Lesen. Hören. Und ein bisschen schreiben.

Schlagwort: roman Seite 3 von 6

Aus-Lese #35

Wol­fram Malte Fues: InZwis­chen. Mit Zeich­nun­gen von Thitz. München: Allit­era Ver­lag 2014 (Lyrikedi­tion 2000). 127 Seit­en.

fues, inzwischenEin dur­chaus fein­er Lyrik­band, der mir mit seinen oft sehr lakonis­chen, auf bru­tale Kürze zusam­mengedampften Gedicht­en einige Lese­freude bere­it­ete. Fues beschreibt vor allem die Ding­haftigkeit der Welt und ihre Erschei­n­un­gen, der Gegen­stände und Zustände, Dinge und Geschehen. Sein bevorzugtes Mit­tel ist es, Beobach­tun­gen oder Tat­sachen ein­fach unver­mit­telt aufeinan­der­prallen zu lassen. Das wird auch sprach­lich immer wieder deut­lich: Fues bevorzugt Kon­traste, das schwarz-weiß, den Vorder- und Hin­ter­grund, jet­zt und früher, unten oder oben und so weite. Die wer­den oft direkt gegenübergestellt, ohne Ver­mit­tlung, ohne ein Zwis­chen. Denn genau um dieses “Zwis­chen” geht es, um den Raum, der von den Begrif­f­en so eröffnet wird. Dazu passen auch die Ver­tauschun­gen, ger­ade der Kon­trast­paare:

Ein Baum wie
eine Antenne.
Eine Antenne
wie ein Baum.
Dem­nächst
botschaften Bäume
blühen Anten­nen. (44)

Manch­mal sind Sinn und Sprache der kurzen Gedichte der­maßen verk­nappt und reduziert, dass nur noch Rät­sel bleiben — Rät­sel, die ein leeres Gerüst der Sprache zeigen, aus dem der Sinn aus­getrieben wurde ((z.b. 32). Dabei treibt ihn neben dieser Arbeit an der Sprache, die zwar reduziert, aber auch sehr konzen­tri­ert wird, ger­ade die Frage der Kausal­ität oder nur der Kor­re­spon­denz, der zeitlichen/räumlichen (sprach­lichen) Folge beson­ders um. Der Titel, das “Zwis­chen”, das ist auch in sein­er Sprache das Span­nende: Das da-/in-/-/zwis­chen in der Abfolge, der Kausal­ität, der Entwick­lung, der Kor­re­la­tion (oder auch nicht, der nur so scheinen­den …). Auf die Strichze­ich­nun­gen von Thitz hätte ich gut verzicht­en kön­nen — für mich sind das bloße — oft genug schlechte, weil banale — Illus­tra­tio­nen des im Gedicht vork­om­menden, dabei allerd­ings sehr ober­fläch­lich.

Robert Seethaler: Ein ganzes Leben. Berlin: Hanser Berlin 2014. 77 Seit­en (ebook)

seethaler, ganzes lebenDen Trafikant habe ich ja mit großem Vergnü­gen und Gewinn gele­sen. Deswe­gen hat mich Ein ganzes Leben ziem­lich ent­täuscht. Meine Lek­türeno­ti­zen sind sparsam: reich­lich lahm fand ich das während des Lesen, auch erzäh­lerisch ein­fach lang­weilig und charak­ter­los. Der Text begin­nt etwas wie Stifter (auch sachen wie der am Beginn und Ende auf­tauchende Hörn­er­hannes und die sagen­hafte “Kalte Frau” weisen auf die Ver­wand­schaft hin), dann kommt noch ein biss­chen Wim­schei­der und eine gehörige Por­tion Franz Inner­hofer dazu. Seethaler erzählt ein Leben (aber ist das in irgend ein­er Hin­sicht ein ganzes? Da sind viele Lück­en …) eines Mannes, der als Waise in ein öster­re­ichis­ches Gebirgstal kommt und dort — mit Aus­nahme des Zweit­en Weltkrieges — und einem späten, ver­sick­ern­den Aus­bruchsver­such nicht her­auskommt. Dafür arbeit­et er nach seinem Beginn als land­wirtschaftlich­er Tagelöh­n­er am Einzug des Fortschritts in das Tal in Form von Seil­bah­nen mit — eines Fortschrittes, der aber min­destens so unmen­schlich ist wie das harte Leben zuvor. Das ist tat­säch­lich so klis­chee­haft und ein­fall­s­los, wie das hier klingt … Ich ver­ste­he ehrlich gesagt die Begeis­terung der Rezensen­ten nicht so ganz — das ist mir alles zu banal und zu behäbig erzählt.

Elfriede Jelinek: Rein Gold. Ein Bühne­nes­say. Rowohl 2013. 223 Seit­en.

jelinek, rein goldEine Art Stre­it­ge­spräch zwis­chen Wotan und Brün­hilde am Schluss des “Ring des Nibelun­gen”. Aber Gespräch ist fast schon zu viel gesagt: Die bei­den Stim­men monolo­gisierend mehr ankla­gend abwech­sel­nd auf einan­der zu oder gegen einan­der. Es geht um alles, näm­lich die gesamte Welt und ihre Geschichte. Dabei kom­men bei­de immerzu von einem zum anderen, vom Hölzchen aufs Stöckchen — manch­mal ist es der Klang bes­timmter Wörter, der den Anschluss sichert, manch­mal ein the­ma­tis­ch­er Zusam­men­hang, manch­mal ein sys­tem­a­tis­ch­er oder ein per­son­aler. Das macht das Lesen so anstren­gend und schwierig: Wie eigentlich immer bei Jelinek ist auch Rein Gold total über­frachtet. Man muss sich selb­st eine Schneise durch diese Text­land­schaft schla­gen, seinen Weg suchen und dabei so manchen Irrgang nicht in Kauf nehmen. Dafür bekommt man eine Anklage der Macht, des auf (unbe­di­en­ten) Schulden beruhen­den Kap­i­tal­is­mus, der Aus­beu­tung über­haupt, dem Ver­hält­nist von Män­nern und Frauen und dem von Töchtern und Väter im beson­deren. Das ist oft witzig, tre­f­fend und genau, manch­mal aber auch absurd und man­isch, wie hier alles — also wirk­lich Gott und die Welt, schließlich ist Wotan ja nicht irgendw­er, wie er gerne betont, und Brün­hilde natür­lich auch nicht — durch den Textwolf gedreht wird.

Ich ver­ste­he noch immer nicht, was ich sage, muß es aber sagen. (210)

Dieses ewige Texband hat mir den Zugang hier vor allem auf den ersten paar Dutzend Seit­en ziem­lich erschw­ert: Wenn man nicht reinkommt in den Rhyth­mus der Gedanken und Worte, dann bleibt man aber auch wirk­lich draußen. Die schlechte Typogra­phie macht das Lesen des unbändi­gen Textes allerd­ings auch nicht leichter und ver­sagt damit total — die unpassende Type ohne Lig­a­turen ist der Anfang, dann ist der Satzze­ichen-Clash „!,“, der oft vorkommt, erstaunlich hässlich und vor den Aus­rufe- und Frageze­ichen so viel Luft, dass man manch­mal kaum weiß, wo die hinge­hören.

Es gibt nichts vom Geld Ver­schiedenes, denn es gibt nur Geld, es gibt Ver­schiedene, aber auch von ihnen kommt nur Geld, falls sie es schon vorher hat­ten, son­st sind sie gar nicht so ver­schieden. Son­st sind sie die gle­ichen wie wir. (89f.)

Alles Geld ist nichts ohne Ware, und die Ware ist nichts als ein beschnit­ten­er Jude, unvoll­ständig, aber unbe­stre­it­bar tüchtig, immer tüchtig, das sehe ich voraus, bis auch er endet, ach, ich weiß nicht, das sage ich, ein Gott, und die Ware ist das Wun­der­bare, die Ware ist das Wun­der, die wun­der­bare Ver­mehrung von allem, nicht nur Brot und Fis­chen, Jesus auch ein Pfos­ten, klar, ver­schenkt wird nichts, der hat das gemacht, aber er war ein Dil­lo, daß er geglaubt hat, das bringt ihm was, das bringt ihm Anhänger oder wie oder was, ich seh sie nicht, ich sehe sie noch nicht, was wollte ich sagen: Also die Ware ist das wun­dertätige Mit­tel, um aus Geld, das wan­dern muß, das zu einem bes­timmten Zweck, näm­lich diesem, wan­dern muß, son­st kann man sich dafür nichts kaufen, weil dann ja oft die Waren ganz woan­ders sind als das Geld, das eben wan­dern muß, um aus Geld mehr Geld zu machen, um mehr aus sich zu machen. Um aus Geld mehr Geld zu machen. Mehr Geld zu machen und aus. (125f.)

Matthias Nawrat: Unternehmer. Rein­bek: Rowohlt 2014. 137 Seit­en.

nawrat, unternehmerDer Schwarzwald in nicht allzu fern­er Zukun­ft: dein­dus­tri­al­isiert, aufgegeben, ver­lassen, nur noch eine Rest­bevölkerung schaut zu, wie die riesi­gen Trans­porter auf der Auto­bahn vor­bei nach Nor­den don­nern, in die Städte. Da lebt auch die klas­sis­che Fam­i­lie — Vater, Mut­ter, Tochter, Sohn — von Liba, der 13jährigen Erzäh­lerin in Nawrats kleinem, aber dur­chaus feinen Roman Unternehmer. Die Fam­i­lie, das ist der Witz, hat die Logik des Kap­i­tal­is­mus aufge­so­gen und über­nom­men, bis ins Let­zte des Fam­i­lien­lebens hinein. Die Kinder sind damit Teil des Unternehmens — eines ziem­lich dürfti­gen Restev­er­w­ert­ers, der in ver­lasse­nen Fab­riken und Kraftwerken nach Wert­stof­fen sucht. Das ist eine nicht ganz unge­fährliche Auf­gabe, der Sohn hat schon einen Arm ver­loren und wird während des Romans auch noch sein­er Beine beraubt. Nawrat führt hier also gewis­ser­maßen die neolib­er­al­is­tis­che Spielart des Kap­i­tal­is­mus nach dem Ende der Pro­duk­tion vor. Und er zeigt wun­der­bar, wie hohl die Phrasen der Ide­olo­gie (gewor­den) sind. Dazu dient ihm eine faszinierende Sprache, die — wie die Motive der Erzäh­lung — zwis­chen Naiv­ität und Raf­finiertheit, zwis­chen Spiel und tödlichem Ernst, zwis­chen Lock­er­heit und Strenge (in Ton und Satzbau gle­icher­maßen) pen­delt. Ger­ade dadurch, dass nicht alles expliziert wird, sich der Leser einiges dieser selt­samen Welt und Gesellschaft und Fam­i­lie zusam­men­reimen muss und auch oft genug auf Lück­en stößt, bleibt Unternehmer inter­es­sant. Schön auch, dass Nawrat seine Idee dann auch nicht über­mäßig auswalzt und sich mit 137 Seit­en beschei­det — mehr ist auch über­haupt nicht nötig, der Punkt ist dann schon längst klar: “Unternehmer­tum” ist eine leere Worthülle, die man noch als Spiel betreiben kann, die aber, wenn sie zur alleini­gen Ide­olo­gie gewor­den ist, die Leere ihrer selb­st vor­führt — und das Fehlen der “wahren” Werte wie Emo­tio­nen und Gefüh­le nur noch deut­lich­er wer­den lässt.

Die Garantie hier­für ist der Erfolg unser­er täglichen Arbeit. Also hängt alles vom Erfolg unser­er täglichen Arbeit ab, sagte Berti. Und diesen wiederum haben wir selb­st in der Hand, sagte ich. Es han­delt sich um einen Erfol­gskreis­lauf, den wir mit unser­er Arbeit in Bewe­gung hal­ten.

Kil­ian Jor­net: Lauf oder stirb. Das Leben eines bed­i­n­ungslosen Läufers. München: Malik 2013. 222 Seit­en.

jornet, lauf oder stirbZu diesem schö­nen und tollen Lauf­buch oder bess­er: Läufer­buch eines außeror­dentlichen Läufers habe ich drüben im Lauf­blog schon alles notwendi­ge gesagt: Viel Licht, ein biss­chen Schat­ten: Leseempfehlung für alle Ultra-Trail-Lauf-Inter­essierten.

außer­dem noch:

  • Friedrich Hölder­lin, Hype­r­i­on oder der Eremit in Griechen­land (Re-Lek­türe, weil August ist)

Ins Netz gegangen (21.7.)

Ins Netz gegan­gen am 21.7.:

  • Zeit­genös­sis­che Oper: “Aua, aua – Schme-e-erzen!” | ZEIT ONLINE — christi­nen lemke-matwey reka­pit­uliert die opern-urauf­führun­gen der let­zten monate — und die sit­u­a­tion des zeit­genös­sis­chen musik­the­aters über­haupt:

    Die Oper bleibt, was sie immer war, träge, kuli­nar­isch, teuer, selb­stver­liebt – und die Kom­pon­is­ten, auch die, die ihr abgeschworen haben, ver­sam­meln sich halb reumütig, halb blauäugig in ihrem war­men Schoß.

    nicht ohne hoff­nung, aber so richtig begeis­tert scheint sie auch nicht zu sein — und auch keine idee zu haben, was eine (neue) begeis­terung aus­lösen kön­nte:

    Man mag es schlimm find­en oder nicht, wenn die Men­schen nicht mehr in Mozarts Zauber­flöte oder Bizets Car­men gin­gen; richtig schlimm, ja ver­heerend wäre es, wenn es keine rit­uellen Orte mehr gäbe, an denen sich eine Gemein­schaft über ihre Emo­tio­nen und Affek­te ver­ständigte, ohne immer gle­ich darüber reden zu müssen, ein­er Sek­te beizutreten oder ins näch­ste Fußball­sta­dion zu ren­nen. Orte für Musik, Orte für Augen, Ohren und Sinne, Opern­häuser eben.

