Lesen. Hören. Und ein bisschen schreiben.

Schlagwort: roman

ganz viele zeichen — zu viele?

macht die aneinan­der­rei­hung von ganz vie­len zeichen einen text zum roman? „die gar­ni­tur“, eine art tex­ta­gen­tur mit dem anspruch beson­der­er inno­v­a­tiv­ität, scheint der idee nicht abgeneigt zu sein. ihre chefs matthias edling und jörg stein­leit­ner haben die 205.293 zeichen einen roman genan­nt. so viele zeichen sind das aber gar nicht – im großzügi­gen druck gut 150 seiten.wie das buch auf meine leseliste gekom­men ist – ich habe keine ahnung, das ist eben manch­mal der nachteil so exten­siv­er lis­ten­führereien… – gelohnt hat es sich jeden­falls nicht, noch nicht ein­mal als unter­hal­tung ist es wirk­lich brauch­bar. es ist so ein ver­such, die amerikanis­che gang­ster­sto­ry oder eher den gang­ster­film nach europa zu ver­legen. weil die autoren (oder, wie sie sich selb­st benen­nen, das „autorenteam“) dafür aber über zu wenig kreativ­ität, vorstel­lungskraft, stil­ge­fühl und ästhetis­che urteilssicher­heit ver­fügt, klappt das nicht so richtig – ist auch alles eine stufe harm­los­er: stu­dent, der im pflege­heim arbeit­ete, schnappt sich das viele bargeld ein­er sein­er ger­ade ver­stor­be­nen pati­entin­nen, haut in den süden ab, nimmt auf dem weg noch eine heiße frau mit, die sich auch noch als klug her­ausstellt, erlebt ver­schiedene „aben­teuer“ etc. etc. – kommt natür­lich reich, wenn auch etwas versehrt, mit sein­er traum­frau aus dem schla­mas­sel her­aus.
so ein text ist wohl das unauswe­ich­bare ergeb­nis, wenn kreative beson­ders kreativ und auch noch inno­v­a­tiv oder avant­gardis­tisch sein wollen: eine außeror­dentlich bemühte plot-kon­struk­tion (deut­lich zu merken der kon­struk­tion­s­plan…), ein grauen­haft banaler stilis­tis­ch­er brei, total plat­te und abge­lutsche motive und so weit­er. – andere erk­lärungsmöglichkeit: so etwas passiert, wenn kreative kurse für kreatives schreiben besuchen. der kunst­willen führt aber nur zur pseudokun­st – etwa im nachrich­t­entick­er, der unten über die seit­en läuft. vielle­icht ist das ja als beson­dere real­itätsver­sicherung gemeint, es bringt aber über­haupt nichts
das beste noch der titel oder eigentlich der gesamte para­text, etwa auch das mot­to von nico­las cage (klar, deut­lich­er ver­weis auf das ref­eren­zsys­tem dieses textes: früher stand hier ein bon­mot eines dichters, eine sen­tenz oder so etwas ähn­lich­es, jet­zt ist es halt das ergeb­nis eines halb­wegs hellen augen­blicks eines schaus­piel­ers): „es gibt zu viele schwätzer, zu viele lügn­er, zu viele diebe. das beschle­u­ni­gung­stem­po unser­er kul­tur [!!] ist so hoch, das bietet gün­stige bedin­gun­gen für arschlöch­er. nur wer die his­to­rie kenn, kann sich eine kor­rek­te mei­n­ung bilden.“ oder auch die auf­machung – wirkt fast wie real­satire (titel mit präsen­ta­tor, aufruf zur tex­tein­sendung „aller gewicht­sklassen“), übertreibt es damit aber („stab“, inkl. „per­for­mance-musik“, cater­ing von „mama&mama“ – sehr witzig…) so weit, dass es offen­bar doch tat­säch­lich ernst gemeint war (natür­lich wohl mit dem zwinkern­den auge – es gibt kaum schlim­meres als so ent­standene texte – die sind näm­lich fast nie wirk­lich witzig und schon gar nicht gut)

