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Schlagwort: kritik Seite 8 von 10

Große Messe und große Interpretation

Die vie­len Kisten und Instru­mentenkof­fer des Orch­esters ste­hen noch im Ein­gangsraum – die Chris­tuskirche ist eben keine Konz­erthalle. Auch im Kirchenin­neren ist es voll, schon der Bach­chor und der unter­stützende Chor der Musikhochschule brauchen eini­gen Platz, dazu dann noch die üppig beset­ze Deutsche Staat­sphil­har­monie Rhein­land-Pfalz. Aber für das Pub­likum ist noch genü­gend Platz. Zum Glück. Denn der ganze Aufwand der fast zwei­hun­dert Musik­er ist ja kein Selb­stzweck. Und Anton Bruck­n­ers dritte Messe in f‑Moll, das Hauptwerk des Konz­ertes am Tag der Deutschen Ein­heit, sorgt dafür, dass die Chris­tuskirche auch akustisch gut gefüllt wird.

Aber die Fülle des Klangs wurde nie drück­end, der machtvolle Klan­gap­pa­rat – und Bruck­n­er nutzt den dur­chaus aus­giebig – beschert dem Pub­likum kein­swegs eine beschw­er­liche Enge. Ganz im Gegen­teil. Der prä­gend­ste Ein­druck nicht nur bei der Bruck­n­er-Messe, son­dern auch schon in der Altrhap­sodie von Johannes Brahms, war die feine Aus­gestal­tung aller Klänge. Und das ist ein unbe­d­ingtes Ver­di­enst Ralf Ottos. Ein wirk­lich großes noch dazu. Die ger­adezu ver­rückt wirk­ende Detail­ge­nauigkeit in Chor und Orch­ester geht näm­lich mit ein­er ungeah­n­ten Offen­heit der Bruck­n­er­schen Musik ein­her. Was da an Vor­bere­itung dahin­ter steck­en muss!

Erstaunlich intim klingt die größte Messe Bruck­n­er in der Chris­tuskirche. Das ist nicht ger­ade kam­mer­musikalisch, aber trotz der teil­weise mächtig geschicht­en Chor- und Orch­esterk­länge – irgend­wie muss Bruck­n­er ja noch zu erken­nen sein – doch immer ganz direk­te Musik, die sich nicht nur dem unbe­d­ingten Glauben ihres Schöpfers ver­dankt, son­dern diese felsen­feste Gewis­sheit auch weit­ergeben kann – ohne zu ver­hehlen, dass vieles anders sein kön­nte. Der gern mal auftrumpfende, besser­wis­serische Bruck­n­er kommt hier nicht zum Klin­gen. Ob es nun die berück­ende Innigkeit des Glo­ria ist oder die großar­tig aus­ge­formten Kon­traste des Cre­do: Über­all in dieser Messe herrscht ein lebendig-atmender Klang, der vor allem eine Gebor­gen­heit in über­legter Gestal­tung ver­mit­telt, die sich den Rausch immer wieder ver­sagt – und so vieles über­haupt erst zu erken­nen gibt.

Der Bach­chor singt das wie ein gebändigter Tiger: Voller Kraft, mit pulsieren­der Wild­heit und natür­lichem Instinkt, die aber ganz dem Willen des Diri­gen­ten-Domp­teurs Otto unter­wor­fen sind und – ohne gebrochen zu weden, ohne an Ausstrahlung zu ver­lieren – zivil­isiert wur­den. Das ist immer ein schmaler Grat zwis­chen banalem Klan­grausch und gefühls­duseligem Kitsch, den Bruck­n­er im Ide­al­fall von seinen Diri­gen­ten ver­langt. Und noch dazu tech­nisch nicht ohne Tück­en. Otto wan­delt sich­er – und führt das Pub­likum so nicht nur zum Erleben, son­dern zum ganz neuen Ken­nen­ler­nen dieser großen Messe.

(geschrieben für die Mainz­er Rhein-Zeitung.)

Russische Hits

Es ist schon selt­sam, dass Tschaikowsky eines sein­er berühmtesten Werke beina­he nicht kom­poniert hätte: Für „Romeo und Julia“, die nach dem Shake­speare-Dra­ma geformte Fan­tasie-Ouvertüre, war erst ein Anstoß von außen notwendig . Auch bei seinem bekan­ntesten Kom­po­si­tion über­haupt, seinem ersten Klavierkonz­ert, plagten den skrupulösen Tschaikowsky lange die Selb­stzweifel.