    (ich wüsste ja nur gern ein­mal, ob das wirk­lich stimmt, dass “derzeit so viele [neue Stücke] wie noch nie” entste­hen — zahlen und ver­gle­iche nen­nt sie lei­der keine …)

  • Uwe John­son: Daheim in der Par­al­lel­welt | ZEIT ONLINE — jan brandt schießt in sein­er begeis­terung für uwe john­son, der gestern 80 jahre alt gewor­den wäre, ein wenig übers ziel hin­aus:

    Dabei war John­son der inno­v­a­tivste, radikalste, man­is­chste deutsche Nachkriegsautor.

    trotz­dem aber eine gelun­gene und richtige und notwendi­ge hom­mage an einen großen autor

  • Klas­sen­ge­sellschaft: Standes­gemäß | Kar­riere | ZEIT ONLINE — die “Zeit” zeigt schöne und inter­es­sante (porträt-)fotos aus der weimar­er repub­lik:

    Der Fotograf August Sander hat die Stän­dege­sellschaft der Weimar­er Repub­lik porträtiert. Er fotografierte die Men­schen in ihrer typ­is­chen Umge­bung, mit charak­ter­is­tis­ch­er Klei­dung oder in typ­is­ch­er Hal­tung.

    (von “Stän­dege­sellschaft” würde ich zwar nicht sprechen, aber seis drum …)

  • IASLon­line NetArt: Geschichte der Com­put­erkun­st Inhaltsverze­ich­nis — thomas dreher hat eine “Geschichte der Com­put­erkun­st” geschrieben und passend im netz veröf­fentlicht:

    Nach fünf Jahrzehn­ten Com­put­erkun­st sind aus­führlichere Rekon­struk­tio­nen der his­torischen Entwick­lungslin­ien des Ein­satzes von Rech­n­ern und Rechen­prozessen in kün­st­lerischen Pro­jek­ten fäl­lig, um Com­put­erkun­st als eigen­ständi­gen Bere­ich der Medi­enkun­st erken­nen zu kön­nen.

  • Kolumne Luft und Liebe: So crazy wie gold­ene Leg­gins — taz.de -

    Nein, ver­mut­lich hil­ft die „x“-Endung nicht im Nahostkon­flikt. Vielle­icht löst sie über­haupt ganz wenig und wird schon bald durch irgend­was mit „y“ abgelöst. Men­schen, die sich an Babyspinat-Man­gold-Smooth­ies gewöh­nen, wer­den sich mit der Zeit auch an neue Sprach­for­men gewöh­nen. Men­schen, die ver­suchen, ein­er Wis­senschaft­lerin zu erk­lären, was sie vor geschätzten 37 Jahren in der Schule gel­ernt haben, von jeman­dem, der 20 Jahre vorher Biolo­gie auf Lehramt studiert hat: schwierig.

  • Sym­bol­ge­halt ǀ Wir sind wieder wer anders — der Fre­itag — georg seeßlen über fußball, poli­tik, nation, sym­bol und ver­w­er­tungszusam­men­hänge:

    Ein Fußball­spiel hat keine poli­tis­che Botschaft, so wenig wie die Frisur eines Bun­de­strain­ers einen kul­turgeschichtlichen Wen­depunkt markiert. Die poli­tis­che Metaphorik wird erst danach pro­duziert. Je nach Bedarf. Je nach Inter­esse. Je nach Ein­fluss. Wie schön wäre es, wieder ein­mal sagen zu kön­nen, gewon­nen hät­ten ein­fach diejeni­gen, die an dem ein oder anderen Tag am besten Fußball gespielt haben. Ein schönes Spiel sei ein schönes Spiel. Und son­st nichts. Aber das ist eben das Kreuz mit den Real­itätsmod­ellen. Sie ver­lieren ihre eigene Real­ität. Wie viel Wahrheit ist noch auf dem Platz, wenn die Macht der Inszena­toren und Prof­i­teure ins Uner­messliche geht?

  • Berlin­er Phil­har­moniker Record­ings: Im Leinen-Schmuck­pack samt Blu-ray | Musik — Berlin­er Zeitung — Inter­es­sant, wie tiefge­hend man Klas­sikkri­tik­er mit ein­er außergewöhn­lichen CD-Ver­pack­ung irri­tieren & ver­stören kann

Aus-Lese #33

Es wird mal wieder höch­ste Zeit für die näch­ste Aus-Lese …

Ben­jamin Stein: Das Alpha­bet des Rab­bi Löw. Berlin: Ver­brech­er 2014. 286 Seit­en.

stein, alphabetDas Alpha­bet, ganz frisch vom Ver­lag, ist den­noch schon einige Jahre alt: Denn Stein legt hier ein Über­ar­beitung seines Erstlings vor. Das ist eine sehr aufwändig kon­stru­ierte, ver­track­te Geschichte, die ich jet­zt gar nicht rekon­stru­ieren (oder gar nacherzählen) möchte — und wohl auch kaum noch kön­nte. Was mich wieder ein­mal überzeugt und beein­druckt hat, ist das Erzählen des Erzäh­lens als The­ma selb­st, mit dem fast schon oblig­a­torischen Ver­wis­chen von Erzähltem und Real­ität, bei dem die Gren­zen zwis­chen erzäh­len­dem und erzählten Ich schnell über­wun­den (bzw. unken­ntnlich gemacht) wer­den. Wo das Wirk­liche unwirk­lich wird (zu wer­den scheint) — und die Phan­tasie auf ein­mal real: Da ist man in einem Text von Bejamin Stein. Seraphin mit See­len aus Feuer tauchen hier auf, Selb­stentzün­dun­gen der untreuen Lieb­haber — über­haupt bren­nt hier ziem­lich viel -: Engel, Golem und Rab­bis, Worte und Namen und ähn­lich­es bevölk­eren dieses amüsante Ver­wirspiel auf vie­len Ebe­nen der Erzäh­lung und der Wirk­lichkeit (aber ist eine Wirk­lichkeit, in der es Engel gibt, Men­schen, die selb­st entzün­den, Wiederge­burt/-erscheinen nach mehreren hun­dert Jahren als iden­tis­che Per­son, ist so eine Wirk­lichkeit über­haupt „wirk­lich“?), angere­ichert mit religiösen The­men (und eini­gen Kuriosa, zumin­d­est für mich, der ich mich in der jüdis­chen Reli­gion so gar nicht auskenne). Und wie in Agen­ten­thrillern/-fil­men/-serien wird sozusagen im nach­hinein immer noch eine Ebene der Täuschung/Illusion/Erzählung/Fiktion einge­baut, die jew­eils erst sicht­bar wird, in dem sie zer­stört wird, aufgelöst wird — und entsprechend rück­wirk­end den ganzen Text auflöst, entk­ernt, … Das ist ein alter Erzäh­ler­trick, gewiss, den Stein hier aber dur­chaus nett umset­zt. Manche Pas­sagen sind für meinen Geschmack etwas krim­i­haft, manch­mal auch etwas argl plaud­erend erzählt, zu sehr darauf angelegt, gemein­same sache mit dem Leser machen. Mit Ratio­nal­ität allein wird man diesem Buch über Engel, das zugle­ich ein ver­track­ter Mehrgenerationen-Familiengeschichte(n) im 20. Jahrhun­dert ist, in der alle mit allen zusam­men­hän­gen, kaum gerecht. Und sehr schön ist es übri­gens auch, mal wieder ein in Leinen gebun­denes Buch in der Hand zu haben — das liegt da gle­ich ganz anders …

Was weißt du schon? erwiderte die Stimme. Und das war der Satz, den er von nun an immer wieder hören sollte: Was weißt du schon? Sei nicht dumm. Es gibt ein Bild hin­ter dem Spiegel und eine Stadt tief unter dir. Es gibt Engel, die wer­den als Men­schen geboren, und Men­schen, die gehen in Flam­men auf, weil die Buch­staben keck ihre Plätze tauschen und die Welt auf den Kopf stellen, nicht mehr als ein Spiel. (201f.)

Fried­helm Rath­jen: Arno Schmidt lesen! Ori­en­tierung­shil­fe für Erstleser und Weg­weis­er im Lit­er­aturd­schun­gel. Süd­west­hörn: Edi­tion ReJOYCE 2014. 168 Seit­en.

rathjen, schmidt lesenEin schön­er, kurz­er und knack­iger Überblick aus der Rath­jen-Werk­statt: Zugle­ich eine ganz kurze Ein­führung in die Biogra­phie Schmidts und ein Überblick über sein Schaf­fen. Das geschieht vor allem im Modus der Kurzcharak­ter­is­tik aller Werke, die Rath­jen chro­nol­o­gisch abhan­delt und so zugle­ich auch ein biss­chen Rezep­tion­s­geschichte — vor allem für die nachge­lasse­nen Pub­lika­tio­nen und Edi­tion — bietet. Dazu gehört, den jew­eili­gen Werken zuge­ord­net, ein doch recht aus­führlich­es Verze­ich­nis der (wichti­gen?) Sekundär­lit­er­atur — lei­der ohne Kom­men­tar und deshalb also ein doch nicht ganz so poten­ter „Weg­weis­er“. Als Hil­f­s­mit­tel und Anre­gung für den (noch) nicht voll­ständi­gen Schmid­tian­er ist Arno Schmdit lesen! aber trotz­dem nüt­zlich, auch wenn für meinen Geschmack die Textlein zu den Werken manch­mal doch arg kurz ger­at­en sind. Doch weil Rath­jen ein guter Ken­ner des Schmidtschen-Kos­mos ist, hat das Büch­lein dur­chaus seinen Wert, der naturgemäß für Schmidt-Ken­ner geringer ist als für Novizen.

Ilma Rakusa: Ein­samkeit mit rol­len­dem »r«. Erzäh­lun­gen. Graz: Droschl 2014. 158 Seit­en.

rakusa, einsamkeitIn Kürze: Ganz tolle Erzäh­lun­gen sind hier zu find­en, unbe­d­ingt empfehlenswert — wenn man kleine Geschicht­en zwis­chen Reportage und Momen­tauf­nahme aus der Fremde Europas mit einem Hang zu leichter Melan­cholie und Trau­rigkeit mag. Meist geben sie kurze Ein­blicke in Leben und Charak­ter ein­er Per­son (die den Titel der jew­eili­gen Geschichte bildet), oft durch eine nah­es­tende Erzäh­lerin, einen Fre­und etwa. Das hat oft etwas von ein­er Pseu­do-Reportage, wie es etwa eingear­beit­ete Zitate der Pro­tag­o­nis­ten ein­er Erzäh­lung zur Darstel­lung ihres Hin­ter­grunds, ihrer Geschichte nutzt, als stammten sie aus einem Gespräch. Dazu passt auch die Schlichtheit der Sätze — zumin­d­est syn­tak­tisch, lexikalisch ist das dur­chaus kun­stvoll: Daher kommt auch der lyrische, oft leicht schwebende Ton der Erzäh­lerin­nen aus der Fed­er Rakusas.

Immer wieder wer­den beschädigte Leben erzählen: Heimatver­lust oder über­haupt Heimat­losigkeit, das (ewige) Weit­erziehen, die Suche nach einem Platz/Ort (nicht nur, aber auch geo­graphisch) im Leben bes­tim­men den Weg der Pro­tag­o­nis­ten, die ganz über­wiegend suchend sind, sich auf dem Weg bein­den, immer unter­wegs — nach Leben, Sinn etc., auch nach Erleuch­tung (mehrmals suchen sie die ganz plaka­tiv in Indi­en): entwurzelte Men­schen der Mod­erne zeigt Rakusa uns. Momen­tan oder zeitweise, vorüberge­hend kann die Ein­samkeit aufge­hoben oder sus­pendiert wer­den — in Freundschaft(en) und Liebe etwa, wobei die Enthe­bung aus der Ein­samkeit immer als solche, als nicht dauernde Erle­ichterung, auch wahrgenom­men und erkan­nt wird: Das Bewusst­sein der Endlichkeit der „Gesel­ligkeit“ ist immer vorhan­den, ihre Fragilität gewusst. So spie­len sich in den Fig­uren Dra­ma und Trau­ma der Gegen­wart ab: Kap­i­tal­is­mus, Krieg und Krankheit­en als Verur­sach­er der „Störung“. Und: Europa außer­halb Deutschlands/Mitteleuropa wird gezeigt, mit Krieg und Kriegs­fol­gen, Armut, Leere, Verzwei­flung, Leid, Trauer und Trau­rigkeit — ohne deshalb total schwarz zu sein, grundiert diese dun­kle Erfahrung doch nicht nur das Leben der Pro­tag­o­nistin­nen, son­dern auch den Ton der meis­ten Erzäh­lun­gen: dunkel, aber nicht depres­siv; hart, aber nicht verzweifelt. Auch die Orte sind keineswegs alles Idyllen: Kol­jan­sk etwa wird als rein­er Höl­lenort erzählt: Trost­los, aus­sicht­s­los, ret­tungs­los: „Ein Punkt, der bald ver­schwun­den sein wird. Dort.“ (158) — das sind zugle­ich die let­zten Worte des Buch­es — die dem Ganzen noch eine­mal einen etwas über­raschend düster­nen, trost­los-grauen Dreh geben

Wie geht das: im Leben eine Seite umwen­den? Aussteigen, wegge­hen, auf nichts hof­fen als auf die Richtigkeit der Entschei­dung. (73)

Wir waren kurz sehr lange weg gewe­sen. (79)

Tim B. Müller: Nach dem Ersten Weltkrieg. Lebensver­suche mod­ern­er Demokra­tien. Ham­burg: Ham­burg­er Edi­tion 2014. 174 Seit­en.

müller, demokratienDemokra­tien sind labile Gebilde, Dauer­haftigkeit gibt es nicht, die Demokratie muss immer neu hergestellt wer­den. Deswe­gen benöti­gen sie Entschei­dun­gen, Reagieren — und Entwick­lung, sie verzei­hen aber auch Fehler. Ganz beson­ders gilt das für Momente der Krise. Müller zeigt das anhand “der” Krise der mod­er­nen Demokra­tien nach dem Ersten Weltkrieg am Ende der 1920er Jahre, im Umfeld der Wirtschaft­skrise. Dabei zeigt Müller auch, wie eng soziale Demokratie (mit ihrer Umverteilung (die aus dem Gle­ich­heit­spos­tu­lat resul­tiert), also der „Wohlfahrtsstaat“ und demokratis­che Organ­i­sa­tion sowie Gesin­nung (der Bevölkerung) im 20. Jahrhun­dert in Europa (und den USA) zusam­men­hän­gen.

