Lesen. Hören. Und ein bisschen schreiben.

Schlagwort: oratorium

Messias mit angezogener Handbremse

Gut, dass es das mod­erne Urhe­ber­recht vor 225 Jahren noch nicht gab. Son­st hätte sich Mozart wom­öglich nie getraut, Hän­dels „Mes­si­ah“ zu bear­beit­en. Oder Hän­dels Erben hät­ten gar nicht genehmigt, dass da ein ander­er Kom­pon­ist die Instru­men­ta­tion des Ora­to­ri­ums ändert, die Arien umschreibt oder manch­es, was ursprünglich der Chor zu sin­gen hat­te, nun den Solis­ten anver­traut. Und das wäre schade gewe­sen, denn es hätte uns um die Mozart-Fas­sung des Hän­delschen „Mes­sias“ gebracht.

So ein Cov­er ist natür­lich ger­ade dann inter­es­sant, wenn das Orig­i­nal sowieso schon bekan­nt ist. Und das muss man für Hän­dels berühmtestes Ora­to­ri­um auch heute noch annehmen. Da ist eine Auf­führungsvari­ante also eine angenehme Abwech­slung: Man hört die bekan­nten Chöre – natür­lich wird auch bei Mozart ein kräftiges „Hal­lelu­ja“ gejubelt – und die ver­traut­en Arien, aber man hört auch etwas Neues, auch wenn Mozart die Par­ti­tur nur sehr behut­sam mod­ernisiert. Geän­dert ist vor allem die Instru­men­ta­tion, die mit zusät­zlichen Holzbläsern mehr Farbe ins Spiel bringt. Und neu klin­gen auch einige Arien. Oder zumin­d­est weniger bekan­nt. Denn es ist ja nicht das erste Mal, dass der Bach­chor mit der Lud­wigshafen­er Staat­sphil­har­monie die Mozart-Fas­sung in der Chris­tuskirche auf­führt.

Zum ersten Mal geschieht das allerd­ings ohne Ralf Otto: Der erkrank­te Chor­leit­er wurde kurzfristig durch Wol­fram Koloseus erset­zt – immer­hin ein erfahren­er Mozart-Diri­gent. Das wird in der Chris­tuskirche aber nicht so recht deut­lich. Vielle­icht war die Vor­bere­itungszeit ein­fach zu kurz. Jeden­falls klingt das sel­ten so, als wären Sänger, Instru­men­tal­is­ten und Diri­gent mit einan­der und dem Werk wirk­lich ver­traut. Von Num­mer zu Num­mer hangeln sie sich, mal bess­er, mal etwas hake­liger. Aber über weite Teile bleibt der Ein­druck, dass alle Beteiligten noch sehr in und an den Noten kleben – freies und lebendi­ges Musizieren ist das sel­ten.

Aus­gerech­net im ersten Teil, dem wei­h­nachtlichen Teil des Ora­to­ri­ums, wirkt dieser „Mes­sias“ deshalb selt­sam entrückt und fern: Das scheint die Musik­er über­haupt nicht zu berühren. Manch­es von dieser großar­ti­gen Musik ist sog­ar richtig schlaff. Sich­er, da sind dur­chaus ansprechende Momente dabei – aber gut ver­steckt in viel Mit­tel­maß. Auch die Solis­ten kön­nen das nicht ret­ten: Klaus Mertens wirft seine langjährige Erfahrung ins Gewicht, die man der rou­tinierten, aber dur­chaus pointierten Inter­pre­ta­tion immer anhört. Tenor Chris­t­ian Rathge­ber singt dage­gen auf­fal­l­end jugendlich und frisch, aber manch­mal auch etwas durch­set­zungss­chwach. Ähn­lich­es ist in der Damen­riege zu beobacht­en: Sopranistin Sarah Wegen­er kann mit klar­er und sub­til­er Gestal­tung überzeu­gen, wird manch­mal – etwa in der Arie „Er wei­det seine Herde“ auch richtig ver­führerisch, während die Mez­zoso­pranistn Nohad Beck­er etwas unschein­bar bleibt.
Blass bleibt aber eben auch vieles vom Rest. Die Staat­sphil­har­monie klingt durch­weg recht schroff, der Chor anfangs erstaunlich lust­los. Viele rhyth­mis­che und dynamis­che Akzente, die der sehr extro­viert dirigierende Koloseus den Musik­ern und Sängern zu ent­lock­en ver­sucht, ver­schleifen und ver­puffen wirkungs­los. Immer­hin bessert sich das zunehmend: Vor allem der Bach­chor find­et zur gewohn­ten Form, die hier sehr poliert und hell klingt. Ger­ade im zweit­en Teil fängt das an, zu strahlen. Schade nur, dass dann aus­gerech­net der Schluss­chor, das alles bestäti­gende große „Amen“, wieder so über­vor­sichtig zaghaft klingt, als wür­den Chor und Orch­ester mit ange­zo­gen­er Hand­bremse musizieren.

