Lesen. Hören. Und ein bisschen schreiben.

Schlagwort: klavierkonzert Seite 1 von 2

Tanzende Klänge

Diri­gen­ten erken­nt man an zwei Din­gen: Ihrem Umgang mit dem Klang und ihren Bewe­gungsmustern. Und meis­tens hängt das eng zusam­men. Aber sel­ten wird das so wun­der­bar hör- und sicht­bar wie bei Jonathan Nott. Der kam mit dem SWR-Sin­fonieorch­ester Baden-Baden und Freiburg als Gast zum let­zen Mainz­er Meis­terkonz­ert der Sai­son in die Rhein­gold­halle. Und was der Brite da vor­führte, war grandios: Der Diri­gent tanzt die Musik, er malt und zeich­net mit den Hän­den und Armen, zele­bri­ert und empfind­et mit dem ganzen Kör­p­er. Beethovens vierte Sin­fonie dirigiert Nott in ein­er der­ar­ti­gen Deut­lichkeit, dass man fast die Par­ti­tur danach rekon­stru­ieren kön­nte. Kein Wun­der, dass das Orch­ester entsprechend plas­tisch und beseelt spielt: Sel­ten hat die Vierte eine der­ar­tige Präsenz erfahren, sel­ten ist sie aber auch als solch rev­o­lu­tionäre Musik zu hören. Denn Nott begreift Beethoven über­haupt nicht als Klas­sik­er, son­dern immer als Neuer­er und Erfind­er. Das Pathetis­che inter­essiert ihn dabei wenig, die feingeisti­gen Klangede­tails und for­malen Beson­der­heit­en aber dafür umso mehr. Er dehnt etwa die Ein­leitung des ersten Satzes bis ins unheim­liche – und diese Ahnung des Ungewis­sen ver­liert seine Inter­pre­ta­tion dann auch in den knack­ig­sten Momenten nicht mehr.

Auch das dritte Klavierkonz­ert zeich­nete diesen Weg vor. Gemein­sam mit dem Pianis­ten Till Fell­ner zeigt das Orch­ester unter Nott mit faszinieren­der Deut­lichkeit im Detail, wie mod­ern Beethoven gele­sen wer­den kann. Sich­er, die Wiener Tra­di­tion klingt immer noch mit, ein zart-schmelzen­des Wiener­isch umwe­ht den samti­gen Klang. Aber wie Fell­ner dann den Anfang des zweit­en Satzes als ver­wun­sch­ene Märchen­stim­mung spielt, zeigt wieder, dass dies nur noch eine ferne Erin­nerung ist. Inter­es­san­ter ist für Nott und Fell­ner offen­sichtlich die Ahnung der Mod­erne, die sie in der Par­ti­tur schon ent­deck­en, die rev­o­lu­tionäre Seite des Klas­sik­ers Beethoven. Das SWR-Sin­fonieorch­ester lässt sich dabei dur­chaus auch als Beethoven-Orch­ester hören – zumin­d­est für einen Beethoven, der so mod­ern ist. Das liegt auch am Kon­text, den Nott schafft: Den ver­meintlichen Klas­sik­er Beethoven ergänzt er mit zwei Klas­sik­ern der Mod­erne, mit Alban Bergs „Lyrisch­er Suite“ von 1928 und den 1971 kom­ponierten „Melo­di­en für Orch­ester“ von Györ­gy Ligeti. Prob­lem­los wan­dert das Orch­ester zwis­chen den Epochen und Stilen hin und her: Genau­so faszinierend wie Beethovens Vierte gelin­gen auch die Lyrische Suite von Alban Berg und vor allem die „Melo­di­en“ von Ligeti. Das Orch­ester spielt die wun­der­bar gelassen, in ein­er präzisen Klarheit und Kon­turi­ertheit, die man sich öfters wün­scht: Wie ein rein­er Gebirgs­bach sprudeln und wirbeln die Klänge, deren Unter­grund und Struk­tur dabei immer kristal­lk­lar und trans­par­ent her­vorstrahlt — die Klänge tanzen, genau wie ihr Diri­gent.

