Lesen. Hören. Und ein bisschen schreiben.

Schlagwort: kirchenmusik Seite 1 von 3

Chormusik aus und für Mainz: Das „Mainzer Chorbuch“

mainzer chorbuchEin ganz schö­ner Bro­cken ist es, das „Main­zer Chor­buch“ – fast so wuch­tig wie der Hohe Dom zu Mainz. Da ist es auch ent­stan­den. Denn sozu­sa­gen als Sum­me sei­ner fast drei­ßig Jah­re als Dom­ka­pell­meis­ter hat Mathi­as Breit­schaft aus dem Ruhe­stand nun ein fast 350 Sei­ten star­kes Kom­pen­di­um katho­li­scher Chor­mu­sik vor­ge­legt. Das muss man frei­lich gleich wie­der ein­schrän­ken: Ver­sam­melt ist hier in ers­ter Linie lit­ur­gisch nutz­ba­re und nütz­li­che Musik – also eher klei­ne For­men und kur­ze Sät­ze, was eine kon­zer­tan­te Auf­füh­rung natür­lich über­haupt nicht aus­schließt. Der Bezug zu Mainz liegt nicht nur in der Wir­kungs­stät­te des Her­aus­ge­bers: Das „Main­zer Dom­bu­ch“ macht einer­seits einen Teil der Musik des Chor­re­per­toires am Mar­tins­dom leicht zugäng­lich, ver­öf­fent­licht zum ande­ren aber auch Musik aus dem Bis­tum Mainz oder von Kom­po­nis­ten wie etwa Peter Cor­ne­li­us, die eine enge Bezie­hung zur Stadt am Rhein haben.

Das ist selbst­ver­ständ­lich eine prak­ti­sche Aus­ga­be. Das betrifft natür­lich vor allem die hier sehr reich­hal­tig ver­sam­mel­te Alte Musik des 16. und frü­hen 17. Jahr­hun­derts, die nicht immer so leicht zugäng­lich ist wie mit dem „Main­zer Chor­buch“. Dem Kir­chen­jahr fol­gend, mit zusätz­li­chen Abschnit­ten zu unter ande­rem Trau­ung, Tod, Frie­den und den Hei­li­gen, bie­tet Breit­schaft eine brei­te Palet­te der Chor­ge­brauchs­mu­sik: Motet­ten, Kir­chen­lied­sät­ze – oft von ihm oder jün­ge­ren Kol­le­gen aus dem Umfeld gesetzt – und lit­ur­gi­sche Sät­ze sind das haupt­säch­li­che Mate­ri­al. Die sti­lis­ti­sche Viel­falt des Reper­toires ist dabei ähn­lich groß wie die Anläs­se, für die das „Main­zer Chor­buch“ Musik bie­tet: Neben einer advent­li­chen Motet­te von Pal­estri­na oder einem Kar­frei­tags-Anti­phon aus der Feder von Cle­mens non Papa steht bei­spiels­wei­se das Glo­ria aus der „Deut­schen Kin­der­mes­se“ von Joseph Haas oder ein inter­es­san­tes „Ave ver­um cor­pus“ von dem Seli­gen­städ­ter Regio­nal­kan­tor Tho­mas Gabri­el.

Die im Unter­ti­tel ver­hei­ße­nen sie­ben Jahr­hun­dert kön­nen aller­dings etwas in die Irre füh­ren: Die Inhal­te sind sehr ungleich über die Zeit ver­teilt, das 19. Jahr­hun­dert ist zum Bei­spiel doch nur sehr schwach ver­tre­ten. Und avant­gar­dis­ti­sche, neu­tö­ne­ri­sche Musik des letz­ten Jahr­hun­derts fin­det man hier über­haupt nicht, auch wenn die Geburts­da­ten eini­ger Kom­po­nis­ten – es sind aus­schließ­lich Män­ner – das erwar­ten las­sen könn­ten.

Dafür kann das „Main­zer Chor­buch“ dabei hel­fen, so eini­ges Unbe­kann­tes zu ent­de­cken oder weni­ger Bekann­tes wie­der ins Bewusst­sein rufen. Die Ori­en­tie­rung an der Pra­xis – moder­ne Schlüs­sel, zeit­ge­mä­ßer Noten­satz, Über­set­zung der latei­ni­schen Tex­te – lässt das „Main­zer Chor­buch“ jeden­falls zu einem sehr gut ein­setz­ba­ren Arbeits­mit­tel wer­den – natur­ge­mäß in ers­ter Linie für katho­li­sche Kir­chen­mu­si­ker und Chö­re, obwohl auch die Pro­tes­tan­ten eini­ges an Mate­ri­al fin­den wer­den.

Mathi­as Breit­schaft (Hrsg.): Main­zer Chor­buch. Geist­li­che Chor­mu­sik durch das Kir­chen­jahr aus 7 Jahr­hun­der­ten. Mainz: Schott 2014. 352 Sei­ten. ISBN 978−3−7957−5926−1. 24,99 Euro.

— Zuerst erschie­nen in Chor­zeit – Das Vokal­ma­ga­zin, Aus­ga­be Mai 2014.

Alle Jahre wieder: Das Weihnachtsoratorium

Schon die schie­re Grö­ße ist beein­dru­ckend, die Chor­mas­sen auf den Altar­stu­fen, die Län­ge des Wer­kes und das Durch­hal­te­ver­mö­gen der Musi­ker und des Publi­kums. Das ist aber eher sei­ne port­li­che Leis­tung. Dom­ka­pell­meis­ter Mathi­as Breit­schaft gelingt es aller­dings, dar­aus auch durch­aus beein­dru­cken­de Musik zu machen. Dabei ist das für ihn schon fast Rou­ti­ne: Regel­mä­ßig steht in der Weih­nachts­zeit auch im Dom das kom­plet­te Bach­sche Weih­nachts­ora­to­ri­um auf den Plan. Die­ses Jahr war es wie­der so weit.