macht die aneinan­der­rei­hung von ganz vie­len zeichen einen text zum roman? „die gar­ni­tur“, eine art tex­ta­gen­tur mit dem anspruch beson­der­er inno­v­a­tiv­ität, scheint der idee nicht abgeneigt zu sein. ihre chefs matthias edling und jörg stein­leit­ner haben die 205.293 zeichen einen roman genan­nt. so viele zeichen sind das aber gar nicht – im großzügi­gen druck gut 150 seiten.wie das buch auf meine leseliste gekom­men ist – ich habe keine ahnung, das ist eben manch­mal der nachteil so exten­siv­er lis­ten­führereien… – gelohnt hat es sich jeden­falls nicht, noch nicht ein­mal als unter­hal­tung ist es wirk­lich brauch­bar. es ist so ein ver­such, die amerikanis­che gang­ster­sto­ry oder eher den gang­ster­film nach europa zu ver­legen. weil die autoren (oder, wie sie sich selb­st benen­nen, das „autorenteam“) dafür aber über zu wenig kreativ­ität, vorstel­lungskraft, stil­ge­fühl und ästhetis­che urteilssicher­heit ver­fügt, klappt das nicht so richtig – ist auch alles eine stufe harm­los­er: stu­dent, der im pflege­heim arbeit­ete, schnappt sich das viele bargeld ein­er sein­er ger­ade ver­stor­be­nen pati­entin­nen, haut in den süden ab, nimmt auf dem weg noch eine heiße frau mit, die sich auch noch als klug her­ausstellt, erlebt ver­schiedene „aben­teuer“ etc. etc. – kommt natür­lich reich, wenn auch etwas versehrt, mit sein­er traum­frau aus dem schla­mas­sel her­aus.
so ein text ist wohl das unauswe­ich­bare ergeb­nis, wenn kreative beson­ders kreativ und auch noch inno­v­a­tiv oder avant­gardis­tisch sein wollen: eine außeror­dentlich bemühte plot-kon­struk­tion (deut­lich zu merken der kon­struk­tion­s­plan…), ein grauen­haft banaler stilis­tis­ch­er brei, total plat­te und abge­lutsche motive und so weit­er. – andere erk­lärungsmöglichkeit: so etwas passiert, wenn kreative kurse für kreatives schreiben besuchen. der kunst­willen führt aber nur zur pseudokun­st – etwa im nachrich­t­entick­er, der unten über die seit­en läuft. vielle­icht ist das ja als beson­dere real­itätsver­sicherung gemeint, es bringt aber über­haupt nichts
das beste noch der titel oder eigentlich der gesamte para­text, etwa auch das mot­to von nico­las cage (klar, deut­lich­er ver­weis auf das ref­eren­zsys­tem dieses textes: früher stand hier ein bon­mot eines dichters, eine sen­tenz oder so etwas ähn­lich­es, jet­zt ist es halt das ergeb­nis eines halb­wegs hellen augen­blicks eines schaus­piel­ers): „es gibt zu viele schwätzer, zu viele lügn­er, zu viele diebe. das beschle­u­ni­gung­stem­po unser­er kul­tur [!!] ist so hoch, das bietet gün­stige bedin­gun­gen für arschlöch­er. nur wer die his­to­rie kenn, kann sich eine kor­rek­te mei­n­ung bilden.“ oder auch die auf­machung – wirkt fast wie real­satire (titel mit präsen­ta­tor, aufruf zur tex­tein­sendung „aller gewicht­sklassen“), übertreibt es damit aber („stab“, inkl. „per­for­mance-musik“, cater­ing von „mama&mama“ – sehr witzig…) so weit, dass es offen­bar doch tat­säch­lich ernst gemeint war (natür­lich wohl mit dem zwinkern­den auge – es gibt kaum schlim­meres als so ent­standene texte – die sind näm­lich fast nie wirk­lich witzig und schon gar nicht gut)

abtrünnig: eine trümmerlandschaft aus text

eine inten­sive und denkaufwändi­ge lek­türe: rein­hard jir­gl: abtrün­nig. roman aus der nervösen zeit. münchen: hanser 2005. ich bin jet­zt nach ein­er lan­gen – mehrere wochen – lesereise bis ans ende vorge­drun­gen. und ich kann jedem nur empfehlen, sich dieser erfahrung, die manch­mal zwar den charak­ter eines exerz­i­tiums annehmen kann, zu unterziehen. den jir­gl, schon lange ein­er mein­er favoriten unter den noch leben­den und schreiben­den autoren, hat hier ein beein­druck­endes kunst­werk geschaf­fen. und als solch­es muss man es auch ganz bewusst und offen­siv rezip­ieren: als kun­st – nicht als unter­hal­tung, denn als bet­tlek­türe taugt dieser roman sicher­lich über­haupt nicht.