Vollendet ist das große Werk — Haydns “Schöpfung”

“Vol­len­det ist das große Werk, des Her­ren Lob sei unser Lied!” heißt es am Ende des zweit­en Teils der “Schöp­fung” von Joseph Haydn, nach­dem Gott die Welt und die Men­schen erschaf­fen hat. Chor und Orch­ester des Col­legium Musicums der Uni­ver­sität Mainz began­nen ihr Semes­ter­ab­schlusskonz­ert gle­ich mal mit diesem Schluss­chor. Aber jede Befürch­tung, der Diri­gent Felix Koch hätte das Ora­to­ri­um neu geord­net, wurde schnell zer­streut – das diente nur der Ein­stim­mung, bevor noch ein paar Reden und Dankesworte zum Ende des Semes­ters zu absolvieren waren.

Dann ging es näm­lich ganz ordentlich los – mit der “Vorstel­lung des Chaos”, die Haydn an den Anfang seines großen Ora­to­ri­ums gestellt hat. Chaos ist, bevor Gott ein­greift und mit sein­er Schöp­fung Ord­nung schafft. Der Gott, das ist hier ein sehr gütiger und, wenn man Haydns Musik glauben will, auch ein humor­voller: Nichts wird erzählt von ver­boten­er Frucht oder Sün­den­fall, Adam und Eva zele­bri­eren im drit­ten Teil in aller Aus­führlichkeit ihre Liebe und Har­monie. Har­monisch und liebevoll arbeit­ete Koch, der das Col­legium Musicum seit dem Herb­st leit­et, auch die Musik aus. Selb­st die bre­it angelegte Ver­to­nung des Chaos am Beginn ließ diese Ein­tra­cht schon hören. Und sie zog sich durch das gesamte Ora­to­ri­um, bis zum Schlussjubel.

Haydn hat­te beim Kom­ponieren des Ora­to­ri­ums vor 220 Jahren noch auf die Hil­fe Gottes geset­zt: “Täglich fiel ich auf die Knie und bat Gott, dass er mich stärke für mein Werk”, sagte er ein­mal über die Zeit, in der die “Schöp­fung” ent­stand. Das haben in der Rhein­gold­halle wed­er Koch noch seine Solis­ten und Musik­er nötig: Ihre eigene Stärke reicht völ­lig aus, die Par­ti­tur zu bewälti­gen. Sich­er, dem Orch­ester fehlt hin und wieder etwas klan­gliche Ein­heit und Größe. Aber viele Details gelin­gen sehr klangschön. Und sowieso betonte der Diri­gent vor allem die aufk­lärerische – und klas­sis­che – Seite des Libret­tos, die klan­gliche Repräsen­ta­tion der Welt in vie­len einzel­nen Momenten und die leuch­t­ende, wis­sende Har­monie des Anfangs.