Zu hören ist davon aber nichts mehr. Auch beim ersten Mainz­er Meis­terkonz­ert in der Rhein­gold­halle nicht.
Denn die Koblenz­er Rheinis­che Phil­har­monie unter Daniel Raiskin bevorzugt im ganzen Konz­ert, das neben den bei­den Tschaikowsky – jedes für sich schon ein absoluter Pub­likums­maget – auch noch Liszts zweite Ungarische Rhap­sodie in ein­er Orch­ester-Bear­beitung und Sergei Rach­mani­nows „Pagani­ni-Rhap­sodie“ für Klavier und Orch­ester ver­sam­melte, ein ziem­lich robustes Musizieren. Die vie­len raf­finierten Fein­heit­en der „Romeo und Julia“-Ouvertüre sind dadurch kaum zu hören. Vor allem aber fehlen sowohl Span­nung als auch Frische, durch die diese abge­spielte Ouvertüre wieder lebendig würde. Aber trotz der nicht per­fek­ten Wieder­gabe wirkt sie natür­lich immer noch: Wahre Meis­ter­w­erke sind schw­er zu zer­stören.

Den Sta­tus des über­stra­pazierten Meis­ter­w­erkes kann auch das b‑Moll-Konz­ert prob­lem­los beanspruchen. Und auch hier stellt sich immer wieder die Frage: Haben Pianist und Diri­gent noch etwas zu sagen? Beim Meis­terkonz­ert ist das schnell beant­wortet: Ja, unbe­d­ingt. Vor allem der Pianist Kon­stan­tin Scherbakov beweist sich hier meis­ter­haft. Weil er unge­mein viel kann: Nicht nur den in diesem Schlachtross unver­mei­dlichen The­a­ter­don­ner – das absolviert er bravourös, aber schein­bar ohne innere Beteili­gung. Viel deut­lich­er kom­men seine immensen Fähigkeit­en in den ver­meintlichen Neben­säch­lichkeit­en zu tra­gen: Wie er mit­ten im wildesten vir­tu­osen Getüm­mel noch fein­ste Nuna­cen der Weich­heit und Abrun­dung her­vorza­ubert – das ver­rät wahre Größe.

Und er nimmt dem Konz­ert damit viel von sein­er ober­fläch­lichen Tri­umph-Geste. Hier sind das ver­sponnene Herb­st-Nebel, die nur hin und wieder aufreißen und die strahlen­den Reste der gleißen­den Som­mer­son­ne hin­durch lassen. Und einige kräftig Wind­stöße sor­gen in dieser ver­wun­sch­enen Traum­land­schaft, die wie eine Feen­welt erscheint, für Durch­blick und die Rück­kehr in die Real­ität. Viele Dop­peldeutigkeit­en der Par­ti­tur wer­den so wun­der­bar klar, aus ihnen entwick­elt Scherbakov drama­tis­chen Impulse und eine Vielschichtigkeit, die die intellek­tuelle Neuent­deck­ung der ver­steck­ten Andeu­tu­gen und Kleinigkeit­en dieser schein­bar so über­aus bekan­nten Musik über ihre Emo­tion­al­ität hin­aus hebt. Schade nur, dass Raiskin mit der Rheinis­chen Phil­har­monie nicht genau­so sub­til und frag­il begleit­en kann. Aber im Finale find­en sie dann doch noch zusam­men, in ein­er schö­nen Form der vehe­menten Klarheit – und der absoluten Begeis­terung für Tschaikowskys Musik. Und die teilt auch das Pub­likum mit ihnen.

(geschrieben für die Mainz­er Rhein-Zeitung.)

Stimmung und Kontrapunkt

„Willkom­men in unser­er Sauna“ wer­den die Besuch­er des Mainz­er Musik­som­mers in der Vil­la Musi­ca begrüßt: Im Som­mer heizt sich deren klein­er Konz­ert­saal kräftig auf. Aber so heiß wurde es dann gar nicht. Auch nicht musikalisch – das Duo Arp/Frantz blieb gelassen und ließ sich von den hohen Tem­per­a­turen nicht über­wälti­gen.