Und ganz schnell, näm­lich schon beim „Jauch­zet, froh­lo­cket“ des Ein­gangs­cho­res, wird klar: Die­ses Mal wird das Weih­nachts­ora­to­ri­um noch leben­di­ger und kraft­vol­ler klin­gen. Der Dom­chor und das Main­zer Kam­mer­or­ches­ter legen sich gleich ins Zeug, als hät­ten sie nicht noch über zwei Stun­den Musik vor sich. Und doch bleibt Breit­schaft sei­ner Inter­pre­ta­ti­ons­li­nie treu: Das wirk­li­che Erstau­nen ob des Wun­ders der Geburt Jesu Christ steht im Mit­tel­punkt. Und die unbän­di­ge Freu­de dar­über, immer wie­der jauchzt, froh­lockt und jubelt der Chor, die Instru­men­ta­lis­ten und auch die Solis­ten.

Die zügi­gen Tem­pi die­ser hoch­ge­stimm­ten Musik sind dabei durch­aus irdisch, wirk­lich ent­rückt wirkt das fast nur im Cho­ral „Ich steh an dei­ner Krip­pen hier“ im sechs­ten Teil. Das gilt vor allem in der ers­ten Hälf­te, den ers­ten drei Kan­ta­ten für die eigent­li­chen Weih­nachts­fei­er­ta­ge. Hier wird die eigent­li­che Weih­nachts­ge­schich­te, der Kern des Wun­ders, erzählt. Und hier singt der Main­zer Dom­chor. Denn nach der Pau­se ersetzt Breit­schaft die jun­gen Stim­men des Dom­chors mit den etwas rei­fe­ren der Dom­kan­to­rei St. Mar­tin. Und die­sen Unter­schied hört man deut­lich: Die Kan­to­rei klingt erwach­se­ner, fül­li­ger und singt mit mehr Druck, aber nicht ganz so beweg­lich wie der Dom­chor. Die immer etwas ungläu­big-naï­ve Begeis­te­rung des Beginns wan­delt sich in ehr­fürch­ti­ges Stau­nen.

Auf der Suche nach dem Cha­rak­te­ris­ti­schen jedes ein­zel­nen Sat­zes kommt Breit­schaft so sehr weit. Die Ver­ve, mit der er sich und die Chö­re etwa in jeden ein­zel­nen der sechs Ein­gangs­chö­re stürzt, ist jedes­Mal beein­dru­ckend. Und sie über­trägt sich recht pro­blem­los auf den Rest des Ora­to­ri­ums, auch auf Ari­en und Rezi­ta­ti­ve der Solis­ten. Die wur­den in der Pau­se nicht aus­ge­wech­selt, was aber nicht von Nach­teil war. Denn auf einen Evan­ge­lis­ten wie Chris­toph Pré­gar­dien, dem man in jedem Satz sei­ne lan­ge Erfah­rung und sei­ne Detail­freu­dig­keit anhört, möch­te man kei­nes­falls ver­zich­ten – auch wenn die Höhe in den Spit­zen­tö­nen in der letz­ten Arie etwas mür­be wird. Inten­si­ve Kläng steu­ern auch die Altis­tin Alex­an­dra Rawohl und der Main­zer Bass Patrick Pobe­schin bei, wäh­rend die Sopra­nis­tin Clau­dia von Til­zer oft etwas über­dra­ma­tisch agiert. Aber selbst die pla­ka­ti­ven Momen­te fin­den ihren Platz: Manch­mal muss man eben etwas dicker auf­tra­gen. Sonst wür­den da ja auch nicht fast 100 Cho­ris­ten sin­gen.

(geschrie­ben für die main­zer rhein-zei­tung.)

Der Sommer ist Musik

Wenn schon das Wet­ter nicht mit­spielt, dann wenigs­tens die Kunst: Der Main­zer Musik­som­mer ist wie­der eröff­net:

Kei­ne leich­te Sache wird das: Von 16. bis zum 20. Jahr­hun­dert reicht die Span­ne, von fran­ko-flä­mi­scher Vokal­po­ly­pho­nie bis zu spät­ro­man­ti­schen Chor­lie­dern. Das Eröff­nungs­kon­zert des Main­zer Musik­som­mers im Dom ist damit fast ein klei­nes Fes­ti­val in sich.

Ein­fach ist das nicht, so eine gro­ße Viel­falt in einem Kon­zert­abend zusam­men­zu­brin­gen und jedem ein­zel­nen Werk auch gerecht zu wer­den. Doch Dom­ka­pell­meis­ter Mathi­as Breit­schft gelingt das mit dem Dom­kam­mer­chor rich­tig gut. Sicher, die Spe­zia­lis­ten wür­den die Chor­mu­sik der Main­zer Hof­ka­pell­meis­ter wie Gabri­el Plautz, Phil­ipp Fried­rich Buch­ner oder Johann Zach schon anders sin­gen. Aber auch Breit­schaft fin­det einen guten Weg. Einen sanf­ten vor allem:

Immer wie­der fällt in die­sen lit­ur­gi­schen Chor­sät­zen aus dem Renais­sance- und Barock-Mainz der wei­che Chor­klang auf, den Breit­schaft formt. Der Dom­kam­mer­chor und sei­ne Solis­ten las­sen den Klang förm­lich in die Dom­hal­le flie­ßen, ohne die Kon­trol­le über die Kon­tu­ren zu ver­lie­ren – und mit der Fähig­keit, immer wie­der kla­re Akzen­te zu set­zen und Höhe­punk­te zu for­men.
Der Sprung in die Roman­tik ist dann frei­lich doch genau das: Ein Sprung. Und ein recht gro­ßer noch dazu. Zumal Franz Liszts „Prä­lu­di­um und Fuge über B‑A-C‑H“ für Orgel ja auch nicht zurück­hält mit gro­ßen Ges­ten, har­mo­ni­schen Kühn­hei­ten und klang­li­chen Effek­ten.