Demokratie will Müller ver­standen wis­sen als Prozess, ständi­ge Diskus­sion, Vergewis­serung und Anpas­sung sind notwendig und wesen­haft. Das geschieht nicht in allen Län­dern und Gesellschaften gle­ichzeit­ig und auf gle­iche Weise. Für Deutsch­land stellt er etwa fest:

Demokratie als Kul­tur und Lebensweise musste in Deutsch­land mit beson­derem Nach­druck ver­ankert wer­den, weil Kriegsver­lauf und Nieder­lage eine schwierige Aus­gangslage geschaf­fen hat­ten: Die Kriegsnieder­lage führte zur Demokratie, was die Demokratie belastete. (81)

Und später heißt es:

Es bedurfte ein­er gewalti­gen Erschüt­terung, um dieses Gefüge ins Wanken zu brin­gen. Die Weltwirtschaft­skrise ließ die Entwick­lung, die den Zeitgenossen seit dem Ersten Weltkrieg unaufhalt­sam erschienen war, still­ste­hen. Das war nicht der Unter­gang. Aber die Rou­ti­nen und Kon­ven­tio­nen der Demokra­tien, die auch unter großem Druck so lange so gut funk­tion­iert hat­ten, geri­eten ins Stot­tern. Jet­zt kam es auf kluges Regieren an, jet­zt kon­nte jed­er falsche Schritt in den Abgrund führen, jet­zt waren anti­demokratis­che Kräfte und Tra­di­tio­nen imstande, zur Bedro­hung zu wer­den. Die lib­erale und soziale Demokratie war nicht am Ende. Sie ging sog­ar gestärkt aus der großen Krise her­vor. Nur nicht in Deutsch­land. (112f.)

Das ist genau der Punkt, um den dieser Essay kreist: Die Entwick­lung der Geschichte war — auch in Deutsch­land — keine zwangsläu­fige, der Weg aus der Krise hätte auch anders ausse­hen kön­nen. Ver­sagen sieht Müller hier vor allem bei Brün­ing, dem er bescheinigt:

Vom Blick­winkel der Geschichte der Demokratie aus war es nicht diese oder jene Maß­nahme der Brün­ing-Regierung, die den Unter­gang der Demokratie ein­leit­ete, nicht das Sparen selb­st, son­dern ein fun­da­men­tales intellek­tuelles Ver­sagen, die Unfähigkeit, Poli­tik in ein­er der Demokratie angemesse­nen Kom­plex­ität zu denken. (120)

Die Modi, Lösun­gen oder Strate­gien zur Bewäl­ti­gung der Krise der Demokratie, darauf weist Müller aus­drück­lich hin, hät­ten aber ger­ade das zur Bedin­gung gehabt: Die Beherrschung des „The­aters der Demokratie“ (127) — das scheint für Müller nicht nur der/ein wesentlich­er Unter­scheid zwis­chen Brün­ing und Roo­sevelt zu sein, son­dern ein wesentlich­es Ele­ment erfol­gre­ich­er Krisen­be­wäl­ti­gung. Zumin­d­est kann man sein Lob von Roo­sevelts „demokratische[m] Exper­i­men­tieren“ (129), das Müller wohl als angemessen­stes Ver­fahren, die Krise zu be-/über­wälti­gen, ansieht, so sehen.

Im Grunde ist das auch schon ein wesentlich­er Teil des Haup­tar­gu­ments: „Wirtschaftswach­s­tum, Wohlfahrtsstaat und Demokratie waren unau­flös­lich miteinan­der ver­woben.“ (138f.). Und da sind, ger­ade in Krisen­zeit­en, für Müller han­del­nde Per­so­n­en gefragt, Indi­viduen (hier eben Poli­tik­er (& Keynes ;-))), die diese Kom­plex­ität erken­nen und zugle­ich im demokratis­chen Diskurs (dem “The­ater”) angemessen argu­men­tieren kön­nen. In allen seinen Beispie­len macht Müller Aktive aus, die die Demokratie „ret­ten“ (oder im falle Brün­ings, eben nicht). Angelegt ist das dabei dur­chaus in Struk­turen, aber die Notwendigkeit der/einer Entschei­dung und — das ist im demokratis­chen Han­deln eben immer genau­so wichtig — des Überzeu­gens bleibt (als vornehm­lich indi­vidu­elle Leis­tung!).

Als konkrete Über­lebensstrate­gien von Demokra­tien iden­ti­fiziert Müller dann vor allem drei Momente: Erstens die „soziale Sta­bil­isierung durch Sozialpoli­tik“ (das heißt auch, in wirtschaftlichen Krisen­zeit­en die staatlichen Investi­tio­nen auszuweit­en statt blind zu sparen), zweit­ens die „poli­tis­che Inte­gra­tion durch demokratis­ches Pathos, durch Par­tizipa­tion und Mobil­isierung der Bürg­er“ und drit­tens eine Wirtschaft­spoli­tik mit inten­sivem ein­greifen in ökonomis­che Struk­turen, „ohne Rück­sicht auf ökonomis­che Effizienz“, d.h. hier v.a. Arbeits­beschaf­fungs­maß­nah­men (152). Das kann man übri­gens, so deutet Müller sehr vor­sichtig an, dur­chaus auch für die gegen­wär­tige Krise als Lösungs­fak­toren annehmen … Über alle Krisen hin­aus aber gilt:

Demokra­tien mussten sich ihrer ständi­gen Gefährdung auch in guten Zeit­en bewusst bleiben. Unter allen Umstän­den galt es, ihr zivil­isatorischen Min­i­mum zu bewahren. (152)

Alexan­der Gumz: aus­rück­en mit mod­ellen. Berlin: kook­books 2011. 88 Seit­en.

gumz, modelleSelt­sam: das fes­selt oder berührt mich so gar nicht — ohne dass ich sagen kön­nte, warum. Irgend­wie zün­den die Bilder nicht, die Sprache (Stil und Form) set­zt sich nicht fest, die Inhalte inter­essieren mich nicht. Die Form­losigkeit (gerne in lan­gen Zweizeil­er) ist zwar irgend­wie gefühlt kook­books-typ­isch, aber ich erkenne nichts, was die Texte für mich inter­es­sant machte. Vielle­icht braucht’s nochmal eine Re-Lek­türe in ein paar Wochen — wer weiß, möglicher­weise sieht der Leseein­druck dann schon ganz anders aus …

Nette Momente hat das näm­lich schon — zum Beispiel im ersten Zyk­lus, „zer­beultes gelände“: Der Wald, der wie auf Dro­gen scheint. Über­haupt spie­len Zeichen (in) der Natur eine Rolle: das heißt nicht zufäl­lig „zer­beultes gelände“, geht es doch immer wieder um die Ein­wirkung und die Ein­griffe der Men­schen in die Natur bzw. den Wald. Aber dann lese ich eben auch vieles, was mir nur selt­sam und gewollt erscheint: wie gesagt, die Res­o­nanz fehlt bei mir (was dur­chaus an diesem spez­i­fis­chen Leser liegen kann): das sind nur lose gerei­hte gewollte Bilder für mich, nach den ersten Seit­en ist aber auch dieser Reiz weg.

wir lehnen an der gren­ze zum gewit­ter,
schüt­teln die köpfe.

unter unseren füßen
dehnt sich der steg. (11, zer­beultes gelände)

Christoph Bangert: War Porn. Hei­del­berg, Berlin: Kehrer 2014. 189 Seit­en.

bangert, war pornEin hartes, sehr hartes und grausames Buch. War Porn sam­melt Kriegs­fo­tografie aus Irak und Afghanistan vor allem, die in Zeitun­gen und Zeitschriften nicht gedruckt wird. Sie zeigt näm­lich vor allem die Opfer, die Reste, die von Men­schen manch­mal nur noch übrig bleiben, nach dem der Krieg über sie hin­weg gegan­gen ist. Aber das ist eben auch emi­nent wichtig, so etwas zu sehen, sich selb­st zuzu­muten — Krieg, Gewalt passiert ja nicht ein­fach, son­dern wird gemacht. Von Men­schen. Über­all und immer wieder. Daran muss man erin­nern: wie das aussieht — abseits der schick­en Kampf­jets oder der harm­los verniedlicht­en “Drohnen”. Klug ist das insofern, als Bangert sehr wohl um die „Nor­mal­ität“ sein­er Bilder weiß: Die sind — und das gilt eben lei­der auch für das dargestellte — keineswegs außergewöhn­lich. Ungewöhn­lich ist nur, dass sie gezeigt wer­den. Das — als Buch — zu loben, hat einen bit­teren Beigeschmack: Denn das ist zwar dur­chaus ein schönes Buch, schön­er wäre es aber, wenn es War Porn gar nicht gäbe.

What you see in this book is my per­son­al expe­ri­ence. And in a way it’s yours, too, because these things hap­pened in your life­time. You as a view­er are com­plic­it. (3)

außer­dem:

  • Peter Weiss, Ästhetik des Wider­stands — großar­tig und erschla­gend, fes­sel­nd und lang­weilend ohne Ende (je nach dem, wo man ger­ade ist — im 2. Buch hat­te ich ganz schöne Durch­hänger …)
  • Johann Beer (das “Tage­buch”, Jucun­di Jucundis­si­mi wun­der­liche Lebens-Beschrei­bung u.a.)
  • Chris­t­ian Reuter, Schmel­muff­skys wahrhafftige curiöse und sehr gefährliche Reisebeschrei­bung zu Wass­er und Lande
  • Joseph Roth, Das falsche Gewicht. Die Geschichte eines Eich­meis­ters
  • Max Frisch, Tage­buch 1966–1971

Aus-Lese #31

Bir­git Kemp­ker: Ich will ein Buch mit dir. Weil am Rhein: Urs Engel­er Edi­tor 1997. 119 Seit­en.

Ein feines und schönes Buch ist das, von ein­er gewis­sen Ele­ganz. Und von ein­er deut­lichen Mehrdi­men­sion­al­ität, die weit über das “Buch” als Text hin­aus reicht: Das ist zugle­ich Buchkun­st (in den von der Autorin über­bor­dend gestal­teten Umschlä­gen und Vor­satzblät­tern), im Text, in den einge­fügten Fotos (die wirk­lich asl Bilder eingek­lebt sind wie in einem per­sön­lichen Album, nicht gedruckt), als Hörstück.

Kemp­ker ver­fol­gt hier die Geschichte ein­er Liebe, auch (ger­ade) der kör­per­lichen, über zwei Jahrhun­derte hin­weg. Sehen spielt dabei eine große Rolle — und der Ver­lust davon, die Tren­nung, das Weg-Gehen: Abwe­sendes Sehen, also Erin­nern und Verge­gen­wär­ti­gen ist ein wichtiges The­ma dieses Buch­es, dessen Gat­tung gar nicht so ein­fach zu bes­tim­men ist: Das Gedächt­nis und als Bild oder im Foto, aber auch in der Präsenz der Schrift. Tren­nung und Gegen­wart, Sehn­sucht und Erfül­lung sind die großen The­men dieses Buch­es. Scheit­ern oder doch ein (prob­lema­tis­ches) Gelin­gen, das bleibt in der Schwebe.

Kemp­ker schreibt hier dicht, fast atem­los mit den kurzen Sätzen, den weni­gen Hypotax­en und den oft nachgestell­ten Appo­si­tio­nen (und über­ge­ord­neten Sätzen). Am ehesten kann man Ich will ein Buch mit dir wohl als Langgedicht zu beze­ich­nen, dessen Stro­phen aber eher als Blöcke oder Kapi­tel zu lsesn sind. Über­haupt ist die Unter­schei­dung Prosa oder Lyrik hier nicht ein­fach — zur Lyrik weist vor allem die Textgestal­tung auf der Seite, weniger die eigentliche (innere) Textgestalt.

Das Ganze ist dabei dur­chaus aus­greifend: Die Buchgestal­tung — mit den Fotos als “echte” Fotos, wie im Fam­i­lien­al­bum eingek­lebt, nicht gedruckt, dem Umschlag und den Vor­satzblät­tern. Und dann auch noch eine CD mit ein­er knap­pen hal­ben Stunde “Stücke”, die The­men und Sätze des Buch­es auf­greifen …, mit den Stim­men spie­len, die die “Bürg­er und Bürg­erin­nen der Stadt Berlin” der Autorin und ihrem Co-Autor lei­hen und den Tex­ten, den kurzen Sätzen neuen Klang und neuen Beik­lang, neuen Sinn ver­lei­hen. Ein Aben­teuer, wahrlich.

Ich schwinge mich von Satz zu Satz mein Schatz / durch diese Solitü­den, ich häng an dir, im / Dschun­gel gibt es keinen falschen Ton, nehme / deine Briefe an mein Bett. (75f.)

Moni­ka Maron: Stille Zeile Sechs. Frank­furt am Main: Fis­ch­er 1993. 219 Seit­en .

maron, stille zeile sechsBei Thomas Bern­hard hätte so ein Buch und sein The­ma den Unter­ti­tel Eine Abrech­nung getra­gen. Dafür ist Maron aber zu feinsin­ng und es wäre ihre wohl auch zu direkt. Aber im Kern ist Stille Zeile Sechs (was übri­gens eine Haus­num­mer ist und sich nicht auf irgend einen Text bezieht) genau das: Eine Abrech­nung mit den “Vätern” der DDR, hier als Begleitung des Lebensendes und des Begräb­nis des überzeugten Sozial­is­ten Her­bert Beeren­baum durch die His­torik­erin Ros­alind Polkows­ki, die Mitte der 1980er in der DDR beschließt, nicht mehr ihren Kopf und ihr Denken dem Arbeits­markt (wie es so schön heißt) zur Ver­fü­gung zu stellen, deshalb als eine Art Sekretärin des Beeren­baum für die Nieder­schrift sein­er Mem­oiren dient und dabei dann doch wieder anfängt, zu denken und mit dem “Kopf zu arbeit­en” — allerd­ings in drastis­ch­er Oppo­si­tion un Her­aus­forderung zu Beeren­baum.

