren ist es jeden­falls nicht.

Heinz Ben­ker: Maria­ni­sches Tri­pty­chon für 3–5 glei­che Stim­men. Schorn­dorf: Scho­ling-Ver­lag Nr. 449. 11 Sei­ten. 5,40 Euro.

(geschrie­ben für die Neue Chor­zeit, Janu­ar 2008)

franz lachner: requiem f‑moll op. 146

Fast das gan­ze 19. Jahr­hun­dert hat er durch­lebt, von der Beet­ho­ven- und Schu­bert-Zeit bis zum Wag­ner-Wahn. Aber nicht nur bio­gra­phisch ist Franz Lach­ner fest in die­sem Zen­ten­ari­um ver­an­kert. Auch sei­ne Musik ist unbe­dingt, mit jeder Faser ihres Wesens, ihm ver­bun­den. Dazu gehört auch die Ver­pflan­zung der Kir­chen­mu­sik in den Kon­zert­saals: Sein Requi­em f‑Moll op. 146 hat er aus­schließ­lich außer­halb des Got­tes­hau­ses auf­ge­führt. Es ist auch unbe­dingt ein sin­fo­ni­sche gedach­tes und grun­dier­tes Werk – zugleich aber auch (noch) eine nach­denk­li­che, lei­se Toten­fei­er. Gera­de die­se Ver­bin­dung macht den Reiz des Requi­ems aus, das jetzt in einer Welt­er­stein­spie­lung mit Chor und Orches­ter der Kam­mer­so­lis­ten Augs­burg unter Her­mann Mey­er vor­liegt.

Die Musi­ker keh­ren aller­dings die sach­li­chen, nüch­ter­nen Aspek­te viel­leicht etwas zu sehr her­vor: Gera­de Abschnit­ten wie dem gran­di­os-mit­rei­ßen­den „Dies irae“ fehlt es doch an Pathos und gro­ßer Ges­te. Dafür gibt es aber reich­lich Ent­schä­di­gung: Die Toten­mes­se hat in die­ser Auf­nah­me viel Dri­ve und schwung­vol­le Fri­sche – jedes biss­chen Schwulst wird mit dem Pathos eben auch radi­kal aus­ge­merzt. Chor und Solis­ten sind alle­samt aus­ge­spro­chen soli­de Musi­ker. Nur scheint die Angst, sich dem Gefühl hin­zu­ge­ben, eben manch­mal über­hand zu neh­men. Denn Lach­ners Requi­em hat unend­lich vie­le wun­der­schö­ne Stel­len, die genau das erfor­dern: Viel Gefühl. Trotz­dem hat auch die­se Auf­nah­me wun­der­ba­re Sei­ten. Etwa das herr­li­che Lacri­mo­sa mit den Figu­ra­tio­nen der Solo-Vio­la: ein ech­tes Schmuck­stück, ein rei­nes Ver­gnü­gen. Oder das weit aus­ho­len­de, himm­li­sche ruhe ver­strö­men­de Sanc­tus. Auch das ist hier, auf die­ser CD, ein­fach herr­lich anzu­hö­ren.

Franz Lach­ner: Requi­em in f‑Moll op. 146. Kam­mer­so­lis­ten Augs­burg, Her­mann Mey­er. Carus 83.178 (CD/​SACD)

(geschrie­ben für die Neue Chor­zeit, Janu­ar 2008)

franz m. herzog: missa

Mit sei­ner 2004 in Graz urauf­ge­führ­ten Mis­sa für Chor, Sopran und Per­cus­sion knüpf­te Franz M. Her­zog auf unter­schied­lichs­te Wei­se an die lan­ge Tra­di­ti­on der Mess­ver­to­nun­gen an und ver­such­te, die­se modern und eigen­stän­dig zugleich wei­ter­zu­füh­ren. Eigent­lich ist sie für kon­zer­tan­te Situa­tio­nen gedacht, der Kom­po­nist kann sich aber auch Auf­füh­run­gen der Ein­zel­sät­ze im lit­ur­gi­schen Rah­men zu Recht gut vor­stel­len. Ins­be­son­der das Kyrie und das Glo­ria bie­ten sich hier­für beson­ders an, ger­ne auch zusam­men. Denn in die­sen bei­den Tei­len ver­zich­tet Her­zog sowohl auf das Sopran-Solo als auch auf den Ein­satz von Schlag­werk, so dass zwei rein a‑cappella gesetz­te Mess­tei­le blei­ben.

Das senkt den Anspruch frei­lich kaum. Denn Her­zog macht es dem Chor nicht beson­ders leicht. Poly­rhyth­mik exzes­si­ve Sekund­rei­bun­gen in oft ato­na­ler Umge­bung mit wech­seln­den tona­len Zen­tren – das for­dert schon ein sehr siche­res Ensem­ble.

