Lesen. Hören. Und ein bisschen schreiben.

Schlagwort: roman Seite 5 von 6

Juli Zeh, Corpus Delicti

… habe ich gele­sen auf der Rei­se von Vene­dig zurück nach Mainz.

Ein The­sen­ro­man. Reins­ten Was­sers. Und durch­aus obers­ter Güte­klas­se. Aber eben mit all den typi­schen Pro­ble­men – Man merkt die Absicht und ist ver­stimmt (oder so ähn­lich). Nun hielt sich die Ver­stim­mung bei mir extrem in Gren­zen, weil ich dem Ziel Zehs, dem frei­en statt dem siche­ren Men­schen voll zustim­me und stark sym­pa­thi­sie­re. Das ändert aber wenig dar­an, dass der Roman – der sich im Unter­ti­tel als „Ein Pro­zess“ aus­gibt (Gerichts­ver­hand­lung und Ent­wick­lung – natür­lich ist bei­des gemeint … [und die­se abso­lut durch­schau­ba­re Dop­pel­deu­tig­keit ist typisch für das Buch {lei­der, mei­nes Erach­tens, den seman­ti­sche Leer­stel­len sind inter­pre­ta­tiv meis­tens deut­lich ergie­bi­ger}, das künst­le­risch eher mit­tel­mä­ßig ist.]) Ok, die Infor­ma­ti­ons­ver­ga­be ist ganz gut gelun­gen, sie ent­wi­ckelt sich halb­wegs unge­zwun­gen (am Anfang frei­lich mit hohem Tem­po – und bewusst auf Klar­heit der mes­sa­ge aus­ge­rich­tet).

Wor­um geht’s? Um einen Staat der Zukunft, in dem Nor­ma­li­tät als Gesund­heit defi­niert wird (bzw anders­rum) und Krank­heit dem­zu­fol­ge abge­schafft ist – gesell­schaft­lich und pri­vat. Das bedarf natür­lich eini­ger Vor­keh­run­gen … Jeden­falls gerät die Haupt­fi­gur, eine Bio­lo­gin, mit die­sen staat­li­chen Vor­keh­run­gen, genannt die „Metho­de“, in Kon­flikt. Und ent­wi­ckelt sich zur Wider­ständ­le­rin auf sehr eige­nen Wei­se, zu einer Art Revo­lu­tio­nä­rin ohne Revo­lu­ti­on. Jeden­falls zu einem Pro­blem für die „Metho­de“, dass mit allen Mit­teln gelöst und schließ­lich besei­tigt wer­den muss – nicht ohne eini­ge Ver­wick­lun­gen natür­lich. Durch die Mon­ta­ge ver­schie­de­ner Ebe­nen, u.a. auch die eines Putz­frau­en-Tri­os, wird das ganz har­mo­nisch in sei­ner Viel­stim­mig­keit und Per­spek­ti­vi­tät. Aber nichts­des­to­trotz bleibt die Bot­schaft klar: Ohne Frei­heit ist der Mensch kein Mensch mehr, ist das Leben kei­ne Leben mehr, son­dern nur noch Exis­tenz. Die mag zwar sorgen‑, schmerz- & krank­heits­frei sein, aber eben ohne Leben. Die Par­al­le­len zu aktu­el­len Dis­kus­sio­nen sind wohl mehr als zufäl­lig ;-). Und auch mehr als deut­lich … Das, es klang oben ja schon an, min­dert mei­ne Begeis­te­rung für die­ses Buch etwas: Dass die Phan­ta­sie zu wenig aus­ge­reizt wird, die Vor­stel­lung­kraft zu blass scheint – auch um den Preis der etwa unvoll­kom­me­nen Ver­mitt­lung der zen­tra­len Text­bot­schaft wäre das doch etwas span­nen­der gewe­sen. Für mich zumin­dest. Aber man kann ja nicht immer alles haben.

Juli Zeh: Cor­pus Deli­cit. Ein Pro­zess. Frank­furt am Main: Schöff­ling 2009.

jirgl erhält den feuchtwanger-preis

rein­hard jirgl, in mei­nen augen einer der ganz weni­gen ganz gro­ßen leben­den deut­schen schrift­stel­ler (in der bedeu­tung als sprach-künst­ler) erhält heu­te den lion-feucht­wan­ger-preis für his­to­ri­sche roma­ne. fast ein wenig iro­nisch, die­se aus­zeich­nung. denn auch wenn jirgls roma­ne sich the­ma­tisch mit der ver­gan­gen­heit beschäf­ti­gen (zwar nicht unbe­dingt in ers­ter linie, wie es die pres­se­mit­tei­lung der aka­de­mie der küns­te will, mit „mit hei­ßen Eisen, die sonst kei­ner anfas­sen mag“), so fällt mir ihre cha­rak­te­ri­sie­rung als „his­to­ri­sche“ roma­ne doch eher schwer. das liegt natür­lich zum einen an der form/​kategorie selbst, die ja in der regel nur ein zerr­bild ihrer selbst ist, zum ande­ren aber auch an jirgls tex­ten – denn in mei­ner lek­tü­re gibt es kaum gegen­wär­ti­ge­re tex­te als jirgls roma­ne. da ist die titu­lie­rung als „his­to­risch“ eben eher unge­wöhn­lich. die cha­rak­te­ri­sie­rung als „his­to­rio­gra­phi­sche meta­fik­ti­on“, auch wenn sie ein begriff­li­ches unge­heu­er ist, scheint mir – als ((post-)moderne) vari­an­te und fort­set­zung des „klas­si­schen“ his­to­ri­schen romans für jirgl geeig­ne­ter. aber dafür gibt es (noch) kei­ne prei­se.

