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Schlagwort: kai schumacher

Metal und Techno — auf dem Klavier

Der Pianist kauert über der Tas­tatur, greift in die Seit­en und die Tas­ten gle­ichzeit­ig, nimmt nach Bedarf auch noch ein kleines Toy Piano oder Gitar­ren-Plek­tren zur Hil­fe. Sein Kol­lege, der den zweit­en Teil des Abends bestre­it­et, tanzt vor und mit dem Flügel: Auf der Klavier­bank hält es ihn sel­ten, er springt immer wieder auf, seine Beine zuck­en im Takt, sein ganz­er Kör­p­er will mit dem Instru­ment ver­schmelzen und zugle­ich weg vom Flügel auf die Tanzfläche.
Kein Wun­der, was Kai Schu­mach­er und Francesco Tris­tano hier machen, hat mit einem herkömm­lichen Klavier­abend nichts mehr gemein. Das soll es ja auch nicht, schließlich ist das der Clas­s­ic­Clash, den SWR und Vil­la Musi­ca im Frank­furter Hof zum drit­ten Mal aus­richtet. Da geht es ja ger­ade darum, kein nor­males Klavierkonz­ert zu ver­anstal­ten. Und das ist beim drit­ten Abend der Clas­s­ic­Clash-Rei­he ohne Zweifel gelun­gen.

Kai Schu­mach­er, der den Abend eröffnet, spielt Rock und Met­al. Und er spielt wirk­lich damit: Manch­mal macht er aus hartem Met­al klas­sis­che beziehungsweise roman­tis­che Tran­skrip­tion und Vari­a­tio­nen, manch­mal treibt er sich zwis­chen ver­sponnenen Nir­vana-Bal­laden, Soundgar­den-Songs und Foo-Fight­er-Hits durch die Rock- und Met­algeschichte der Neun­ziger. Die Orig­i­nale muss man nicht erken­nen oder wieder­erken­nen, um Schu­mach­ers Spiel zu goutieren und zu genießen. Im Zweifelfall ist davon sowieso nicht mehr viel übrig – manch­mal die Melodie, die Akko­rd­fol­gen, manch­mal aber auch Struk­turen und For­men.

Noch ein­mal ein Stück weit­er weg von nor­malen Konz­ert­be­trieb bewegt sich Francesco Tris­tano herum. Eigentlich präsen­tiert er eine ziem­lich waschechte Tech­noses­sion mit Flügel statt Turntable — nur ein kleines Bux­te­hude-Zitat kurz vor Schluss darf man als Ref­erenz an den klas­sis­chen Klavier­abend zählen. Im Gegen­satz dazu ste­ht auch die kräftige Unter­stützung des Com­put­ers, der er sich ver­sichert. Was er da vor­bere­it­et hat, bringt die Anlage des Frank­furter Hofs gerne mal zum Schep­pern und Dröh­nen.

Die besten Momente entste­hen aber genau dann, wenn er sich nicht auf die Elek­tron­ik ver­lässt, son­dern auf seine eigene Tech­nik. Er kann näm­lich auch nur mit dem Flügel einen vrituellen Dance­floor auf­s­pan­nen — fast nur mit dem Klavier, denn ganz unbear­beit­et lässt er den Klang eigentlich nie. Dann häm­mert er minuten­lang die sel­ben Motive, baut erre­gende Basslines, ver­schiebt das Ganze ständig hin und her – denn Still­stand ist ein Konzept, das Tris­tano höchst fremd und frag­würdig erscheint: Immer drängt es ihn zu neuen Klän­gen. Faszinierend vor allem die Übergänge, die Ver­schiebun­gen, die er dabei pro­duziert. Nur ein Prob­lem bleibt: Was macht der Tech­no jet­zt im Konz­ert­saal? Tanz­musik sitzend bloß zu hören, ist immer etwas selt­sam, das wird hier ganz deut­lich. Denn das im eigentliche Sinn musikalis­che Mate­r­i­al ist eher ein­fach und über­schaubar. Ander­er­seits stört das weniger, denn als Tech­no funk­tion­iert das aus­geze­ich­net – oder würde es, wenn es im Club statt im Konz­ert­saal passierte.