Darin, wie in einem Kinder­bett, lag der geschrumpfte Beeren­baum; der Men­sch erkennbar als sein ver­schlis­senes Mate­r­i­al: die galler­tar­tige Sub­stanz der Augen, deren Run­dung die Höhlen freiga­ben, die Haut als Perga­ment, schon los­gelöst vom Fleisch, das blaue Geäder hin­ter den trans­par­enten Schläfen, die Schädel­knochen, die sich durch die schlaffe Haut drängten und als das Gesicht des Todes schon sicht­bar waren unter dem, das Beeren­baum im Leben gehört hat­te. (32f.)

[
Ger­traud Klemm: Herzmilch. Graz: Droschl 2014. 237 Seit­en.

klemm, herzmilchDas ist großar­tig, dieses Buch — dieser Roman. Dabei ist es eigentlich fast trau­rig und deprim­ierend, was hier erzählt wird. Im Kern geht es um die Frage: Wie wird man Frau? Und wie ist man das eigentlich? Wie ver­hält man sich zu den Rollen-/Geschlecht­ser­wartun­gen, zu den Ansprüchen der anderen, der Gesellschaft, zu den eige­nen Träu­men zwis­chen Kopf und Kör­p­er?

Es gibt kein Entkom­men von meinem Geschlecht. (182)

Wun­der­bar fand ich die Erzähltech­nik, mit der Klemm fast unmerk­lich die Zeit verge­hen lässt: Die fünf Haupt­teile sind jew­eils bes­tim­men Lebens­ab­schnit­ten gewid­met — Kind­heit, Pubertät/Abitur, Studi­um, Arbeit­sleben, Mut­ter­schaft -, in ihnen gleit­et die Zeit oft dahin, wech­sel Klemm und springt ohne direk­te Hin­weise im Text nach vorn. Dazu die radikale Innen­per­spek­tive, die starke Ein­sicht­en ver­mit­teln kann. Und das wird darüber hin­aus in ein­er sehr bild­haften Sprache erzählt, ger­ade im Anfang, aber auch über die Kind­heit hin­aus: Eine Sprache, die einen phan­ta­sis­chen oder zumin­d­est phan­tasievollen Umgang mit der Umwelt wider­spiegelt und die die Welt und die Umge­bung belebt.

Ich bin kein Kind mehr, das ist klar. Aber was muss ich jet­zt tun, um eine Frau zu sein? (55)/

Suchen und Fra­gen sind die Haupt­mo­tive in Herzmilch — und das Zweifeln, immer wieder das Zweifeln: an der Rolle, an der eige­nen Iden­tität, an den Zie­len und Wün­schen — ein Leben als Lei­den kristallisiert sich dabei her­aus. Das ist oft bit­ter und trau­rig, in weit­en Teilen auch hart erzählt, schlägt aber nie ins Böse oder zur Bösar­tigkeit um. Diese Grat­wan­derung ist es, was wesentlich dazu beiträgt, Klemms Roman so gelun­gen zu machen.

Ein Pfahl steckt quer durch unser ganzes Leben und die Herzmilch spritzt in Fontä­nen her­aus. (220)

Fori­an Scheibe: Weiße Stunde. Wien: Luftschaft 2012. 205 Seit­en.

Florian Scheibe, Weiße StundeAuch wieder so eine selt­same Geschichte: Die Fre­undin des Erzäh­lers “ver­schwindet” bei einem Aus­flug im (Arbeits-)Urlaub in Sizilien, in Noto — und der Erzäh­ler ver­hält sich, das ist der Haupt­teil der Erzäh­lung, des Debütro­mans von Scheibe (auf den ich durch seinen Beitrag in der SpritZ #209 aufmerk­sam wurde), etwas ungewöhn­lich, selt­sam und auch ihm selb­st unerk­lär­lich: Er sucht nicht nach ihr. Fast im Gegen­teil ver­schweigt und ver­heim­licht er zumin­d­est zeit- und teil­weise ihre Abwe­sen­heit und den Grund. Das führt zu ein­er neuen Schaf­fen­skraft des als — bis dahin block­ierten — Autor arbei­t­en­den Erzäh­lers. Dann gerät er allerd­ings unter Mord­ver­dacht, wird auch verurteilt — und im abschließen­den Teil erfährt der Leser dann sehr hol­ter­dipolter, sehr dif­fer­ent zum ersten Teil des Romans, die Unschuld des Erzäh­lers (die Frau war von einem ein­heimis­chen Bauern ent­führt und ermordet wor­den, was einein­halb Jahre später ans Licht gelangt) bei ein­er Rück­kehr an den Ort des Ver­lustes und des Ver­brechens — was aber wiederum zu einem Umschlag führt: Dieses Mal bricht der Erzäh­ler wiederum alle Brück­en ab, lebt als Obdachlos­er den sizil­ian­is­chen Som­mer (ohne Aus­sicht auf Lösung dieses Zus­tandes im Win­ter), aber eben wiederum als Schreiben­der — Kün­stler-sein gelingt offen­bar nur in dem Moment, in dem er sich aus der Gesellschaft und ihren Erwartun­gen radikal ausklinkt, mit ihnen bricht und sich ihr und ihnen (total, bis zur kör­per­lichen und geisti­gen Selb­stauf­gabe) ver­weigert. Eine gewisse Skep­sis kann ich angesichts dessen nicht ver­hehlen: Der “Fluch des Schreibens” treibt mir hier zu große Blüten …

Die Span­nung, die Scheibe aus dieser Kon­stel­la­tion entwick­elt, ist dur­chaus stark — zumal man als Leser dem Erzäh­ler so einiges zutraut, ohne sich je sich­er sein zu kön­nen. Aber der Schluss hat mich dann doch arg unbe­friedigt hin­ter­lassen, zumal das Pen­deln zwis­chen Selb­stüber­schätzung und Selb­stzer­störung zu keinem “vernün­fi­gen”, irgend­wie befriedi­gen­den Ergeb­nis führt.

Klaus Bartsch: Tan­go Berlin. Neue und aus­gewählte Gedichte. Berlin: Wagen­bach 2010. 77 Seit­en.

tango berlinEine manch­mal erstaunliche Mis­chung zeigt diese vom Autor selb­st ver­anstal­tete Werkauswahl (lei­der ohne Nach­weise und Entste­hungszeit- bzw. Erstveröf­fentlichungsangaben): Es geht in den Gedicht­en oft um harte Dinge, um Krieg, Tod, Gewalt und Zer­störung. aber sie zeigen oft eine spür­bare Heit­erkeit angesichts von Grauen und Schreck­en des Weltkrieges, von Man­gel und Zwang. Gewitzheit und Gelassen­heit präsen­tieren sich oft in lakonis­ch­er Cool­ness: knapp und unsen­ti­men­tal, trotz des sen­ti­malis­chen For­menge­brauchs (mit regelmäßiger Metrik mit klas­sis­chen Paar- oder Kreuzreimen in vie­len Fällen). Auch wenn man oft zu lachen begin­nt: ein Humorist ist Bartsch eigentlich nicht, es ist eher ein gemeines, ein trau­riges, auch ein verzweifeltes Lachen.

Nachkriegswin­ter

Der Schorn­stein der Schorn­stein
Sin­gen die Kinder
Ist Nich­trauch­er gewor­den
Die Sonne die Sonne
ging lei­der auch aus
Sie hat keinen Bezugss­chein
Für neue Kohlen (14)

außer­dem: Das Roland­slied und ein paar Lit­er­aturzeitschriften …

Aus-Lese #30

Jonathan Safran Foer: Tree of Codes. Lon­don: Visu­al Edi­tion 2011. 139 Seit­en.

Foer, Tree of CodesDie Idee hin­ter Tree of Codes ist aus­ge­sprochen cool: Foer nahm einen vorhan­de­nen Text — näm­lich The Street of Croc­o­diles von Bruno Schulz — und schnei­det ein­fach weg, was ihm im Weg ist oder nicht gefällt. Das Ergeb­nis, ein Cut-up sozusagen, ist dann ein neuer Text. Der Witz ist nun, dass nicht ein­fach der neue Text gedruckt wird, son­dern der Prozess des Auss­chnei­dens auch im Ergeb­nis, in Tree of Codes also, noch sicht­bar ist. Denn die Seit­en sind durch­löchert. Alles, was für neuen Text, die Über­schrei­bung (Palimpsest!) nicht benötigt wird, wird weggeschnit­ten. Entsprechend löchrig sind die Seit­en: Manch­mal ste­hen vom “orig­i­nalen” Text noch halbe Sätze oder einzelne Wort­grup­pen, manch­mal auf ein­er hal­ben Seite auch nur ein einzelnes Wort und son­st vor allem Luft, Nichts, die tat­säch­lich spür­bare Abwe­sen­heit des ursprünglichen/vorhandenen Textes. Das macht die Fragilität des Buch­es als Ding und als Text (Lück­en!) ganz neu deut­lich.

Man ist außer­dem geneigt, dem Text eine gewisse Offen­heit zuzus­prechen: Durch die Lück­en, die Löch­er auf den Seit­en, im Papi­er scheint ja immer das noch kom­mende schon durch, ist also schon präsent — als Wort, als Satzze­ichen, als Split­ter oder nur als Lücke. Das täuscht aber ziem­lich. Auch die Idee des „Satz­bildes“ bekommt eine ganz neue Bedeu­tung: Tat­säch­lich macht es irgend­wie doch einen Unter­schied, ob ein Satz mit weni­gen Lück­en geschnit­ten ist oder ob ein kleines Gebilde wie „I found myself lost.“ (80/81) sich über anderthalb Seit­en — mit ensprechend viel Luft — erstreckt: Das Gewicht wird ein anderes (eher reziprok aber …)

Leere und Abwe­sen­heit­en spie­len aber auch inhaltlich eine gewisse Rolle (oder meine Per­spek­tive ist durch die Form ver­schoben). Der ste­henge­bliebene Text ist dabei manch­mal etwas schräg (wie die ver­rutschen­den, absink­enden Häuser …), einen Tick sur­re­al oder expres­sion­is­tisch (in der Darstel­lung der Stadt). Auflö­sungser­schei­n­un­gen, das Ver­schwinden, Verblassen und Ver­wan­deln von Per­so­n­en und Din­gen spie­len hier eine bedeu­tende Rolle.

The tree of codes was bet­ter than a paper imi­ta­tion. (96)

Wolf­gang Hilbig: Eine Über­tra­gung. Frank­furt am Main: Fis­ch­er 2011 (Werke 4). 427 Seit­en.

hilbig, eine übertragungEine Über­tra­gung ist Hilbigs erster Roman und trotz­dem gle­ich ein „echter“ und typ­is­ch­er Hilbig: Das Prob­lem des Ichs wird hier durchdek­lin­iert, ins­beson­dere die Frage nach der Iden­tität eines Schrift­stellers. Die Iden­tität der Haupt­fig­ur, eines schrift­stellern­den Heiz­ers (oder als Heiz­er arbei­t­en­den Schrift­stellers, das hängt von Stand- und Zeit­punkt ab), ste­ht dabei nicht nur unter innerem Druck und Recht­fer­ti­gungszwang, son­dern ger­ade auch unter äußerem Zwang, der sich in den staatlichen Repres­salien der DDR-Insti­tu­tio­nen (geheimdienstlich/polizeilich) äußert — was natür­lich zusam­men­hängt und sich gegen­seit­ig ver­stärkt.

Die ganze Über­tra­gung ist deshalb eine Art “Selb­stvernehmung”, in dem die erzäh­lende Haupt­fig­ur ver­sucht, diesem Prob­lem — also: Wer ist dieses Ich? Kann ich meinen Erin­nerun­gen trauen? Und meinen Wahrnehmungen? — auf den Grund zu gehen. Der dabei reich­haltig kon­sum­ierte Alko­hol hil­ft nicht unbe­d­ingt, Klarheit zu ver­schaf­fen. Neben­bei gibt es noch ein weit­eres Prob­lem, das der Unter­suchung bedarf: Die Liebe — als Prob­lem in ein­er Gesellschaft der Angst/Sicherheit/Unterdrückung). Das ist in Hilbigs typ­is­ch­er mächtiger, har­ter Sprache manch­mal anstren­gend, über die lange Strecke durchzuhal­ten. Aber es ist in sein­er kör­per­lichen Wucht eben auch immer wieder großar­tig und bere­it­et mir aus­ge­sprochen großes Vergnü­gen …

Es war da ein Text, der auf seinen Ver­fass­er wartete, aber andauernd griff das Leben ein und hin­derte den Ver­fass­er, indem es seine eigene Geschichte schrieb … […]. (107)

Luise F. Pusch: Das Deutsche als Män­ner­sprache. Auf­sätze und Glossen zur fem­i­nis­tis­chen Lin­guis­tik. Frank­furt: Suhrkamp 1984. 202 Seit­en.

Manch­es von den hier ver­sam­melten, etwas dis­parat­en (lin­guis­tis­chen) Auf­sätzen und (jour­nal­is­tis­chen) sprachkri­tis­chen Glossen von Luise Pusch ist inzwis­chen etwas geal­tert — vor allem in dem Sinn, dass man die Entste­hungszeit der 1980er erken­nt. Das meiste aber ist noch — erschreck­end eigentlich — aktuell und gültig sowieso: Pusch zeigt ein­er­seits, wie sehr die deutsche Sprache von patri­achalis­chen Struk­turen und Denkmustern geprägt ist und schlägt ander­er­seits vor, wie man das ändern kön­nte — damit die Nicht-Män­ner nicht immer nur “mit­ge­meint” sind. Ihr Hauptvorschlag im titel­geben­den Auf­satz ist let­ztlich so etwas wie eine Ent­geschlechtlichung (wie sie z.B. im Englis­chen weit ver­bre­it­et ist): Aus “der Pro­fes­sor” und “die Pro­fes­sorin” wird “der Pro­fes­sor” und “die Pro­fes­sor”. Ihr ist natür­lich klar, dass das ein recht radikaler Ein­griff in die über­lieferte Sprach­struk­tur ist und deshalb von vorne­here­in abgelehnt wird (auch wenn das Ergeb­nis keineswegs unsys­tem­a­tisch im Deuschen wäre). Als “kleine” Alter­na­tive bevorzugt sie dann wenig­stens die Dop­pel­nen­nung bzw. deren abgekürzte Form mit Binnen‑I.

