Er wurde, sonst ein gar lebenskräftiger jovialer mann, sehr nachdenklich, und wie ich es gar nicht erwartet hatte, sprach er: “In alter Zeit hatten wir einen frommen schlichten Glauben, wir erkannten das Jenseits, aber auch die Blödigkeit unserer Sinne, dann kam die Aufklärung, die alles so klar machte, dass man vor lauter Klarheit nichts sah, un sich am nächsten Baume im Walde die Nase stieß, jetzt soll das Jenseits erfasst werden mit hinübergestreckten Armen von Fleisch und Bein.”
— E. T. A. Hoffmann, Ein Fragment aus dem Leben dreier Freunde, zitiert nach Harald Neumeyer (Hrsg.), Gespenster. Berlin: Secession 2019 (Handliche Bibliothek der Romantik, 1), S 97f.
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Wir sind auf einer Mission: zur Bildung der Erde sind wir berufen.
— Novalis, aus der Sammlung Blütenstaub
(Novalis ist heute vor 242 Jahren geboren worden.)
“The Art Song Project” ist eine wunderbare Idee, die ich jedem (Kunst-)Lied-Liebhaber nur ans Herz legen kann. Dort findet man wirkliche Raritäten und Kostbarkeiten — es macht immer wieder Freude, dort zu stöbern und zum Beispiel so etwas zu finden wie Anton Rubinsteins “Du bist wie eine Blume” oder Lars Erik Larssons “För vilsna fötter sjunger gräset” (die sich hier leider nicht vernünftig einbinden lassen und deshalb “nur” verlinkt sind).
Von Ferne tönen sie schon vor dem Beginn, die Hörner. Sie solle heute, im 7. Meisterkonzert, eine besondere Rolle spielen. „Die Romantiker“ ist das Konzert mit der Deutschen Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz unter Karl-Heinz Steffens betitelt. Und da gehören Hörner unbedingt dazu – schließlich ist das Horn neben der Harfe wohl eines der romantischen Instrumente überhaupt. Sie sind das, auch wenn das zweite Hornkonzert von Richard Strauss natürlich m engeren Sinne nicht mehr zur eigentlichen Romantik gehört: Die Uraufführung des druckfrischen Werkes fand 1943 statt und sei „ganz nett ausgefallen“, wie der Komponist anmerkte.
Nun ist „nett“ meistens kein besonders wohlwollendes ästhetisches Urteil. Aber es trifft doch sehr gut, was Strauss hier geschrieben hat. Und der Hornist Stefan Dohr steigt gleich mit den ersten Tönen voll ein. Mit viel Einsatz lässt er alle Seiten der Musik lebendig werden: Das kraftvolle Schmettern ebenso wie die weichen Melodielinien. Gerade die sanften Kantilenen gelingen ihm hervorragend, aber auch seine wunderbare Übergänge zum forschen, kraftvollen Spiel, mit dem er das Orchester mühelos dominiert, zeigen Dohr als überlegten Solisten. Zumal Stefffens sich und das Ensemble sehr zurückhält und sich vorwiegend auf das Begleiten konzentriert. Zusammen ergibt das eine sehr vitale, lebendig strömende Musik – vor allem dank des energischen Zugriffs Dohrs, der aus der manchmal etwas trockenen Partitur alles herausholt, was sie an begeisterndem Witz und Esprit überhaupt hergibt.
Unzweifelhafte zur Romantik gehört Bruckners vierte Symphonie – die trägt das ja schon im Beinamen. Und Steffens sucht genau das auch gezielt zu verwirklichen. Mit einem ausgesprochen geheimnisumwitterterten Beginn fängt er an. Und die dunklen, etwas verschatteten Seiten der Musik bleiben das Beste in Steffens Interpretation. Auch sonst setzt der Dirigent weiterhin vor allem auf Stimmungen statt Strukturen und ist nicht so sehr auf die Subtilitäten des Klanggeschehens aus, sondern vor allem auf seine Wirkung. Und dafür hat er ein geschicktes Händchen: Er verliert sich nicht in Details, er lässt die monumentale Sinfonik Bruckners nicht erstarren, sondern hält sie als Dirigent, der immer auf den jeweiligen Moment bedacht ist, in unablässiger Bewegung. Gerade deshalb bleibt das hier aber auch sehr irdisch. Und manchmal, vor allem zum Ende hin, nehmen die große Gesten etwas überhand. Dabei lässt Steffens auch einige lose Fäden hängen und Übergänge unerledigt. Immerhin, die Staatsphilharmonie hält durch und bleibt bis zum Schluss sehr klanggewaltig und durchsetzungsstark. Und damit ist bei Bruckner schon das meiste getan – und der Romantik auch zu ihrem Recht verholfen.
