Ein ganz schöner Brocken ist es, das “Mainzer Chorbuch” — fast so wuchtig wie der Hohe Dom zu Mainz. Da ist es auch entstanden. Denn sozusagen als Summe seiner fast dreißig Jahre als Domkapellmeister hat Mathias Breitschaft aus dem Ruhestand nun ein fast 350 Seiten starkes Kompendium katholischer Chormusik vorgelegt. Das muss man freilich gleich wieder einschränken: Versammelt ist hier in erster Linie liturgisch nutzbare und nützliche Musik — also eher kleine Formen und kurze Sätze, was eine konzertante Aufführung natürlich überhaupt nicht ausschließt. Der Bezug zu Mainz liegt nicht nur in der Wirkungsstätte des Herausgebers: Das “Mainzer Dombuch” macht einerseits einen Teil der Musik des Chorrepertoires am Martinsdom leicht zugänglich, veröffentlicht zum anderen aber auch Musik aus dem Bistum Mainz oder von Komponisten wie etwa Peter Cornelius, die eine enge Beziehung zur Stadt am Rhein haben.
Das ist selbstverständlich eine praktische Ausgabe. Das betrifft natürlich vor allem die hier sehr reichhaltig versammelte Alte Musik des 16. und frühen 17. Jahrhunderts, die nicht immer so leicht zugänglich ist wie mit dem “Mainzer Chorbuch”. Dem Kirchenjahr folgend, mit zusätzlichen Abschnitten zu unter anderem Trauung, Tod, Frieden und den Heiligen, bietet Breitschaft eine breite Palette der Chorgebrauchsmusik: Motetten, Kirchenliedsätze — oft von ihm oder jüngeren Kollegen aus dem Umfeld gesetzt — und liturgische Sätze sind das hauptsächliche Material. Die stilistische Vielfalt des Repertoires ist dabei ähnlich groß wie die Anlässe, für die das “Mainzer Chorbuch” Musik bietet: Neben einer adventlichen Motette von Palestrina oder einem Karfreitags-Antiphon aus der Feder von Clemens non Papa steht beispielsweise das Gloria aus der “Deutschen Kindermesse” von Joseph Haas oder ein interessantes “Ave verum corpus” von dem Seligenstädter Regionalkantor Thomas Gabriel.
Die im Untertitel verheißenen sieben Jahrhundert können allerdings etwas in die Irre führen: Die Inhalte sind sehr ungleich über die Zeit verteilt, das 19. Jahrhundert ist zum Beispiel doch nur sehr schwach vertreten. Und avantgardistische, neutönerische Musik des letzten Jahrhunderts findet man hier überhaupt nicht, auch wenn die Geburtsdaten einiger Komponisten — es sind ausschließlich Männer — das erwarten lassen könnten.
Dafür kann das “Mainzer Chorbuch” dabei helfen, so einiges Unbekanntes zu entdecken oder weniger Bekanntes wieder ins Bewusstsein rufen. Die Orientierung an der Praxis — moderne Schlüssel, zeitgemäßer Notensatz, Übersetzung der lateinischen Texte — lässt das “Mainzer Chorbuch” jedenfalls zu einem sehr gut einsetzbaren Arbeitsmittel werden — naturgemäß in erster Linie für katholische Kirchenmusiker und Chöre, obwohl auch die Protestanten einiges an Material finden werden.
Mathias Breitschaft (Hrsg.): Mainzer Chorbuch. Geistliche Chormusik durch das Kirchenjahr aus 7 Jahrhunderten. Mainz: Schott 2014. 352 Seiten. ISBN 978–3‑7957–5926‑1. 24,99 Euro.
— Zuerst erschienen in Chorzeit — Das Vokalmagazin, Ausgabe Mai 2014.