„Das Thema:

… bes­ser kein The­ma. The­ma war das Leben, so, wie es sein soll­te. Das Leben, wie es nicht sein soll­te, gab es ja schon.“ (moritz von uslar, wald­stein oder der tod des wal­ter gie­se­king am 6. juni 2005, 121)

erste lesedrücke von den bieresch

soviel gleich vor­weg: das (näm­lich klaus hof­fers bei den bie­resch) ist ein selt­sa­mes, befremd­li­ches buch.

es ent­fal­tet eine völ­lig ande­re welt – und doch auch wie­der nicht. bie­resch ist selt­sa­mes völk­chen – schon die namen! alle sind sie mehr­fach benannt, alle extrem mit bedeu­tung auf­ge­la­den (aber auch wie­der nicht, sie kön­nen sie ver­lie­ren, ändern, neue bekom­men …), je nach situa­ti­on und hier­ar­chie und stel­lung von adres­sat und adres­sie­rer wech­seln sie immer wie­der … die bräu­che sind auch selt­sam, irgend­wie unge­nau, unscharf, nicht zu begrei­fen – aber: besu­cher ist nicht zum ers­ten mal dort, er war als kind durch­aus in die­ser gegend, unter die­sen leu­ten – scheint aber kaum/​keine erin­ne­run­gen (mehr) dar­an zu haben

die­se völ­li­ge fremd­ar­tig­keit, die­se ganz eige­ne welt (die aller­dings durch­aus – ncith nur auf meta­pho­ri­scher ebe­ne! – berüh­rungs­punk­te mit dem, was wir „wirk­lich­keit” zu nen­nen gewohnt sind, hat) ist zwar ein umstand, der die lek­tü­re sehr schwer macht. aber auch fas­zi­nie­rend. und der die­ses buch so wohl­tu­end unter­schei­det von dem aller­meis­ten, was heut­zu­ta­ge als lite­ra­tur pro­du­ziert wird – die sich in viel zu vie­len fäl­len dar­auf beschränkt, die ober­flä­che der rea­li­tät zu erzäh­len, also bloß wie­der­zu­ge­ben. von daher – dies so ganz neben­bei – sehe ich das esra-urteil des bun­des­ver­fas­sungs­ge­rich­tes auch nicht als so gro­ße gefahr für die kunst an: sicher bin ich für eine größt­mög­li­che frei­heit der kunst, über­haupt kei­ne fra­ge. aber ich wun­de­re und fra­ge mich dann doch oft, war­um es vie­len autoren so schwer fällt, sich von den tasäch­li­chen bege­ben­hei­ten ihres lebens zu lösen (inwie­weit das alles auf max bilers esra zutrifft oder nicht, kann ich natür­lich gar nicht beur­tei­len, weil ich weder das buch noch die wirk­lich­keit ken­ne). was ich damit aber eigent­lich sagen will: der kunst soll­te es – auch wenn sie die nähe zur wirk­lich­keit sucht – mög­lich sein, dies so zu tun, dass per­sön­lich­keits­rech­te nicht ver­letzt wer­den. auch im medi­um der spra­che, dass für sol­che grenz­über­schrei­tun­gen natür­lich wie­der­um das prä­de­sti­nier­tes­te über­haupt ist. aber das ist schon wie­der ein ande­res pro­blem, das gro­ße tei­le der heu­te pro­du­zier­ten tex­te betrifft: dass sie kei­ne eige­ne (kunst-)sprache haben (auch gar nicht erstre­ben), kei­nen stil, son­dern sich mit dem all­tags­werk­zeug der kom­mu­ni­ka­ti­on schon zufrie­den geben. das tut klaus hof­fer hier sicher­lich nicht.