Hel­mut Oehring: Mit anderen Augen. Vom Kind gehör­los­er Eltern zum Kom­pon­is­ten. Berlin: btb 2011. 256 Seit­en.

Oehring, Mit anderen AugenOehrings frühe Auto­bi­ogra­phie ist als Text bzw. Buch ziem­lich selt­sam und lebt wohl nur von der schon im Unter­ti­tel verkün­de­ten Beson­der­heit seines Lebensweges — die Lebens­geschichte eines “nor­malen” (im Sinne der stan­dar­d­isierten Erwartung) Kom­pon­is­ten hätte wohl nicht diesen Ver­lag gefun­den. Ich emp­fand das textlich vor allem also als recht krude Mis­chung aus sehr per­sön­lichem Erleben und Kün­stler­bi­ogra­phie mit Beto­nung des Auto­di­dak­ten­tums und der Unwahrschein­lichkeit des Gelin­gens, dem Hän­gen­bleiben im Dazwis­chen (zwis­chen Wel­ten) sowie Erläuterung der Entste­hungszusam­men­hänge und Bedeu­tung der eige­nen Werke. Krude wirkt das vor allem, weil es so chao­tisch erzählt ist, ohne erkennbare Abfolge oder Zusam­men­hänge, in Fet­zen fast. Oehring betont dabei auch gerne und wieder­holt die von ihm erlebte Wucht der Erfahrung von Neuem, ins­beson­dere von Kun­st — also Oper, Musik, Pop und so weit­er. Das wird dann aber von ihm immer wei­der mit sehr all­ge­meinen Beobach­tun­gen und kün­st­lerischen Arbeit­en (vor allem Auss­chnit­ten aus den Tex­ten sein­er Kom­po­si­tio­nen) gemis­cht. Und so ekkle­tizis­tisch Oehring sich im Hören gibt (von Schön­berg bis Depeche Mode reichen unge­fähr seine Vor­lieben), so unein­heitlich ist auch seine Sprache — oft sehr hölz­ern, manch­mal stilis­tisch aus­ge­sprochen unge­lenk, an anderen Stellen aber auch sprühend vor Begeis­terung.

Richard Alewyn, Karl Säl­zle: Das große Weltthe­ater. Die Epoche der höfis­chen Fest in Doku­ment und Deu­tung. Ham­burg: Rowohlt 1959. 134 Seit­en.

Das große WelttheaterDiese klas­sis­che Darstel­lung der Epoche des Barocks als Zeital­ter des Festes wartete schon länger auf meine Lek­türe. Im ersten Teil bietet Alewyn hier eine über­sichtliche Mor­pholo­gie des barock­en Festes, die — so weit ich das überblicke — gelun­gen auf grundle­gende Züge abstrahiert, aber das mit Beispie­len reich­haltig demon­stri­ert. Dem schließt er eine nähere Betra­ch­tung der Ele­mente des Festes im Barock an (die vor allem das The­ater aus­führlich würdigt) und auch eine Situ­ierung des barock­en Festes im Leben & Gesel­llschaft. Hier spürt man vielle­icht am deut­lich­sten das Alter des Textes. Bei der Abgren­zung zum „Volk“ etwa — davon hat Alewyn kaum einen Begriff, ihn inter­essieren die offen­sichtlichen Quellen — und die sind aus adli­gen Kreisen oder beschreiben zumin­d­est vor allem den Adel. Dementsprechend konzen­tri­ert er sich ganz stark auf diese „wichtige“ Schicht — was sich in diesem Unter­suchungszusam­men­hang sach­lich ja auch weit­ge­hend recht­fer­ti­gen lässt -, der Rest ist allen­falls Staffage.

Der zweite Teil des Taschen­buchs fügt dem dann noch einige Beschrei­bun­gen großer Feste des Barocks an, die lei­der nicht vor­wiegend Quellen sind, son­dern in der Haupt­sache Quel­len­para­phrasen (was insofern ver­ständlich ist, als die barock­en Fes­t­beschrei­bun­gen natür­lich barock sind — d.h. unseren heuti­gen Lesege­wohn­heit­en vielle­icht ein wenig zu aus­führlich …).

Die Geschichte des höfis­chen Festes, eines der glänzend­sten Kapi­tel abendländis­ch­er Kul­turgeschichte, wartet umgeschrieben und kaum gese­hen der Aufer­ste­hung aus den Grüften unser­er Archive und graphis­chen Samm­lun­gen. Es fehlt nicht an der Samm­lung und Kat­a­l­o­gisierung dieser Schätze, aber es fehlt an jed­er geisti­gen Ord­nung und Deu­tung. (16)

Ein jedes Zeital­ter schafft sich ein Gle­ich­nis, durch das es im Bild seine Antwort gibt auf die Frage nach dem Sinn des Lebens und in dem es den Schlüs­sel aus­liefert zu seinem Geheim­nis. Die Antwort des Barock lautet: Die Welt ist ein The­ater. Großar­tiger kann man vielle­icht von der Welt, aber schw­er­lich vom The­ater denken. Kein Zeital­ter hat sich mit dem The­ater tiefer ein­ge­lassen als das Barock, keines hat es tiefer ver­standen. In keinem Stoff aber auch hat das Barock sich völ­liger offen­bart als im The­ater. Es hat das The­ater zum voll­ständi­gen Abbild und zum vol­lkomme­nen Sinnbild der Welt gemacht. (48)

Andreas Alt­mann: Die licht­en Lieder der Bäume liegen im Gras und scheinen nur so. Leipzig: Poet­en­laden 2014. 101 Seit­en.

Altmann, Die lichten LiederDas Mot­to stellt gle­ich wichtige Ele­mente des sehr faszinieren­den Gedicht­ban­des von Alt­mann vor:

erin­nerun­gen häuten sich. immer wieder / stellen sie mir ihre kör­p­er in die spiegel.

heißt es da: Erin­nerun­gen, Kör­p­er, auch die Kör­per­lichkeit der Erinnerung(en) sowie Spiegel und Selb­st­be­tra­ch­tun­gen durchziehen als Motive viele der Gedichte. Ger­ade der Aspekt des Zusam­men­hangs von Erin­nerung und Geschichte schlägt sich bei Alt­mann oft nieder. Das sind konkrete (teil­weise sog­ar sehr konkrete!), streng ökonomisch „erzählte“ Szenen und kleine Geschicht­en, die mit sparsamen Hin­weisen auf ihre geschichtliche Situ­ierung über das eigentlich Erzählte gerne hin­ausweisen. Dafür reicht manch­mal schon ein einzelnes Wort — “Gren­zweg” zum Beispiel situ­iert das Gedicht zeitlich und örtlich an der innerdeutschen Gren­ze. Trotz­dem neigt Alt­mann dazu, seine Lyrik präsen­tisch zu präsen­tierten, als ob sie ohne Zeit wäre: “… aus der zeit fällt. die wun­den sind leer.“ heißt es ein­mal. (11)

Seine konkrete, auf der Ebene der Lexik ger­adezu alltägliche Sprache verbindet sich zu starken Bildern, die ger­ade durch ihre Genauigkeit und Schlichtheit wirk­mächtig sind. Dabei fühlen sich viele sein­er Gedichte, die auch immer wieder die Natur an den Kul­tur­rän­dern, an den Schnittstellen zwis­chen men­schlichen Arte­fak­ten und “rein­er” Natur evozieren, sehr men­schen­leer an, obwohl das “Ich” — allerd­ings bevorzugt im spiegel — dur­chaus vorkommt. Prä­gen­der sind allerd­ings die (Natur-)Räume mit Schnee (auch Regen) und ihrem speziellen Licht, die „geschichte im land­schaftspark“ (16) oder die „anatomie der erin­nerung“ (22).

In den oft stillen, unaufgeregten Gedicht­en schwingt immer eine gewisse, starke Leichtigkeit mit, eine schein­bare Natür­lichkeit der Sprache, wie sie im immer wieder vork­om­menden Bild der Fed­er sich typ­isch man­i­festiert. Die Fed­er ist auch inhaltlich ganz tre­f­fend: Als Rest eines Leben­we­sens, als Stel­lvertreter, zugle­ich aber auch eine Wunde (hin­ter­lassend), dabei sich schwebend fort­be­we­gend (kein eigentlich­es fliegen …), ziel­los, unges­teuert und unregel-/steuer­bar, zugle­ich Teil der Land­schaft (der Natur) und der/ihrer Geschöpfe.

… die geräusche in der land­schaft / sind blind. ich tast mich an worten durch / die gedächt­nis­räume. … (26)

Nina Buß­mann: Große Ferien. Berlin: Suhrkamp 2012. 200 Seit­en.

Bußmann, Große FerienBuß­manns Roman ist ein schönes, inten­sives Kam­mer­spiel der Moral. Der Text lebt stark von sein­er geschick­ten Infor­ma­tionsver­gabe, der allmäh­lichen, immer wieder durch Abschwei­fun­gen, Ablenkun­gen und Sprünge unter­broch­enen Aufk­lärung des Lesers — die übri­gens bis zum Schluss nicht voll­ständig geschieht. Aber wie immer gilt ja: Der Prozess ist meis­tens inter­es­san­ter als das Ergebe­nis. Hier geht es um einen älteren Lehrer und sein Ver­hält­nis zu einem begabten Schüler, das zu einem Eklat — dem “Vor­fall” — sich steigert und darin aber auch, gemein­sam mit der Sicher­heit des Gewis­sens, der Wahrnehmung (und der Anstel­lung) des Lehrers, der keinen Vor­na­men hat, seinen Schluss find­et. Entwed­er ist das ein gewaltiger Kli­max, der sich in ein­er Ohrfeige entlädt — oder eben nicht, weil die Ohrfeige aus­bleibt, mit ihr aber eben auch die Ori­en­tierung im Leben und der Moral, im Wis­sen um Gut und Böse, Falsch und Richtig. Und das ist eben das zen­trale Scheit­ern Schramms, der Haupt­fig­ur:

Sie sind Lehrer, Sie müssen die Dinge klären und nicht ein Geheim­nis daraus machen. (129)

Buß­mann erzählt das in einem sehr schö­nen, ständig fließen­den Wech­sel im Hin und Her zwis­chen der Gegen­wart (dem Sor­gen um den Garten, die Befreiung der Auf­fahrt vom Unkraut — wun­der­bar, wie genau und präzise Buß­mann das schildern kann!) und der Vorgeschichte, dem Her­an­tas­ten an den „Vor­fall“. Die genaue Beobach­tung und Wahrnehmung der Umge­bung (der Umwelt) durch die Augen Schramms spielt eine wesentliche Rolle ger­ade weil sie in der erzählten Zeit, die bru­tal ver­langsamt erscheint, kon­trastiert mit der Ungewis­sheit in im weitesten Sinne moralis­chen Frage.

Gefall­en hat mir aber auch die Vielfalt der erzählten Aspek­te. Eine Rolle spie­len unter anderem auch noch das memen­to mori für die Mut­ter, der Vater als Prob­lem­fig­ur der Ver­gan­gen­heit und Vikk­tor als undurch­schaubar­er Brud­er (der ein­mal sog­ar als Ter­ror­ist ver­mutet wird) … Auch stilis­tisch hat Buß­mann mit ihren gestapel­ten Sätze eine passende Form gefun­den: Die Sätze sind ein­fach nie fer­tig, nie abgeschlossen, immer wieder gibt es wie nachträglich einge­fügte, eingeschobene Ergänzun­gen, Präzisierun­gen, Erweiterun­gen, die als solche eben überdeut­lich ken­ntlich bleiben, was zu ein­er frag­men­tierten Syn­tax, ein­er per­ma­nen­ten Stock­ung und Unter­brechung führt (und das Lesen dadurch bewusst ver­langsamt …):

Zwanzig Jahre oder länger hat­te er dort ver­bracht, im Hin­ter­land, in einem von allen Verkehr­swe­gen abgeschiede­nen Bergdorf, und auch wenn es darum für einen Dok­tor nie gere­icht hat­te, war er jeden­falls, ent­ge­gen allen Erwartun­gen, Arzt gewor­den, ein richtiger, wahrschein­lich nicht ein­mal ein schlechter Arzt. (145)

Ein sehr kluges, schönes und lesen­wertes Buch.

Alexan­der Schim­mel­busch: Die Murau Iden­tität. Berlin: Metrolit 2014. 206 Seit­en.

Schimmelbusch, Murau IdentitätDie Murau Iden­tität (sic, der Autor schreibt das — wohl in Anlehnung an die “Bourne Iden­ti­ty” — ohne notwendi­gen Binde­strich) ist lei­der doch ein ziem­lich lang­weiliges Buch. Hin­ter der “Murau-Iden­tität” ver­birgt sich ein untot­er Thomas Bern­hard, der ein­fach weit­er lebt (warum, wird nicht so recht klar), was wir aus “Reise­bericht­en” seines Ver­legers, die dem Erzäh­ler zuge­spielt wer­den, erfahren. Das ist natür­lich eine Stilkopie Thomas Bern­hards, auch in den Rants, die ver­suchen, Bern­hard zu imi­tieren — aber lei­der nur eine mäßige, in der Regel bleibt es flach, niveau­los und vor allem völ­lig banal. Wahrschein­lich ist das Bern­hard-Imi­tat immer nur bein ersten Mal über­haupt inter­es­sant … Manch­mal blitzt immer­hin etwas Witz (und ganz sel­ten auch Esprit) hin­durch, einige schöne Absur­ditäten hat zusam­men mit viel Leer­lauf auch eingestreut. Irgend­wie scheint mir das Ziel eine Mis­chung aus gewe­sen zu sein. Lei­der bleibt der Text aber eine bloß not­dürftige zusam­mengestop­pelte Rah­men­hand­lung für die fünf Berichte des „Ver­legers“ zum Untoten Thomas Bern­hard (und seinem Roman­pro­jekt Àni­ma Negra über die pos­i­tiv­en Seit­en der Ehe & Fam­i­lie) — viel mehr als diese Idee ist in den 200 Seit­en ein­fach nicht drin.

Aus-Lese #29

Dieses Mal eine lange, lange Liste, weil ich etwas nach­läs­sig war und deshalb einiges nach­tra­gen muss:

Hen­drik Rost: Licht für andere Augen. Göt­tin­gen: Wall­stein 2013. 80 Seit­en.