(geschrieben für die Mainzer Rhein-Zeitung.)
ich höre ja, das ist eine art geständnis, element of crime recht gerne. insbesondere seit “romantik” haben sie es mir immer angetan. ein etwas sündiges begehren ist das, weil ich sonst eigentlich eher etwas komplexere, avancierte ästhetische programme und konzepte schätze. aber manchmal ist so ein bisschen seichter pop auch nicht schlecht ;-). denn auch wenn gerade die texte immer wieder sehr gepriesen werden — im grunde bleibt es alles sehr harmlos hier.
das neueste album, “immer da wo du bist bin ich nie”, schien mir dann aber zunächst, beim ersten und zweiten hören, doch arg platt geraten. aber, das ist das gemeine bei element of crime der letzten jahre, sie schleichen sich doch in die gunst der hörer ein. inzwischen hat mich auch die neue cd ziemlich gepackt. die musik ist ja im großen und ganzen immer noch dieselbe — ein bisschen mehr tex-mex-anklänge, aber sonst bleibt es beim bewährten sound. aber eben ziemlich gut gemacht: eingängige, sehr eingängige melodien, nett harmonisiert, tight gespielt, ohne irgend jemand zum widerspruch aufzuregen — deutsche konsensmusik at it’s best … die texte, zunächst, hatte mich ziemlich genervt: dieses bemühen um kunstvolle naivität, diese wollen um jeden preis, das aus fast jeder zeile spricht — nervig.
thematisch ist das natürlich extrem einfallslsos — der plattentitel [ein fast-zitat übrigens des ersten verses von delmenhorst vom mittelpunkt der welt], zugleich liedtitel #6 (auch da ohne komma), verrät eigentlich alles. aber das element of crime vorzuwerfen ist ungefähr so sinnvoll wie den metzger dafür anzuklagen, dass er keinen käse verkauft. da sind es halt doch dann doch die “netten” formulierungen, die es wieder rausreißen, die ins bewusstsein einsickern und zunehmend zustimmung und freude hervorrufen … aber genau auf das einsickern kommt es offenbar an: beim ersten hören ist das nicht unbedingt auffällig, vieles geht glatt vorüber (und je nach stimmung ist man, d.h. bin ich, gelangweilt oder genervt). an vielen feinheiten erfreut man sich erst beim x‑ten hören. und das ist wiederum ein großer vorzug der element-of-crime-musik: sie verträgt das ofte hören erstaunlich gut. weil sie, trotz ihre bescheidenen ästhetik und scheinbaren stromlinienförmigkeit, genügend details dafür bietet.
inzwischen bin ich schon fast begeistert … es gibt auf jeden fall schlimmeres, als das zu mögen.
der beweis dazu: das erste konzert der mainzer rathauskonzerte in dieser spielzeit am 11. september. hier meine ausführungen für die mainzer rhein-zeitung:
Es war eine einmalige Gelegenheit, den Musikern einmal so richtig nahe zu kommen. Denn bei den Mainzer Rathauskonzerten gibt es weder Bühne noch Orchestergraben. Im Gegenteil, das Ensemble sitzt ganz unten – in der runden Mitte des Ratssaales nämlich. Und während es sich das Publikum hinter den Tischen und Mikrofonen in den Drehstühlen bequem machte, musste das English Piano Trio sich umrundet von neugierigen Ohren und Augen der Musik hingeben. Wer wollte, konnte so den Instrumentalisten also über die wortwörtliche Schulter schauen und gleich noch die Noten kontrollieren. Nicht, dass das notwendig gewesen wäre. Denn das English Piano Trio, aus der Mainzer Partnerstadt Watford kommend, besteht aus echten Vollblutmusikern. Und sie sind schon so lange zusammen – über zwanzig Jahre musizieren sie inzwischen gemeinsam – dass sie sich offenbar blind verstehen: Da muss niemand Hinweise geben, da muss keiner sich seiner Mitstreiter vergewissern, schnell noch einen Blick auf die Geigerin werfen oder den Pianisten bestätigend anvisieren. Nein, diese drei finden auch ohne all das zu einer harmonischen, ausgeglichenen Balance.