da ist zunächst ein­mal seine per­son­ale son­derorthogra­phie, die hier – wie etwa auch in der genealo­gie des tötens – sehr eigen­willig erscheint. v.a. scheint sie ihre sys­tem­a­tisierung ein wenig ver­loren zu haben. kri­tiken the­ma­tisieren diese sehr augeschein­liche beson­der­heit der späteren jir­glschen texte beson­ders gern. in der tat muss man aber sagen, dass sie ent­ge­gen etwaiger befürch­tun­gen kein lese­hin­der­nis darstellt – sie wird sehr schnell sehr ver­traut. was sie allerd­ings ger­ade in abtrün­nig nicht wird, ist vol­lkom­men ver­ständlich: vieles bleibt zumin­d­est bei der ersten lek­türe (vielle­icht hülfe da eine sys­tem­a­tis­che durch­dringung?) auf dem niveau der spiel­erei, weil sich ein­er­seits keine bedeu­tungszuwachs oder ‑dif­feren­zierung erken­nen lässt, ander­er­seits auch wed­er eine absicht noch eine wenig­stens ver­mut­bare regel­haftigkeit. in manchen pas­sagen wirkt diese extreme ver­mehrung der sig­nifikanzen oder zumin­d­est außeror­dentliche verdeut­lichung der vieldeutigkeit des geschriebe­nen wortes, ins­beson­dere natür­lich durch die (ortho-)graphische eigen­willigkeit, wie eine kün­stlich forcierte annäherung an die mündlichkeit, das orale erzählen. ander­er­seits ist sie in ihrer vielgestaltigkeit, die ja weit über die vere­in­heitlichende, normierte (und damit ein­schränk­ende) regelorthogra­phie hin­aus­ge­ht, auch offen­bar der ver­such der dis­am­bigu­ierung – der allerd­ings wieder dazu führt, das das schrift­bild extrem her­metisch, abschreck­end & unüber­sichtlich wirkt & auch tat­säch­lich wird: entz­if­fer­bar ist das kaum noch, weil das sys­tem nicht so ein­fach zu durch­schauen ist (ist es über­haupt ein sys­tem?). und das führt schließlich auch dazu, dass man ihm leicht den vor­wurf der spiel­erei machen kann. tat­säch­lich scheint manch­es auch nur das zu sein, lässt sich manche wort-ver­for­mung auch kaum anders auf­fassen. in sein­er gesamtheit ist das, wenn man außer­dem noch die for­malen irreg­u­lar­ien und stolper­steine – etwa die querver­linkun­gen und textbausteine – bedenkt, ein kom­plett ver­minter text und damit (auch) ein angriff auf den leser: die irreg­ulären satze­ichen als kleine sprengkör­p­er, als angriffe auf das schnelle, ein­fache & gewöhn­liche ver­ste­hen.

in abtrün­nig ist die geschichte, die fabel, weit­ge­hend zur neben­sache gewor­den – noch nie war das bei jir­gl (soweit ich sehe) so sehr der fall wie hier. im kern geht es um zwei män­ner, zwei liebende, die auf ver­schlun­genen wegen nach berlin kom­men und dort auf tragisch-groteske weise am und im leben scheit­ern. das ist aber auch schon wieder nur halb richtig, weil der zweite liebende, ein aus der ddr-nva in den bgs über­nommen­er gren­zschützer, der ein­er flüch­t­en­den osteu­ropäerin zum ille­galen gren­züber­gang nach deutsch­land ver­hil­ft, auf der suche nach ihr nach berlin kommt, dort als tax­i­fahrer arbeit­et, sie wiederfind­et und just in dem moment, als sie zurück in ihre heimat gekehrt ist, um für die geplante heirat die notwendi­gen papiere zu organ­is­eren, von ihrem offen­bar psy­chisch gestörten brud­er erstochen wird, weil also dieser zweite liebende, dessen geschichte natür­lich durch begeg­nung mit der des anderen mannes verknüpft ist, gar keine beson­ders große rolle spielt.