Unter den Solis­ten, denen in der “Schöp­fung” ein Großteil der Arbeit zukommt, fie­len vor allem der klare und charak­ter­starke Bass Flo­ri­an Küp­pers und die tech­nisch her­aus­ra­gende Sopranistin Saem You auf. Tenor Alex­ey Egorov klang hin und wieder etwas belegt, während der Adam von Dmitriy Ryabchikov viel Selb­stver­trauen und Sicher­heit ausstrahlte. Und immer wieder singt der Chor dazu das Lob Gottes und sein­er Werke. Er tut das fast engels­gle­ich – oder so, wie man sich einen Engelschor gerne vorstellt: Hell und klar, süß und san­ft zugle­ich. Das liegt in diesem Fall ein biss­chen auch daran, dass die Frauen­stim­men den Chork­lang fest in der Hand haben – da kann auch Felix Koch wenig aus­richt­en. Der wid­met sich sowieso am lieb­sten den reichen Ton­malereien in der Schöp­fung. Zumin­d­est sind die Sätze, die sich durch beson­ders plas­tis­che und real­is­tis­che Ver­to­nung ausze­ich­nen, zweifel­los die Höhep­unk­te des Konz­ertes: Der strahlende Son­nenauf­gang des vierten Tages, die charak­ter­is­tis­chen Klänge der Tiere, die die neu geschaf­fene Welt bevölk­ern, der Glanz und die Glo­rie des Him­mels und des Alls – all das lässt Koch das Orch­ester behut­sam und elastisch mit großer Freude am Detail­re­ich­tum zeich­nen. Damit wird diese “Schöp­fung” vielle­icht nicht ger­ade zu einem großen Werk. Aber viele kleine Momente kön­nen auch eine schön Vol­len­dung sein.

(geschrieben für die Mainz­er Rhein-Zeitung.)

Liebe, Götter und Musik: Händels “Semele”

Kom­pliziert­er geht es kaum noch. Da ist Semele, die Tochter des Königs von Theben. Sie soll eigentlich Athamus heirat­en, hat ins­ge­heim aber ein Ver­hält­nis mit dem Gott Jupiter. Dafür ist ihre Schwest­er Ino in den Bräutigam ver­liebt. Auch Juno, Apol­lo und einige andere Fig­uren aus Göt­ter- und Men­schen­welt mis­chen noch mit, bis Semele am Ende beim Ver­such, selb­st göt­tlich zu wer­den, stirbt und die restlichen Beteiligten ohne sie ihr Hap­py End erleben und feiern könne. Das Pro­grammheft benötigt fünf Seit­en für eine ver­ständliche und hin­re­ichend aus­führlich Inhalt­szusam­men­fas­sung. Und dabei ist das noch nicht ein­mal eine Oper – Hän­del hat seine „Semele“ aus­drück­lich als Ora­to­ri­um ver­standen und auch so kom­poniert, trotz des Libret­tis. Das ist schon den Zeitgenossen aufge­fall­en, bei der Urauf­führung bemerkt ein Fre­und Hän­dels wenig fre­undlich: „Das ist kein Ora­to­ri­um, son­dern eine zoten­hafte Oper, eine englis­che Oper, die Nar­ren als Ora­to­ri­um beze­ich­nen.“ Zum Glück hat sich diese Mei­n­ung nicht durchge­set­zt. Oft zu hören ist die „Semele“ aber trotz­dem nicht. Dank des Kol­legs für Alte Musik, Barock vokal, das an der Mainz­er Musikhochschule ein Weit­er­bil­dung­spro­gramm für junge Sänger und Sän­gerin­nen anbi­etet, war die Geschichte von Semele jet­zt in der Chris­tuskirche zu erleben. Vor allem war die Musik zu hören – das es nicht um Hand­lung ging, macht schon ein erster Blick deut­lich: Alle Beteiligten in strengem schwarz, in klas­sis­ch­er Ora­to­rien­form: Vorn die Solis­ten von Barock vokal, hin­ten der Chor der Musikhochschule, dazwis­chen das mit stu­den­tis­ch­er Ver­stärkung famos leicht und durch­sichtig spie­lende Mainz­er Bachorch­ester. Aber was den Augen fehlt, kön­nen die Ohren leicht aus­gle­ichen. Denn alle der immer­hin zehn Sänger und Sän­gerin­nen um Elis­a­beth Scholl, die eine wun­der­bar klare, kon­trol­lierte Semele singt, haben sich ihre Rolle genau erar­beit­et.
Zusam­menge­hal­ten und mit bewun­der­swert­er Präzi­sion in allen Details aus­ge­malt wird das von Ralf Otto, der aus dem kün­stlichen Beginn ein immer pack­enderes und mitreißen­deres Dra­ma entwick­elt, das erst mit dem Schluss­chor und Hap­py End Erle­ichterung bietet. Und das macht er so deut­lich und so überzeu­gend schön, dass man dazu nicht ein­mal der Hand­lung in jedem Detail fol­gen kön­nen muss.

mrz.