Das Kyrie zeigt sich dabei von Beginn an als typi­sches Werk aus Her­zogs Feder. Und das heißt, es ent­fal­tet mit eigent­lich recht ein­fa­chen kom­po­si­to­ri­schen Mit­teln eine ein­dring­li­chen Ton­spra­che, die schon vom ers­ten Ton an wirkt. Hier ist es das mehr­fach wie­der­hol­te rhyth­mi­sche Pochen des „Kyrie elei­son“, das lang­sam in den Frau­en­stim­men Span­nung auf­baut. Der Bass löst das mit einer expres­siv gegen die­ses klop­fen­de Bit­ten gesetz­ten Melo­die auf. Und das Gan­ze wird dann noch in ver­schie­de­nen Kon­stel­la­tio­nen durch­ge­spielt und schließ­lich mit einer medi­ta­ti­ven Sekund­schich­tung des „Chris­te“ wir­kungs­voll kon­tras­tiert. Zum Schluss wird der mehr­fach geteil­te Chor wie­der in Bewe­gung ver­setzt und zu den Mus­tern des Beginns zurück­ge­lei­tet.

Das Glo­ria knüpft mit sei­nem schritt­wei­se auf­ge­bau­ten Clus­ter der Ein­lei­tung noch ein­mal an den Mit­tel­teil des Kyrie an. Mit ver­schie­de­nen Model­len der Imi­ta­ti­on und Schich­tung, mit viel­fäl­ti­gen Bezü­gen zum Kyrie und zu bereits eta­blier­tem Mate­ri­al aus dem Glo­ria sorgt Her­zog auch hier für abwechs­lungs­rei­che Klang­we­ge. Die Span­nung des expres­si­ven Glo­ri­as ist dabei frei­lich immer und aus­schließ­lich auf den Schluss gerich­tet: Der flüs­sig ent­wi­ckel­te Chor­satz gip­felt selbst­ver­ständ­lich im abschlie­ßen­den „Amen“. Ein ein­drucks­voll klin­gen­des zeit­ge­nös­si­sches Doku­ment gemä­ßig­ter Moder­ne.

Franz M. Her­zog: Kyrie aus Mis­sa für Chor, Sopran-Solo, Per­cus­sion für gemisch­te Stim­men (SATB divi­si). Inns­bruck: Helb­ling 2006. 14 Sei­ten. 4,50 Euro.
-: Glo­ria aus Mis­sa für Chor, Sopran-Solo, Per­cus­sion für gemisch­te Stim­men (SATB divi­si). Inns­bruck: Helb­ling 2006. 18 Sei­ten. 4,50 Euro.

(geschrie­ben für die Neue Chor­zeit, März 2008)

„musica sacra“ von johann caspar ferdinand fischer

Johann Cas­par Fer­di­nand Fischer ist heu­te wohl – wenn über­haupt – vor allem mit sei­ner „Ari­ad­ne musi­ca“, einer Samm­lung von Orgel­stü­cken durch alle Ton­ar­ten, bekannt. Auch wenn sei­ne Bio­gra­phie (noch) weit­ge­hend im Dun­keln liegt, eines ist doch sicher: Er war ein weit­aus umfas­sen­de­rer und kom­plet­te­rer Kom­po­nist mit einem umfang­rei­chen Oeu­vre quer durch alle Spar­ten und Gat­tun­gen als die ver­kür­zen­de Rezep­ti­on ver­mu­ten lässt. Als Hof­ka­pell­meis­ter der Ras­tat­ter Hof­ka­pel­le über lan­ge Jah­re zu Anfang des 18. Jahr­hun­derts muss­te er das auch sein. Aber vor allem sei­ne geist­li­che Musik ließ er auch schon zu Leb­zei­ten immer wie­der gedruckt ver­öf­fent­li­chen. Eine ganz klei­ne Aus­wahl, soviel wie eben auf eine CD passt, aus ver­schie­de­nen Quel­len und Anläs­sen hat die heu­ti­ge Ras­tat­ter Hof­ka­pel­le (die natür­lich nichts mehr mit dem ehe­ma­li­gen Fürs­ten­or­ches­ter zu tun hat) unter Jür­gen Ochs gemein­sam mit dem SWR und dem Carus-Ver­lag, der sich gera­de um Fischers Wer­ke in eini­gen Neu­aus­ga­ben küm­mert, pro­du­ziert. Durch­weg sehr geschmack­voll ist das gewor­den, unprä­ten­ti­ös gesun­gen und musi­ziert – nur so kann sich der schlich­te Reiz von Fischers Kom­po­si­tio­nen auch wirk­lich ent­fal­ten. Die klei­ne (aber fei­ne) Beset­zung – der voka­le Part wird von einem Dop­pel­quar­tett über­nom­men, die Instru­men­te sind durch­weg nur solis­tisch besetzt – trägt wesent­lich zur Klar­heit die­ser Auf­nah­men bei. Nur die Instru­men­te erhiel­ten von der Auf­nah­me­tech­nik lei­der nicht die nöti­ge Auf­merk­sam­keit.