(geschrieben für die mainz­er rhein-zeitung.)

Klassik im Klub

Ein Flügel mit­ten im Roxy, zwis­chen den Sofas unter Lüstern – das ver­wan­delt den Club fast in einen großbürg­er­lichen Salon des 19. Jahrhun­derts. Nicht nur der Raum ver­weist auf diese längst unterge­gan­gene Form der gesel­lig-kul­turellen Unter­hal­tung. Auch die Musik, die der Pianist Kai Schu­mach­er sich aus­ge­sucht hat, passt in diese Tra­di­tion: Vor­wiegend kleinere, charak­ter­is­tis­che Stücke hat er aufs Pro­gramm geset­zt – keine schw­erver­dauliche klas­sis­che Kost, son­dern char­mante Musik, die auch Nicht-Experten goutieren kön­nen.

Auch das Pub­likum ver­hält sich automa­tisch viel lock­er­er als im „nor­malen“ Konz­ert: Zwan­g­los im Club verteilt, wo sich ger­ade ein Plätzchen zum Sitzen find­et. Viel geplaud­ert wird auch in diesem post­mod­er­nen Salon. Und dann doch ganz aufmerk­sam gelauscht. Denn das Ziel des Vere­ins der „Fre­unde Junger Musik­er“, die das Klavierkonz­ert im Roxy organ­isierten, war nicht, den Salon wieder zu beleben. Son­dern ein neues, jün­geres Pub­likum für die Klavier­musik zu erschließen und begeis­tern. Halb­wegs kön­nte das funk­tion­iert haben, immer­hin waren – neben dem üblichen Konz­ert­pub­likum — auch eine Menge junge Leute gekom­men. Ob das dauer­haft wirkt, wird man sehen müssen. Auf jeden Fall ist so ein deut­lich ver­jüngtes Pub­likum offen­sichtlich wesentlich begeis­terungs­fähiger, so offen­sive Beifalls­bekun­dun­gen sind son­st eher sel­ten.

Nicht ganz zu unrecht allerd­ings haben sie im Roxy ihren Platz. Kai Schu­mach­er hat nicht nur ein her­vor­ra­gen­des Pro­gramm entwick­elt, son­dern ist auch als Musik­er so viel­seit­ig, dass er beispiel­sweise prob­lem­los zwis­chen George Gersh­win und Felix Mendelssohn Bartholdy hin und her wech­seln kann: Er begann mit ein­er kleinen Auswahl der Mendelssohn­schen „Lieder ohne Worte“, durch­set­zt mit Songs und Pre­ludes von Gersh­win. Und streute in diese far­big gespielte Mis­chung dann auch noch ein paar pianis­tisch-vir­tu­ose Bear­beitun­gen von Rock­songs ein, die sein­er Vir­tu­osität viel Raum lassen. Und sein Faible für Rock blitzt immer wieder auf – bis zulet­zt: Als Zugaben spielt er Songs von den Foo Fight­ers und von Slay­er. Auch wenn man das fast gesagt bekom­men muss: Das ist ganz stark der Tra­di­tion der vir­tu­osen Klavier­bear­beitung des 19. Jahrhun­derts verpflichtet, so dass die Schu­mach­er­schen Adap­tio­nen sich naht­los ins klas­sis­che Rper­toire ein­fü­gen. Auch wenn er sehr kraftvoll don­nern kann, selb­st mit dem kleinen Flügel im Roxy. Und damit ist er auch schon wieder direkt bei Franz Liszt, der auch mehrmals im Pro­gramm auf­taucht – es hängt eben alles zusam­men.

Aber auch andere Pfade in die Gegen­wart steuert Schu­mach­er an. Zum Beispiel mit ein­er Min­i­mal-Music-Sec­tion, die – wieder ein­mal – bei Liszt anfängt, den eher unbekan­nten med­i­ta­tiv-repet­i­tiv­en „Nuages gris“, und über Erik Satie bis zu Philipp Glass führt, den Schu­mach­er mit ein­er sehr lebendig-sprühen­den Inter­pre­ta­tion des „Mad Rush“ vorstellt. Nicht nur hier, immer wieder merkt man: Nicht allein das Roxy hat seinen Spaß, auch Kai Schu­mach­er freut sich von Herzen an sein­er Musik. Und das ist immer ein gutes Zeichen.

