Der Trafikant beruht auf einer spannenden Idee: Mit Hilfe eines Protagonisten, der aus der ländlichen Region am Attersee nach Wien kommt, um dort Trafikant zu werden, erzählt Seethaler die Geschichte Österreichs/Deutschlands/Europas in den 1930er und 1940er Jahren. Die Spiegelung des kulturellen und politischen (Welt-)Geschehens (bzw. markante Punkte/Auszüge davon) in einem persönlichen Leben — das ist sicherlich der interessanteste Aspekt am Trafikant. Diese Verschränkung von Zeitgeschichte und persönlicher Biographi ist keineswegs eine neue, innovative Idee Seethalers — aber die Art, wie er das erzählerisch umsetzt, ist doch charmant und überzeugend. Das liegt auch daran, dass er gut zwischen beiden Polen balanciert — das ist in diesem Fall ja gerade das Kunststück. Dazu kommt sein starker, kräftig zupackender Stil. Und einige gute Einfälle wie zum Beispiel die geschickte Integration von Sigmund Freud als “Kapizität” und Therapeut (v.a./u.a. in Liebesnöten). Das ist auch ein schöner Schachzug des Erzählers. So werden nämlich auch Traum-Erinnerung und ‑Deutung ganz unauffällig zum Motiv im Trafikant — und Träume als Texte. Einfach schön ist, wie das nach und nach ganz sorgsam eingeführt wird … Sowieso muss man die erzählerische Sorgfalt Seethalers loben, seine Planung der Anlage der Handlung(en) — das gelingt ihm vorzüglich und macht den Trafikant zu so einer interessanten Lektüre.
„Die Leute sind ganz narrisch nach diesem Hitler und nach schlechten Nachrichten — was ja praktisch ein und dasselbe ist“, sagte Otto Trsnjek. „Jedenfalls ist das gut für das Zeitungsgeschäft — und geraucht wird sowieso immer!“ (35)
Dieses Mal in einer der besten Zeitschriften: Guy Davenport schreibt assoziationsreich über Balthus, Stephan Broser führt vor, wie man psychoanalytische die Geburt der Psychoanalyse beschreibt oder erklärt (Anna — Ananke), dazu noch einne spannende “OhrenPerformance mit LiveGuide” von Brigitte Oleschinski, “spricht ins Ohr und Sie gehen mit” betitelt. Und noch die Fortsetzung von Günter Plessows Faulkner-Übersetzung (das erste Kapitel aus “Absalom, Absalom!”) — sehr anregend und anreichernd (lustig übrigens, dass eine Zeitschrift mit dem Namen “Mütze”, was ja eigentlich so etwas wie eine Einhegung des Kopfes meint, eine absichernde Beschränkung, sich so ganz und gar der Befreiung des Denkens verschreibt und in alle Richtungen ihre Fühler ausstreckt, Grenzen ignoriert und zur Seite stößt …)
Auf diesen luftigen Text bin ich durch das 100-Seiten-Projekt des Umblättereres gestoßen. Und ich muss sagen: Es macht Spaß, diesen abseitigen Text zu lesen. Das ist ein wunderbar ernster Schabernack … Dabei lässt es De Quincey nie an Pietät und Verehrung fehlen.
Inzwischen habe ich aus einer eigenen (absolut zuverlässigen) Quelle einige Angaben erhalten, die die Aussagen […] teilweise widerlegen. Würde ich mir deshalb erlauben, die Glaubwürdigkeit dieser Herren anzuzweifeln? Keineswegs. (79)
Der kurze Text betont die abstrusen Eigenheiten und Sonderlichkeiten Kants in der Schilderung seines Tagesablaufs und seines Verfalss zum Sterben. 1827 erstmals erschienen, folgt er in einer seltsamen Mischung aus Wahrheit und Dichtung den Berichten Ehregott Andreas Wasianskis, einem Vertrauten Kants aus dessen letzten Lebensjahren. De Quincey tut dies nüchtern und empathisch, pedantisch und barock zugleich.
Die Ausgabe bei Matthes & Seitz ist außerdem auch ein schönes Buch und mir ihren reichlichen Beigaben, die die Rezeption des Textes in verschiedenen Sprachen Europas beiläufig noch vorführt und außerdem die Absurdität des in die Schädelmesserei verliebten 19. Jahrhunderts.
außerdem:
- Goethes Werther (die Fassung von 1774)
- einiges von Arno Schmidt im Arno-Schmidt-Lesebuch
matthias mader (@matthias_mader)
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