(geschrieben für die Mainz­er Rhein-Zeitung.)

Taglied 2.9.2012

Brahms, 2. Klavierkonz­ert, mit Clau­dio Arrau und dem Phil­har­mo­nia Orches­tra Lon­don unter Car­lo Maria Guili­ni, 1964:


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Johannes Brahms — 2. Klavierkonz­ert B Dur op.83 — III. Andante [1/2] — Clau­dio Arrau

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Taglied 20.8.2012


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Nationalmusikerexperimente: Beethoven, Sibelius & Nielsen

Beethoven wurde erst nach seinem Tod zum urdeutschen Kom­pon­is­ten. Carl Nielsen und Jean Sibelius waren schon zu Lebzeit­en nationale Iko­nen. Beson­ders bei Sibelius wird das ganz deut­lich: Die finnis­che Regierung gab zu seinem 50. Geburt­stag die Kom­po­si­tion ein­er Sym­phonie – es wird seine fün­fte – in Auf­trag. Im 9. Sin­foniekonz­ert des Staat­sthe­aters erk­lang sie zusam­men mit der Helios-Ouvertüre von Carl Nielsen und dem vierten Klavierkonz­ert von Beethoven. Also nicht nur drei ver­schiedene National­musiken, son­dern auch Werke, die mit ihren For­men exper­i­men­tieren. Beethovens viertes Klavierkonz­ert ist genau dafür berühmt: Das es neue Möglichkeit­en des Zusam­men­spiels von konz­ertieren­dem Klavier und Orch­ester erprobt. Die Solistin in Mainz, Anna Vin­nit­skaya posi­tion­iert sich da sehr ein­deutig: Schon mit ihren ersten ein­lei­t­en­den Tak­ten, von Beethoven erst­mals dem Klavier alleine anver­traut, zeigt sie sich als über­legene Kraft. Nir­gendswo wird das so deut­lich wie im zweit­en Satz: Vin­nit­skaya spielt das Phil­har­monis­che Staat­sor­ch­ester in Grund und Boden – ganz wie der Kom­pon­ist es dachte. Und nicht etwas, weil Phil­har­monis­che Orch­ester so schlecht wäre. Nein, die Par­ti­tur ver­langt das ger­ade zu. Das wird aber nicht immer so deut­lich wie bei Anna Vin­nit­skaya. Ihre Präzi­sion auf allen Ebe­nen macht das möglich: Die genau gestufte Tonge­bung, die über­legen einge­set­zte Artiku­la­tion und ihre natür­liche Phrasierung bestechen immer wieder durch hohe Genauigkeit, die sich auch im Orch­ester­part wiederfind­et.

Denn das Phil­har­monis­che Staat­sor­ch­ester ist kurz vor der Som­mer­pause in her­vor­ra­gen­der Form. Das zeigte schon die klare Ton­sprache der Helios-Ouvertüre von Carl Nielsen am Beginn, vor allem aber die fün­fte Sym­phonie von Jean Sibelius. Er selb­st hat sie mal als eine einzige, auf den Tri­umph des Schlusses aus­gerichtete Steigerung beschrieben. Und das passt auch auf die Mainz­er Auf­führung. Denn Diri­gent Her­mann Bäumer zeigt in hörenswert­er Klarheit die Moder­nität der vor fast hun­dert Jahren ent­wor­fe­nen Musik. Das begin­nt mit der ver­schleierten Form des ersten Satzes und erstreckt sich bis in den let­zten Schlussklang. Vor allem aber wird Sibelius Fün­fte im The­ater ein klan­glich­es Fest: Von den fan­tastisch klar und ein­prägsam klin­gen­den ersten Abschnit­ten der Holzbläs­er am Beginn bis zu der grandios unge­heuer­lichen Span­nung des let­zten Satzes, die bis in den aller­let­zten Moment der irrsin­nig zer­risch­enen Schlus­sakko­rde reicht: Unter Bäumers Hän­den wird die Par­ti­tur plas­tisch und lebendig, wie ein erweck­ter Organ­is­mus, wie zu Leben gekommene Ideen und wie eine vol­lkommene Nach­bil­dung des mys­tis­chen Natur­erleb­nis, das Sibelius zu dieser Musik inspiri­erte.