einsamkeit und traurigkeit allerorten

so etwas gibt es wohl nur bei sibyl­le berg. auch ihr neu­es­tes buch die fahrt (recht forsch und groß­zü­gig als „roman” eti­ket­tiert) kreist wie­der um ihre ganz eige­nen the­men, die sie immer wie­der neu auf­greift, neu abklopft und in ihrem lako­ni­schen anti-stil vor­führt: die ein­sam­keit des (post-) moder­nen men­schen, das altern, das bewusst­sein bzw. das bewusst-wer­den des alterns. das wirkt, in die­ser man­ches mal fast mons­trös anmu­ten­den bal­lung (und durch­aus auch ein­sei­ti­gen sicht­wei­se …) man­ches mal aus­ge­spro­chen depres­siv und bedrü­ckend. aber sibyl­le berg wäre nicht sibyl­le berg, wenn nicht die mög­lich­keit des glücks doch noch ab und an irgend­wo hin­durch schim­mern wür­de: immer­hin ist sie auch in der fahrt mehr als nur theo­re­tisch gege­ben, eini­ge aus dem reich­hal­ti­gen figu­ren­ar­se­nal schaf­fen es, der sinn­lo­sig­keit (momen­tan zumin­dest) zu ent­rin­nen (wobei mir natür­lich sofort ein ande­rer titel bergs ein­fällt: ein paar leu­te suche das glück und lachen sich tot). aber die stärks­ten momen­te hat die fahrt – und das unter­schei­det sie von den bis­he­ri­gen büchern der autorin – nicht nur dann, wenn sie die sinn­lo­sig­keit und absur­di­tät des urlau­bens und des rei­sens beschreibt, son­dern in den berich­ten aus den elends­ge­bie­ten. denn das sind zwei­fel­los eini­ge der berüh­rends­ten, auf­wüh­lends­ten beschrei­bun­gen des elends des lebens, die hier ein­ge­streut sind – gera­de im kon­trast zu den „luxus”-problemen den ande­ren figu­ren. ihre wirk­mäch­tig­keit ver­dan­ken die­se abschnit­te auch der tat­sa­che, dass berg sie durch nichts mil­dert, nichts erklä­ren will, son­dern nur – als qua­si gesetz­tes gegen­bild – beschreibt – und damit wir­kungs­vol­ler die men­schen anklagt, die so etwas zulas­sen, als es jede streit­re­de ver­möch­te. und das künst­le­risch beein­dru­cken­de ist dann auch noch die tat­sa­che, dass sich selbst die­se zunächst als mut­wil­li­ge fremd­kör­per ein­ge­streut erschei­nen­den pas­sa­gen wun­der­bar in das kon­zept des buches fügen – die (ver­geb­li­che? weil nur zufäl­lig von erfolg gekrön­te?) suche nach sinn und glück im irdi­schen leben … auf jeden fall ein groß­ar­ti­ges lese­er­leb­nis!

gut fin­det die fahrt auch kris­ti­na maidt-zin­ke in der süd­deut­schen zei­tung: „Mit der roman­ti­schen Vor­stel­lung, dass die Men­schen in den Armuts­zo­nen der Erde zufrie­de­ner leb­ten als die über­fres­se­nen Abend­län­der, wird in die­sem Fahr­ten-Buch gründ­lich auf­ge­räumt. […] DIe stärks­ten Momen­te ihrer Pro­sa aber sind nach wie vor die, in denen sie die fort­schrei­ten­de Ver­kom­men­heit und Abge­wrackt­heit des Pla­ne­ten sowie die gras­sie­ren­de Unzu­rech­nungs­fä­hig­keit sei­ner Bewoh­ner mit der ihr eige­nen Hass­lust aus­malt: Die Schär­fe ihres schrä­gen Blicks ist unnach­ahm­lich.” (SZ 232, 9.10.2007, Bei­la­ge zur Frank­fur­ter Buch­mes­se, S. 3)

sibyl­le berg: die fahrt. köln: kie­pen­heu­er & witsch 2007.

peter kurzeck: oktober und wer wir selbst sind

schon der titel ist ja ein meis­ter­werk – ein anspruch, den der roman auch einö?sen kann: „Ein Buch, wie es noch keins gibt, aber wie es scheint, merkt das kei­ner.” (154 – das schreibt der erzäh­ler über sein zwei­tes buch. die par­al­le­len zu peter kurz­eck und des­sen „das schwar­ze buch” von 1982 sind natür­lich alles ande­re als zufäl­lig. immer­hin mer­ken die qua­li­tät inzwi­schen ein paar mehr. aber das sind immer noch nur die kri­ti­ker – leser gibt es immer noch zu weni­ge. dabei hät­te die lek­tü­re von kurz­ecks büchern für die meis­ten einen gewal­ti­gen gewinn und erkennt­nis­zu­wachs zu bie­ten – erheb­lich mehr als die bücher, die sich so auf den best­sel­ler­lis­ten tum­meln.) und auch sonst ist es wie­der ein ech­ter kurz­eck – unbe­dingt, etwas mono­ma­nisch, aber fas­zi­nie­rend und fes­selnd. nicht nur wegen der sti­lis­ti­schen vir­tuo­si­tät – kaum ein ande­rer gegen­wär­ti­ger autor hat so einen unver­kenn­bar eige­nen stil oder bes­ser gesagt ton­fall: denn es klingt immer, das von kurz­eck geschrie­be­ne, es schwebt qua­si schwe­re­los wie zar­te kam­mer­mu­sik – son­dern auch sei­ner the­men und moti­ve wegen. das buch ist wie­der über­voll von schö­nen stel­len, schö­nen for­mu­lie­run­gen – eini­ge ste­hen ja auch hier…

der beginn ist schon ein ende und ver­lust – oder umge­kehrt: das ende ist der beginn – der anfang des erzäh­lens: –> von dort star­tet das schrei­ben, das des erzäh­lers und das des autors. aus angst, das gesche­he­ne, d.h. ver­gan­ge­ne, zu ver­lie­ren – und aus die­ser furcht beginnt sofort die suche nach der ver­ge­wis­se­rung: „[…] wisst ihr den Som­mer noch?” (7)

und noch etwas zeigt sich schon auf den ers­ten sei­ten: die gewiss­heit, die ver­gan­gen­heit ver­lo­ren zu haben, ist noch stär­ker als sonst (wenn ich die letz­ten bücher recht erin­ne­re, die lek­tü­re ist jetzt schon eine wei­le her): „unauf­find­bar. […] für immer in einem ker­ker.” (10) da hilft dann nur noch das erzäh­len: erzäh­len, um die wirk­lich­keit (der ver­gan­gen­heit) auf­zu­bau­en, „in Gang” zu hal­ten.