Die „Mis­sa Sanc­ti Domi­ni­ci“ beweist beson­de­re Güte mit ihren knap­pen, aber sehr cha­rak­te­ris­ti­schen Ein­zel­sät­zen, die die Musi­ker um Jür­gen Ochs mit hör­ba­rem Ver­gnü­gen und Enga­ge­ment leben­dig wer­den las­sen.

Johann Cas­par Fer­di­nand Fischer: Musi­ca sacra. Ras­tat­ter Hof­ka­pel­le. Lei­tung: Jür­gen Ochs. Carus 2007. 83.172.

(geschrie­ben für die Neue Chor­zeit, März 2008)

puccini: messa di gloria

Auch die heh­re Kunst ist bekannt­lich nicht vor dem pro­sa­ischen Phä­no­men der Finanz­not gefeit. So fris­ten vie­le gro­ßen Wer­ke ihr Dasein in den Schub­la­den des Archivs, weil sich kaum jemand den nöti­gen Auf­wand ihrer Auf­füh­rung leis­ten kann und mag. Gera­de gro­ße Chor­wer­ke mit volu­mi­nö­sem Orches­ter haben das Pro­blem: Vie­le Chö­re haben schlicht nicht (mehr) die benö­tig­te Beset­zungs­stär­ke und kön­nen sich gro­ße Sin­fo­nie­or­ches­ter für ein Kon­zert auch nicht mehr leis­ten. So ver­sin­ken Wer­ke wie Puc­ci­nis Mes­sa di Glo­ria wie­der im Tief­schlaf. Und das ist beson­ders scha­de, wenn sie wie die­se groß­ar­ti­ge, wir­kungs­mäch­ti­ge Mes­se gera­de erst dar­aus auf­ge­taucht sind. Das moch­te der Ber­li­ner Kir­chen­mu­si­ker Ingo Schulz nicht mit anse­hen. Des­halb und aus ganz eigen­nüt­zi­gen Moti­ven hat er sich Puc­ci­nis Jugend­werk ange­nom­men – mit eige­nem Chor wäre eine Auf­füh­rung sonst nicht zu machen gewe­sen – und eine Fas­sung für Chor, Soli und Kam­mer­or­ches­ter erstellt. Die stellt er sei­nen Kol­le­gen im Lan­de kos­ten­frei zur Ver­fü­gung.

Und sie ist durch­aus geschickt arran­giert. Natür­lich erreicht das mit gera­de ein­mal 18 Musi­kern beset­ze Kam­mer­or­ches­ter nicht das Ori­gi­nal, nicht des­sen Wucht und Ein­druck. Aber es ist nicht von der Hand zu wei­sen, dass die „Mis­sa di Gloira“ auch der­art redu­ziert noch schön ist: Ein Klein­od, das hier fast mehr sei­ner Schät­ze offen­bart als in der geläu­fi­gen, bom­bas­ti­schen Ver­si­on. Und das, was man­gels Mas­se ver­lo­ren ging, lässt sich inter­pre­ta­to­risch durch­aus aus­glei­chen – so dass die­se Fas­sung eine gelun­gen Reper­toire­be­rei­che­rung für ein­ge­schränk­te­re Ver­hält­nis­se ist.

Gicao­mo Puc­ci­ni: Mes­sa di Glo­ria. Fas­sung für Chor, Soli und Kam­mer­or­ches­ter von Ingo Schulz.

(geschrie­ben für die neue chor­zeit, april 2008)