(geschrieben für die Mainz­er Rhein-Zeitung.)

Meisterkonzert mit und ohne Weihnachten

Es sieht fast wie ein nor­males Meis­terkonz­ert aus: Eine kleine Haydn-Sin­fonie, dann Beethovens viertes Klavierkonz­ert und zum Abschluss ein richtig großes sin­fonis­ches Werk, die achte Sin­fonie von Schu­bert. Aber Wei­h­nacht­en macht sich auch im Meis­terkonz­ert bemerk­bar – zumin­d­est ein biss­chen: Die Sin­fonie Nr. 26 von Haydn trägt näm­lich den Beina­men „Wei­h­nachtss­in­fonie“. Das ist zwar eigentlich ein Fehler, denn Haydn hat sie als Pas­sion­s­musik kom­poniert. Aber der besinnliche zweite Satz lässt sich auch im Advent gut hören. Vor allem, wenn ihn die Deutsche Staat­sphil­har­monie Rhein­land-Pfalz unter ihrem Gast­diri­gen­ten Fab­rice Bol­lon so far­big und bild­haft musiziert wie beim vierten Meis­terkonz­ert. In der Rhein­gold­halle hat­te Bol­lon schon mit den ersten Haydn-Tak­ten die Rich­tung vorgegeben: Kräftig zupack­end formt er vor allem sehr sat­te Stre­icherk­länge und bemüht sich um deut­liche, manch­mal sog­ar grelle Far­ben. Prachtvoll und sehr repräsen­ta­tiv wirken da selb­st die andächti­gen Klänge des Mit­tel­satzes.

Ähn­lich rustikal ließ er das Lud­wigshafen­er Orch­ester dann die achte Sin­fonie von Franz Schu­bert musizieren. Die hat ihren Beina­men „Große“ zwar vor allem bekom­men, weil Schu­bert noch eine zweite, frühere C‑Dur-Sin­fonie kom­poniert hat, die ein­fach deut­lich kürz­er ist. Bei Bol­lon ist das „groß“ aber dur­chaus entschei­dend: Mächtig und wuchtig stapelt er die dick­en Akko­rde auf das felse­feste Fun­da­ment der dröh­nen­den Posaunen. Unge­heuer mas­siv wirkt da fast jed­er Ton, jede Phrase wie für die Ewigkeit. Fra­gen oder gar Zweifel find­et der Diri­gent in dieser Par­ti­tur über­haupt keine, befiehlt stattdessen felsen­feste Gewis­sheit­en. Das ist natür­lich, ger­ade im zweit­en Satz und schließlich vor allem im Scher­zo, eine uner­bit­tliche Vere­in­fachung. Eine Vere­in­fachung, die trotz ihrer Verz­er­rung klan­glich dur­chaus wirken kann, auch wenn im Finale die Kantigkeit und Schärfe dieser Klangkon­struk­tion lei­der etwas ver­loren geht.

Viel faszinieren­der blieb da Beethovens viertes Klavierkonz­ert in Erin­nerung. Denn Jas­min­ka Stan­cul spielte das wun­der­bar schnörkel­los und trock­en, mit fast heiligem Ernst. Dabei blieb das Konz­ert im Kern auch bei ihr natür­lich unverkennbar roman­tisch. Aber die zart­füh­lige Poe­sie ihrer Phrasierung ver­band sich wun­der­bar mit ihrer klaren Tonge­bung. Vor allem aber gelang der Pianistin und dem Orch­ester ein erre­gen­des Miteinan­der – und genau darauf kommt es bei diesem Konz­ert an. Zumal Bol­lon aus dem Orch­ester auch feine Klang­far­ben kitzeln kon­nte, die die Staat­sphil­har­monie in der Rhein­gold­halle nicht immer bietet. So aus­ge­wogen und bal­anciert im Hin und Her der Musik war das wirk­lich ein intellek­tuell und emo­tion­al aufre­gen­des Spiel – und ganz unab­hängig von der Jahreszeit.