die erin­ne­rung wird aller­dings immer unsi­che­rer, immer unge­rich­te­ter und fra­gi­ler: „Nach­träg­lich kommt dir vor, du hät­test ihn an ein­und­dem­sel­ben Tag wenigs­tens zwei- oder drei­mal gehört.” (50) aber alles ist ver­lo­ren, die erin­ne­rung, das gedächt­nis, die orte, die gan­ze ver­gan­ge­ne rea­li­tät – und die gegen­wart als zuk?nftige ver­gan­gen­heit auch schon: „Wo ist der Tag hin?” (50) und die­se ahnung der wie­der­ho­lung der rea­li­tät greift inzwi­schen selbst auf die träu­me aus: „[…] oder den glei­chen Traum immer wie­der?“ (75) aber noch ist hoff­nung (frei­lich ist die auch schon zwie­späl­tig und gebro­chen): „Und dann bleibt dir für immer das Bild.” – man muss es nur rich­tig und immer wie­der erzäh­len. die fra­ge ist dann nur: „wohin jetzt mit die­ser geschich­te?” (71). für die­se art zu erzäh­len, zu schrei­ben gibt es aller­dings kei­ne direk­ten wege – und genau das macht eine wesent­li­che fas­zi­na­ti­on der lek­tü­re aus: „beim erzäh­len immer noch einen umweg.” (29). schlie?lich ist das gan­ze buch ein ein­zi­ger umweg – eigent­lich soll­te es nur ein ein­zi­ges kapi­tel der vor­ge­schich­te sein, kein eige­ner roman.

auch das schrei­ben an sich spielt natür­lich (wie­der) eine gro­ße rol­le – von anfang an. und wie­der ist der erzäh­ler sei­nem text ziem­lich gna­den­los aus­ge­lie­fert: „Noch bei kei­nem Buch hat die Spra­che mich so sehr gepackt, wie bei die­sem – oder denkst du das jedes­mal wie­der?” (19) ins­be­son­de­re die enden der kapi­tel füh­ren immer wie­der zum pro­zess des schrei­bens hin, zum erzäh­len an sich, zu den pro­jek­ten des erzäh­lers. und die sind schon lan­ge mehr oder weni­ger zwang­haft gewor­den: „Aus­nahms­wei­se viel­leicht heut nicht mehr? Aus­ru­hen? Eine Pau­se? Aber das fehlt mir dann mor­gen früh und was fehlt, fehlt für immer.” (111) sp?ter hei?t es dann noch ein­mal: „Doch inzwi­schen will die Zeit, die kein Eins­se­hen hat, mir kei­ne Ruhe mehr las­sen.” (162)

und natür­lich auch die zeit an sich wie­der the­ma – das the­mas über­haupt, das kurz­eck in sei­nen büchern umtreibt (vor allem natür­lich in der chro­nik der frank­fur­ter acht­zi­ger): hier ist sie aber noch offe­ner the­ma­ti­siert als in den letz­ten wer­ken: „Die Zeit. Als ob man sich selbst sucht. Wo bin ich, wenn ich nicht bei mir bin? Wo geht die Zeit mit uns hin?” (23) oder spä­ter: „Daß die Zeit auch so schnell ver­geht! Man weiß es und kann es doch nicht begrei­fen” (101)
die pro­ble­me der zeit: einer­seits fliegt sie, rast davon – ande­rer­seits ver­lang­samt sie bis zum still­stand: „Ist für uns die Zeit ste­hen­ge­blie­ben? Ist es jeden Herbst wie­der der glei­che Tag?” (45) und dann taucht aber auch noch immer wie­der die fra­ge auf: „Wie soll man die Zeit erzäh­len?” (77) die kern­fra­ge, die kurz­eck (und sei­nen erzäh­ler) schon län­ger beschäf­tigt und beglei­tet, wird nun immer expli­zi­ter gestellt: „[…] und in Ruhe die Zeit, immer wei­ter die Zeit auf­schrei­ben. Den Fluß und die Zeit und das gan­ze Land.” (121)