Dom­or­ga­nist Dani­el Beck­mann, der in der ers­ten Hälf­te den Chor auch schon mit Cel­lis­tin Traudl Eute­bach im Gene­ral­bass unter­stützt hat, über­nimmt die Auf­ga­be, die­sen Sprung aus­zu­füh­ren – und tut das gewandt, ohne die Boden­haf­tung zu ver­lie­ren. Wo ande­re Orga­nis­ten sich ger­ne aus­to­ben, bevor­zugt er eher gemä­ßig­te Tem­pi und nimmt sich auch Zeit für Ruhe­punk­te – so bleibt auch in der Domakus­tik noch vie­les erkenn­bar. Vor allem aber ist es sei­ne sehr fan­ta­sie­vol­le, abwechs­lungs­rei­che und ein­fühl­sa­me Regis­trie­ung, die nicht nur das Poten­zi­al der Orgel aus­kos­tet, son­dern auch dem Werk zur vol­len Gel­tung ver­hilft.

Der Dom­kam­mer­chor nimmt das dann direkt auf: Mit drei Motet­ten von Liszt zeigt er sich in der zwei­ten Kon­zert­hälf­te deut­lich far­bi­ger als zuvor in der Abtei­lung „Alte Musik“, deut­lich viel­fäl­ti­ger auch in Dyna­mik und Arti­ku­la­ti­on. Vor allem zum Schluss hin stei­gern sich die nach­denk­li­chen Innig­kei­ten: Sorg­sam und fas­zi­nie­rend detail­reich ent­fal­tet Breit­schaft schon Hugo Wolfs „Geist­li­che Lie­der“, behut­sam und bedacht lässt er ihre resi­gna­tiv-erlös­te End­zeit­stim­mung genau aus­for­men. Und mit der Motet­te „Schaf­fe in mir Gott“ von Johan­nes Brahms, die zumin­dest for­mal noch ein­mal den Bogen zum Anfang des Kon­zer­tes schlägt, kann er das sogar noch ein biss­chen über­bie­ten: Mit geziel­tem Kraft­ein­satz, mit prä­zis gesetz­ten Höhe­punk­te und trotz aller klang­li­chen Deli­ka­tes­se vor allem mit viel begeis­ter­tem Schwung.

(geschrie­ben für die Main­zer Rhein­zei­tung.)

Reinraummusik: Die King’s Singers in St. Stephan

So rich­tig begeis­tern konn­te ich mich beim Auf­tritt der King’s Sin­gers in Mainz nicht: Per­fekt into­niert, ohne Fra­ge – aber alles auch per­fekt rou­ti­niert, vom Auf-die-Büh­ne-Schrei­ten bis zur Hand­hal­tung alles minu­ti­ös ein­stu­diert: Raum für Spon­ta­nei­tät, für Begeis­te­rung (der Musi­ker selbst) gibt es hier nicht. Des­we­gen wird’s auch mal lang­wei­lig. Denn auch ein wahn­sin­nig pro­fes­sio­nel­ler, nahe­zu per­fek­ter Ensem­ble­klang ist allei­ne auf Dau­er nur mäßig befrie­di­gend. Aber trotz­dem schön anzu­hö­ren ;-)

Wenn es so etwas wie könig­li­che Rein­heit gäbe – hier wäre es zu hören. Denn wenn die King’s Sin­gers etwas beherr­schen, dann ist es die mühe­lo­se Per­fek­ti­on der rei­nen Into­na­ti­on. Eine naht­lo­se, unzer­brech­li­che Ein­heit bil­den die­se sechs Sän­ger, vom ers­ten Ein­at­men bis zum letz­ten­Ver­klin­gen. Und selbst die Hand­hal­tung und das pro­fes­sio­nel­le Lächeln sind bei allen gleich – Unter­schie­de gibt es nur in der Haar­tracht.

Mit unwi­der­steh­li­cher Rou­ti­ne pro­du­zie­ren die King’s Sin­gers einen Ver­schmel­zungs­klang, der wahn­sin­nig machen kann. Zusam­men bil­den sie etwas ganz Ein­zig­ar­ti­ges, bei dem es fast egal ist, was sie sin­gen. In St. Ste­phan, wo sie im Rah­men des Rhein­gau Musik­fest­vals gas­tier­ten, war das zunächst ein Grün­don­ners­tags-Pro­gramm rund um den gre­go­ria­ni­schen Cho­ral „Pan­ge lin­gua“. Da macht es auch nichts, das die Kar­wo­che schon eini­ge Zeit zurück liegt: Hier geht es nur um die Musik, und da vor allem um den puren Klang – die Tex­te und Inhal­te spie­len nur eine unter­ge­ord­ne­te Rol­le. In St. Ste­phan waren die Wor­te nur aus­nahms­wei­se zu erah­nen, ver­ste­hen konn­te man die Text schon gar nicht.

Schön ist die­se Musik trotz­dem. Und das ist die Haupt­sa­che, egal ob es um Motet­ten von Car­lo Gesu­al­do oder von Anton Bruck­ner geht, ob Mau­rice Duru­flés „Tan­tum ergo“ oder Tomas Luis de Vic­to­ri­as „Popu­le meus“ erklingt. Die Dif­fe­renz zwi­schen 16. und 20. Jahr­hun­dert wird mühe­los über­brückt, die Unter­schie­de ver­schwim­men: Das sind ein­fach die King’s Sing­rs – fer­tig. Und das heißt: Wohl­klang pur, immer wie­der, egal, wel­che Noten gera­de auf dem Pult lie­gen. Schon das lang­sa­me Aus­klin­gen der Schluss­ak­kor­de allein ist dabei jedes Mal wie­der bezau­bernd, wie sie immer wei­cher wer­den und sich im Raum auf­lö­sen – sol­che Fein­hei­ten bie­tet kaum ein ande­res Ensem­ble so über­zeu­gend. Aber beson­ders span­nend ist das nicht, weil außer dem extrem gleich­mä­ßig, unge­mein rein aus­ge­form­ten Wohl­klang für die sechs Eng­län­der wenig ande­res zählt. Ein klei­nes Cre­scen­do ist da schon fast eine Sen­sa­ti­on. Denn die zar­te Zer­brech­lich­keit des per­fek­ten Vokal­klangs ist eben immer in Gefahr – da wür­de über­mä­ßi­ge Expres­si­vi­tät nur scha­den. Und scha­de wäre es wirk­lich, wür­de die­ser Wohl­laut zer­stört. Doch das pas­siert den King’s Sin­gers nie, ihr ein­zig­ar­ti­ger a‑cap­pel­la-Klang bleibt auch an die­sem Abend unge­bro­chen.

eine ernste sache: motetten der bach-familie

immer wie­der erstaun­lich: die ernst­haf­tig­keit & hin­ga­be des main­zer figu­ral­cho­res – fast schon ver­bis­sen, wie sie sich den gro­ßen chor­wer­ken nähern. ein biss­chen mehr freu­de möch­te man ihnen fast wün­schen … aber dann auch wie­der nicht: so kommt man näm­lich in den genuss tol­ler kon­zer­te – auch wenn die main­zer das über­haupt nicht zu wür­di­gen wis­sen und die kir­chen­bän­ke wie­der ein­mal arg leer blie­ben.