Rost, LichtSchon die Wid­mung hat mich für diesen Lyrik­band ein­genom­men: „Ein Wort hin, zwei Wörter her — viel mehr ist es oft nicht, aber das ist die Kun­st. Jamas!“ (4) heißt es dort. Genau, so ist es.

Und Rost gelingt es, die Kun­st der Dich­tung. Seine rhyth­misch freien, ungereimten Gedichte, alle einzeln und von über­schaubar­er Länge, haben eine leichte Anmut, eine schwebende Wehmut ist ihnen eigen — so unge­fähr lässt sich ihr Ton wohl fassen, vielle­icht auch als Ele­ganz des Flusses der Sprache und der Bilder. Leere Räume (d.h. frei von Men­schen, ver­lassen, aber nicht tot) scheinen ihn zu faszinieren, meint man am Anfang des Ban­des. Aber das täuscht, die Men­schen tauchen doch immer wieder auf, als Kind, auf Bildern, als Dialog­part­ner und als Tote/Geister aus der Ver­gan­gen­heit (Brecht, Celan, Kling und viele andere wer­den auch namentlich her­beigerufen).

Über­haupt der Tod und die Ver­gan­gen­heit: die ster­bende Klarheit, aber auch die Trauer der Dinger behaupten immer wieder ihren Platz. So heißt es zum Beispiel in “Platzver­weis”:

Manch­mal ist die Trau­rigkeit eines Stuhls / nicht die Trau­rigkeit, die der Stuhl / ausstrahlt, son­dern die / der­jeni­gen, die auf ihm gesessen haben / vor Tagen, Jahren oder länger. (21)/

Das Schöne an Ros­ts Gedichte ist immer wieder das Sehen und Schreiben mit anderen Augen. Der Ein­fall des All­t­ags in die Kun­st (und die (Lebens-)Philosophie), zugle­ich aber auch ganz deut­lich die Gegen­wart der — nicht nur lit­er­arischen — Vergangenheit(en): Das zeich­net sein Werk beson­ders aus.

Flo­ri­an Voß: Daten­schat­ten Daten­ströme Staub. Berlin: J. Frank 2011 (Quar­theft 28). 80 Seit­en.

Voß, DatenschattenDer Auf­takt ist gle­ich eine schöne Kon­trafak­tur oder Wieder­auf­nahme der Celan­schen „Todesfuge“ in “Verfugtes Meis­ter­stück”: Die Re-Grundierung im All­t­ag, die Ent­mys­ti­fizierung und Entza­uberung der total­en Meta­pher — das klappt hier ganz gut. Über­haupt find­et sich das in vie­len Gedicht­en von Voß: Die unter­schied­slose Gle­ich­w­er­tigkeit von All­t­ag mit seinen Banal­itäten und absoluter Phan­tasie. Manch­mal wen­det sich das etwas arg ins punkige und trashige (für meinen Geschmack). Aber die Dop­pel­gesichtigkeit — auf der einen Seite die hohe Sprache mit aus­ge­sucht phan­tasievollen Meta­phern und wilden Bildern, auf der anderen Seite aber auch (bewusste — nehme ich an) Plattheit­en und flache Wörter und Sätze — ste­hen nebeneinan­der oder wer­den einan­der kon­fron­tiert. Oft klingt das in meinen Ohren dann groß und leer zugle­ich, also etwas prä­ten­tiös. Manch­mal scheint das aber auch großar­tig — aber eher sel­ten, oft lässt mich das ein­fach kalt. Diese Gegen­sätze bilden oft schroffe, schar­fkantige Unfälle, aus denen ich aber keine Funken schla­gen kann und die mich — wie das meiste in diesem Band — rat­los und unbeteiligt lassen. (Und an die binär codierten Seit­en-/Buchteil-/Gedichtzahlen kann ich mich gar nicht gewöh­nen …)

Nur keine Panik, es ist nur / ein Vulkan der da raucht / nicht der Kopf, der ist leer (Über­all Kuscheltiere)

Dou­glas Cou­p­land: PlayerOne. What Is to Become of Us. A Nov­el in Five Hours. Lon­don: Heine­mann 2010. 248 Seit­en.

Coupland, PlayerEine “real-time nov­el” hat Cou­p­land PlayerOne genan­nt, das als eine Art Vor­lesung in fünf Stun­den ent­standen ist und dementsprechend auch fünf Teile aufweist. Es geht, wenig über­raschend bei Cou­p­land, um die Zukun­ft der Men­schheit: Eine Gruppe zufäl­lig zusam­mengewür­fel­ter Men­schen gerät in ein­er Flughafen­bar in ein apoka­lyp­tis­ches Szenario, hier der Zusam­men­bruch der Ölver­sorgung (und damit der gesamten Energie) von einem Moment auf den anderen, mit den entsprechen­den anar­chis­chen und gewalt­täti­gen Fol­gen, die noch durch ein paar andere Erzählstränge, die ihre eigene Dynamik und teil­weise Gewalt bergen, über­lagert wer­den. Das dient Cou­p­land dann dazu, sich seinen Lieblings­the­men zu wid­men: Wie sieht die Zukun­ft der Men­schheit aus, wie die der Gesellschaft? Er erzählt das hier mit per­spek­tivis­chem Fokus auf den einzel­nen Per­so­n­en, dek­lin­iert also immer, in jed­er “Stunde”, das vorhan­dene Per­son­al durch — erweit­ert um den “Play­er One”, so etwas wie eine tech­nisch-pro­gram­mierte Iden­tität ein­er der Charak­tere. Außer­dem ver­han­delt wer­den: Lebenswege, psy­ch­an­a­lytis­che Deu­tun­gen und ganz stark das Prob­lem der Zeit, ihr Tem­po, ihre Lin­ear­ität, ihr Fortschre­it­en und Anhal­ten …

Luke once thought time was like a riv­er, and that it always flowed at the same speed, no mat­ter what. But now he believes that time has floods, too — it sim­ply isn’t a con­stant any­more. (70)
Those bod­ies bind us to the future. They’re time-frozen. Tomor­row = yes­ter­day = today = the same thing, always. (110)

Wal­ter Höllerer: Sys­teme. Neue Gedichte. Berlin: Lit­er­arisches Col­lo­qui­um 1969. 56 Seit­en.

Höllerer, SystemeÜber einen Beitrag von Dieter M. Gräf (Erkun­dun­gen inner­halb und außer­halb der Mas­chine ja und nein. Neue und neu gebliebene Gedichte Wal­ter Höllerers aus der Zeit der “Sys­teme”. In: Sprache im tech­nis­chen Zeital­ter, H. 203 (2012), S. 264–269) bin ich auf diesen Gedicht­band Höllerers aufmerk­sam gewor­den — den ich als Lyrik­er bish­er noch kaum kan­nte, son­dern vor allem als The­o­retik­er, Inter­pret und Ver­mit­tler von Gedichtetem. Und das ist eine Schande, denn hier ver­sam­meln sich einige, sog­ar ziem­lich viele aus­ge­sprochen gute Gedichte — auch wenn man ihnen ihre Entste­hungszeit, die 1960er Jahre, (inzwis­chen) in manchen Gedanken und For­mulierun­gen sehr deut­lich anmerkt. Aber das muss ja auch gar nicht schlecht sein …

Schon beim titel­geben­den Gedicht “Sys­teme” kann man wun­der­bar das Moment sehen und erfahren, das ich an Gedicht­en so schätze: wie die Sig­nifikan­ten ins Tanzen kom­men. Höllerer erre­icht das hier oft durch das Mit­tel der extremen syn­tak­tis­chen Verkürzung: Tei­weise nur Wort­brock­en, einzelne Worte ohne unmit­tel­baren syn­tak­tis­chen Zusam­men­hang, die — auch in der räum­lichen Anord­nung auf dem Papi­er — miteinan­der in Beziehung treten und Sinn her­vor­brin­gen.

Da steckt auch viel Technik(kritik) und Tech­niz­ität drin, nicht nur im Inhalt, son­dern auch in der Sprache und der Form (das ist wohl wenig über­raschend beim Grün­der der Sprache im tech­nis­chen Zeital­ter …). Manch­es scheint aber auch — aus heutiger Sicht — sehr zeit­ge­bun­den bzw. typ­isch für die Sit­u­a­tion und Stim­mung der Bun­desre­pub­lik am Ende der Sechziger. Etwa die poli­tis­chen Ele­mente, das Moment der poli­tisch-gesellschaftlichen Sys­temkri­tik aus/in der Mitte der Gesellschaft (na gut, vielle­icht nicht ganz die dama­lige Mitte). Heute scheint mir das nur noch im Bere­ich der Kap­i­tal­is­muskri­tik gängig zu sein — oder in kleineren, extremeren Rand­bere­ichen, die dann aber eher sel­ten in so „elitären“ For­men wie dieser Lyrik (und ihrer Veror­tung durch das Erscheinen als „LCB-Edi­tio­nen“ im (Literatur-)Betrieb) sich zeigen.

Volk­er Braun: Trotzde­stonichts oder Der Wen­de­hals. Frank­furt: Suhrkamp 2000. 147 Seit­en.

Ich mag Volk­er Brauns Prosa eigentlich sehr gerne. Dieser schmale Band hat mich allerd­ings nicht wirk­lich überzeu­gen oder begeis­tern kön­nen. Der titel­gebende Dia­log (der auch den meis­ten Umfang beansprucht) ist ziem­lich schnell ziem­lich lahm und lang­weilig. Vor allem lese ich da haupt­säch­lich Banal­itäten und Phrasen aus Brauns BRD- und Wende-Kri­tik-Reper­toire. Dafür sind die die kurzen Anek­doten, Erzäh­lun­gen aus Teil III inter­es­san­ter. In typ­is­ch­er Braun-Manier zeigen sie mit ihrer Konzen­tra­tion auf eine Begeben­heit, eine charak­ter­is­tis­che Beobach­tung noch ein­mal sein stilis­tis­ches Kön­nen. Aber auch hier bleibt mir das inhaltlich etwas arg rückschauend, verangen­heit­sori­en­tiert: In/an der Gegen­wart — der Wende/dem Umbruch (wie es bei Braun heißt) — wer­den nur die neg­a­tiv­en Seit­en gezeigt und dargestellt, es weht immer etwas Wehmut über das Scheit­ern des Exper­i­mentes DDR durch die Sätze, ohne dass sich pos­i­ti­vere Ziele oder Utopi­en zeigen wür­den.

Nach der soge­nan­nten Wende sah ich nur die Wen­dun­gen, und zwar der willfährig­sten Leute, die sich also gle­ich blieben. (135)

Bernd Cail­loux: Gut­geschriebene Ver­luste. Roman mémoire. Berlin: Suhrkamp 2012. 271 Seit­en.

Bernd Cailloux, Gutgeschriebene VerlusteIch habe hier am Anfang einen Moment gebraucht, bis mir klar wurde, warum mir einiges bekan­nt vorkam: Weil es in Fig­uren und Geschehen gewisse Ähn­lichkeit­en mit Das Geschäft­s­jahr 1968/69 von Cail­loux gibt. Unab­hängig von der Frage, ob hier ein altern­der Autor auto­bi­ographisch erzählt (das scheint aber eines der Haupt­in­ter­essen der Rezensen­ten zu sein, die Decodierung, Entschlüs­selung der auf­tauchen­den Charak­tere und Ereignisse) geht es in dieser rück­blick­ender Verge­gen­wär­ti­gung eines alte(rnde)n 68er (der damit aber auch wieder nur am Rande zusam­men­hängt, weil ihn an der Bewe­gung vor allem die Dro­gen, der Sex und die Geschäfte inter­essierten) vor allem um das Prob­lem der frag­men­tierten Erin­nerung, die sich auch im Text so nieder­schlägt. Manch­mal fand ich das etwas müh­sam, manch­mal ist es span­nend, manch­mal aber auch etwas bemüht, doch meist aber lock­er und humorig par­lierend erzählt. Altern und Erin­nern — an bessere/beste Zeit­en — sind also das The­ma, angere­ichert mit Pop-/lit­er­aturhis­torischen Arte­fak­ten. Aber so richtig reinge­fun­den habe ich nicht, mir schien, das Cail­loux hier doch arg viel Leer­lauf pro­duziert.

Was in er im Eigenbe­darf ver­braucht­en Zeit passierte, war nur bed­ingt erzäh­lenswert — in Filme reinkuck­en, Tabellen studieren, im Netz rumk­lichen, mal was lesen, denken, ins­beson­dere denken, eine Primär­tu­gend. (145)

Elke Naters: Lügen. München: List 1999. 192 Seit­en.

Naters, LügenNaters zweit­er Roman ist im Grunde eine Vari­a­tion des ersten (König­in­nen), aber ohne dessen for­male Stärken. Wieder geht es um Fre­und­schaft zwis­chen Frauen und um Beziehungs­dra­men. Das wird nun aber hier deut­lich eindi­men­sion­aler erzählt. Die absichtlich beschränk­te Sprache, der schlichte Stil — das bringt hier kaum mehr Schön­heit oder Wahrheit her­vor. Vorherrschend ist dage­gen das Plätsch­ern: Harm­lose Ober­flächen wer­den erzählt — natür­lich absichtlich, das schlägt sich ja auch deut­lich in Sprache und Form nieder -, die aber auch auf nichts (mehr) zu ver­weisen zu wollen scheinen und nur noch dem reinen Selb­stzweck dienen. Das ist wenig, vor allem weil die Fig­uren blass bleiben und eigentlich — so weit ich das wahrnehme — lang­weilig sind. Man kann dem natür­lich zugute hal­ten, dass genau das gezeigt wer­den sollte: Dass es keine indi­vidu­ellen, “span­nen­den” Lebensen­twürfe mehr gibt und dass sie sich auch nicht mehr nach den klas­sis­chen Kri­te­rien schön oder span­nend erzählen lassen. Aber das ist eine zwar wahre, aber sehr trock­ene Ein­sicht, die hier irgend­wie den Text nicht mehr trägt und recht­fer­tigt.

Das Leben ist banal. Mein Leben ist banal. Ich bin banal.
Das gibt mir noch eine Weile zu denken, obwohl mir gar nicht danach ist. (180)

Ange­li­ka Meier: Eng­land. Zürich: Diaphanes 2010. 329 Seit­en.

