Komplizierter geht es kaum noch. Da ist Semele, die Tochter des Königs von Theben. Sie soll eigentlich Athamus heiraten, hat insgeheim aber ein Verhältnis mit dem Gott Jupiter. Dafür ist ihre Schwester Ino in den Bräutigam verliebt. Auch Juno, Apollo und einige andere Figuren aus Götter- und Menschenwelt mischen noch mit, bis Semele am Ende beim Versuch, selbst göttlich zu werden, stirbt und die restlichen Beteiligten ohne sie ihr Happy End erleben und feiern könne. Das Programmheft benötigt fünf Seiten für eine verständliche und hinreichend ausführlich Inhaltszusammenfassung. Und dabei ist das noch nicht einmal eine Oper – Händel hat seine „Semele“ ausdrücklich als Oratorium verstanden und auch so komponiert, trotz des Librettis. Das ist schon den Zeitgenossen aufgefallen, bei der Uraufführung bemerkt ein Freund Händels wenig freundlich: „Das ist kein Oratorium, sondern eine zotenhafte Oper, eine englische Oper, die Narren als Oratorium bezeichnen.“ Zum Glück hat sich diese Meinung nicht durchgesetzt. Oft zu hören ist die „Semele“ aber trotzdem nicht. Dank des Kollegs für Alte Musik, Barock vokal, das an der Mainzer Musikhochschule ein Weiterbildungsprogramm für junge Sänger und Sängerinnen anbietet, war die Geschichte von Semele jetzt in der Christuskirche zu erleben. Vor allem war die Musik zu hören – das es nicht um Handlung ging, macht schon ein erster Blick deutlich: Alle Beteiligten in strengem schwarz, in klassischer Oratorienform: Vorn die Solisten von Barock vokal, hinten der Chor der Musikhochschule, dazwischen das mit studentischer Verstärkung famos leicht und durchsichtig spielende Mainzer Bachorchester. Aber was den Augen fehlt, können die Ohren leicht ausgleichen. Denn alle der immerhin zehn Sänger und Sängerinnen um Elisabeth Scholl, die eine wunderbar klare, kontrollierte Semele singt, haben sich ihre Rolle genau erarbeitet.
Zusammengehalten und mit bewunderswerter Präzision in allen Details ausgemalt wird das von Ralf Otto, der aus dem künstlichen Beginn ein immer packenderes und mitreißenderes Drama entwickelt, das erst mit dem Schlusschor und Happy End Erleichterung bietet. Und das macht er so deutlich und so überzeugend schön, dass man dazu nicht einmal der Handlung in jedem Detail folgen können muss.
mrz.
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