Taglied 26.2.2012

Zwei klitzek­leine Auss­chnitte aus Hän­dels wirk­lich über­raschend schönem Ora­to­ri­um “Semele”:

Cecil­ia Bar­toli — Semele — No no, I’ll take no less

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Cecil­ia Bar­toli — Semele — End­less plea­sure, end­less love

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Alle Jahre wieder: Das Weihnachtsoratorium

Schon die schiere Größe ist beein­druck­end, die Chor­massen auf den Altarstufen, die Länge des Werkes und das Durch­hal­tev­er­mö­gen der Musik­er und des Pub­likums. Das ist aber eher seine portliche Leis­tung. Domkapellmeis­ter Math­ias Bre­itschaft gelingt es allerd­ings, daraus auch dur­chaus beein­druck­ende Musik zu machen. Dabei ist das für ihn schon fast Rou­tine: Regelmäßig ste­ht in der Wei­h­nacht­szeit auch im Dom das kom­plette Bach­sche Wei­h­nacht­so­ra­to­ri­um auf den Plan. Dieses Jahr war es wieder so weit.

Und ganz schnell, näm­lich schon beim „Jauchzet, frohlock­et“ des Ein­gangschores, wird klar: Dieses Mal wird das Wei­h­nacht­so­ra­to­ri­um noch lebendi­ger und kraftvoller klin­gen. Der Dom­chor und das Mainz­er Kam­merorch­ester leg­en sich gle­ich ins Zeug, als hät­ten sie nicht noch über zwei Stun­den Musik vor sich. Und doch bleibt Bre­itschaft sein­er Inter­pre­ta­tion­slin­ie treu: Das wirk­liche Erstaunen ob des Wun­ders der Geburt Jesu Christ ste­ht im Mit­telpunkt. Und die unbändi­ge Freude darüber, immer wieder jauchzt, frohlockt und jubelt der Chor, die Instru­men­tal­is­ten und auch die Solis­ten.

Die zügi­gen Tem­pi dieser hochges­timmten Musik sind dabei dur­chaus irdisch, wirk­lich entrückt wirkt das fast nur im Choral „Ich steh an dein­er Krip­pen hier“ im sech­sten Teil. Das gilt vor allem in der ersten Hälfte, den ersten drei Kan­tat­en für die eigentlichen Wei­h­nachts­feiertage. Hier wird die eigentliche Wei­h­nachts­geschichte, der Kern des Wun­ders, erzählt. Und hier singt der Mainz­er Dom­chor. Denn nach der Pause erset­zt Bre­itschaft die jun­gen Stim­men des Dom­chors mit den etwas reifer­en der Domkan­tor­ei St. Mar­tin. Und diesen Unter­schied hört man deut­lich: Die Kan­tor­ei klingt erwach­sen­er, fül­liger und singt mit mehr Druck, aber nicht ganz so beweglich wie der Dom­chor. Die immer etwas ungläu­big-naive Begeis­terung des Beginns wan­delt sich in ehrfürchtiges Staunen.

Auf der Suche nach dem Charak­ter­is­tis­chen jedes einzel­nen Satzes kommt Bre­itschaft so sehr weit. Die Verve, mit der er sich und die Chöre etwa in jeden einzel­nen der sechs Ein­gangschöre stürzt, ist jedes­Mal beein­druck­end. Und sie überträgt sich recht prob­lem­los auf den Rest des Ora­to­ri­ums, auch auf Arien und Rez­i­ta­tive der Solis­ten. Die wur­den in der Pause nicht aus­gewech­selt, was aber nicht von Nachteil war. Denn auf einen Evan­ge­lis­ten wie Christoph Pré­gar­di­en, dem man in jedem Satz seine lange Erfahrung und seine Detail­freudigkeit anhört, möchte man keines­falls verzicht­en – auch wenn die Höhe in den Spitzen­tö­nen in der let­zten Arie etwas mürbe wird. Inten­sive Kläng steuern auch die Altistin Alexan­dra Rawohl und der Mainz­er Bass Patrick Pobeschin bei, während die Sopranistin Clau­dia von Tilz­er oft etwas über­drama­tisch agiert. Aber selb­st die plaka­tiv­en Momente find­en ihren Platz: Manch­mal muss man eben etwas dick­er auf­tra­gen. Son­st wür­den da ja auch nicht fast 100 Cho­ris­ten sin­gen.