(geschrieben für die Mainz­er Rhein-Zeitung.)

Russische Hits

Es ist schon selt­sam, dass Tschaikowsky eines sein­er berühmtesten Werke beina­he nicht kom­poniert hätte: Für „Romeo und Julia“, die nach dem Shake­speare-Dra­ma geformte Fan­tasie-Ouvertüre, war erst ein Anstoß von außen notwendig . Auch bei seinem bekan­ntesten Kom­po­si­tion über­haupt, seinem ersten Klavierkonz­ert, plagten den skrupulösen Tschaikowsky lange die Selb­stzweifel.

Zu hören ist davon aber nichts mehr. Auch beim ersten Mainz­er Meis­terkonz­ert in der Rhein­gold­halle nicht.
Denn die Koblenz­er Rheinis­che Phil­har­monie unter Daniel Raiskin bevorzugt im ganzen Konz­ert, das neben den bei­den Tschaikowsky – jedes für sich schon ein absoluter Pub­likums­maget – auch noch Liszts zweite Ungarische Rhap­sodie in ein­er Orch­ester-Bear­beitung und Sergei Rach­mani­nows „Pagani­ni-Rhap­sodie“ für Klavier und Orch­ester ver­sam­melte, ein ziem­lich robustes Musizieren. Die vie­len raf­finierten Fein­heit­en der „Romeo und Julia“-Ouvertüre sind dadurch kaum zu hören. Vor allem aber fehlen sowohl Span­nung als auch Frische, durch die diese abge­spielte Ouvertüre wieder lebendig würde. Aber trotz der nicht per­fek­ten Wieder­gabe wirkt sie natür­lich immer noch: Wahre Meis­ter­w­erke sind schw­er zu zer­stören.

Den Sta­tus des über­stra­pazierten Meis­ter­w­erkes kann auch das b‑Moll-Konz­ert prob­lem­los beanspruchen. Und auch hier stellt sich immer wieder die Frage: Haben Pianist und Diri­gent noch etwas zu sagen? Beim Meis­terkonz­ert ist das schnell beant­wortet: Ja, unbe­d­ingt. Vor allem der Pianist Kon­stan­tin Scherbakov beweist sich hier meis­ter­haft. Weil er unge­mein viel kann: Nicht nur den in diesem Schlachtross unver­mei­dlichen The­a­ter­don­ner – das absolviert er bravourös, aber schein­bar ohne innere Beteili­gung. Viel deut­lich­er kom­men seine immensen Fähigkeit­en in den ver­meintlichen Neben­säch­lichkeit­en zu tra­gen: Wie er mit­ten im wildesten vir­tu­osen Getüm­mel noch fein­ste Nuna­cen der Weich­heit und Abrun­dung her­vorza­ubert – das ver­rät wahre Größe.

Und er nimmt dem Konz­ert damit viel von sein­er ober­fläch­lichen Tri­umph-Geste. Hier sind das ver­sponnene Herb­st-Nebel, die nur hin und wieder aufreißen und die strahlen­den Reste der gleißen­den Som­mer­son­ne hin­durch lassen. Und einige kräftig Wind­stöße sor­gen in dieser ver­wun­sch­enen Traum­land­schaft, die wie eine Feen­welt erscheint, für Durch­blick und die Rück­kehr in die Real­ität. Viele Dop­peldeutigkeit­en der Par­ti­tur wer­den so wun­der­bar klar, aus ihnen entwick­elt Scherbakov drama­tis­chen Impulse und eine Vielschichtigkeit, die die intellek­tuelle Neuent­deck­ung der ver­steck­ten Andeu­tu­gen und Kleinigkeit­en dieser schein­bar so über­aus bekan­nten Musik über ihre Emo­tion­al­ität hin­aus hebt. Schade nur, dass Raiskin mit der Rheinis­chen Phil­har­monie nicht genau­so sub­til und frag­il begleit­en kann. Aber im Finale find­en sie dann doch noch zusam­men, in ein­er schö­nen Form der vehe­menten Klarheit – und der absoluten Begeis­terung für Tschaikowskys Musik. Und die teilt auch das Pub­likum mit ihnen.