Ein inter­es­santes Pro­gramm haben die bei­den jun­gen Musik­er mit­ge­bracht: Sie kon­trastieren Werke für Cel­lo und Klavier von Johann Sebas­t­ian Bach und Felix Mendelssohn Bartholdy. Das passt — immer­hin war Mendelssohn Bartholdy ein großer Verehrer Bachs. Davon kann man aber an diesem Abend nur wenig hören. Denn den bei­den Musik­ern geht es nicht darum, zu zeigen, wie geschickt der Roman­tik­er kon­tra­punk­tisch arbeit­et oder Rev­eren­zen an die Musikgeschichte in seine Kam­mer­musik ein­baut. Sie wollen vor allem die Stim­mung her­bei­holen.

Das macht sich schon gle­ich zu Beginn, in den „Vari­a­tions Con­cer­tantes“, einem knap­pen Jugendw­erk des fast zwanzigjähri­gen Kom­pon­is­ten, bemerk­bar. Julian Arp und Cas­par Frantz spie­len das als vergnügliche, kun­stvoll gear­beit­ete Unter­hal­tung im kleinen Rah­men: Weich per­lend ver­strö­men die Vari­a­tio­nen gute Laune und zeigen sich dabei als Musik, die nicht viel will – oder zu wollen scheint. Wesentlich deut­lich­er — und vielschichtiger — wird es aber in Mendelssohn Bartholdys zweit­er Sonate für Vio­lon­cel­lo und Klavier, in der das Duo die ganze Band­bre­ite der Gefüh­le auss­chöpft.

Stim­mungsvoll spielt das Duo auch zwei Sonat­en von Bach. Was anderes bleibt ja auch kaum übrig, bei der dop­pel­ten Fehlbe­set­zung: Bach hat diese Sonat­en der Gambe und dem Cem­ba­lo zugedacht, nicht dem Cel­lo und Klavier. Dass es jet­zt so ganz anders klingt, macht aber wenig. Vor allem bei der zweit­en Sonate hat das die neue Klang­pracht dur­chaus Vorteile. Vom zarten, vor­sicht­en Beginn bis zum kraftvollen Ende entste­ht dabei eine kleine Geschichte der Bewe­gung. Am Anfang noch ganz zurück­hal­tend, vor­sichtig tas­tend die Füh­ler ausstreck­end — ein Auf­bruch ins Ungewisse. Das Duo bekommt aber bald Boden unter den Füßen, mit dem zweit­en Satz wird der Schritt fest und zuver­sichtlich. Der drit­ter Satz erscheint dann als verträumtes Spazieren, fast ein Schlafwan­deln, ein Schlen­dern ohne Ziel und Not. Der Schluss wiederum ist die höch­ste Form der Bewe­gung, ganz vom Nutzen befre­it: Das Tanzen, neck­isch, mit sich­er geset­zten Pointen. Dabei sind Arp und Frantz nie effek­thascherisch. Denn die Klangverbindung zwis­chen Cel­lo und Klavier ist eng, fast sym­bi­o­tisch. Man hört in beina­he jedem Moment, dass sie sich aus gutem Grund „Duo“ nen­nen: Sie müssen sich nicht ein­mal mehr anse­hen, so gut wis­sen sie um die Reak­tion des Part­ners. Und das hört man nicht nur in der tech­nis­chen Sou­veränität, son­dern auch im Gle­ichk­lang der Far­ben und Schat­tierun­gen.

(geschrieben für die Mainz­er Rhein-Zeitung.)

Wie Einhard zum maurischen Sklaven wurde

Ein paar Jahrhun­derte Vertrei­bung und Wan­der­schaft verän­dern alles. Da wird dann aus Ein­hard nach und nach Ger­inel­do, der Berater des Kaisers Karl der Große ver­wan­delt sich zu einem mau­rischen Sklaven. Genau das passiert näm­lich in der lan­gen mündlichen Über­liefer­ung der Musik der Sephardim. Um die Lieder und Musik dieser spanis­chen Juden, die am Ende des Mit­te­lal­ters ver­trieben wur­den und sich im ganzen Mit­telmeer­raum verteil­ten, ging es dem Ensem­ble Sar­band beim Mainz­er Musik­som­mer.