wesentlich­er als das ist aber das moment, der abtrün­nig als „roman aus der nervösen zeit“ charak­ter­isiert. das ist das autis­tis­che monolo­gisieren, das durch­brochen wird von essa­yarti­gen pas­sagen und genial erzählten teilen. natür­lich spiegelt das wiederum nur das große, zen­trale prob­lem der haupt­fig­ur und der mod­er­nen gesellschaft über­haupt: die suche nach dem ich, der iden­tität, dem holis­tis­chen sub­jekt, dem eige­nen lebens- und sin­nen­twurf – ein suche, die grandios scheit­ern muss und nur frag­mente, zer­störung und beschädigte personen/figuren/menschen hin­ter­lässt. der ein­druck eines großen bruch­w­erkes bleibt dabei nicht aus: frag­men­tierte per­sön­lichkeit­en, sich auflösende soziale bindun­gen und gewis­senheit­en, kurz eine recht radikal aus­gerichtete gesellschaft­skri­tik sucht ihre form – und ver­liert sich dabei manch­es mal in essay-ein­schüben: abtrün­nig ist in erster lin­ie ein/das buch vom scheit­ern, seine bibel sozusagen: „es gibt kein richtiges leben im falschen“ – oder: das gelin­gen ist ganz und gar unmöglich gewor­den – & das muss man auch genau so kat­e­go­r­i­al for­mulieren, denn es gilt nicht nur für die fig­uren des textes, son­dern auch für ihn selb­st. deshalb ist er so, wie er ist; ist er in ein­er nach herkömm­lichen maßstäben defiz­itären ver­fas­sung – er kann natür­lich auch nicht mehr anders sein, das lässt die mod­erne welt, die „nervöse zeit“ nicht mehr zu. und genau wie diese ist er eine ziem­lich gewaltige zu-mutung für den leser. denn er will ja nichts anderes, als diese schöne neue welt erk­lären oder min­destens aufzeigen – deshalb natür­lich auch die (zeitweise dur­chaus über­hand nehmenden) essay-pas­sagen, die den kun­stcharak­ter des gesamten textes bee­in­flussen – & das dur­chaus mit gren­zw­er­ti­gen ergeb­nis­sen. denn im ganzen ist das wohl so etwas wie ein anar­chis­tis­ches kunst­werk – hoff­nungs­los unüber­sichtlich, kreuz und quer ver­linkt durch die selt­samen „link“-kästen, die ver­weise vor und zurück im text, die eingestreuten zitate und auch wieder­hol­un­gen, neuan­läufe der beschrei­bung ein­er sit­u­a­tion aus ver­schiede­nen blick­winkeln. das alles hat zum ergeb­nis, das der roman, der vom tod der gesellschaft, vom tod des sozialen lebens, spricht, auch den tod des romans beschreibt, exem­pli­fiziert – und auch reflex­iert. denn auch wenn es gar nicht oder höchst sel­ten expliz­it geschieht – vieles im text (etwa schon die dat­en der nieder­schrift (oder die behaupteten dat­en – schließlich befind­en wir uns mit ihnen immer noch im fik­tionalen text)) deutet auf eine reflex­ion der möglichkeit­en des schreibens in ein­er nervösen, defiz­itären, verkomme­nen und immer weit­er verk­om­menden gesellschaft hin. und wenn ein text wie abtrün­nig das ergeb­nis dieser prozesse ist, kann man nun sagen, dass das schreiben unmöglich oder gar obso­let wird? das scheint mir zweifel­haft – denn trotz sein­er unzweifel­haft zu kon­sta­tieren­den schwächen ist abtrün­nig als gesamtes doch ein beein­druck­endes kunst­werk bemerkenswert­er güte. inter­es­sant wird allerd­ings die fort­set­zung – mir scheint es ger­ade mit diesem buch so, als schriebe sich der sowieso schon am rande des ästhetis­chen und ins­beson­dere des lit­er­arischen diskurs­es ste­hende jir­gl immer mehr ins abseits: ob er diese bewe­gung noch frucht­bar weit­er­führen kann?

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