(geschrieben für die Mainz­er Rhein-Zeitung.)

Meisterhafte Meisterwerke im Meisterkonzert

Sel­ten war wohl eine Konz­ert­pause so notwendig wie bei diesem Meistkonz­ert. Denn nicht nur waren in der Rhein­gold­halle größere Umbaut­en auf der Bühne und das Nach­stim­men des Flügels notwendig. Nein, vor allem waren das eigentlich zwei eigene Konz­erte, die von der Staat­sphil­har­monie Rhein­land-Pfalz unter Karl-Heinz Stef­fens hier im Dop­pel­pack ange­boten wur­den.

Zunächst also zwei Bal­lett-Musiken: Mit dem Klas­sik­er „Prélude de l’après-midi d’un faune” von Claude Debussy eröffnete das Lud­wigshafen­er Orch­ester der Abend. Diri­gent Stef­fens wählte einen vor­sichti­gen, zurückgenom­men Zugang: Zart ent­fal­tet sich schon das ini­tiale Flö­ten­the­ma, und sacht, manch­mal etwas stock­end, dann aber wieder deut­lich treibend entwick­elt er die impres­sion­is­tis­che Klangschilderung sehr behut­sam. Als Fort­set­zung der Entwick­lung der mod­er­nen Bal­lettmusik sehr logisch fol­gte dieser Naturidylle Bela Bartóks Musik für die Tanz­pan­tomine „Der wun­der­bare Man­darin”. Die ließ Stef­fens deut­lich offen­er und fordernd-drägned­er musizieren – anderes wäre bei dieser Musik auch wider­natür­lich.

Grandios wurde es in der Rhein­gold­halle aber erst nach der Pause. Ent­ge­gen den üblichen Konz­ert­ge­wohn­heit­en kam das Solis­tenkonz­ert näm­lich zum Schluss – mit gutem Grund. Zum einen ist Brahms’ B‑Dur-Klavierkonz­ert mit unge­fähr 45 Minuten schon recht lang. Zum anderen kann man danach kaum noch sin­nvoll andere Musik machen. Zumin­d­est, wenn man es so wie Antti Siirala spielt, mit vollem Ein­satz, auf Leben und Tod qua­si. Da passt dann auch keine Zugabe mehr, obwohl der Saal danach gierte. Aber das war die richtige Entschei­dung – alles hätte den Ein­druck dieser großen Inter­pre­ta­tion höch­stens geschmälert. Denn Siirala und Stef­fens fan­den hier wun­der­bare Wege, die gesamte Vielfalt des Konz­ertes voll auszuschöpfen. Sie weigerten sich ein­fach – und sehr kon­se­quent -, sich auf einen einzi­gen Stan­dort zu begeben. Ständig wech­sel­ten sie die Per­spek­tive, zoomten von großen Gesten bis in fein­ste Details

Siirala kann sich diese unge­heure Vielgestaltigkeit leis­ten, weil er als Pianist viel­seit­ig genug ist. Sein kerniges, deut­lich akzen­tu­iertes Spiel kann phasen­weise auch ganz weich und san­ft tönen. Immer bleibt er aber aus­ge­sprochen agil – nicht ohne Grund sitzt er wie sprung­bere­it nur auf der vorder­sten Kante sein­er Klavier­bank. Und diese konzen­tri­erte Aufmerk­samkeit für alle Aspek­te der Par­ti­tur ermöglicht zwar nicht immer völ­lig schlüs­sige Entwick­lun­gen, aber auf jeden Fall eine Fülle faszinieren­der Momente, und genial span­nend erscheinen­der Pas­sagen – die dann selb­st den Diri­gen­ten immer wieder ganz verblüfft zu seinem Pianis­ten blick­en lassen.