Mit einem Fami­li­en­kon­zert der beson­de­ren Art begann der Main­zer Figu­ral­chor sei­ne Jubi­lä­ums­sai­son. Der nun fast 30 Jah­re alte Chor star­tet in die nächs­ten Mona­te mit einem Pro­gramm, dass aus­schließ­lich Motet­ten der Musi­ker­fa­mi­lie Bach ver­sam­mel­te. Vom Stamm­va­ter Johann Bach, dem ers­ten bekann­ten Kom­po­nis­ten der thü­rin­gi­schen Dynas­tie bis zu ihrem größ­ten Ver­tre­ter, Johann Sebas­ti­an, reich­te die Aus­wahl – alle Kom­po­nis­ten die­ser Fami­lie zu ver­ei­nen, wür­de jedes Kon­zert spren­gen. Und in St. Boni­faz war auch so schon genug zu hören. Denn dem Diri­gen­ten Ste­fan Wei­ler, der den Chor seit sei­ner Grün­dung lei­tet, ist mal wie­der ein außer­or­dent­li­ches Pro­gramm geglückt – außer­or­dent­lich in der Gestal­tung und außer­or­dent­lich in der Leis­tung des Cho­res.

Den Beginn mach­ten fünf- bis sech­stim­mi­ge Motet­ten der älte­ren Bach­ge­nera­tio­nen aus dem The­men­feld Tod, Ver­gäng­lich­keit und Heils­ge­wiss­heit. Mit Johann Sebas­ti­an Bachs gro­ßer Motet­te „Jesu mei­ne Freu­de“ war dann zugleich das Zen­trum des Kon­zer­tes und auch der Dreh­punkt erreicht: Nun ging es abschlie­ßend in der auch musi­ka­li­sche sehr raf­fi­nier­ten Stei­ge­rung zu dop­pel­chö­ri­gen Motet­ten um die erwar­tungs­vol­le Freu­de, den Lob­preis Got­tes – eine wir­kungs­vol­le Dra­ma­tur­gie. Vor allem, weil der Figu­ral­chor wie­der ein­mal sehr über­zeug­te. Vor allem durch sei­ne extre­me Kon­zen­tra­ti­on auf die gesam­te Musik, ihre gro­ße Form und ihr kleins­tes Detail.

weich klin­gen­der Beginn mit Johann Bachs „Unser Leben sei ein Schat­ten“, geschickt auf­ge­teilt auf den Haupt­chor und ein ver­steckt plat­zier­tes Solis­ten­quar­tett – sol­che ein­fa­chen, aber wir­kungs­vol­le ideen setzt wei­ler immer wie­der geschickt ein.

Johann Sebas­ti­an Bachs Bear­bei­tung des Cho­rals „Jesu mei­ne Freu­de“ ver­kör­per­te hier den Umschwung des ban­gen christ­li­chen Her­zens zur fes­ten Über­zeu­gung des erwar­te­ten Heils der Ewig­keit. Mit prä­gnan­ter Kraft und behut­sam gesetz­ten Momen­ten, mit der gan­zen Viel­falt der musi­ka­li­schen Rhe­to­rik, die die­sem Mit­glied der Bach-Fami­lie zur Ver­fü­gung steht, ist das dann doch deut­lich grö­ßer und genia­ler als die Musik sei­ner Vor­fah­ren. Typisch war schon der Beginn, die star­ke ana­ly­ti­sche Durch­drin­gung des Chor­sat­zes durch Wei­ler und sei­ne Sän­ger, die unbe­ding­te Gleich­be­rech­ti­gung aller Stim­men gegen­über der Melo­die – die­ses klu­ge, wis­sen­de Musi­zie­ren macht den Figu­ral­chor so anzie­hend. Auch wenn sie hin und wie­der fast zu ernst, zu kon­zen­triert erschei­nen

Nach Johann Sebas­ti­an lei­tet der rasche Jubel­ge­sangs von Johann Micha­el Bachs „Sei lie­ber Tag will­kom­men“ über zu den raf­fi­nier­te­ren Freu­den­ge­sän­ger – etwa der dop­pel­chö­ri­ge Motet­te „Herr, ich war­te auf dein Heil“. Wie­der hat Wei­ler einen Chor durch Solis­ten­quar­tett ersetzt – dass er das kann, ist auch ein Zeug­nis der hohen Qua­li­tät des Cho­res. Und es ist hier ein wah­rer Genuss, wie der sanft tönen­de Chor die Solis­ten, die das Mot­to wie­der­ho­len, umschlingt und in sich auf­nimmt. Kein Wun­der, dass es dafür gro­ßen Bei­fall gab – auch wenn in St. Boni­faz vie­le Plät­ze frei geblie­ben waren.