Für das erste diesjährige Rathauskonzert haben sie ein Programm zusammengestellt, dass vorwiegend englische, mehr oder weniger bekannte Kammermusik enthielt. Kontinental war eigentlich nur die Eröffnung mit Haydns spätem C‑Dur-Klaviertrio Nr. 35. Das absolvierten sie sehr gelassen, mit dem notwendigen Mut zur emphatischen Größe und zaubert so eine entspannte, sanft und leicht fließende feine Triomusik.
Immer, wenn sie ganz auf sich selbst gestellt waren, bevorzugten sie dieses Vorgehen: Etwa auch bei Francis Edward Baches Klaviertrio, einem genialen Wurf eines romantischen Jünglings. Fast noch zurückhaltender und bescheidener trat das English Piano Trio aber immer dann auf, wenn die Sopranistin Yvonne Howard das Ensemble ergänzte. Sie sang, mit deutlich opernhaften Gestus und Stimme, einige Lieder von Edward Elgar — natürlich.
Aber daneben auch einige, fast überraschend klar artikulierte deutsche Vertonungen von Bache, der zwar nicht ganz an Schumanns Größe heranlangt, bei gleichen Texten aber dennoch zu anmutigen, ansprechenden Vertonungen kam. Und Howard macht das mit Timothy Ravenscroft am Klavier mit innige Hingabe deutlich.
Überzeugender noch gelangen allerdings die „Paläste des Windes“, wie ein dem Trio gewidmetes Werk des Engländers Joseph Phibbs heißt, das hier in Mainz seine deutsche Erstaufführung erfuhr. Der Text ist zwar nur ein ephemeres Liebesgedicht, aber in Kombination mit der atmosphärisch dichten, nur sehr verhalten modern anmutenden Musik immerhin nahegehend und durchaus bewegend. Das passte wunderbar in den den schönen, trotz der eigentlich unvorteilhaft direkten Akustik des Ratssaales sogar ausgesprochen intimer Kammermusikabend, mit dem die „neuen“ Rathauskonzerte eröffnet wurden.
(geschrieben für die mainzer rhein-zeitung)
… ist ein hoffnungsloser Romantiker und eng befreundet mit der Bitterkeit.” (Benjamin Maack, Die Welt ist ein Parkplatz und endet vor Disneyland, 37)
… ist ein hoffnungsloser Romantiker und eng befreundet mit dem Klischee.” (Benjamin Maack, Die Welt ist ein Parkplatz und endet vor Disneyland, 32)
Es ist schon eine kühne Idee und fast eine Steilvorlage für den Kritiker: John Eliot Gardiner will Brahms noch einmal „neu“ entdecken – und diesmal richtig. Vielleicht muss man so selbstbewusst wie Gardiner sein, um dieser Musik gerecht zu werden. Denn das wird er in fast beängstigender Weise. Da bleibt einfch nichts mehr zu kritisieren.
Alle vier Sinfonien hat er sich vorgenommen. Und er ergänzt sie mit großen Chorwerken von Brahms selbst oder aus seinem Umfeld. Das heißt für die ersten beiden, bereits erschienen CDs (die restlichen zwei folgen im Laufe des nächsten Jahres): Das Schicksalslied, der Begräbnisgesang, die Alt-Rhapsodie umrahmen die Sinfonien 1 und 2, dazu kommt noch Mendelssohn Bartholdys „Mitten wir im Leben sind“ und Schuberts „Gesang der Geister über den Wassern“ sowie zwei von Brahms für Chor und Orchester arrangierte Schubert-Lieder. Die Interpreten sind alte Vertraute Gardiners: Das Orchestre Révolutionnaire et Romantique sorgt mit seiner hohen interpretatorischen und technischen Kompetenz im Umgang mit historischen Instrumenten für den faszinierend durchsichtigen und farbenreichen Orchesterklang, der Monteverdi-Choir für die vokale Präzision und klangliche Wucht, die Gardiner zu bevorzugen scheint.