(geschrieben für die Mainz­er Rhein-Zeitung.)

 

Zufriedene Majestäten: Beethoven und Rachmaninow

Es sieht reich­lich selt­sam aus, was für einen kuriosen Tanz Hände und Arme von Yakov Kreizberg da auf­führen. Aber es funk­tion­iert: Der Diri­gent hat das SWR Sin­fonieorch­ester Baden-Baden und Freiburg beim Meis­terkonz­ert in der Rhein­gold­halle in jedem Moment fest im Griff – auch wenn seine Schlagtech­nik das nicht unbe­d­ingt ver­rät.

Mit riesi­gen, weit aus­holen­den Bewe­gun­gen schwingt der Diri­gent seinen extralan­gen Stab und ste­ht dann kurz darauf minuten­lang fast wie einge­froren und steuert die Orch­ester­musik­er mit winzig­sten Bewe­gun­gen zweier Fin­ger der linken Hand. Dabei hat er allerd­ings auch Unter­stützung: Kir­ill Ger­stein am Klavier gibt im fün­ften Klavierkonz­ert von Lud­wig van Beethoven gerne auch den einen oder anderen Impuls. Über­haupt ergänzen die bei­den sich hier sehr angenehm: Diri­gent und Pianist bevorzu­gen für das let­zte Klavierkonz­ert Beethovens, das vor fast genau 200 Jahren uraufge­führt wurde, eine weich abgerun­dete, har­monisch aus­ge­füllte Lesart, die garantiert nir­gend­wo aneckt.

Run­dum satt und zufrieden tönt der doch oft so rebel­lis­che Beethoven hier, ertrinkt fast in der Har­monie, Ein­tra­cht und Schön­heit dieser Musik. Ger­stein spielt das sehr sauber und immer mit unauf­dringlich­er, fast ver­steck­ter Bril­lanz. Dabei ver­birgt er sich und auch die meis­ten Akzente seines Parts hin­ter weichem Eben­maß. Die Musik, die da in der Rhein­gold­halle erklingt, ist nicht von dieser Welt – sie küm­mert sich aber auch gar nicht darum, sie ist mit sich selb­st und ihrer reinen Schön­heit schon mehr als zufrieden.
Auch das Orch­ester lässt sich da nicht lange bit­ten und schme­ichelt auf allen Ebe­nen. So richtig drehen die Musik­er des SWR-Orch­esters aber erst bei Sergej Rach­mani­nows zweit­er Sin­fonie auf
Auch die wiederum keine im eigentlichen Sinne span­nende oder anre­gende Musik.

Denn Kreizberg bleibt sein­er Meth­ode – und seinem Dirigier­stil – treu: Mit gle­ichzeit­ig eck­i­gen und san­ft wogen­den Bewe­gun­gen lässt er die Sin­fonie zugle­ich fed­er­le­icht schweben und erwartungsvoll vib­ri­eren. Das tost und dröh­nt oft ganz gewaltig, schwellt immer wieder wun­der­bar auf und ab – denn wenn Kreizberg etwas kann, dann ist es das geschick­teste Phrasieren: Nie kommt die Musik zur Ruhe, nie erschöpft sich sein Drang zum ewigen Weit­er. Das ebnet die mon­u­men­tale Sin­fonie allerd­ings auch hin und wieder ein biss­chen ein – alles liegt sozusagen gle­icher­maßen auf dem Weg, der immer weit­er vor­wärts führt und nie ankommt. Aber dieser Weg ist ein unbe­d­ingt schön­er, ein Reigen selig­ster Melo­di­enkun­st in pur­er Präsenz. Und das klingt großar­tig – auch wenn es manch­mal selt­sam anzuschauen ist.