Und da taucht eben auch dieser Ger­inel­do auf, als mau­risch­er Sklave, in den sich die Prinzessin ver­liebt und die sich dann auch gle­ich reich­lich unge­hörig benehmen, wie Vladimir Ivanoff, der Leit­er des Quar­tetts, erläutert. Fadia El-Hage, die libane­sis­che Sän­gerin des Ensem­bles, trägt das vari­ierte Stro­phen­lied dann mit Schmelz und Emphase vor. Genau wie auch die anderen Romanzen und Bal­laden, die sich nicht immer nur um das ver­wick­elte Liebesleben drehen, son­dern auch gerne dazu dienen, die Geschichte der spanis­chen Juden zu tradieren. Begleit­et wird sie dabei von den dafür typ­is­chen Instru­menten: Der näsel­nden Kemençe, ein­er auf dem Schoß gehal­te­nen ein­fachen Fiedel. Oder dem Kanun, der etwas schnar­ren­den ori­en­tal­is­chen Zither-Vari­ante. Vladimir Ivanoff ergänzt das mit Tam­bourin, Rah­men­trom­mel oder auch mal der Ud, der ara­bis­chen Laute. Das sind genug Möglichkeit­en, um für ein abwech­slungsre­ich­es Klang­bild zu sor­gen und doch nie gewohnt zu wirken.

Ivanoff hat auch die „aktuellen“ Ver­sio­nen dieser Bal­laden und Romanzen gesucht und zusam­mengestellt. Das alles ist – trotz des Fes­ti­val-Mot­tos — nicht ger­ade „klas­sis­che“ Musik. Zumin­d­est nicht in Deutsch­land. Dafür erklingt sie aber mit garantiertem Exoten­bonus. Dabei ist die Musik, die das Ensem­ble Sar­band in der St. Anto­niuskapelle spielt, eigentlich das nor­mal­ste über­haupt. In den meis­ten Fällen sind es näm­lich Küchen­lieder, Lieder der alltäglichen Arbeit, die von den Müt­tern an ihre Töchter weit­ergegeben wur­den und so die Geschichte und Tra­di­tion der Sephardim auch in der Dias­po­ra aufrecht erhal­ten sollen. Natür­lich blieben sie nicht rein, sie verän­derten sich, passten sich den neuen Umge­bun­gen an. Auch das führt Sar­band vor: Wie ein Lied mit mehreren Melo­di­en über­liefert ist, zum Beispiel das „Una mati­ka de ruda“. Wie das meiste an diesem Abend sin­gen sie es in der eige­nen Sprache der Sephardim, dem Ladi­no, ein­er Abart des Spanis­chen. Die türkische Melodievari­ante lässt das Lied als eine ver­sunkene, reich verzierte Betörung erscheinen, während die bosnis­che Melodie dage­gen eine leb­hafte, bewegte Freude ver­mit­telt. Und das bleibt auch über Jahrhun­derte hin­weg so.

(geschrieben für die Mainz­er Rhein-Zeitung.)

Langweilige Schönheit

irgend­wie erwischt’s mich ger­ade: Nach dem zwar schö­nen, aber nicht beson­ders span­nen­den Konz­ert der Kings Singers nun das eben­falls schöe, aber nicht beson­ders span­nende Konz­ert des Trio Medi­ae­val (auch mit ganz ähn­lich­er Zweit­eilung: erst geistliche Musik, aber nicht zu viel — und in der zweit­en Hälfte dann leichte Unter­hal­tungsmusik … — allerd­ings waren bei­de Teile bei den Kings Singers doch noch deut­lich anspruchsvoller als hier, fällt mir im Rück­blick auf)

Sie ste­hen ein­fach da. Und fan­gen dann mal an : Ganz zart set­zt der erste Ton an, vor­sichtig fühlt er sich in den Raum der Augustin­erkirche ein, ohne irgend eine Unsicher­heit zu ver­rat­en und klingt doch, als könne er bei der ger­ing­sten Berührung zer­brechen. Schnell sta­bil­isiert sich der Klang, ver­bre­it­ert sich mit dem Ein­satz der anderen Stim­men und fächert sich zur Har­monie auf: Das Trio Medi­ae­val singt. Und macht son­st nichts. Die drei Sän­gerin­nen brauchen auch nichts außer ihren Stim­men, denn sin­gen, das kön­nen sie.

