Ein ganz interessanter kleiner Roman, auch wenn er zunächst ganz unspektakulär und unauffällig daherkommt: Ohne Anfang und Ende erzählt Elke Naters einen einfachen Ausschnitt aus dem “Leben” zweier Frauen. Freundschaft ist das eigentliche Thema dahinter. Erzählt wird das in doppelter Perspektive in kurzen, wechselnden Abschnitten — teilweise überlappend — aus der Perspektive zweier Frauen, Gloria & Marie, in schlichter, einfacher, sozusagen alltäglicher Sprache. Auffällige Motive bzw. (Stimmungs-)Indikatoren sind — etwas klischeehaft fast — das Einkaufen, insbesondere der Kleidung, und Frisuren (vor allem neue, andere). Natürlich steht das in der Betonung der Mode und anderer “Äußerlichkeiten” in perfekter Tradition des Popromans. Die Banalität des Lebens, der Freundschaften und Beziehungen, kurz: das „kleine Leben“ sind der Mittelpunkt der beiden (miteinander verwobenen) alltäglichen Frauengeschichten.
Das ist ein viel anstrengenderes Leben, das ich führe, nämlich ein glückliches, als ein unglückliches. (72)
Couplands zweiter “Generationen-Roman” basiert auf einer schönen Idee: Die Welt nach dem Verschwinden der Bienen in naher Zukunft wird überrascht von fünf über die Welt verteilten Bienenstichen. Die gestochenen werden ausgiebig untersucht und getestet (offenbar ohne Ergebnis), dann zusammengebracht, um sich Geschichten zu erzählen — die auch apokalyptische Elemente erhalten und bestimmte Prozesse in den Gehirnen anregen sollen — alles im Namen der Wissenschaft, angeblich. Manchmal blöd fand ich, wie wenig Wissen vorausgesetzt wird, wie viel erklärt wird (unter dem Deckmantel, dass es die Charaktere auch nicht wissen …). Dafür ist Generation A wie für Coupland typisch auf den Punkt geschrieben, packend und forsch — und natürlich mit der üblichen Portion Coupland’scher Zeit- und Gesellschaftskritik, auch Sprachwandel und ‑verlust spielen — als Symptome — eine große Rolle. Und schließlich taucht noch ein schöner Storytwist kurz vor Schluss auf, der zum etwas kitschigen Happyend mit Friede, Freude und Eierkuchen führt (sogar die Bienen kommen wieder zurück …). Das ist alles sehr nett, aber nicht so herausragend wie anderes von Coupland.
Wie wir begehren ist keine wissenschaftliche Untersuchung, sondern ein Essay. Und zwar ein sehr guter (trotz einiger Bedenken, die man inhaltlich haben kann): Emcke erzählt sehr persönlich, bleibt dabei aber nie stehen, sondern reflektiert vom eigenen Erleben aus: Die Entwicklung von Sexualität, Lust und Begehren im Laufe eines Lebens und — ganz wichtig — der Umgang der Gesellschaft mit diesen Themen, der auch einem ständigen Wandel unterliegt. Die Parallelität oder die Verschränkung von eigenem Leben, der Erinnerung und dem Nachdenken in allgemeinen/soziologischen, auch sprachlichen Kategorien (z.B. über das “Erwachsen werden”, das “Coming of Age”) eignet sich sehr gut, um die Vielschichtigkeit des Themas in allen Belangen auch formal erfassen zu können.
Emcke gelingt es immer wieder (nicht nur in diesem Buch) auffällig gut, genau die richtigen Fragen zu stellen. Das kann schon mal ein einfaches “Ist das wirklich so?” sein. Das dient, wie auch die vielen Beispiel-Erzählungen, der Perspektivierung: Das, was wir heute als “normales” Begehren empfinden, ist es nicht überall und immer (gewesen). Begehren kann immer auch die Möglichkeit der Not des Begehrens enthalten (weil die jeweilige Art des Begehrens sozial/juristisch/theologisch untersagt ist etwa). Eine besondere Rolle nimmt deshalb der Umgang mit Homosexualität ein — wiederum sowohl auf persönlicher/individueller und gesellschaftlicher Ebene.