Meier, EnglandAnge­li­ka Meiers erster Roman ist nicht ganz so großar­tig wie Heim­lich heim­lich mich ver­giss, aber trotz­dem ein sehr gutes Buch. Es geht in ein­er reich­lich ver­rück­ten Geschichte um eine Philosophin, der Wittgen­stein erschienen ist und die dadurch auf die vergesse­nen und ver­schol­lenen Manuskripte eines Philosophen des 17. Jahrhun­derts namens Man­zanil­la stößt, die in der Folge ihre Leben­sauf­gabe und ihr Lebenswerk wer­den — allerd­ings mit dem Prob­lem, dass sie natür­lich eine vol­lkom­men offenkundi­ge Fälschung sind.

Wahnsinn und Real­ität ver­schwim­men in dieser Fabel vol­lkom­men, die Fra­gen, was ist wirk­lich, was ist eing­bildet? braucht man sich kaum mehr zu stellen — beant­worten lassen sie sich sowieso nicht mehr. Schlaf, Geheim­nis, Traum/Alptraum — alles geht durcheinander/ineinander und überkreuzt sich ständig in den Bee­in­flus­sun­gen udn Hand­lun­gen der Per­so­n­en. Vor allem ist diese Geschichte zwis­chen Wittgen­stein und Man­zanil­la, zwis­chen Vergangenheit(en) und Gegen­warten aber sehr unter­halt­sam, vor allem wegen der skuril, aber sehr genau und liebevolle geze­ich­neten Fig­uren und Charak­teren.
Über­haupt ist Meiers Roman sehr geistre­ich und oft mit schwarzem Humor gespickt, die Absur­ditäten und Ver­rück­theit­en des (insti­tu­tion­al­isierten) Denkens (und ins­beson­dere des Denkens über Sprache) gewitzt und geschickt auf­spießend: Wun­der­bar unter­hal­tend dabei, wahrschein­lich ger­ade wegen der Häu­fung der Skuril­itäten, die sich selb­st so abso­lut ernst nehmen kön­nen.

Sehen Sie, manche Philosophen — oder wie man sie nen­nen soll — lei­den an dem, was man Prob­lemver­lust nen­nen kann. Es scheint Ihnen dann alles ganz ein­fach, und es scheinen keine tief­er­en Prob­leme mehr zu existieren, die Welt wird weit und flach und ver­liert jede Tiefe; und was sie schreiben, wird unendlich seicht und triv­ial. (91)

Aus-Lese #28

Elke Naters: König­in­nen. Köln: Kiepen­heuer & Witsch 1998. 151 Seit­en.

Ein ganz inter­es­san­ter klein­er Roman, auch wenn er zunächst ganz unspek­takulär und unauf­fäl­lig daherkommt: Ohne Anfang und Ende erzählt Elke Naters einen ein­fachen Auss­chnitt aus dem “Leben” zweier Frauen. Fre­und­schaft ist das eigentliche The­ma dahin­ter. Erzählt wird das in dop­pel­ter Per­spek­tive in kurzen, wech­sel­nden Abschnit­ten — teil­weise über­lap­pend — aus der Per­spek­tive zweier Frauen, Glo­ria & Marie, in schlichter, ein­fach­er, sozusagen alltäglich­er Sprache. Auf­fäl­lige Motive bzw. (Stimmungs-)Indikatoren sind — etwas klis­chee­haft fast — das Einkaufen, ins­beson­dere der Klei­dung, und Frisuren (vor allem neue, andere). Natür­lich ste­ht das in der Beto­nung der Mode und ander­er “Äußer­lichkeit­en” in per­fek­ter Tra­di­tion des Popro­mans. Die Banal­ität des Lebens, der Fre­und­schaften und Beziehun­gen, kurz: das „kleine Leben“ sind der Mit­telpunkt der bei­den (miteinan­der ver­wobe­nen) alltäglichen Frauengeschicht­en.

Das ist ein viel anstren­gen­deres Leben, das ich führe, näm­lich ein glück­lich­es, als ein unglück­lich­es. (72)

Dou­glas Cou­p­land: Gen­er­a­tion A. Stuttgart: Tropen (Klett-Cot­ta) 2010. 333 Seit­en.

Cou­p­lands zweit­er “Gen­er­a­tio­nen-Roman” basiert auf ein­er schö­nen Idee: Die Welt nach dem Ver­schwinden der Bienen in naher Zukun­ft wird über­rascht von fünf über die Welt verteil­ten Bienen­stichen. Die gestoch­enen wer­den aus­giebig unter­sucht und getestet (offen­bar ohne Ergeb­nis), dann zusam­menge­bracht, um sich Geschicht­en zu erzählen — die auch apoka­lyp­tis­che Ele­mente erhal­ten und bes­timmte Prozesse in den Gehir­nen anre­gen sollen — alles im Namen der Wis­senschaft, ange­blich. Manch­mal blöd fand ich, wie wenig Wis­sen voraus­ge­set­zt wird, wie viel erk­lärt wird (unter dem Deck­man­tel, dass es die Charak­tere auch nicht wis­sen …). Dafür ist Gen­er­a­tion A wie für Cou­p­land typ­isch auf den Punkt geschrieben, pack­end und forsch — und natür­lich mit der üblichen Por­tion Coupland’scher Zeit- und Gesellschaft­skri­tik, auch Sprach­wan­del und ‑ver­lust spie­len — als Symp­tome — eine große Rolle. Und schließlich taucht noch ein schön­er Sto­ry­twist kurz vor Schluss auf, der zum etwas kitschi­gen Hap­pyend mit Friede, Freude und Eierkuchen führt (sog­ar die Bienen kom­men wieder zurück …). Das ist alles sehr nett, aber nicht so her­aus­ra­gend wie anderes von Cou­p­land.

Car­olin Emcke: Wie wir begehren. Bonn: Bun­deszen­trale für poli­tis­che Bil­dung 2013 (Schriften­rei­he 1370). 254 Seit­en.

Wie wir begehren ist keine wis­senschaftliche Unter­suchung, son­dern ein Essay. Und zwar ein sehr guter (trotz einiger Bedenken, die man inhaltlich haben kann): Emcke erzählt sehr per­sön­lich, bleibt dabei aber nie ste­hen, son­dern reflek­tiert vom eige­nen Erleben aus: Die Entwick­lung von Sex­u­al­ität, Lust und Begehren im Laufe eines Lebens und — ganz wichtig — der Umgang der Gesellschaft mit diesen The­men, der auch einem ständi­gen Wan­del unter­liegt. Die Par­al­lelität oder die Ver­schränkung von eigen­em Leben, der Erin­nerung und dem Nach­denken in allgemeinen/soziologischen, auch sprach­lichen Kat­e­gorien (z.B. über das “Erwach­sen wer­den”, das “Com­ing of Age”) eignet sich sehr gut, um die Vielschichtigkeit des The­mas in allen Belan­gen auch for­mal erfassen zu kön­nen.

Emcke gelingt es immer wieder (nicht nur in diesem Buch) auf­fäl­lig gut, genau die richti­gen Fra­gen zu stellen. Das kann schon mal ein ein­fach­es “Ist das wirk­lich so?” sein. Das dient, wie auch die vie­len Beispiel-Erzäh­lun­gen, der Per­spek­tivierung: Das, was wir heute als “nor­males” Begehren empfind­en, ist es nicht über­all und immer (gewe­sen). Begehren kann immer auch die Möglichkeit der Not des Begehrens enthal­ten (weil die jew­eilige Art des Begehrens sozial/juristisch/theologisch unter­sagt ist etwa). Eine beson­dere Rolle nimmt deshalb der Umgang mit Homo­sex­u­al­ität ein — wiederum sowohl auf persönlicher/individueller und gesellschaftlich­er Ebene.

Es ist ein Kat­e­gorien­fehler, Sex­u­al­ität über­haupt in moralis­chen Begrif­f­en zu ver­han­deln. (171)

Flann O’Brien: Aus Dalkeys Archiv­en. Zürich: Kein und Aber 2003. 256 Seit­en.

Die Fabel hat dur­chaus Poten­zial: Ein “Wis­senschaftler” erfind­et eine Sub­stanz, die die Atmo­sphäre so ändert, dass Leben nicht mehr möglich ist. Und die hat die Neben­funk­tion, die Zeit aufzuheben. Und Kon­takt zu Fig­uren aus dem Him­mel herzustellen. Aber das ist eigentlich nur eine Rand-/Rah­men­hand­lung, die den Pro­tag­o­nis­ten zu seinen verzwick­ten Aktiv­itäten treibt (und ihn einige Biere und Whiskeys trinken lässt) sowie Anlass zu den krud­esten Welt­the­o­rien bietet. Auch James Joyce taucht per­sön­lich Jahrzehnte nach seinem ver­meintlichen Tod noch auf, als Autor, der seine eige­nen Werke nicht geschrieben haben will und sie auch für den größten Mist hält. Und dann ist da noch die katholis­che Kirche und ihre Orden …

Wenn man von der “Konkur­renz” O’Briens zu Joyce — die sich auch hier nieder­schlägt (und nicht zum Besten des Buch­es …) — absieht, ist das ein sehr net­ter, humoriger klein­er Roman, sehr irisch im Per­son­al, der Hand­lung und dem Witz (sowie den Trinkge­wohn­heit­en) noch dazu.

Joseph Jurt: Bour­dieu. Stuttgart: Reclam 2008. 129 Seit­en.

Jurt liefert hier eine sehr gedrängte und dichte, manch­mal für mich auch etwas arg verk­nappte Darstel­lung der Philosophie/Soziologie Bour­dieus. Der Anfang etwa, wo er die Sit­u­a­tion der Philoso­phie in Frankre­ich, in die Bour­dieu stößt beschreibt, und auch die Schilderung sein­er philosophis­chen Entwick­lung darin, die Kristal­la­tion sein­er Grund­pos­tio­nen war für mich deshalb kaum les­bar. Das Prob­lem scheint mir auch zu sein, dass Jurt immer gle­ich den ganzen Bour­dieu im Blick hat, also nicht einzelne Sta­tio­nen oder (Haupt-)Werke vorstellt, son­dern immer auch die Verän­derun­gen der Konzepte im Lauf der Zeit mitbe­denkt — und das ist halt viel.

Ab dem drit­ten Kapi­tel, den “Grund­po­si­tio­nen Bour­dieus” wird das aber klar­er und deut­lich­er. Vor allem der Haupt­teil, das vierte Kapi­tel, in dem Jurt die “zen­tralen Kat­e­gorien” Bour­dieus vorstellt, ist aus­führlich (und gut) erk­lärt — da wer­den natür­lich zuvörder­st das Konzept des „Habi­tus“ (das Bour­dieu von Panof­sky über­nom­men und mod­i­fiziert hat) und die Idee der “Felder” geschildert.

John Dos Pas­sos: Man­hat­tan Trans­fer. Rein­bek: Rowohlt 2008 [1925]. 333 Seit­en.

Das Schreck­liche, wenn einem New York zuwider ist, das Schreck­liche ist, daß man nir­gends anders hin kann. Hier sitzen wir auf dem Gipfel der Welt.“ (183)

… das ist so etwas wie der Leit­satz für Man­hat­tan Trans­fer: New York als Zen­trum und Bren­npunkt der Welt, in dem sich alle möglichen Schick­sale tre­f­fen. Entsprechend erzählt Dos Pas­sos das — und das ist der lit­er­aturgeschichtlich wohl bedeut­sam­ste Punkt an diesem Roman — in ein­er Poly­phonie der Stim­men, Orte und Geschicht­en. Beson­ders die prekären Sit­u­a­tio­nen und Schick­sale der “ein­fachen” Men­schen inter­essieren ihn: die Armen, (fast) Mit­tel­losen, die Arbei­t­en­den und Arbeitssuchen­den. Immer wieder tauchen auch große Ideen und Ver­suche auf, Pro­jekt, Ansätze und Unternehmungen, die viel (oder gle­ich alles) ver­sprechen) — und doch immer wieder zum Scheit­ern tendieren, im pri­vat­en wie im geschäftlichen Leben. Aber auch eine gewisse Freizügigkeit in sex­uellen Din­gen ist mir beim Lesen aufge­fall­en, vor allem eine sehr flex­i­ble, viels­seit­ige und vielschichtige Moral (nicht: Moral­losigkeit!) der Charak­tere in Man­hat­tan Trans­fer.

Im schrillen Wind der Welt­geschichte klatschen die lan­gen Fah­nen und zer­ren an ihren Schnüren an den knar­ren­den, gold­knau­fi­gen Stan­gen in der V. Avenue. (224)

Peter K. Wehrli: Kat­a­log von allem. 1697 Num­mern vom Anfang bis zum Neube­ginn. Zürich: Ammann 2008 [1925]. 533 Seit­en.

Wehrli hat sein Konzept der min­i­malen Beobach­tun­gen — immer nur ein Satz pro Phänomen — entwick­elt, weil er seinen Fotoap­pa­rat auf ein­er Reise ver­gaß. Daraus sind über Jahrzehnte eine Fülle von “Num­mern” in diesem Kat­a­log erwach­sen (der übri­gens dur­chaus nicht “alles” umfasst, son­dern ger­ade das Beson­dere außer­halb des All­t­ags deut­lich bevorzugt). Die sind span­nend in der Konzen­tra­tion auf Sin­gu­lar­itäten und erhel­lend in der Genauigkeit der Wahrnehmungen und Beobach­tun­gen. Aber manch­mal auch ermü­dend in der Vielfalt und Menge — ich kann das nur in kleinen Dosen mit Gewinn lesen. Aber dann ist der Kat­a­log eben auch immer wieder anre­gend in der Präzi­sion und Kürze sein­er Beschrei­bun­gen — und deshalb eine große Erfahrung.

Aus-Lese #24

Arno Schmidt zum Vergnü­gen. Stuttgart: Reclam 2013. 191 Seit­en.