(geschrieben für die mainz­er rhein-zeitung.)

geschaffen aus dem nichts

Es war ein Hit von der ersten Auf­führung an, den Joseph Haydn vor 210 Jahren mit seinem Ora­to­ri­um „Die Schöp­fung“ gelandet hat. Und wie jet­zt der volle Dom bei schön­stem Son­ntags­som­mer­wet­ter beweist, gilt das auch noch heute. Man kon­nte im Dom auch wun­der­bar erfahren, warum genau die „Schöp­fung“ sich eigentlich seit ihrer Urauf­führung dieser andauern­der Beliebtheit erfreut: Kaum ein anderes Werk Haydns – und auch die Vor­bild-Ora­to­rien Hän­dels nicht – kann so eine große Band­bre­ite musikalis­ch­er Mit­tel und so eine gelun­gene Mis­chung aus Schön­heit, Dra­ma, Span­nung und Hap­py-End aufweisen: Fast wie das Rezept eines Block­busters liest sich die Liste der Eigen­schaften dieses Kom­po­si­tion.

Und Domkapellmeis­ter Math­ias Bre­itschaft gelingt es mit der ganzen Masse der erwach­se­nen Sängern sein­er Chöre und dem vital spie­len­den Mainz­er Kam­merorch­ester, diese Mis­chung ganz aus­geze­ich­net vorzuführen und in der Bal­ance zu hal­ten. So erhält die aufk­lärerisch gefärbte Erzäh­lung der Schöp­fungs­geschichte eine sehr pointierte Dra­matik. Bre­itschaft nimmt sich näm­lich der plas­tis­chen Klangschilderun­gen Haydns und sein­er bild­haften Ver­to­nung des bib­lis­chen Geschehens in drastis­ch­er Deut­lichkeit an. Das macht den Text fast über­flüs­sig, so klar und nachvol­lziehbar wird die Klang­sprache im Dom entwick­elt. Und das Beste: Damit ist Bre­itschaft noch nicht am Ende. Ihm gelingt es näm­lich außer­dem auch, die Ein­heit des Ora­to­ri­ums beto­nend zu wahren. Die zügi­gen Tem­pi und seine scharfe Kon­trolle des Geschehens, gepaart mit der ener­gis­chen Ani­ma­tion aller Beteiligten ver­hin­dern trotz aller feinen Arbeit das Ver­lieren in Details. Von der hier sehr fried­vollen „Vorstel­lung des Chaos“ am Beginn, die die kom­mende Ord­nung der Schöp­fung schon in sich trägt, bis zum großen Finale nach dem Lobpreis des paradiesis­chen Lebens im Garten Eden reicht die vol­len­dete Ein­heit der Musik. Und die Solis­ten unter­stützen ihn in seinen inten­siv­en Bemühun­gen. Bari­ton Diet­rich Greve hil­ft mit fül­liger, warmtö­nen­der Güte und Har­monie, während Tenor Markus Schäfer sich eher den drama­tis­chen Akzen­ten und deut­lichen Akzen­ten verpflichtet sieht. Vor allem die Sopranistin Sabine Goetz aber beein­druckt mit ihrer engels­gle­ichen, reinen und in allen Lagen aus­gegelich­enen Stimme – eine wun­der­bare Beset­zung für den Erzen­gel Gabriel. Der Chor wirk­te neben dieser lei­den­schaftlichen und aus­ge­sprochen präzisen fast etwas blass, bewältigt seine Par­tie aber natür­lich sehr sich­er. Mit so viel cho­risch­er Masse, die sich – etwa im wun­der­bar zarten Ein­gangschor – dur­chaus zäh­men lässt, kann Bre­itschaft sou­verän arbeit­en. Und da ist es kein Wun­der, dass die „Schöp­fung“ auch in Mainz ihren Sta­tus als immer­währen­der Hit behaupten kann.