Und ihr Klang ist beza­ubernd. Er enste­ht vor allem aus der naht­losen Mis­chung und wun­der­samen Einigkeit der drei Stim­men, denen man in jedem Ton die lange gemein­same Erfahrung anhört. Und sie haben eine sehr charak­ter­is­tis­che Art der Phrasierung entwick­elt, die sich durch ihre San­ftheit auze­ich­net: Beginn und Ende jed­er wohlge­formt abgerun­de­ten Phrase sind immer weich und genauo anschmiegsam wie eine zarte Berührung.

Das bleibt dann aber eben immer gle­ich — egal ob das Trio eine aus weni­gen Frag­menten rekon­stru­ierte mit­te­lal­ter­liche Marien­messe singt, die soge­nan­nte „Worces­ter Lady­mass“, ob es litur­gis­che Gesänge, die Gavin Bryars ihnen vor weni­gen Jahren als Ergänzung dazu kom­poniert hat oder ob sie in der zweit­en Konz­er­hälfte nor­wegis­che Volk­slieder vor­tragn . Der Text zum Beispiel ist grund­sät­zlich zweit- bis drit­trangig. Und das heißt, er ist kaum bis gar nicht zu ver­ste­hen, zumal das Tex­theft nicht immer weit­er­hil­ft. Meist stört das nicht so sehr, man kann sich ja auf den Klang konzen­tri­eren und daran freuen – auf den reinen, klaren Klang dreier Frauen­stim­men, der ganz ohne Ablenkung und Mätzchen auskommt. Das ist wun­der­bar, wo sie damit den Kon­tra­punkt der Mess­gesänge aufdeck­en kön­nen und die Ver­wandtschaft von mit­te­lal­ter­lich­er und mod­ern­er Musik erleb­bar machen.

Aber es wird halt doch ein­tönig. Zumal die Arrange­ments der immer irgend­wie leicht melan­cholisch klin­gen­den Volk­slieder zwar geschickt die Möglichkeit­en des Trios nutzen, die Klänge und Stimm­charak­ter­is­tiken der drei Sän­gerin­nen, son­st aber auch nicht beson­ders orig­inell sind . I mmer wieder hört man also von Neuem, wie die Schön­heit des Vokalk­langs sich mit dem Raum vere­int. Das Trio Medi­ae­val singt auch nicht nur vom Altar aus — wo es sich anbi­etet, nutzen sie das gesamte Kirchen­schiff . So viel Schön­heit ohne Eck­en und Kan­ten, ohne Reibepunk­te oder Wider­hak­en, so viel sim­ple Har­monie hält nie­mand lange aus – auch die Sän­gerin­nen offen­bar nicht: Kaum 90 Minuten sin­gen die drei beim Mainz­er Musik­som­mer, dann bricht die banale All­t­agswelt wieder über das Pub­likum hinein.

(geschrieben für die Mainz­er Rhein-Zeitung.)

Der Mann mit der Schmetterlingshand

Er hat Hände wie ein Schmetter­ling: Nicht nur auf den Tas­ten schweben sie, in jed­er Pause, vor jedem Ein­satz set­zen sie zu einem kleinen Flug durch die Luft an. In jede Pause schwebt die Hand von den Tas­ten in den Luft, die Fin­ger flat­tern und schwin­gen wie ein Schmetter­ling von Blüte zu Blüte, bevor sie wieder ein – vorüberge­hen­des – Ziel find­en und sich auf den Tas­ten nieder­lassen. Olli Mus­to­nen ist ein faszinieren­der Pianist. Und nicht nur wegen sein­er Fin­gertänze.

Alles kommt aus ihm. Nicht, weil er die Musik für seinen Auftritt im Schloss Waldthausen umformt. Son­dern weil er sie sich vol­lkom­men zu eigen macht. Ob Robert Schu­mann, Alexan­der Skr­jabin, Rodi­on Schtschedrin oder Bohuslav Mar­t­inů: Jede Musik, die er in Angriff nimmt, zeich­net sich schließlich durch unge­heure Dringlichkeit aus. Das muss er jet­zt spie­len, genau so, genau in diesem Moment, es drängt ger­adezu aus ihm her­aus. Obwohl natür­lich auch Mus­to­nen schon vor Monat­en genau fest­gelegt hat, was er im Schloss Waldthausen, an diesem speziellen Abend, beim Mainz­er Musik­som­mer, spie­len wird. Und doch ist in seinem Spiel eben immer wieder die Frische, die neugierige Begeis­terung des Ent­deck­ers zu hören: Alle seine Töne atmen Unmit­tel­barkeit. Ob das die Frucht eines Mönchs oder eines Magiers ist, bleibt unentsch­ieden.