Denn Gardiner ist nicht nur ein Musiker, der sein Tun sehr genau bedenkt. Sondern auch ein großartiger Dramatiker – auch wenn er das meist im schlanken und flexiblen Gestus seiner Interpretationen versteckt. Nach der Halbzeit ist klar, was man von diesem Projekt erwarten darf: Vieles. Vielleicht sogar alles. Die Sinfonien: Prächtig, lebendig, ungeheuer vital auf der einen Seite, aber auch verflixt ernst, bewusst und genau – als wüsste die Musik selbst um ihren Stellenwert in der Musikgeschichte.
Und die Chormusik: Durchweg auf höchstem Niveau. Gut, der Monteverdi-Choir lässt ab und an einen leichten englischen Akzent aufblitzen. Das ist aber auch schon der einzige Vorwurf, den man ihm machen kann. Die oft im besten Sinne theatralische Dramatik, die Weite des Spektrums, die ihm in klanglichem Ausdruck und Dynamik zur Verfügung steht, die Beweglichkeit des Chores auch im großen Klangvolumen – das alles formt sich unter Gardiners Hand zu fantastischen, unmittelbar mitreißenden und nachhaltig beeindruckenden Musik.
Ob das die Brahms-Sicht wirklich ändert? Auf jeden Fall bringt es die Beteiligten dazu, diese Werke noch einmal so „neu“ aufzuführen, als wäre die Tinte in der Partitur erst gestern trocken geworden.
(geschrieben für die neue chorzeit)
„An die Sterne“ ist die erste CD mit Robert Schumanns weltlicher Chormusik betitelt, die das Orpheus Vokalensemble unter Cary Graden bei Carus vorgelegt hat. Ganz reichen die Sänger aber nicht ans Firmament. Das 2005 gegründete Orpheus-Vokalensemble, dessen erste Aufnahme diese CD ist, überzeugt nämlich nur bedingt. Störend wirken sich nicht nur das fast permanentes Übergewicht der Frauenstimmen und die teilweise auffallend mittelmäßige technische Präzision aus, irritierender sind vor allem an der Mangel an Klangdifferenzierung und Charisma. Dabei ist es ja wirklich nicht so, dass Schumanns Chöre fade Kost sind. Die „Fünf Lieder“ op. 55 (auf Gedichte von Robert Burns) sind zum Beispiel ganz ausgezeichnete kleine Kostbarkeiten. Und hier zeigt dass Orpheus-Vokalensemble auch, dass es durchaus fähig ist: Diese fünf Lieder sind wirkliche kleine glitzernde Sterne.
Und musikalisches Einfühlungsvermögen beweist der Chor unter Gary Graden (und auch der begleitende Pianist, Konrad Elser) immer wieder in überraschendem Maße – das macht vieles wett. Es ist aber schon auffallend, dass gerade die getragenen, langsamen Lieder (fast) immer besser sind als die bewegten, mehr Gespür für Atmosphäre und Klangsinn verrraten. Und je komplexer die Kompositionen werden, desto besser wird auch der Chor — wie die besonders plastische Interpretation der „Vier doppelchörigen Gesänge“ op. 141 sehr deutlich zeigt. Gerade der Wechsel zwischen ausgesprochen kunstvollen Chorsätzen und volksliedhaft einfachen Chorliedern, der die ganze Bandbreite des chorischen Werkes Schumanns aufzeigt, macht aber den besonderen Reiz dieser Sammlung aus.
Robert Schumann: An die Sterne. Weltliche Chormusik I. Orpheus-Vokalensemble. Konrad Elser, Klavier. Leitung. Gary Graden. Carus 83.173.
(geschrieben für die Neue Chorzeit, januar 2008)