großes mysterium im chorklang

Dass Mor­ten Laur­di­sen ein Ame­ri­ka­ner ist, muss man nicht wis­sen, um es zu hören. Sei­ne Chor­mu­sik zeich­net sich näm­lich durch typisch ame­ri­ka­ni­sche Tugen­den aus: Leicht ver­ständ­lich, sinn­lich über­zeu­gend, tech­nisch aus­ge­feilt – frei­lich ohne irgend­wel­che avant­gar­dis­ti­schen Ansprü­che. Der Cham­ber Choir of Euro­pe ver­sam­melt auf „O Magnum Mys­te­ri­um“ die gera­de in den USA sehr belieb­ten Cho­ral­zy­klen des dänisch-stäm­mi­gen Kom­po­nis­ten. Die schwel­len­den Klangchön­hei­ten der fas­zi­nie­rend schlich­ten und zar­ten Sinn­lich­keit kann der Cham­ber Choir of Euro­pe auch aus­ge­zeich­net umset­zen. Dass bei den sich ganz orga­nisch ent­fal­ten­den Har­mo­nien und des­halb beson­ders inten­si­ven Ril­ke-Ver­to­nung „Les Chan­sons des Roses“ die Text­ver­ständ­lich­keit nicht opti­mal ist, kann man des­halb schnell ver­ges­sen. Auch das „Lux Aeter­na“, hier in der Ver­si­on für Orgel und Chor auf­ge­nom­men, ver­brei­tet eine mehr als andäch­ti­ge Stim­mung: Ihr Mix aus alten und uralten Kom­po­si­ti­ons­tech­ni­ken und moder­ne­ren Har­mo­nien ermög­licht eine außer­or­dent­li­che Viel­falt inner­halb der kon­stant mys­ti­schen Andacht. Das ist in der Tat sim­pel – aber auf gute und über­zeu­gen­de Wei­se. Am deut­lichs­ten mani­fes­tiert sich Lau­rid­sens Talent zu wei­he­vol­ler Stim­mungs­mu­sik aber in „O Magnum Mys­te­ri­um“ – das ist ein ein­zi­ges Schwel­gen im Unge­fäh­ren, gefasst in den schlicht-kon­kre­ten Melo­die­li­ni­en, die so pri­mi­tiv schei­nen und doch nicht nur einen siche­ren Chor, son­dern auch einen über­le­gen gestal­ten­den Diri­gen­ten for­dern. Und der Cham­ber Choir of Euro­pe unter Nicol Matt, der durch sei­ne kla­ren, glat­ten Klang­for­men ohne Wider­ha­ken Lau­rid­sens Wer­ken zu ihrem Klang­recht ver­hilft, hat des­halb gro­ßen Anteil an der über­wäl­ti­gen­den Wir­kung die­ser CD

Mor­ten Lau­rid­sen: O magnum Mys­te­ri­um. Cham­ber Choir of Euro­pe, Nicol Matt. Häns­s­ler Clas­sic 98.272.

erschie­nen in der neu­en chor­zeit, sep­tem­ber 2007.

musik für einen heiligen – ferraros „ad maiorem dei gloriam“

Der 450. Geburts­tag des Hei­li­gen Igna­ti­us von Loyo­la, dem Begrün­der des Jesui­ten­or­den, ging im ver­gan­ge­nen Jahr recht unspek­ta­ku­lär über die Büh­ne. Immer­hin aber gibt es eine ech­te Fest­kom­po­si­ti­on für die­sen Anlass: „Ad Maio­rem Dei Glo­ri­am“ heißt sie und stammt aus der Feder von Matthew Fer­ra­ro. Doch sie ist auch nach dem Jubi­lä­um recht uni­ver­sal ein­setz­bar, denn dafür hat der Ame­ri­ka­ner Matthew Fer­ra­ro zunächst aus Schrif­ten Loyo­las und der Bibel einen kur­zen Text zusam­men­ge­stellt, einen spi­ri­tua­lis­ti­schen Lob­preis des all­ge­gen­wär­ti­gen Got­tes als Ret­ter und Erlö­ser. Und dann hat er das für gemisch­ten Chor und Kla­vier oder Orgel, wahl­wei­se auch mit Beglei­tung eines Streich­quar­tetts, ver­tont. Knap­pe fünf Minu­ten sind es gewor­den: Eine har­mo­nisch und melo­disch aus­ge­spro­chen schlich­te, fast belang­lo­se Minia­tur. Der durch­weg homo­pho­ne Satz in unschein­ba­rer Gestalt zeigt Fer­ra­ro als Schöp­fer eher gerin­ger Ori­gi­na­li­tät. Doch als Film­mu­sik­kom­po­nist weiß er um die Wirk­sam­keit ein­fachs­ter klang­li­cher Ges­ten und nutzt das weid­lich aus. Er ver­traut dabei vor allem auf die Über­zeu­gungs­kraft der Wie­der­ho­lung und des For­tis­si­mo. Des­halb ver­langt das „Ad Maio­rem Dei Glo­ri­am“ auch nach einem gro­ßem und klang­star­ken Chor in einem ent­spre­chen­den Raum – allei­ne wegen des Fina­les, des erlö­sen­den und bestä­ti­gen­den Rufes „Jesu Homi­num Sal­va­tor“, der ohne kräf­ti­ge Chor­mas­sen sonst ganz und gar wir­kungs­los ver­pufft.

Matthew Fer­ra­ro: Ad Maio­rem Dei Glo­ri­am. Lon­don: Boo­sey & Haw­kes 2006. Chor­par­ti­tur. 6 Sei­ten.

erschie­nen in der zeit­schrift des deut­schen chor­ver­ban­des, der „neu­en chor­zeit”, aus­ga­be juli/​august 2007.

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