viel stär­ker spie­len dane­ben aller­dings auch die fra­gen der rea­li­tät eine rol­le: gibt es zeit über­haupt? gibt es die din­ge, vor allem aber gibt es orte? – oder ist alles nur aus­ge­dacht, ima­gi­niert? die zeit wird dabei auch noch stär­ker ver­ding­licht, zum objekt gemacht: „Wie die zeit selbst. als ob es die zeit ist, die immer­fort über sie hin­streicht, unab­läs­sig, die hei­li­ge zeit.” (94) mehr noch als frü­her tritt dem leser peter kurz­eck hier nicht nur als phä­no­me­no­lo­ge, son­dern auch als erkennt­nis­kri­ti­ker gegen­über. genau des­halb beherrscht ihn auch der zwang zur wie­der­ho­lung (und zur wie­der­ho­lung gehürt auch das erzäh­len als wie­der­ho­len – auf ande­rer stu­fe – der erleb­ten wirk­lich­keit): „Man muß sie glau­ben, weil man sie sieht, aber kann sie sich nicht erklä­ren.” (47) – und dann sind ja da noch „über­all Zei­chen. […] Aber wie soll man die Zei­chen deu­ten?” (49) – Zei­chen haben sich ubi­qui­tär aus­ge­brei­tet, alles wird zum Zei­chen, der Erzäh­ler weiß nicht mehr, was jetzt Zei­chen ist und was nicht – von der Fra­ge ihrer Bedeu­tung natür­lich ein­mal ganz abge­se­hen.

ein ande­res motiv, dass neu ist, durch­zieht den text auch noch: der vater des erzäh­lers taucht immer mehr und deut­li­cher auf – bis­her war es vor allem die mut­ter der erzäh­lers „peter”, die in den tex­ten vor­kam – hier wird immer wie­der auch auf den vater bezug genom­men.

und das alles gibt wie­der so einen herr­li­chen text, das man nur ins schwär­men kom­men kann. wie anders kann man auch auf sol­che zei­len reagie­ren: „Man kommt an und Ort und Zeit war­ten schon” (173)?

peter kurz­eck: okto­ber und wer wir selbst sind. frank­furt am main: strom­e­feld 2007.

botho strauß träumt und phantasiert

es ist ja immer so eine sache mit den tex­ten von botho strauß: sie lie­gen mir nicht unbe­dingt. aber sie las­sen qua­li­tä­ten erken­nen. das gilt auch für die nacht mit ali­ce, als julia ums haus schlich. ein selt­sa­mes traum­buch ist das, beherrscht von der ödnis der städ­te bzw. der stadt, näm­lich ber­lins. und schon sind wir mit­ten im pro­blem: der topos der öden, kal­ten, lee­ren stadt – das ist schon ziem­lich vor­gest­rig …

ver­blass­te, sche­men­haf­te men­schen­ge­stal­ten schwe­ben durch den text, die oft mehr schat­ten als fleisch und blut sind, lose über zufäl­li­ge und ange­ord­ne­te begeg­nun­gen mit­ein­an­der ver­knüpft. strau­ße schreibt hier sei­ne sicht der gegen­wart nach der post­mo­der­ne ‑die war ja im „par­ti­ku­lar“ und vor allem der „beginn­lo­sig­keit“ an der rei­he gewe­sen. jetzt ist alles leer und frei von alten sinn­ga­ran­ten, die nicht ein­mal mehr als zitat oder mate­ri­al für col­la­gen o.ä. vor­kom­men – ödnis eben. statt des­sen, statt der wah­ren welt, herrscht eine traum­welt, weit­ab der rea­li­tät. vor allem ver­schwin­det und ver­schwimmt die gren­ze zwi­schen der phan­tas­ti­schen welt des trau­mes und den spär­li­chen res­ten der rea­li­tät zuneh­mend.

der text, das sind nur noch frag­men­te und bruch­stü­cke: die kohä­si­on wird, so scheint es mir im moment, von text zu text, von buch zu buch, nied­ri­ger: das schwebt anein­an­der vor­bei, wie gro­ße bla­sen in einem geschlos­se­nen raum: ab und an ver­bin­den sich wel­che, tei­len sich irgend­wo und irgend­wann auch wie­der, fes­te zustän­de gibt es ein­fach nicht mehr. dazu kommt dann noch, dass strauß unbe­streit­bar ein groß­ar­ti­ger sti­list ist (auch das scheint sich immer mehr aus­zu­prä­gen …): per­ma­nent herrscht ein ver­hal­ten durch­schei­nen­der zar­ter, leich­ter apo­ka­lyp­ti­scher grund­ton – am stärks­ten wohl in den ein­deu­ti­gen traum­tei­len – denn die traum­se­quen­zen sind in dif­fe­ren­zier­ter evi­denz mon­tiert. und wun­der­ba­re beschrei­bung, herr­lich alt­mo­disch anmu­ten­de ver­glei­che:

„wie lan­ge noch dastehn? in die­ser uni­ver­sal­rat­lo­sig­keit. aus­sichts­los.“ (147, hier total aus dem zusam­men­hang geris­sen)