Es ist ein Kategorienfehler, Sexualität überhaupt in moralischen Begriffen zu verhandeln. (171)
Die Fabel hat durchaus Potenzial: Ein “Wissenschaftler” erfindet eine Substanz, die die Atmosphäre so ändert, dass Leben nicht mehr möglich ist. Und die hat die Nebenfunktion, die Zeit aufzuheben. Und Kontakt zu Figuren aus dem Himmel herzustellen. Aber das ist eigentlich nur eine Rand-/Rahmenhandlung, die den Protagonisten zu seinen verzwickten Aktivitäten treibt (und ihn einige Biere und Whiskeys trinken lässt) sowie Anlass zu den krudesten Welttheorien bietet. Auch James Joyce taucht persönlich Jahrzehnte nach seinem vermeintlichen Tod noch auf, als Autor, der seine eigenen Werke nicht geschrieben haben will und sie auch für den größten Mist hält. Und dann ist da noch die katholische Kirche und ihre Orden …
Wenn man von der “Konkurrenz” O’Briens zu Joyce — die sich auch hier niederschlägt (und nicht zum Besten des Buches …) — absieht, ist das ein sehr netter, humoriger kleiner Roman, sehr irisch im Personal, der Handlung und dem Witz (sowie den Trinkgewohnheiten) noch dazu.
Jurt liefert hier eine sehr gedrängte und dichte, manchmal für mich auch etwas arg verknappte Darstellung der Philosophie/Soziologie Bourdieus. Der Anfang etwa, wo er die Situation der Philosophie in Frankreich, in die Bourdieu stößt beschreibt, und auch die Schilderung seiner philosophischen Entwicklung darin, die Kristallation seiner Grundpostionen war für mich deshalb kaum lesbar. Das Problem scheint mir auch zu sein, dass Jurt immer gleich den ganzen Bourdieu im Blick hat, also nicht einzelne Stationen oder (Haupt-)Werke vorstellt, sondern immer auch die Veränderungen der Konzepte im Lauf der Zeit mitbedenkt — und das ist halt viel.
Ab dem dritten Kapitel, den “Grundpositionen Bourdieus” wird das aber klarer und deutlicher. Vor allem der Hauptteil, das vierte Kapitel, in dem Jurt die “zentralen Kategorien” Bourdieus vorstellt, ist ausführlich (und gut) erklärt — da werden natürlich zuvörderst das Konzept des „Habitus“ (das Bourdieu von Panofsky übernommen und modifiziert hat) und die Idee der “Felder” geschildert.
Das Schreckliche, wenn einem New York zuwider ist, das Schreckliche ist, daß man nirgends anders hin kann. Hier sitzen wir auf dem Gipfel der Welt.“ (183)
… das ist so etwas wie der Leitsatz für Manhattan Transfer: New York als Zentrum und Brennpunkt der Welt, in dem sich alle möglichen Schicksale treffen. Entsprechend erzählt Dos Passos das — und das ist der literaturgeschichtlich wohl bedeutsamste Punkt an diesem Roman — in einer Polyphonie der Stimmen, Orte und Geschichten. Besonders die prekären Situationen und Schicksale der “einfachen” Menschen interessieren ihn: die Armen, (fast) Mittellosen, die Arbeitenden und Arbeitssuchenden. Immer wieder tauchen auch große Ideen und Versuche auf, Projekt, Ansätze und Unternehmungen, die viel (oder gleich alles) versprechen) — und doch immer wieder zum Scheitern tendieren, im privaten wie im geschäftlichen Leben. Aber auch eine gewisse Freizügigkeit in sexuellen Dingen ist mir beim Lesen aufgefallen, vor allem eine sehr flexible, vielsseitige und vielschichtige Moral (nicht: Morallosigkeit!) der Charaktere in Manhattan Transfer.
Im schrillen Wind der Weltgeschichte klatschen die langen Fahnen und zerren an ihren Schnüren an den knarrenden, goldknaufigen Stangen in der V. Avenue. (224)
Wehrli hat sein Konzept der minimalen Beobachtungen — immer nur ein Satz pro Phänomen — entwickelt, weil er seinen Fotoapparat auf einer Reise vergaß. Daraus sind über Jahrzehnte eine Fülle von “Nummern” in diesem Katalog erwachsen (der übrigens durchaus nicht “alles” umfasst, sondern gerade das Besondere außerhalb des Alltags deutlich bevorzugt). Die sind spannend in der Konzentration auf Singularitäten und erhellend in der Genauigkeit der Wahrnehmungen und Beobachtungen. Aber manchmal auch ermüdend in der Vielfalt und Menge — ich kann das nur in kleinen Dosen mit Gewinn lesen. Aber dann ist der Katalog eben auch immer wieder anregend in der Präzision und Kürze seiner Beschreibungen — und deshalb eine große Erfahrung.
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