(geschrie­ben für die Main­zer Rhein-Zei­tung)

haydn, nichts als haydn: die eröffnung des mainzer musiksommers

Fest­li­cher geht es kaum. Pas­sen­der aber auch nicht: Denn die fei­er­li­che Eröff­nung des Main­zer Musik­som­mers – der die­ses Jahr schon sei­nen zehn­ten Geburts­tag fei­ern kann – ver­bin­det sich im ers­ten Kon­zert mit einer inten­si­ven Wür­di­gung eines der dies­jäh­ri­gen Jubi­la­re der Musik­ge­schich­te. Dom­ka­pell­meis­ter Mathi­as Breit­schaft diri­gier­te zum Auf­takt der dies­jäh­ri­gen, gemein­sam von SWR und der Stadt Mainz ver­an­stal­te­ten Kon­zert­rei­he, näm­lich ein rei­nes Haydn-Pro­gramm. Und obwohl er in „sei­nem“ Raum, dem Dom, natur­ge­mäß vor­wie­gend Kir­chen­mu­sik her­an­zog, ein glei­cher­ma­ßen reprä­sen­ta­ti­ves und abwechs­lungs­rei­ches. Denn neben dem Zen­trum, der Gro­ßen Orgel-Solo-Mes­se und dem „Te Deum Lau­da­mus“ noch zwei Orgel­kon­zer­te aus dem rei­chen Fun­dus, den Haydn auch da hin­ter­las­sen hat.

Der Lim­bur­ger Orga­nist Mar­kus Eichen­laub meis­ter­te dabei auch die vir­tuo­sen Pas­sa­gen fast non­cha­lant, immer mit coo­lem under­state­ment und läs­si­ger Ele­ganz, die ihre Wir­kung vor allem aus der leicht dahin flie­gend, locker und ent­spannt wir­ken­den tech­ni­schen Prä­zi­si­on schöpf­te. Das Kur­pfäl­zi­sche Kam­mer­or­ches­ter ließ Breit­schaft etwas erdi­ger und stär­ker grun­diert beglei­ten. So bot er dem Solis­ten viel Raum, der sich – aus der Par­ti­tur spie­lend – aber lie­ber zurück­hielt und geschmei­dig in den Gesamt­klang ein­glie­der­te.

Doch im Zen­trum des Eröff­nungs­kon­zer­tes stand mit der gro­ßen und groß­ar­ti­gen Mes­se eine fröh­lich-über­schwäng­li­che Ver­to­nung des Ordi­na­ri­ums. Und Breit­schaft ließ kei­nen Zwei­fel an sei­ner Bereit­schaft, der Mes­se nicht nur Power ohne Ende mit­zu­ge­ben, son­dern auch stark kon­tras­tie­ren­de zar­te und inni­ge Momen­te. Und dann wie­der war die Mess­ver­to­nung sprit­zig-pul­sie­rend bis zur Gren­ze des Wahn­wit­zes. Aber es ging alles gut – der Dom­kam­mer­chor war bes­tens prä­pa­riert und ver­wöhn­te mit jugend­lich-fri­schem und schlan­ken Klang. Und die ver­sier­ten Solis­ten, neben der gewohnt sou­ve­rä­nen Janice Cres­well und der kla­ren Dia­na Schmid sowie dem zurück­hal­ten­den Bass Cle­mens Breit­schaft vor allem der cha­ris­ma­ti­sche und enga­gier­te Tenor Dani­el Jenz, lie­ßen auch kei­ne Wün­sche offen.

Ähn­lich forsch ging der Dom­kap­pell­meis­ter auch das C‑Dur-Te deum an. Das wur­de dann so rasant und ener­gie­prot­zend, dass es fast einen Tick ange­be­risch wirk­te. Aber nur fast: Denn Breit­schaft blieb immer gera­de noch so kon­trol­liert und ziel­ge­rich­tet, dass das Te deum zu einer unwi­der­steh­li­chen Ver­füh­rung, einer sanf­ten, unmerk­li­chen Über­re­dung hin zu Glau­ben und Kir­che, wur­de. Dass so wun­der­schö­ne Musik ent­stand, war fast nur ein Neben­pro­dukt. Aber wenn das so gut gelingt, dann lässt man ihm die Absicht zur Ver­füh­rung – die schließ­lich durch­aus im Sin­ne Haydns ist – ger­ne durch­ge­hen. Und hofft, dass die rest­li­chen Kon­zer­te des Musik­som­mers genau­so vie­le Ver­hei­ßun­gen preis­ge­ben wer­den.

(geschrie­ben für die main­zer rhein-zei­tung.)

gottesdienst wie in alten zeiten

Ein nord­deut­scher Got­tes­dienst zu Beginn des 17. Jahr­hun­derts – wie der wohl geklun­gen hat? Und was dort zu hören und zu erle­ben, zu sehen und zu fei­ern war, wenn es ein wich­ti­ger Fei­er­tag war wie etwa die Michae­lis­ves­per? Um das auf­zu­spü­ren, könn­te man sich jetzt eini­ge Wochen in die Biblio­thek set­zen und alte Kir­chen­ord­nun­gen, Musi­ker­rech­nun­gen und Par­ti­tu­ren stu­die­ren. Oder man setzt sich ent­spannt in sei­nen Hör­ses­sel und legt die gera­de erschie­ne SACD des Kna­ben­chor Han­no­ver in den Play­er. Dort ist näm­lich genau das auf­ge­nom­men: Eine ver­such­te Rekon­struk­ti­on so einer Michae­lis­ves­per, wie sie etwa in den 1620er-Jah­ren zum Bei­spiel in Wol­fen­büt­tel hät­te gesche­hen kön­nen. Jörg Brei­ding, der Diri­gent der Han­no­ve­ra­ner, hat mit fach­kun­di­ger Unter­stüt­zung aus den Wer­ken Micha­el Prae­to­ri­us, der genau dort Orga­nist und Hof­ka­pell­meis­ter war, ein mög­li­ches Gesamt­kunst­werk einer musi­ka­li­schen Ves­per zu Michae­lis zusam­men­ge­stellt. Und das dann zu unse­rem Glück mit sei­nem Chor und einer Men­ge Instru­men­tal-Exper­ten (dem Johann-Rosen­mül­ler-Ensem­ble und Hil­le Perls „The Siri­us Viols“ sowie dem Bre­mer Laut­ten-Chor) auf eine Super-Audio-CD gebannt. 80 Minu­ten fas­zi­nie­ren­de Musik sind das gewor­den, in denen man mit dem frem­den Blick des Nach­ge­bo­re­nen der unge­heue­ren Viel­falt der Musik Prae­to­ri­us‘ lau­schen darf, sei­nen Kon­zert­sät­zen und sei­nen Psal­men etwa, aber auch dem gro­ßen Magni­fi­cat, das in sich noch ein­mal mit sei­nem brei­ten Spek­trum musi­ka­li­scher Gestal­tungs­kraft fein dif­fe­ren­ziert. Genau das macht auch Brei­ding mit sei­nen Sän­gern und Instru­men­ta­lis­ten: Das ist, gera­de in der Har­mo­nie der Man­nig­fal­tig­keit und der wei­chen Fül­le des Klangs eine sehr fei­ne und fein­sin­ni­ge Auf­nah­me gewor­den. Scha­de nur, dass die Got­tes­diens­te heu­te sol­che musi­ka­li­schen Hoch­leis­tun­gen nicht (mehr) bie­ten.