ja ja, diese jugend …

was machen wir bloß mit der …, wohin soll die ewig par­ty und das stän­di­ge abhän­gen nur füh­ren? das muss doch end­lich – und zwar ganz gewal­tig bald – im tota­len absturz, im end­gül­ti­gen nie­der­gang und cha­os deutsch­lands enden. joa­chim lott­mann schlägt sich damit ja immer wie­der ger­ne rum: die jugend von heu­te. ihr zustand, ihre plä­ne, ihr beneh­men, ihre orte, ihre musik, ihre was-auch-immer… las­sen ihn auch im mitt­ler­wei­le recht fort­ge­schrit­te­nen alter nicht los. das ist immer etwas erklä­rungs­be­dürf­tig, und das weiß lott­mann auch sehr genau. nur kann oder will er es nicht recht klar machen, war­um sein erzäh­ler immer noch den jun­gen leu­ten hin­ter­her­he­chelt, in ihnen immer noch die erlö­ser vom all­tag sucht.das gilt natür­lich für kein text weni­ger als für „die jugend von heute“mischung aus rai­nald goetz auf der einen und ben­ja­min lebert sowie stuck­rad-bar­re auf der ande­ren sei­te. nur eben bei wei­tem nicht so kon­se­quent wie goetz (auch lan­ge nicht so fähig zur ana­ly­se), aber lei­der auch nicht so leicht und harm­los wie die ande­ren pseu­do-pop­per. des­halb bleibt das weit­ge­hend indif­fe­rent und nichts­sa­gend – egal, von wel­chem blick­win­kel aus man das büch­lein betrach­tet.

vor allem aber ist es eine fund­gru­be für lust­bar­kei­ten und schö­ne aus­sprü­che, die ich zwar gera­de abge­tippt hat­te, die mir word­press aber jetzt geklaut hat und die des­halb hier nicht mehr ste­hen. über­ig geblie­ben ist nur:

  • „unser kul­tur, also die jugend­kul­tur, war erkennt­nis­im­mun.“ (81)
  • „die­se gan­ze musik­in­dus­trie war für kin­der gemacht, für men­schen zumin­dest, die noch nie­mals vom baum der erkennt­nis genascht hat­ten und es auch nie tun wür­den.“

jolo (wie der autor sei­nen stell­ver­tre­ter, die erzäh­ler­fi­gur im buch nennt) wür­de sich wahr­schein­lich krumm und sche­ckig lachen über all die, die die­sen text auf irgend eine art und wei­se ernst neh­men… – vor sati­re- und iro­nie­merk­ma­len wim­melt es ja nur so im text…

man könn­te ihn natür­lich einen bor­der­line-jour­na­lis­ten nen­nen, aber das wäre blöd­sinn. denn damit wür­de man lott­mann natür­lich voll­kom­men miss­ver­ste­hen – was lott­mann wie­der­um freu­en wür­de, denn genau dar­auf spe­ku­liert er ja, dar­auf legt er es an. es geht natür­lich um etwas ande­res: wahr­heit – was ist das? eine über­flüs­si­ge, ana­chro­nis­ti­sche, in die irre füh­ren­de idee, deren haupt­man­gel es natur­ge­mäß ist, dass sie mit der wirk­lich­keit nicht zuran­de kommt, nichts mit dem erle­ben des lebens, dem „wah­ren“ leben also (ha, was für ein witz…) ein­fach kei­ne ver­bin­dung mehr ein­ge­hen kann. bzw. mög­li­cher­wei­se eh‘ nie konn­te… er selbst for­mu­liert das dann so: „Die Jugend von heu­te hat einen erwei­ter­ten Wirk­lich­keits­be­griff. […] Mei­nen. Sie glau­ben an nichts mehr, also an alles. Sie unter­schei­den nicht zwi­schen wahr und unwahr oder gut und böse. Sie däm­mern einem offe­nen Zukunfts­feld ent­ge­gen. Wo ande­re noch eine Schä­del­de­cke haben, hat die Jugend von heu­te eine weit offe­ne Tür. So ein cra­zy Lott­mann-Text kommt da gera­de recht.“
(aus der taz, wo holm frie­be, der als chef­den­ker der zen­tra­len intel­li­genz-agen­tur auch mehr­fach im text auf­taucht, dann dazu meint: „Alles Teil der Lottmann’schen Ver­schleie­rungs­tak­tik.“)

das pro­blem mit lott­mann ist halt nur, dass er damit über­haupt nicht weit kommt. ihm fehlt ein­fach nicht nur die ana­ly­ti­sche schär­fe, son­dern auch die gestal­te­ri­sche kraft, die fähig­keit des for­mes unter ästhe­ti­schen gesichts­punk­ten – da hat ihm halt ein autor wie rai­nald goetz (übri­gens in bei­den kate­go­rien) eini­ges vor­aus … er selbst sieht das (vgl. taz-bericht) nicht als nach­teil: als „eth­no­lo­ge“ schrei­be er eben nur auf, ohne wer­tung. das ist frei­lich schon wie­der blöd­sinn, denn etwas auf­schrei­ben ohne wer­tung – wie soll das denn gehen? er hät­te halt bes­ser mal bei hubert fich­te nach­le­sen sol­len, wie so etwas aus­se­hen und (sogar unter ver­schie­de­nen gesichts­punk­ten) funk­tio­nie­ren kann. olaf kar­nik bewun­dert das dann: „sein umher­schwei­fen­des Schrei­ben, sei­ne unver­fro­re­ne Auf­zeich­nung bana­ler All­tags­be­ob­ach­tun­gen, moti­viert von kecker Selbst­er­mäch­ti­gung.“ aber das sind auch wie­der nur lee­re hül­sen: was ist an der auf­zeich­nung, die natür­lich über­haupt kei­ne rei­ne auf­zeich­nung ist, so unver­fro­ren? und was ist an der selbst­er­mäch­ti­gung (mal abge­se­hen davon, dass die wohl jeder autor auf­zu­wei­sen hat…) so keck? immer­hin ist das noch tref­fen­der als die behaup­tun­gen auf single-generation.de. „Mit sei­nem neu­en Buch wird er zum Avant­gar­dis­ten des Anti-Pop.“ steht da – aber stimmt das? nein, denn er bleibt natür­lich pop. nur ist der pop halt nicht mehr der der 80er – das kann man bedau­ern oder fei­ern, aber es ist halt ein­fach so…

