Eigentlich hätte auf der Eintrittskarte ein Warnhinweis stehen müssen. Der Jazzminister warnt: Der Genuss dieser Musik verändert ihr Jazz-Bewusstsein. Denn was Jazztoday jetzt im Frankfurter Hof präsentierte, hat mit traditionellem Jazz ungefähr noch so viel zu tun wie ein moderner Synthesizer mit einem ehrwürdigen Konzertflügel – wenig, sehr wenig sogar. Aber das macht ja nichts. So lange es Spaß macht. Und genau dafür ist Esperanza Spalding mit ihrem Trio zum ersten Mal aus Amerika nach Deutschland gekommen.
Spalding ist eine junge Musikerin, die sich nicht zwischen dem Singen und dem Bass entscheiden kann – und deshalb einfach beides macht. Und mit Erfolg: ihre steile Karriere führte sie im Februar bis ins Weiße Haus. Und jetzt nach Mainz. Da machte sie schon mit dem Opener klar, wohin die Tour geht: „Jazz ain’t nothin’ but soul“. Sofort ist die Band mitten im Groove, Otis Brown am Schlagzeug wirkt dabei stellenweise wie ein Drumcomputer. Und während Esperanza Spalding mit flinken Fingern ihren funky Bass wirbeln lässt und dazu noch gleichzeitig locker die Stimmbänder im Scatgesang tanzen lässt, zeigt vor allem Pianist Leo Genovese – auch mit der Melodica – seine verspielte Seite. Denn egal ob es Jazzstandards oder etwa Wayne Shortes “Endangered Species” sind: Das Quartett mach sich alles zu eigen, addiert seine voll gepfropften Arrangements, die nur ein Ziel kennen: Das Ergebnis muss Spaß machen. Und da kommen sie immer an, bis zur Pause ist kompromisslos gute Laune angesagt.
Triband kündigte sich danach dann selbst mit „ihr Kontrastprogramm für heute abend“ an. Und das war nicht übertrieben – jetzt war Schluss mit lustiger Spaßmusik. Das deutsche Quartett ist ja schon einige Jahre unterwegs und hat in der Zeit ihre Musik noch verfeinert: Zu einer wahren Feier der Subtilität mit Hang zur nachdenklicher Melancholität. Aber nicht resignierend, sondern die Wirklichkeit einfach umarmend: Gefühlslagen des Individuums nach der Postmoderne besingen sie in Songs wie „Somebody else“. Und mit echten Live-Qualitäten. Am deutlichsten wurde das in „Where did all the love go“ oder dem grandiosen „Dizzy Day“ am Schluss des Abends. Etwas Pop ist in dieser Mischung, natürlich steuert auch die Jazzgeschichte einige Ingredienzen bei, der Funk ist auch nicht spurlos an ihnen vorürber gegangen. Aber die Klangtüftler, die so ganz in ihrer Musik aufgehen, bauen daraus etwas Eigenes: Sandie Wollasch singt immer klar und minimal verspielt. Der Bassist Paucker – wie Sebastian Studnitzky ein echter Multiinstrumentalist (auch so eine Grenzüberschreitung …) gibt sich mit jeder Faser des hageren Körpers der Musik hin, tanzt um und mit Bass und Analog-Synthesizer, während Tommy Baldu die brodelnden Rhythmen zum Tanzen bringt. Und dieses Gebräu ist so wirkungsvoll, dass es auch das anfangs nur zurückhaltend reagierende Mainzer Publikum in seinen Bann zieht.
(geschrieben für die mainzer rhein-zeitung.)
Schreibe einen Kommentar