Michae­lis­ves­per mit Wer­ken von Micha­el Prae­to­ri­us. Vie­le Solis­ten …. Kna­ben­chor Han­no­ver, Jörg Brei­ding. Ron­deau Pro­duc­tion SACD ROP7007, 2009.

(geschrie­ben für die neue chor­zeit)

passionsmusik aus siebenbürgen

Sie­ben­bür­gen ist nicht gera­de ein Zen­trum deut­scher Kir­chen­mu­sik. Genau­er gesagt, ist es eher ein Zen­trum von gar nichts. Manch­mal sind aber die Rän­der durch­aus inter­es­san­ter als die Mit­te. Etwa, wenn dort bestimm­te Tra­di­tio­nen über­le­ben, wie zum Bei­spiel die über lan­ge Zeit wei­ter­ge­ge­be­nen loka­len Pas­si­ons­mu­si­ken. Das soll­te man wis­sen, wenn man sich die „Sie­ben­bür­gi­sche Pas­si­ons­mu­sik“ für Chor, Solis­ten und Orgel von Hans Peter Türk anhört. Denn Türk ist ein sie­ben­bür­gi­scher Kom­po­nist.

Eine neue Mat­thä­us-Pas­si­on also, als Fort­füh­rung noch erhal­te­ner Bräu­che – aber den­noch über­haupt nicht bloß bewah­rend, son­dern eben wei­ter­füh­rend. Denn Türk ist zwar kein Avant­gar­dist, aber doch – trotz sei­ner geo­gra­phi­schen Rand­la­ge – als Kom­po­si­ti­ons­pro­fes­sor ein Ken­ner der Ent­wick­lun­gen und Tech­ni­ken in der Musik. Und zwar nicht nur der Musik der letz­ten Jah­re. Denn sei­ne „Sie­ben­bür­gi­sche Pas­si­ons­mu­sik“ bedient sich bei For­men und Tech­ni­ken aus eigent­lich der gan­zen abend­län­di­schen Musik­ge­schich­te. Das führt zu eini­gen eigen­ar­ti­gen und bemer­kens­wer­ten Ergeb­nis­sen, die die Ein­spie­lung mit der Meiß­ner Kan­to­rei 1961 unter Christ­fried Brö­del und mit Ursu­la Phil­ip­pi an der Orgel ein­drück­lich vor­führt.
Denn wie immer, wenn sich Bekann­tes mit Frem­dem, Ver­trau­tes mit Exo­ti­schem mischt, ent­deckt man rei­lich Neu­es und Inter­es­san­tes – in Bei­dem. Der Text bleibt ganz auf ver­trau­tem Boden, in der Musik ent­wi­ckelt der 1940 gebo­re­ne Sie­ben­bür­ge aber einen eige­nen Ton. Dabei ver­traut Türk auf die Wor­te – und zwar sehr stark. Dar­aus und damit ent­wi­ckelt er eine Musik, die sich dem Hörer unmit­tel­bar unmit­teilt. Und sie zeigt deut­lich: Hier geht es nicht dar­um, um jeden Preis außer­ge­wöhn­li­che Musik zu fin­den. Türk strebt offen­bar viel mehr danach, der Pas­si­ons­er­zäh­lung ein zeit­ge­mä­ßes musi­ka­li­sches Gewand zu geben, sie aber zual­ler­erst als Erzäh­lung zu ver­ste­hen. Und das kann dann eben auch hei­ßen, sich als Kom­po­nist extrem zurück­zu­neh­men. Auch in die­ser kon­zen­trier­ten Form, mit weni­gen Ein­wür­fen, behut­sam unter­ma­len­den Tönen der Orgel etwa gelingt es ihm ohne Wei­te­res, star­ke Kon­tras­te und nahe­ge­hen­de Stim­mun­gen zu ver­mit­teln, span­nen­de Rezi­ta­ti­ve zu schrei­ben, die natür­lich und kunst­voll zugleich wir­ken. Und vor allem hoch­gra­dig ein­fühl­sa­me, inten­siv vibrie­ren­de Cho­rä­le, die den wah­ren Kern die­ser Pas­si­ons­mu­sik bil­den.

Das ist dann in der Sum­me eine durch­aus moder­ne Musik, die ver­ständ­lich und unbe­dingt zugäng­lich auch für Nicht-Ken­ner der zeit­ge­nös­si­schen Musik ist. Und eigent­lich sogar für deren Ver­äch­ter zu ertra­gen. Gut funk­tio­nie­ren­de Kir­chen­mu­sik also.

Hans Peter Türk: Sie­ben­bür­gi­sche Pas­si­ons­mu­sik für den Kar­frei­tag nach dem Evan­ge­lis­ten Mat­thä­us für Chor, Solis­ten und Orgel. Ursu­la Phil­ip­pi, Orgel. Meiß­ner Kan­to­rei 1961, Christ­fried Brö­del. Musik­pro­duk­ti­on Dabring­haus und Grimm 2009. MDG 902 1554–6.