joa­chim lott­mann: die jugend von heu­te. köln: kie­pen­heur & witsch 2004.
eine web­sei­te zum buch gibt es auch, frei­lich fast ohne inhalt, dafür mit film­chen: www.young-kraut.de

paul ingendaay liest …

… und zwar aus sei­nem buch „war­um du mich ver­las­sen hast“. inter­es­san­ter als die lesung – nix beson­de­res, soli­de, über­legt, aber ohne inspi­ra­ti­on (wie wohl auch das buch in die­se rich­tung zu ten­die­ren scheint) – aber die beob­ach­tung, wie er mit dem publi­kum umgeht. zunächst ein­mal wird es immer gründ­lich zuge­tex­tet: so viel gela­ber und geschwal­le habe ich von einem „dich­ter“ oder autor oder text­pro­du­zent (was wohl am bes­ten passt) sel­ten erlebt. und fast schon zu bewun­dern, die fähig­keit des ein­schlei­mens, in so viel gere­de um nich­tig­kei­ten und bana­li­tä­ten ver­packt, dass es fast gar nicht auf­fällt. naja, nicht mein fall eben, so eine medio­kre dich­ter­le­sung – da fra­ge ich mich doch immer, wozu das gut sein soll…

paul ingen­da­ay liest. er macht das, weil er ein buch geschrie­ben hat. und er möch­te das ger­ne an ganz vie­le leu­te ver­kau­fen. auch in mainz. des­halb setzt er sich abends in die klei­ne buch­hand­lung „shake­speare und so“ und liest. sein buch heißt „war­um du mich ver­las­sen hast“. und es ist ziem­lich dick. er kann also nur ganz wenig dar­aus vor­le­sen. denn sonst säßen sei­ne hörer, die hof­fent­lich auch bald sei­ne leser sind, ziem­lich lan­ge da her­um. und sie müss­ten nichts tun als zuhö­rern.

aber das wäre ja nicht das schlimms­te. denn paul ingen­da­ay kann gut vor­le­sen. mit wenig auf­wand macht er das. nüch­tern und sach­lich klingt sei­ne stim­me ange­nehm durch die buch­hand­lung. aber er weiß auch genau, was bei den lesern und zuhö­re­ren gut ankommt. denn das hier in mainz ist ja nicht sei­ne ers­te lesung. er weiß also genau, wo er die lacher auf sei­ner sei­te hat. oder wo er die stim­me ein wenig heben muss. oder das es schön ist, dass er zwi­schen­durch mal eine wei­le ste­hend liest.

sein buch erzählt mit viel witz und sen­si­bi­li­tät von mar­ko. mar­ko ist 15 und lebt in den sieb­zi­gern in einem katho­li­schen inter­nat. das ist auch schon fast alles. denn es geht um „mäd­chen, bücher und gott“. die mäd­chen feh­len mar­ko und sei­nen freun­den sehr. das gibt anlass zu aller­lei lus­ti­gen und trau­ri­gen ver­zweif­lungs­ta­ten. bücher dage­gen gibt es mehr als genug. die kann man lesen und dann lan­ge dar­über reden. ob es genug gott gibt, ist hin­ge­gen nicht so ganz klar.

das ist also eine men­ge stoff. eben 500 sei­ten dick. zum vor­le­sen hat der autor sich ein paar pas­sa­gen aus dem anfang her­aus gesucht. da gibt es näm­lich ganz viel zu lachen. spä­ter tau­chen noch span­nen­de ver­wick­lun­gen und hoch­dra­ma­ti­sche vor­gän­ge auf. aber die will paul ingen­da­ay noch nicht ver­ra­ten. denn das buch soll man ja noch lesen.

dafür beant­wor­tet er nach dem lesen auch noch die fra­gen der hörer. mit viel geduld. denn bestimmt ist er schon ganz oft gefragt wor­den, was in sei­nem buch wahr­heit und dich­tung ist. oder wie es ihm in sei­ner jugend im katho­li­schen inter­nat erging.

kau­fen darf und kann man das buch natür­lich auch gleich. und wenn man will, unter­schreibt paul ingen­da­ay das auch noch – damit auch jeder glaubt, dass er es selbst geschrie­ben hat. und das man ihn ein­mal leib­haf­tig gese­hen hat. das kann man dann sei­nen enkeln erzäh­len, spä­ter, wenn man alt ist. aber ob dann noch jemand weiß, wer paul ingen­da­ay ist? viel­leicht wird er dann ja gera­de wie­der­ent­deckt. als ein mus­ter­bei­spiel des form­voll­ende­ten erzäh­lens, dass dem leser freu­de berei­tet. oder so ähn­lich.