Dieses kleine, von Susanne Fis­ch­er (der Geschäfts­führerin der Arno-Schmidt-Stiftung) her­aus­gegebene Bänd­chen hält genau, was der Titel ver­spricht: Vergnügliche Streifzüge durch das Schaf­fen Schmidts. The­ma­tisch in 14 Kapi­tel geord­net, ver­sam­melt das hier Bon­mots, Ein­fälle, Aussprüche und kurze Abschnitte, die im weitesten Sinne vergnüglich sind: Weil sie humorig for­muliert sind oder afu eben diese Weise bes­timmte Dinge beobacht­en. Eine wun­der­bare Lek­türe für zwis­chen­durch (weil das fast immer nur kurze Abschnitte von weni­gen Sätzen sind).

Ulf Erd­mann Ziegler: Nichts Weißes. Berlin: Suhrkamp 2013. 259 Seit­en.

Ziegler erzählt in Nichts Weißes die Lebens­geschichte ein­er Schrift­gestal­terin und die Idee der per­fek­ten, weil abso­lut unaufäl­li­gen Schrift am Umbruch zum Com­put­er-/PC-Zeital­ter. Das wird aber erst auf den let­zten Seit­en richtig deut­lich: Dann wird klar, dass es hier vor allem um das Ende des klas­sis­chen Guten­berg-Zeital­ters mit sein­er Fix­ierung auf Schrift und Text (und deren Her­stel­lung, um die es hier — im Bere­ich der Typogra­phie — ja vor allem geht) geht. Das ist dur­chaus raf­finiert, etwa in der Andeu­tung der Auflö­sung der Textdom­i­nanz durch die (Gebrauchs-)Grafik der Wer­bung und ähn­liche Vorgänge, auch die allmäh­lich wach­sende Dom­i­nanz der Com­put­er ist ganz geschickt erzählt, auch wenn das am Ende etwas platt wird. Über­haupt erzählt Ziegler durch­wegs gut und klug, aber sprach­lich ohne beson­dere Fasz­i­na­tion für mich. Auch schien mir das Ziel des Textes lange Zeit nicht so recht klar, zumal es weite Abschwei­fun­gen gibt, die nicht so recht motiviert sind — etwa die Blicke in die Kind­heit: Das sind for­mal etwas frag­würdi­ge Lösun­gen, um die (inhaltliche) Moti­va­tion der Heldin Mar­leen hinzubekom­men und aus­führlich zu erk­lären. Der Schluss ist dann etwas unver­mit­telt, die Wende zum Com­put­erzeital­ter scheint schon über den Text hin­aus zu gehen.

Über­haupt ver­liert das dann an Kraft, wenn es um die eigentlichen Lebenswege der Pro­tag­o­nistin geht. Wo Ziegler die “Hin­ter­gründe” — das Aufwach­sen im Deutsch­land der 70er/80er Jahre etc. — schildert, ist es viel präzis­er und faszinieren­der als im Lebenslauf Mar­leens, der etwas blass bleibt.

Gen­ervt haben mich etwas die ober­fläch­lich ver­hüll­ten Anspielun­gen auf reale Wel­ten — IBM heißt hier IOM (office statt bureau), Greno in Nördlin­gen Volpe, die Andere Bib­lio­thek ist die Eigene gewor­den und so weit­er — das ist so durch­sichtig, dass es eigentlich sinn­los ist und den Text irgend­wie bil­lig wirken lässt.

Hans Franck: Die Pil­ger­fahrt nach Lübeck. Eine Bach-Nov­el­le. Güter­sloh: Ber­tels­mann 1952. 80 Seit­en.

Franck schildert hier die berühmte “Urlaub­sreise” Bachs zum großen Organ­is­ten Diet­rich Bux­te­hude nach Lübeck, die ein kleines biss­chen länger dauerte als geplant: Der Arn­städter Rat hat­te seinem Organ­is­ten einen Monat Urlaub genehmigt, nach mehr als vier Monat­en war Bach wieder in Thüri­gen zurück. Francks Nov­el­le pen­delt zwis­chen pseudo­barock­em Satzgeschwurbel und mod­ernem Men­schen­bild, gar­niert mit ein­er defti­gen Prise über­bor­den­der Fröm­migkeit. Wed­er lit­er­arisch noch his­torisch beson­ders wertvoll, aber eine nette Kuriosität für eine Stunde Zug­fahrt …

Aus-Lese #23

Arezu Wei­tholz: Wenn die Nacht am still­sten ist. München: Antje Kun­st­mann 2012. 224 Seit­en.

Wenn die Nacht am still­sten ist soll wohl so etwas wie ein Abge­sang auf die Poplit­er­atur sein. Als solch­er ist es aber schwach. Inter­es­sant ist die darin erzählte Beziehungs­geschichte: Die Beziehung der Erzäh­lerin zu Lud­wig, die ger­ade endete, und die zu ihrer Nut­ter, die zu enden dro­ht — mit dem Tod. Da geht es dann irgend­wie um die Frage: Kann man post­mod­ern-the­o­retisch klug sein und trotz­dem fühlen/lieben, in Beziehung, Liebe, Leben wahrhaftig sein? Dazwis­chen gibt es — die Ref­erenz auf die Poplit­er­atur lässt grüßen — haufen­weise mehr oder min­der schlaue und raf­finierte Anspielun­gen, im Gegen­satz zum Orig­i­nal aber keine Ironie. Lei­der kom­men der Autorin immer wieder Sen­ten­zen in den Weg, von den sie sich offen­bar nicht tren­nen mochte — da wird des dann manch­mal etwas platt und klis­chee­be­laden: Sätze wie “Ich will wahr sein.” (155) sind irgend­wie doch immer pein­lich. Am besten gefiel mir der erste Teil — “Die Nacht” über­schrieben -, der auch erzähltech­nisch vom eher banalen, oft unge­nau erzählten Rest pos­i­tiv unter­schieden ist.

“Am Ende geht es um den Moment.” (9 & 223) behauptet der Text am Anfang und Schluss — aber eigentlich stimmt das gar nicht, es geht eben selb­st dem Text schon immer um mehr, das mit dem Moment klappt ja ger­ade nicht.

Carl-Chris­t­ian Elze: ich lebe in einem wasser­turm am meer, was albern ist. Wies­baden: lux­books 2013 (luxbooks.labor). 112 Seit­en.

Ein schön­er Gedicht­band aus dem kleinen, feinen Wies­bade­nen lux­books-Ver­lag. Bei Elze geht es um das “Ich”. Und zwar schon ganz banal und offen­sichtlich: Ich ist fast immer schon im ersten Vers präsent, oft sog­ar als erstes Wort). Das “Ich” ist hier offen­bar eines, das viel zu viel weiß und reflek­tiert ;-), aber trotz­dem authen­tis­che Stimme bleibt: wis­send, aber füh­lend — Eine Kom­bi­na­tion, die recht sel­ten (gewor­den) ist in der deutschsprachi­gen Lyrik, da pen­delt das meis­tens zu ein­er der bei­den Seit­en. Soll­bruch­stellen sind in diesem Konzept aber manch­mal dur­chaus erkennbar: das ist nicht Lyrik, die her­metisch gegen alle Angriffe gewapp­net ist — im Gegen­teil, sie zeigt sich offen und dur­chaus auch ver­let­zlich. Defin­i­tiv nicht ganz meine Sache ist die sehr deut­liche Prosanähe der Langzeilen.

Typ­is­cher­weise geht es um das ewige, fre­undlich-obses­sive Ich, das fast unun­ter­broch­ene “ich bin …” macht das deut­lich. Das “Ich” ist hier eine ganze Menge, u.a. ein Mon­ster und ein Atom­kraftwerk …). Wie schon im Titel (der ein vork­om­mender Vers ist) wird dieses „ich bin” gerne mit einem “… was ist” kom­biniert. Offen­bar soll nicht nur über das Ich (über das Sub­jekt und seine Brüchigkeit­en, seine Kon­sti­tu­tion­sprob­leme) gesprochen wer­den, son­dern auch das Wort immer und immer wieder gesagt werde — bis es nicht nur seine Bedeu­tung ver­loren hat, son­dern auch als Wort bedeu­tungs­los gewor­den ist, weil es in so unzäh­li­gen Vari­anten, Beschrei­bun­gen und Meta­phern immer wieder neu ver­sucht wird (aber, das ist typ­isch für Elze: das bleibt (fast) immer heit­er, dieses let­ztlich doch bru­tale und weit gehende Scheit­ern, das wird nicht dunkel, depres­siv oder aggre­siv, son­dern fre­undlich, fast unbeschw­ert, etwas schweifend und ein­fach weit­er suchend — bis kurz vor Schluss des übri­gens schön gestal­teten Ban­des.

Schön­heit­en gibt es hier einige, aber manch­mal erscheinen die mir zumin­d­est beim ersten Lesen etwas undiszi­plin­iert, nicht ganz fer­tig aus­gear­beit­et.

ich pad­del in den lüften herum nach ein paar wahren worten (38)

Julia Schoch: Selb­sporträt mit Bona­parte. München, Zürich: Piper 2013. 142 Seit­en.

Ein kurz­er Text, aber dur­chaus ein stark­er, dieses Selb­sporträt mit Bona­parte von Julia Schoch. Und ein kluges, aber nicht tröstlich­es Buch: Was passiert, wenn zwei “Ver­gan­gen­heits­men­schen” in Liebe zu einan­der kom­men oder eben nicht zu einan­der find­en? Das erzählt Schoch präzise, mit vie­len sehr tre­f­fend­en Sätzen in einem kurzen, aber aus­re­ichend Romänchen: Das Scheit­ern ein­er Beziehung, die von Anfang an keine Chance hat — und ihr Sym­bol im Zufall des Roulette-Spiel(en)s find­et. Es geht dabei zwar offen­sichtlich um Lei­den­schaft, ist aber sehr über­legt, oft ana­lytisch, meis­tens trock­en, auch sprach­lich fern jeden Über­schwangs und lei­den­schaftlichen Aus­bruchs. Der Trick ist natür­lich, dass ger­ade die Geschicht selb­st nicht erzählt wird, son­dern höch­stens in Andeu­tun­gen klar wird. Erzählt wird stattdessen das Erzählen und das Erin­nern, die Frage der Ver­gan­gen­heit, ver­set­zt mit Frag­menten der Liebesgeschichte. Und das kon­nte mich dur­chaus erfreuen.

In Wirk­lichkeit ist Schreiben eine Form des Wartens. Solange ich dies schreibe, ist nichts zu Ende, kann es eine wieder­hol­ung geben. (96)

Ins Netz gegangen (18.9.)

Ins Netz gegan­gen am 18.9.:

  • Hans Well zur Land­tagswahl Bay­ern — Süddeutsche.de — Hans Well ste­ht der Süd­deutschen zur Bay­ern-Wahl Rede und Antwort — zum Beispiel auf die Frage: “War See­hofer über­haupt der geeignete Spitzenkan­di­dat?”

    Ich möchte diesen Ingol­städter Wankel­mo­tor in Schutz nehmen: Anders als Stoiber geht See­hofer sparsam mit “Ähs” um und zwängt sich nicht in Gebirgss­chützenuni­form. See­hofer ist endlich mal ein Poli­tik­er, der sich nie fes­tlegt — außer auf zwei Kilo­me­ter Abstand zu Wind­parks, um somit ohne Win­dräder den Atom­ausstieg durchzu­peitschen. Das nenne ich klare Kante. Kommt beim Som­mer­wäh­ler­schlussverkauf super an. Der braucht von der Kan­z­lerin nix zu ler­nen. Der hat schon alles selb­st drauf.

  • Auch Anti-Eurozen­tris­mus kann zur Ide­olo­gie wer­den – Inter­view mit Jür­gen Oster­ham­mel | Das 19. Jahrhun­dert in Per­spek­tive — Mareike König hat sich mir Jür­gen Oster­ham­mel über Welt­geschichte unter­hal­ten, und natür­lich vor allem über sein riesiges Buch “Die Ver­wand­lung der Welt. Eine Geschichte des 19. jahrhun­derts”. Jet­zt habe ich noch mehr Lust, den Wälz­er anzuge­hen (aber vor der zeit­fressenden Lek­türe schrecke ich irgend­wie immer noch zurück …)
  • Peter Gabriel : “Im Alter ist man immer noch ein Kind” — DIE WELT — Peter Gabriel meint (in einem selt­sam hölz­er­nen Inter­view), es wäre Zeit für einen Regierungswech­sel in Deutsch­land …
  • NDR löscht nach Protest von CDU-Poli­tik­er Doku­men­ta­tion über SPD-Poli­tik­er « Ste­fan Nigge­meier — NDR löscht nach Protest von CDU-Poli­tik­er Doku­men­ta­tion über SPD-Poli­tik­er (via Pub­lished arti­cles)
  • Roman “Tabu”: Der Mord, der kein­er war | ZEIT ONLINE — Wow, Ulrich Grein­er hat Fer­di­nand von Schirachs Roman “Tabu” gele­sen. Und ist über­haupt nicht zufrieden gewe­sen:

    Der Roman jedoch ist schlecht. Schirach liebt das philosophis­che Faseln, den bedeu­tungss­chwan­geren Psy­chol­o­gis­mus. Und er hantiert mit ein­er ästhetis­chen The­o­rie, die das Ineinan­der und das Gegeneinan­der ver­schieden­er Ebe­nen von Wirk­lichkeit anschaulich machen soll. Es geht auch um die Frage, was Wahrheit in der Kun­st bedeutet und was im Leben. Solch schw­eren The­men ist Schirachs Sprache nicht gewach­sen, und gründlich durch­dacht wirkt das Ganze eben­falls nicht. Wenn ich recht sehe, han­delt es sich alles in allem um einen großen Bluff.

    Später weit­et er sein ver­nich­t­en­des Urteil — so einen deut­lichen, krassen und kom­plet­ten Ver­riss habe ich schon lange nicht mehr gele­sen — noch aus:

    Um es deut­lich zu sagen: Fer­di­nand von Schirach kann nicht schreiben. Natür­lich kann er Texte ver­fassen, sach­di­en­liche, scharf­sin­nige, kluge, schließlich ist er ein erfol­gre­ich­er Anwalt. Aber es fehlt ihm die Gabe der Imag­i­na­tion, des Her­beiza­uberns ein­er neuen Welt, der lit­er­arischen Sub­til­ität. Bloß aus Haupt­sätzen baut man keinen Palast, allen­falls eine Hütte.

    Das/Der ist erledigt.

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