(geschrieben für die mainz­er rhein-zeitung)

power und einfühlungsvermögen: händels oratorien im querschnitt

Nicht alle Hän­del-Ein­spielun­gen, die jet­zt erscheinen, ver­danken ihre Entste­hung dem Jubiläum des Kom­pon­is­ten. Der Maulbron­ner Kam­mer­chor und sein Leit­er Jür­gen Bud­day etwa beschäfti­gen sich schon länger und sehr erfol­gre­ich mit den großen Ora­to­rien des Meis­ters. Und seit zehn Jahren wer­den ihre Auf­führun­gen von K&K mit­geschnit­ten. Aus diesem reich­halti­gen Mate­r­i­al hat das Label nun, zur Feier des dop­pel­ten Jubiläums sozusagen, eine Auswahl unter dem Titel „The Pow­er of Hän­del“ zusam­mengestellt. Die etwas reißerische Ver­mark­tung verzei­ht man gerne – denn „out­stand­ing“ sind sie wirk­lich, diese aus­gewählten Soli und Chöre. Und „Pow­er of Hän­del“ heißt das ganze Unternehmen zu recht. Denn was immer wieder sofort auf­fällt, ist die immense Kraft, die Bud­day und seine Mit­stre­it­er in der Musik zum Leben erweck­en. Das liegt beileibe nicht nur an den fast durch­weg zügig bis ras­an­ten Tem­pi. Eine Freude ist es aber schon, zu hören, wie präzise der Maulbron­ner Kam­mer­chor auch bei hohem Tem­po bleibt, wie rasch die Sänger – immer­hin keine Profis! — reagieren und wie wendig sie in Klang und Aus­druck bleiben.

Klarheit, Präg­nanz und pointierte Aus­drucksstärke gehen eine aus­ge­sprochen frucht­bare Allianz ein. Und dass hier fed­ernd und spritzig gesun­gen wird – mit Freude und Esprit aller Beteiligten – das hört man eben in fast jedem Moment. Und man hört es gerne, zumal auch die Auf­nahme atmo­sphärisch gelun­gen ist.

The Pow­er of Hän­del. Best of his glo­ri­ous Ora­to­rios. Solis­ten, Maulbron­ner Kam­mer­chor, Jür­gen Bud­day. KuK 44, 2008.

(geschrieben für die neue chorzeit)

schönheit in groß: mendelssohn bartholdys elias

Die große Bühne der Phönix­halle ist voll gefüllt. Dicht an dicht ste­hen und sitzen die Stu­den­ten in Chor und Orch­ester des Col­legium Musicums der Uni­ver­sität. Denn Felix Mendelssohn Bartholdy ver­langt vollen Ein­satz und große Massen für sein Ora­to­ri­um „Elias“. Und obwohl die Zahl der Mitwirk­enden hier noch lange nicht an die der Urauf­führung her­an­re­icht, kommt der „Elias“ in diesem Semes­ter-Abschlusskonz­ert ziem­lich großar­tig und mächtig daher. Das hin­dert den Diri­gen­ten Joshard Daus aber über­haupt nicht daran, auch den Details aus­re­ichend Aufmerk­samkeit zu schenken.
Dieser „Elias“ ist also schön, über weite Streck­en sog­ar wun­der­schön. Aber er ist ein­fach nur schön. Das ist zwar eigentlich großar­tig. Und auch über­haupt keine ein­fache Leis­tung. Dass aber den­noch etwas fehlt, merkt man an eini­gen Stellen. Etwa an den Soli von Ulf Bästlein, der geschmei­dig und volltö­nend einen wun­der­bar emo­tionalen Elias gibt, der dur­chaus auch mal am fehlen­den Glauben seines Volkes verzweifeln kann. Oder auch an der ele­gan­ten Leichtigkeit der Engelsmusik von Fion­nu­ala McCarthy. Das ist näm­lich genau die Tren­nungslin­ie zwis­chen den Solis­ten (außer­dem noch die solide Altistin Clau­dia Rügge­berg und der etwas ver­waschen klin­gende Tenor Julio Fer­nán­dez) und den Ensem­bles, vor allem dem Chor: Daus küm­mert sich nicht beson­ders um die religiösen Inhalte. Ihm scheint es im Gegen­satz zu seinen Solis­ten vor allem um die reine Musik zu gehen, ihre klan­gliche Gestalt führt er immer wieder auf Hochglanz poliert vor.
Das kann Daus aus­geze­ich­net. Und auch delikate Stim­mungen evozieren. Aber was ihm weniger gelingt, das ist die weit­er umfassende Span­nung, die Dra­maturgie des gesamten Ora­to­ri­ums. Zwar bemüht er sich um zügig-fließende Tem­pi und dichte Anschlüsse der einzel­nen Sätze und Num­mern, ver­passt dabei aber immer wieder eigentliche Höhep­unk­te. Dort, wo die Musik klein und leicht, detail­re­ich und schwebend sein kann und soll, dort hat er seine größten Stärken. Er lässt seine Musik­er zwar immer wieder Anlauf nehmen für den näch­sten Span­nungs­gipfel – aber die let­zten Meter ver­weigert er ihnen dann gerne.
Keinen Abbruch tut das dem Engage­ment und der Leis­tung der Stu­den­ten. Vor allem der Chor zeigt sich wieder ein­mal als Wachs in den Hän­den Daus’. Weich und geschmei­dig, kom­pakt und erstaunlich beweglich fol­gt er ihm sehr bere­itwillig für zwei Stun­den große und reine Musik
(geschrieben für die mainz­er rhein-zeitung)