(geschrieben für die Mainz­er Rhein-Zeitung.)

Schön langweilig: Beethoven & Rachmaninov

Es sieht reich­lich selt­sam aus, was für einen kuriosen Tanz Hände und Arme von Yakov Kreizberg da auf­führen. Aber es funk­tion­iert: Der Diri­gent hat das SWR Sin­fonieorch­ester Baden-Baden und Freiburg beim Meis­terkonz­ert in der Rhein­gold­halle in jedem Moment fest im Griff – auch wenn seine Schlagtech­nik das nicht unbe­d­ingt ver­rät.

Mit riesi­gen, weit aus­holen­den Bewe­gun­gen schwingt der Diri­gent seinen extralan­gen Stab und ste­ht dann kurz darauf minuten­lang fast wie einge­froren und steuert die Orch­ester­musik­er mit winzig­sten Bewe­gun­gen zweier Fin­ger der linken Hand. Dabei hat er allerd­ings auch Unter­stützung: Kir­ill Ger­stein am Klavier gibt im fün­ften Klavierkonz­ert von Lud­wig van Beethoven gerne auch den einen oder anderen Impuls. Über­haupt ergänzen die bei­den sich hier sehr angenehm: Diri­gent und Pianist bevorzu­gen für das let­zte Klavierkonz­ert Beethovens, das vor fast genau 200 Jahren uraufge­führt wurde, eine weich abgerun­dete, har­monisch aus­ge­füllte Lesart, die garantiert nir­gend­wo aneckt.

Run­dum satt und zufrieden tönt der doch oft so rebel­lis­che Beethoven hier, ertrinkt fast in der Har­monie, Ein­tra­cht und Schön­heit dieser Musik. Ger­stein spielt das sehr sauber und immer mit unauf­dringlich­er, fast ver­steck­ter Bril­lanz. Dabei ver­birgt er sich und auch die meis­ten Akzente seines Parts hin­ter weichem Eben­maß. Die Musik, die da in der Rhein­gold­halle erklingt, ist nicht von dieser Welt – sie küm­mert sich aber auch gar nicht darum, sie ist mit sich selb­st und ihrer reinen Schön­heit schon mehr als zufrieden.

Auch das Orch­ester lässt sich da nicht lange bit­ten und schme­ichelt auf allen Ebe­nen. So richtig drehen die Musik­er des SWR-Orch­esters aber erst bei Sergej Rach­mani­nows zweit­er Sin­fonie auf. Auch die ist wiederum keine im eigentlichen Sinne span­nende oder anre­gende Musik. Denn Kreizberg bleibt sein­er Meth­ode – und seinem Dirigier­stil – treu: Mit gle­ichzeit­ig eck­i­gen und san­ft wogen­den Bewe­gun­gen lässt er die Sin­fonie zugle­ich fed­er­le­icht schweben und erwartungsvoll vib­ri­eren. Das tost und dröh­nt oft ganz gewaltig, schwellt immer wieder wun­der­bar auf und ab – denn wenn Kreizberg etwas kann, dann ist es das geschick­teste Phrasieren: Nie kommt die Musik zur Ruhe, nie erschöpft sich sein Drang zum ewigen Weit­er. Das ebnet die mon­u­men­tale Sin­fonie allerd­ings auch hin und wieder ein biss­chen ein – alles liegt sozusagen gle­icher­maßen auf dem Weg, der immer weit­er vor­wärts führt und nie ankommt. Aber dieser Weg ist ein unbe­d­ingt schön­er, ein Reigen selig­ster Melo­di­enkun­st in pur­er Präsenz. Und das klingt großar­tig – auch wenn es manch­mal selt­sam anzuschauen ist.