(geschrie­ben für die neue chor­zeit)

einmal quer durch die musikgeschichte: schütz, pergolesi und brahms im passionskonzert

Es war ein Hin und Her wie sel­ten bei den Dom­kon­zer­ten: Die Chö­re wech­sel­ten, es wur­de mit und ohne Orches­ter musi­ziert, die Solis­ten­blie­ben auch alle nicht lan­ge, selbst der Diri­gent wur­de getauscht. Und doch herrsch­te auch ganz viel Andacht im Pas­si­ons­kon­zert. Im Zen­trum stand dabei die Mat­thä­us-Pas­si­on von Hein­rich Schütz, die eigent­lich gar kei­ne Pas­si­on ist. Zumin­dest nicht im musi­ka­li­schen Sinn. Denn bei Schütz heißt die Ver­to­nung der Pas­si­ons­ge­schich­te noch His­to­rie – eine Erzäh­lung der Lei­den Chris­ti. Und die hält sich, von Ein­gangs- und Schluss­chor abge­se­hen, streng an den Text des Evan­ge­lis­ten. Ari­en und Cho­rä­le wird man hier also ver­ge­bens erwar­ten. Die Nähe zum Bibel­text führt dazu, dass gro­ße Tei­le vom Evan­ge­lis­ten und den ande­ren Solis­ten über­nom­men wer­den, der Chor mehr oder min­der auf kur­ze Ein­wür­fe beschränkt bleibt. Das soll­te aller­dings nicht zu so einer Het­ze füh­ren wie im Dom. Denn weder Mathi­as Breit­schaft noch der eigent­lich sehr soli­de Evan­ge­list Dani­el Käs­mann nah­men sich im Gleich­maß der fort­lau­fen­den Bewe­gung, des unun­ter­bro­che­nen Berich­tes Zeit für beson­de­re Momen­te, für Augen­bli­cke der Dra­ma­tik. Die sind aber auch bei Schütz durch­aus vor­han­den – man muss sich nur etwas mehr Mühe geben, sie frei­zu­le­gen. Wie das geht, weiß Breit­schaft ja durch­aus. Das stell­te er dann etwa im Schluss­chor unter Beweis: Hier hat­te er auf ein­mal Zeit für sub­ti­le Aus­deu­tung, die die Dom­kan­to­rei auch – trotz der star­ken Beset­zung – sehr deut­lich und trans­pa­rent, vor allem aber mit leich­tem Klang mit­mach­te und mit­trug.

Kars­ten Storck über­nahm das Diri­gat der ande­ren bei­den Wer­ke. Neben dem etwas blas­sen und unschein­ba­ren 13. Psalm für Frau­en­chor von Johan­nes Brahms, den der Mäd­chen­chor sehr brav sang, war das vor allem Gio­van­ni Per­go­le­sis „Sta­bat Mater“. Des­sen rei­ne Melo­dien ver­herr­li­chen im Wohl­klang sowohl der Chor­sät­ze als auch der Ari­en und Duet­te mit den bei­den schön auf­ein­an­der abge­stimm­ten Solis­tin­nen, Doro­thee Laux und Patri­cia Roach, die süße Wol­lust der Schmer­zen. Gera­de der stän­di­ge Wech­sel zwi­schen Chor und Soli gelang Storck dabei sehr schön. Denn die Chor­sät­ze ließ er immer etwas stär­ker zele­brie­ren als unbe­dingt nötig. Zusam­men mit der Inti­mi­tät der Ari­en kam das „Sta­bat Mater“ so in sei­ner gesam­ten Län­ge zu einem wohl­ge­run­de­ten Pul­sie­ren, einer ange­neh­men Mischung aus zügi­gen Tem­pi und inni­gen Momen­ten der Emp­find­sam­keit. Und dar­um geht es schließ­lich: Das Mit-Gefühl zu wecken.

(geschrie­ben für die main­zer rhein-zei­tung.)

Der Maulbronner Kammerchor: Porträt eines erfolgreichen Chores

Die ers­te Tour­nee­an­fra­ge hat­te der Chor schon, da war er noch nicht ein­mal gegrün­det. Aus­ge­rech­net in New York, im Schat­ten der Wall Street, fand der ers­te Auf­tritt statt. Ein grö­ße­rer Gegen­satz zum beschau­li­chen Maul­bronn ist kaum denk­bar. Aber der Maul­bron­ner Kam­mer­chor fiel natür­lich nicht ein­fach so vom Him­mel. Der Kir­chen­mu­sik­di­rek­tor Jür­gen Bud­day ging schon län­ger mit dem Gedan­ken schwan­ger, neben der Kan­to­rei noch einen Extra­chor auf­zu­bau­en: Ein Ensem­ble, das sich auf hohem sän­ge­ri­schem und künst­le­ri­schem Niveau vor allem der anspruchs­vol­len a‑cap­pel­la-Lite­ra­tur wid­men soll­te. Da hat­te es nur noch die rich­ti­ge Fra­ge gebraucht, das anzu­pa­cken. Und eine Kon­zert­an­fra­ge für die New Yor­ker Tri­ni­ty-Church war defi­ni­tiv rich­tig. „Das war mir einen Ver­such wert, damit ein­zu­stei­gen“, erin­nert sich Jür­gen Bud­day. „Wir haben das Pro­jekt dann erfolg­reich durch­ge­zo­gen und noch in den USA in der Grup­pe ein­hel­lig beschlos­sen, dass wir das unbe­dingt fort­füh­ren woll­ten.“
Die­se ers­te Tour­nee absol­vier­te der flugs gegrün­de­te Maul­bron­ner Kam­mer­chor 1983 noch in einer klei­ne­ren Beset­zung. 25 Sän­ger waren es damals, die Bud­day um sich schar­te: Aus sei­ner Kan­to­rei, aus dem Semi­nar, Bekann­te und Freun­de.