stark im glauben und in der musik: paulus im dom

Paulus-Jahr, Kom­pon­is­ten-Jubiläum, Wei­h­nacht­en – Anlässe gibt es mehr als genug, Felix Mendels­son-Bartholdy Ora­to­ri­um „Paulus“ jet­zt aufzuführen. Aber eigentlich ist der beste Grund ja schon, dieses große Werk über­haupt zum Klin­gen zu brin­gen. Vor allem, wenn man sich darauf so aus­geze­ich­net ver­ste­ht wie Domkapellmeis­ter Math­ias Bre­itschaft – dann braucht man wirk­lich keinen äußeren Anlass mehr. Die Erwartun­gen der vie­len Mainz­er – selb­st Steh­plätze waren schon knapp – wur­den im Dom also bes­timmt nicht ent­täuscht.
Von Anfang bis Ende, von der Steini­gung des Stephanus über die Wand­lung des Saulus zum Paulus bis zum Abschied des Mär­tyr­ers von sein­er Gemeinde zeich­nete Bre­itschaft mit den Dom­chören und dem Mainz­er Kam­merorch­ester eine inten­sive Klanggeschichte des sicheren Beste­hens im Glauben. Der Haup­tak­teur dabei war – wenig über­raschend an diesem Ort – die Chöre, also vor allem die Domkan­tor­ei mit den ver­stärk­enden Män­ner­stim­men des Dom­chores. Die gaben näm­lich den entschei­den­den Kick, bere­it­eten mit ihrer nach­drück­lichen Präsenz ein aus­geze­ich­netes Klang­fun­da­ment.
Bre­itschaft führte seine Musik­er in drama­tis­ch­er Aufladung genau und diszi­plin­iert, mit klar geze­ich­neten Struk­turen und deut­lichen Höhep­unk­ten in den weit­en Bögen – so macht das richtig viel Freude. Und außer­dem gelang ihm noch etwas Beson­deres: Zwei Chöre schienen sich in den Kehlen der Sänger zu ver­steck­en. So völ­lig ver­schiede­nen klang das in den Chörsätzen ein­er­seits und den Chorälen ander­er­seits. Indem Bre­itschaft diesen Unter­schied aber so deut­lich markierte und gle­ichzeit­ig auch die Verbindung zwis­chen allen Teilen des Werkes beson­ders stärk­te, erschien das nicht ger­ade knappe Ora­to­ri­um hier wie aus einem Guss.
Das Solis­ten­quar­tett spielte oder sang dabei wun­der­bar mit, vor allem der kräftige Sopran von Kaja Börd­ner und der stark aus­d­if­feren­zierte Bari­ton Johannes Kösters als Paulus.
In der Verbindung mit den aus­ge­feil­ten Chor­pas­sagen und ger­ade ihrer klan­glichen Fes­tigkeit betonte Bre­itschaft damit ganz beson­ders die per­son­ale, indi­vidu­elle Seite des Glauben, die Erfahrung Gottes. Diese Gewis­sheit der religiösen Grund­lage macht das Paulus-Ora­to­ri­um so anrührend – selb­st Athe­is­ten muss so eine überzeu­gende Dar­bi­etung zumin­d­est Respekt ent­lock­en.

(geschrieben für die mainz­er rhein-zeitung)

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