Lesen. Hören. Und ein bisschen schreiben.

Messias mit angezogener Handbremse

Gut, dass es das moder­ne Urhe­ber­recht vor 225 Jah­ren noch nicht gab. Sonst hät­te sich Mozart womög­lich nie getraut, Hän­dels „Mes­siah“ zu bear­bei­ten. Oder Hän­dels Erben hät­ten gar nicht geneh­migt, dass da ein ande­rer Kom­po­nist die Instru­men­ta­ti­on des Ora­to­ri­ums ändert, die Ari­en umschreibt oder man­ches, was ursprüng­lich der Chor zu sin­gen hat­te, nun den Solis­ten anver­traut. Und das wäre scha­de gewe­sen, denn es hät­te uns um die Mozart-Fas­sung des Hän­del­schen „Mes­si­as“ gebracht.

So ein Cover ist natür­lich gera­de dann inter­es­sant, wenn das Ori­gi­nal sowie­so schon bekannt ist. Und das muss man für Hän­dels berühm­tes­tes Ora­to­ri­um auch heu­te noch anneh­men. Da ist eine Auf­füh­rungs­va­ri­an­te also eine ange­neh­me Abwechs­lung: Man hört die bekann­ten Chö­re – natür­lich wird auch bei Mozart ein kräf­ti­ges „Hal­le­lu­ja“ geju­belt – und die ver­trau­ten Ari­en, aber man hört auch etwas Neu­es, auch wenn Mozart die Par­ti­tur nur sehr behut­sam moder­ni­siert. Geän­dert ist vor allem die Instru­men­ta­ti­on, die mit zusätz­li­chen Holz­blä­sern mehr Far­be ins Spiel bringt. Und neu klin­gen auch eini­ge Ari­en. Oder zumin­dest weni­ger bekannt. Denn es ist ja nicht das ers­te Mal, dass der Bach­chor mit der Lud­wigs­ha­fe­ner Staats­phil­har­mo­nie die Mozart-Fas­sung in der Chris­tus­kir­che auf­führt.

Zum ers­ten Mal geschieht das aller­dings ohne Ralf Otto: Der erkrank­te Chor­lei­ter wur­de kurz­fris­tig durch Wolf­ram Kolo­seus ersetzt – immer­hin ein erfah­re­ner Mozart-Diri­gent. Das wird in der Chris­tus­kir­che aber nicht so recht deut­lich. Viel­leicht war die Vor­be­rei­tungs­zeit ein­fach zu kurz. Jeden­falls klingt das sel­ten so, als wären Sän­ger, Instru­men­ta­lis­ten und Diri­gent mit ein­an­der und dem Werk wirk­lich ver­traut. Von Num­mer zu Num­mer han­geln sie sich, mal bes­ser, mal etwas hake­li­ger. Aber über wei­te Tei­le bleibt der Ein­druck, dass alle Betei­lig­ten noch sehr in und an den Noten kle­ben – frei­es und leben­di­ges Musi­zie­ren ist das sel­ten.

Aus­ge­rech­net im ers­ten Teil, dem weih­nacht­li­chen Teil des Ora­to­ri­ums, wirkt die­ser „Mes­si­as“ des­halb selt­sam ent­rückt und fern: Das scheint die Musi­ker über­haupt nicht zu berüh­ren. Man­ches von die­ser groß­ar­ti­gen Musik ist sogar rich­tig schlaff. Sicher, da sind durch­aus anspre­chen­de Momen­te dabei – aber gut ver­steckt in viel Mit­tel­maß. Auch die Solis­ten kön­nen das nicht ret­ten: Klaus Mer­tens wirft sei­ne lang­jäh­ri­ge Erfah­rung ins Gewicht, die man der rou­ti­nier­ten, aber durch­aus poin­tier­ten Inter­pre­ta­ti­on immer anhört. Tenor Chris­ti­an Rath­ge­ber singt dage­gen auf­fal­lend jugend­lich und frisch, aber manch­mal auch etwas durch­set­zungs­schwach. Ähn­li­ches ist in der Damen­rie­ge zu beob­ach­ten: Sopra­nis­tin Sarah Wege­ner kann mit kla­rer und sub­ti­ler Gestal­tung über­zeu­gen, wird manch­mal – etwa in der Arie „Er wei­det sei­ne Her­de“ auch rich­tig ver­füh­re­risch, wäh­rend die Mez­zo­so­pra­nistn Nohad Becker etwas unschein­bar bleibt.
Blass bleibt aber eben auch vie­les vom Rest. Die Staats­phil­har­mo­nie klingt durch­weg recht schroff, der Chor anfangs erstaun­lich lust­los. Vie­le rhyth­mi­sche und dyna­mi­sche Akzen­te, die der sehr extro­viert diri­gie­ren­de Kolo­seus den Musi­kern und Sän­gern zu ent­lo­cken ver­sucht, ver­schlei­fen und ver­puf­fen wir­kungs­los. Immer­hin bes­sert sich das zuneh­mend: Vor allem der Bach­chor fin­det zur gewohn­ten Form, die hier sehr poliert und hell klingt. Gera­de im zwei­ten Teil fängt das an, zu strah­len. Scha­de nur, dass dann aus­ge­rech­net der Schluss­chor, das alles bestä­ti­gen­de gro­ße „Amen“, wie­der so über­vor­sich­tig zag­haft klingt, als wür­den Chor und Orches­ter mit ange­zo­ge­ner Hand­brem­se musi­zie­ren.

Zurück

Ins Netz gegangen (21.12.)

Nächster Beitrag

Ins Netz gegangen (31.12.)

  1. matthias mader (@matthias_mader)

    Frisch gebloggt: Mes­si­as mit ange­zo­ge­ner Hand­brem­se > http://t.co/NRmx8S3w3e

  2. [matthias-mader.de] Mes­si­as mit ange­zo­ge­ner Hand­brem­se http://t.co/aNDV0IX5pO

  3. Thomas Grasse

    Die­se Kri­tik offen­bart die völ­li­ge Ahnungs- und Bezie­hungs­lo­sig­keit des Kri­ti­kers zur Auf­füh­rung, deren emo­tio­na­ler Gehalt an ihm vor­bei­ge­gan­gen zu sein scheint. Trau­rig für ihn, weil er offen­bar kein offe­nes Herz für die wun­der­ba­re musi­ka­li­sche Gestal­tung der Betei­lig­ten hat­te. Möge ihm das Fest der Lie­be Erleuch­tung im Her­zen schen­ken!

    • in der Tat scheint der emo­tio­na­le Gehalt an mir vor­bei­ge­gan­gen zu sein – viel ist davon näm­lich nicht bei mir ange­kom­men. Im Verl­geich zur letz­ten Auf­füh­rung des „Mes­si­as“ in der Chris­tus­kir­che war das die­ses Jahr aber auch deut­lich schwä­cher, des­sen bin ich mir sehr sicher.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Präsentiert von WordPress & Theme erstellt von Anders Norén