Wie ein Schmetter­ling plöt­zlich auf­taucht, so unmit­tel­bar wech­selt er die Klang­farbe, wenn es nötig ist. Das heißt aber nicht, dass er auss­chließlich san­ft und zurück­hal­tend vor­sichtig spie­len würde: Sobald es nötig wird – und es erscheint ihm öfter nötig, als man glauben möchte – wird aus der Schmetter­ling­s­hand ein jagen­der Adler: Der kreist noch kurz über der Tas­tatur, stürzt dann im tod­sicheren Sturzflug rapi­de hinab, trifft natür­lich unweiger­lich die richtige Taste. Aber auch den richti­gen Ton: Mus­to­nen ist genau, was seine Klanggestal­tung ange­ht, über­aus genau.

Und immer wieder fliegt der Schmetter­ling dazwis­chen – Mus­to­nen lock­ert die Hand und die Fin­ger für neue Aben­teuer. Ob das in den sattsam bekan­nten Kinder­szenen Schu­manns ist oder den nur sel­ten gespiel­ten Prälu­di­en & Fugen von Schtschedrin: Klangkom­bi­na­tion ist sein große The­ma, am besten zu erfahren in den zart abgetön­ten Akko­r­den. Kein Wun­der: Im Zen­trum des Abends ste­ht schließlich Skr­jabin, der große Klangkün­stler. Mus­to­nen beweist das zunächst mit den Préludes op. 13 und 16, und dann vor allem mit dem späten „Poème“, „Vers la flamme“. Wirk­lich als ein sprachlos­es Gedicht erklingt das, unver­gle­ich schön und berauschend. Wie ein Schmetter­ling eben: Der Flug sieht wie ein Taumeln aus, ist aber schön und ziel­gerichtet. Und so spielt auch Mus­to­nen: Die Form der Musik ist oft kaum erkennbar, aber das Erleb­nis der Rein­heit und Frei­heit des Klangs überdeckt alle Män­gel.

(geschrieben für die Mainz­er Rhein-Zeitung.)

Der Sommer ist Musik

Wenn schon das Wet­ter nicht mit­spielt, dann wenig­stens die Kun­st: Der Mainz­er Musik­som­mer ist wieder eröffnet:

Keine leichte Sache wird das: Von 16. bis zum 20. Jahrhun­dert reicht die Spanne, von franko-flämis­ch­er Vokalpoly­phonie bis zu spätro­man­tis­chen Chor­liedern. Das Eröff­nungskonz­ert des Mainz­er Musik­som­mers im Dom ist damit fast ein kleines Fes­ti­val in sich.

Ein­fach ist das nicht, so eine große Vielfalt in einem Konz­ertabend zusam­men­zubrin­gen und jedem einzel­nen Werk auch gerecht zu wer­den. Doch Domkapellmeis­ter Math­ias Bre­itschft gelingt das mit dem Domkam­mer­chor richtig gut. Sich­er, die Spezial­is­ten wür­den die Chor­musik der Mainz­er Hofkapellmeis­ter wie Gabriel Plautz, Philipp Friedrich Buch­n­er oder Johann Zach schon anders sin­gen. Aber auch Bre­itschaft find­et einen guten Weg. Einen san­ften vor allem:

Immer wieder fällt in diesen litur­gis­chen Chorsätzen aus dem Renais­sance- und Barock-Mainz der weiche Chork­lang auf, den Bre­itschaft formt. Der Domkam­mer­chor und seine Solis­ten lassen den Klang förm­lich in die Domhalle fließen, ohne die Kon­trolle über die Kon­turen zu ver­lieren – und mit der Fähigkeit, immer wieder klare Akzente zu set­zen und Höhep­unk­te zu for­men.
Der Sprung in die Roman­tik ist dann freilich doch genau das: Ein Sprung. Und ein recht großer noch dazu. Zumal Franz Liszts „Präludi­um und Fuge über B‑A-C‑H“ für Orgel ja auch nicht zurück­hält mit großen Gesten, har­monis­chen Kühn­heit­en und klan­glichen Effek­ten.