paul ingen­day: war­um du mich ver­las­sen hast. mün­chen: schirm­er­graf 2006.

benjamin lebert kann nicht

das war wohl nichts. dem kri­ti­ker so eine steil­vor­la­ge zu lie­fern mit die­sem titel, das ist wohl das mutigs­te an die­sem büch­lein. natür­lich (alles ande­re hät­te zumin­dest mich sehr über­rascht) „kön­nen“ weder lebert noch sein held und alter ego tim grä­bert. zumin­dest nicht in dem sinn, in dem es hier ver­wen­det wird: näm­lich schrei­ben kön­nen. zumin­dest die lite­ra­ri­sche figur kann ande­rer­seits doch – sex haben. sonst treibt sie aller­dings auch nicht viel an. ein jun­ger schrift­stel­ler, der vor eini­gen jah­ren einen gro­ßen erfolg hat­te mit sei­nem ers­ten roman und nun nichts mehr zu papier bringt – wen das an ben­ja­min lebert erin­nert, der ist nicht völ­lig schief gewi­ckelt. und ent­spre­chend geht es wei­ter: er vögelt lus­tig vor sich hin, ist aber – kli­schee, kli­schee – trotz­dem und immer noch nur ein armer ein­sa­mer hund… der kerl trifft über eine bekann­te (natür­lich aus dem ver­lag, wo anders als im medi­en­zir­kus treibt er sich gar nicht her­um) ein noch jün­ge­res mäd­chen, abitu­ri­en­tin aus bre­men, die gera­de in ber­lin prak­ti­kan­tin ist und die sich wohl inein­an­der ver­lie­ben sol­len (was natür­lich nicht so ganz klar wer­den darf, weder den prot­ago­nis­ten noch den lesern). gemein­sam gehen sie auf eine rei­se durch skan­di­na­vi­en, eti­ket­tiert als ruck­sack­trip, fah­ren aber mun­ter die gan­ze zeit taxi oder wenigs­tens bus… das gan­ze endet in einem ziem­li­chen fias­ko: das mäd­chen dreht immer mehr durch, ist offen­bar schwer geschä­digt durch abwe­sen­den vater und über­ehr­gei­zi­ge mut­ter, was schließ­lich in einer selbst­ver­stüm­me­lungs­or­gie endet, die wie­der­um über ein paar ver­wick­lun­gen dazu führt, das der „held“ grä­bert sich mit einem ande­ren („gro­ßen“) schrift­stel­ler anlegt und selbst von einem schwert ver­letzt wird. und danach end­lich kein bock mehr hat, nach ams­ter­dam fährt und sich fröh­lich oder trau­rig bei den pro­sti­tu­ier­ten dort ver­gnüg um schließ­lich sei­ne freun­din bei deren eltern abzu­lie­fern, damit er das pro­blem end­lich los ist.

das lek­to­rat hat sich dann tat­säch­lich erblö­det, das gan­ze „ein roman über ein­sam­keit und hel­den­haf­te ver­su­che, die­se zu über­win­den“ zu titu­lie­ren – auf so einen schmarrn muss man erst­mal kom­men. was mich aber viel mehr geär­gert hat (und schließ­lich las ich das auf­grund einer posi­ti­ven rezen­si­on, deren tenor unge­fähr war: jetzt ist lebert end­lich zu einem ernst zu neh­men­den schrift­stel­ler gereift), das der gan­ze ser­mon ein­fach unglaub­lich schlecht geschrie­ben ist. lebert kann weder ver­nünf­tig beob­ach­ten noch ordent­lich beschrei­ben – ver­steht also noch nicht ein­mal sein hand­werk. das ist alles schreck­lich blass und unspe­zi­fisch, die figu­ren reden furcht­bar gestelz­tes zeug daher etc. etc. for­mal ist das sowie­so der­ma­ßen pri­mi­tiv – schön hübsch der rei­he nach erzählt, ein paar völ­lig durch­schau­ba­re andeu­tun­gen sol­len wohl so etwas wie span­nung auf­bau­en (etwa der strang mit dem bru­der des hel­den, der behin­dert ist – rein zufäl­lig natür­lich genau­so wie der held von „cra­zy„…. – und sich kürz­lich umge­bracht hat), in 47 kapi­teln, die aber auch nur eine struk­tur sug­ge­rie­ren, die gar nicht vor­han­den ist, weil sie voll­kom­men will­kür­lich gesetzt sind.

ach ja, das „kannst du“ ist übri­gens ein zitat aus „mise­ry“ von ste­phen king (womit der refe­renz­rah­men ja auch geklärt wäre…) und bezieht sich hier ganz kon­kret auf die fähig­kei­ten der haupt­fi­gur, für sei­ne freun­din eine lie­bes­ge­schich­te zu schrei­ben. das miss­lingt – wen über­rascht es – natür­lich auch wie­der äußerst wort­reich. genau­so wie leberts text ein schreck­li­cher fehl­griff ist – das war wohl nichts.

ben­ja­min lebert: kanst du. köln: kie­pen­heu­er & witsch 2006.

Präsentiert von WordPress & Theme erstellt von Anders Norén