Eini­ge von ihnen haben nach mitt­ler­wei­le 25 Jah­ren immer noch nicht genug und sind wei­ter­hin dabei. Inzwi­schen ist der Chor aber noch ein Stück­chen gewach­sen: Gesun­gen wird in der Regel mit unge­fähr 40 Stim­men – für einen Kam­mer­chor also schon eine opu­len­te Beset­zung. Da nicht jeder der Hob­by­sän­ger bei jedem Pro­gramm dabei sein kann, gibt es unge­fähr 60 Chor­mit­glie­der.
Denn inzwi­schen neh­men vie­le Sän­ger wei­te Wege auf sich, um mit­sin­gen zu dür­fen. Gut, aus Über­see kom­men sie nicht, aber doch aus ganz Deutsch­land. Dar­aus resul­tiert auch die beson­de­re Pro­ben­tech­nik: Vor dem ers­ten Chor­wo­chen­en­de erar­bei­ten sich die Sän­ger das neue Reper­toire in soge­nann­ten Regio­pro­ben, die sie selbst orga­ni­sie­ren und lei­ten. Für den Lei­ter ist das eine fei­ne Sache: Wenn er sich das ers­te Mal mit dem Chor zum Pro­ben­wo­chen­en­de im Maul­bron­ner Semi­nar trifft, kann er sich gleich ganz der Musik wid­men. Und dar­um geht es ja schließ­lich.
Die Musik, das ist Bud­day wich­tig, ist das, was hin­ter den Noten steht. Und des­halb nutzt er die Erkennt­nis­se der his­to­ri­schen Auf­füh­rungs­pra­xis ganz selbst­ver­ständ­lich: „Das ist ein­fach ein ande­res Musi­zie­ren. Wenn man das ein­mal gemacht hat, will man nie wie­der anders auf­füh­ren. Der Klang wird viel kla­rer, durch­sich­ti­ger und beweg­li­cher.“ Und wer die Hän­del-Ora­to­ri­en der Maul­bron­ner gehört hat, weiß was das hei­ßen kann. Die­se Serie der Ora­to­ri­en ist das bis­her letz­te gro­ße Kapi­tel in der beein­dru­cken­den Erfolgs­ge­schich­te des Kam­mer­chor und inzwi­schen auch auf der chor­ei­ge­nen CD-Rei­he ver­ewigt.

Auch die – meist geist­li­chen – a‑cap­pel­la-Pro­gram­me soll­te man sich nicht ent­ge­hen las­sen. Denn zu Recht sind die Maul­bron­ner stolz auf ihren Klang (und haben ihre opu­len­te Fest­schrift auch ein­fach so über­schrie­ben: „Klang“). Ihr zar­ter Nun­an­cen­reich­tum und der enorm fokus­siert, fle­xi­ble Sound begeis­tern immer wie­der. Trotz des Über­see-Starts und der viel­fäl­ti­gen Kon­zert­rei­sen der letz­ten 25 Jah­re sind sie ihrer Hei­mat dabei immer ganz beson­ders ver­pflich­tet geblie­ben: Dem Maul­bron­ner Klos­ter. Das hat ver­schie­de­ne Grün­de. Die Auf­ga­be als Resi­denz­chor für die Klos­ter­kon­zer­te, deren Lei­tung Bud­day eben­falls inne hat, ist nur einer davon. Aber er treibt den Diri­gen­ten doch an: Adäquat muss die Musik sein, zum Raum und zur spür­ba­ren ört­li­chen Tra­di­ti­on des Weltk­url­tur­er­bes pas­sen. Der zwei­te wich­ti­ge Grund ist das Maul­bron­ner Evan­ge­li­sche Semi­nar. „Das Sin­gen gehört hier ganz selbst­ver­ständ­lich zum täg­li­chen All­tag, zum Voll­zug des Lebens ein­fach dazu.“ Und aus der Rie­ge des Semi­nar­chors kann Bud­day dann gezielt für den Kam­mer­chor rekru­tie­ren. Nach­wuchs­pro­ble­me hat der Chor so über­haupt nicht. Das erklärt auch die gesun­de Alters­struk­tur, die von 17 bis 60 Jah­ren reicht. „Es ist ganz enorm wich­tig, den Chor immer von untern her auf­zu­fri­schen. Das ist dem Klang beson­ders dien­lich. Und“, ergänzt der erfah­re­ne Diri­gent, „es ist auch eine Her­aus­for­de­rung für die eta­blier­ten Sän­ger, stimm­lich immer auf der Höhe zu blei­ben.“

Um ihn selbst geht es am wenigs­ten, wenn man mit ihm über den Kam­mer­chor spricht. Er erzählt nur von zwei Din­gen: „Sei­nen“ Sän­gern und der Musik. Doch ohne ihn ist der Maul­bron­ner Kam­mer­chor nicht zu den­ken. Nicht nur als Chor­päd­ago­ge prägt er das Ensem­ble, auch die Kon­zert­pro­gram­me tra­gen deut­lich sei­ne Hand­schrift. „Inhalt­lich strin­gen­te und klar struk­tu­rier­te Pro­gram­me, die ein gewis­ses Spek­trum eines bestimm­ten The­mas abe­de­cken und zugleich auch musi­ka­lisch-sti­lis­ti­sche Ent­wick­lun­gen zei­gen“, das hat er sich zum Ziel gesetzt. „Und mitt­ler­wei­le hat der Chor die­sen Anspruch voll über­nom­men. Die Sän­ger sind sehr bedacht auf zwin­gen­de Pro­gram­me und machen auch eige­ne Vor­schlä­ge.“ Sol­che aus­ge­klü­gel­ten the­ma­ti­schen Kon­zer­te tru­gen in den letz­ten Jah­ren Titel wie „Der Mensch lebt und bestehet“, „Du ver­wan­dels mei­ne Kla­ge in einen Rei­gen“ oder „Von Mor­gens früh … und bis zur Nacht“.

2008 stand dage­gen ganz im Zei­chen des 25-jäh­ri­gen Bestehens. Die gro­ßen Jubi­lä­ums­kon­zer­te – wie­der ein­mal quer durch Deutsch­land – hat der Chor im Mai schon absol­viert. Am 11. Juli wird es auf der Maul­bron­ner See­büh­ne aber noch eine Gesamt­schau der Hän­del-Ora­to­ri­en zu hören geben. Und am 27. Sep­tem­ber wird das Jubi­lä­ums­jahr mit zwei Auf­füh­run­gen der Bach­schen h‑moll-Mes­se end­gül­tig been­det. „Dann müs­sen wir uns auch erst ein­mal erho­len. Schließ­lich machen die Sän­ger das alle neben ihren eigent­li­chen Beru­fen.“

(geschrie­ben für die neue chor­zeit)

Seite 1 von 3

Präsentiert von WordPress & Theme erstellt von Anders Norén