(geschrieben für die Mainz­er Rhein-Zeitung.)

klavierkunst für eine bessere welt

 

Er scheint ein ganz nor­maler junger Pianist zu sein, so wie er in Jeans und schwarzem Hemd auf die Bühne des Frank­furter Hofes kommt. Aber in Kai Schu­mach­er steckt mehr. Denn wer „The Peo­ple Unit­ed Will Nev­er Be Defeat­ed“ aufn­immt (für das Mainz­er Label Wer­go) und auch noch live spielt, der muss etwa Beson­deres sein. Schließlich ist Fred­er­ic Rzewskis riesiger Vari­a­tio­nen­zyk­lus nicht irgend ein Werk.

Zum einen sind da die tech­nis­chen Schwierigkeit­en: In diesen gut sechzig Minuten ist eine Menge ver­packt – rasende Läufe, don­nernde Akko­rde, wilde Sprünge, bru­tale Laut­stärke und sub­tile Fein­heit­en wech­seln ständig. Und die musikalis­chen Anforderun­gen sind auch nicht ger­ing: Diese 36 Vari­a­tio­nen erfordern viel Gestal­tungskraft, viel Über­sicht und gle­ichzeit­ig enorme Konzen­tra­tion im Detail.

Es geht aber noch weit­er: Wer diese Musik spielt, bezieht immer auch irgend eine poli­tis­che Posi­tion. Schließlich ist das Musik, die etwas verän­dern will. Denn Rzews­ki hat nicht irgend eine Melodie als Grund­lage genom­men, son­dern das chilenis­che „El pueblo unido jamás será ven­ci­do“, das Anfang der 1970er Jahre zum musikalis­chen Sym­bol des Wider­stands gegen Pinochet wurde.

Kai Schu­mach­er macht das im Frank­furter Hof überdeut­lich, er lässt näm­lich erst ein­mal das Orig­i­nal ein­spie­len – gle­ich ein erster Gänse­haut-Moment. Davon wird es noch eine ganze Menge geben. Denn was Rzews­ki kom­poniert hat, das ist nicht nur hochvir­tu­os und vielfältig, arti­fiziell und natür­lich zugle­ich. Son­dern auch so voller Ideen, Stile, Anklänge, dass es unge­heuer viel zu ent­deck­en gibt. Und Kai Schu­mach­er scheint das alles im Blick zu haben. Seine Inter­pre­ta­tion dieses auf­grund sein­er hohen Schwierigkeit nahezu nie gespiel­ten Werkes ist ger­ade dadurch aus­geze­ich­net, die kun­stvolle Gestalt der Musik beson­ders in den Fokus zu holen.

Ander­er­seits ver­liert der Zyk­lus dadurch an Schärfe – und auch die Gewis­sheit, dass das geeinte Volk wirk­lich niemals besiegt wer­den wird. Vielle­icht ist das zwangsläu­fig so, die welt­geschichtliche Entwick­lung seit 1975, als Rzews­ki das Mam­mutwerk kom­ponierte, ist ja keine reine Erfol­gs­geschichte der Befreiung unter­drück­ter Völk­er. Ger­ade diese Span­nung zwis­chen Opti­mis­mus und dem Bewusst­sein um Nieder­lage und Unter­drück­ung auf der anderen Seite führt Schu­mach­er immer wieder ganz beson­ders her­vor.

So real­isiert er mit elastis­chem Ton, mit fed­ern­der Kraft ein sehr offenes Kunst­werk: Das hier ist eine Auf­führung, die ger­ade die stilis­tis­che Vielfalt der Vari­a­tio­nen, von den ana­lytisch die Melodie zer­split­tern­den Sätzen über vir­tu­ose Tas­ten­don­ner­mo­mente bis zu Jazz- und Blues-Impres­sio­nen, beson­ders deut­lich macht. Diese Kon­traste arbeit­et Schu­mach­er sehr stark her­aus – und ist doch immer wieder dann beson­ders überzeu­gend, wenn er sich ganz in die Musik versenken kann, wenn die zarten und zer­brech­lichen Momente auch ihn selb­st neu ergreifen und berühren.

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