(geschrieben für die Mainz­er Rhein-Zeitung.)

klavierkunst für eine bessere welt

 

Er scheint ein ganz nor­maler junger Pianist zu sein, so wie er in Jeans und schwarzem Hemd auf die Bühne des Frank­furter Hofes kommt. Aber in Kai Schu­mach­er steckt mehr. Denn wer „The Peo­ple Unit­ed Will Nev­er Be Defeat­ed“ aufn­immt (für das Mainz­er Label Wer­go) und auch noch live spielt, der muss etwa Beson­deres sein. Schließlich ist Fred­er­ic Rzewskis riesiger Vari­a­tio­nen­zyk­lus nicht irgend ein Werk.

Zum einen sind da die tech­nis­chen Schwierigkeit­en: In diesen gut sechzig Minuten ist eine Menge ver­packt – rasende Läufe, don­nernde Akko­rde, wilde Sprünge, bru­tale Laut­stärke und sub­tile Fein­heit­en wech­seln ständig. Und die musikalis­chen Anforderun­gen sind auch nicht ger­ing: Diese 36 Vari­a­tio­nen erfordern viel Gestal­tungskraft, viel Über­sicht und gle­ichzeit­ig enorme Konzen­tra­tion im Detail.

Es geht aber noch weit­er: Wer diese Musik spielt, bezieht immer auch irgend eine poli­tis­che Posi­tion. Schließlich ist das Musik, die etwas verän­dern will. Denn Rzews­ki hat nicht irgend eine Melodie als Grund­lage genom­men, son­dern das chilenis­che „El pueblo unido jamás será ven­ci­do“, das Anfang der 1970er Jahre zum musikalis­chen Sym­bol des Wider­stands gegen Pinochet wurde.

Kai Schu­mach­er macht das im Frank­furter Hof überdeut­lich, er lässt näm­lich erst ein­mal das Orig­i­nal ein­spie­len – gle­ich ein erster Gänse­haut-Moment. Davon wird es noch eine ganze Menge geben. Denn was Rzews­ki kom­poniert hat, das ist nicht nur hochvir­tu­os und vielfältig, arti­fiziell und natür­lich zugle­ich. Son­dern auch so voller Ideen, Stile, Anklänge, dass es unge­heuer viel zu ent­deck­en gibt. Und Kai Schu­mach­er scheint das alles im Blick zu haben. Seine Inter­pre­ta­tion dieses auf­grund sein­er hohen Schwierigkeit nahezu nie gespiel­ten Werkes ist ger­ade dadurch aus­geze­ich­net, die kun­stvolle Gestalt der Musik beson­ders in den Fokus zu holen.

Ander­er­seits ver­liert der Zyk­lus dadurch an Schärfe – und auch die Gewis­sheit, dass das geeinte Volk wirk­lich niemals besiegt wer­den wird. Vielle­icht ist das zwangsläu­fig so, die welt­geschichtliche Entwick­lung seit 1975, als Rzews­ki das Mam­mutwerk kom­ponierte, ist ja keine reine Erfol­gs­geschichte der Befreiung unter­drück­ter Völk­er. Ger­ade diese Span­nung zwis­chen Opti­mis­mus und dem Bewusst­sein um Nieder­lage und Unter­drück­ung auf der anderen Seite führt Schu­mach­er immer wieder ganz beson­ders her­vor.

So real­isiert er mit elastis­chem Ton, mit fed­ern­der Kraft ein sehr offenes Kunst­werk: Das hier ist eine Auf­führung, die ger­ade die stilis­tis­che Vielfalt der Vari­a­tio­nen, von den ana­lytisch die Melodie zer­split­tern­den Sätzen über vir­tu­ose Tas­ten­don­ner­mo­mente bis zu Jazz- und Blues-Impres­sio­nen, beson­ders deut­lich macht. Diese Kon­traste arbeit­et Schu­mach­er sehr stark her­aus – und ist doch immer wieder dann beson­ders überzeu­gend, wenn er sich ganz in die Musik versenken kann, wenn die zarten und zer­brech­lichen Momente auch ihn selb­st neu ergreifen und berühren.

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