Domor­gan­ist Daniel Beck­mann, der in der ersten Hälfte den Chor auch schon mit Cel­listin Traudl Eutebach im Gen­er­al­bass unter­stützt hat, übern­immt die Auf­gabe, diesen Sprung auszuführen – und tut das gewandt, ohne die Boden­haf­tung zu ver­lieren. Wo andere Organ­is­ten sich gerne aus­to­ben, bevorzugt er eher gemäßigte Tem­pi und nimmt sich auch Zeit für Ruhep­unk­te – so bleibt auch in der Domakustik noch vieles erkennbar. Vor allem aber ist es seine sehr fan­tasievolle, abwech­slungsre­iche und ein­fühlsame Reg­istrie­ung, die nicht nur das Poten­zial der Orgel auskostet, son­dern auch dem Werk zur vollen Gel­tung ver­hil­ft.

Der Domkam­mer­chor nimmt das dann direkt auf: Mit drei Motet­ten von Liszt zeigt er sich in der zweit­en Konz­erthälfte deut­lich far­biger als zuvor in der Abteilung „Alte Musik“, deut­lich vielfältiger auch in Dynamik und Artiku­la­tion. Vor allem zum Schluss hin steigern sich die nach­den­klichen Innigkeit­en: Sorgsam und faszinierend detail­re­ich ent­fal­tet Bre­itschaft schon Hugo Wolfs „Geistliche Lieder“, behut­sam und bedacht lässt er ihre res­ig­na­tiv-erlöste Endzeit­stim­mung genau aus­for­men. Und mit der Motette „Schaffe in mir Gott“ von Johannes Brahms, die zumin­d­est for­mal noch ein­mal den Bogen zum Anfang des Konz­ertes schlägt, kann er das sog­ar noch ein biss­chen über­bi­eten: Mit geziel­tem Kraftein­satz, mit präzis geset­zten Höhep­unk­te und trotz aller klan­glichen Delikatesse vor allem mit viel begeis­tertem Schwung.

(geschrieben für die Mainz­er Rheinzeitung.)

Reinraummusik: Die King’s Singers in St. Stephan

So richtig begeis­tern kon­nte ich mich beim Auftritt der King’s Singers in Mainz nicht: Per­fekt intoniert, ohne Frage — aber alles auch per­fekt rou­tiniert, vom Auf-die-Bühne-Schre­it­en bis zur Hand­hal­tung alles minu­tiös ein­studiert: Raum für Spon­taneität, für Begeis­terung (der Musik­er selb­st) gibt es hier nicht. Deswe­gen wird’s auch mal lang­weilig. Denn auch ein wahnsin­nig pro­fes­sioneller, nahezu per­fek­ter Ensem­bleklang ist alleine auf Dauer nur mäßig befriedi­gend. Aber trotz­dem schön anzuhören ;-)

Wenn es so etwas wie königliche Rein­heit gäbe – hier wäre es zu hören. Denn wenn die King’s Singers etwas beherrschen, dann ist es die müh­elose Per­fek­tion der reinen Into­na­tion. Eine naht­lose, unzer­brech­liche Ein­heit bilden diese sechs Sänger, vom ersten Einat­men bis zum let­zten­Verklin­gen. Und selb­st die Hand­hal­tung und das pro­fes­sionelle Lächeln sind bei allen gle­ich – Unter­schiede gibt es nur in der Haar­tra­cht.

Mit unwider­stehlich­er Rou­tine pro­duzieren die King’s Singers einen Ver­schmelzungsklang, der wahnsin­nig machen kann. Zusam­men bilden sie etwas ganz Einzi­gar­tiges, bei dem es fast egal ist, was sie sin­gen. In St. Stephan, wo sie im Rah­men des Rhein­gau Musik­fest­vals gastierten, war das zunächst ein Grün­don­ner­stags-Pro­gramm rund um den gre­go­ri­an­is­chen Choral „Pange lin­gua“. Da macht es auch nichts, das die Kar­woche schon einige Zeit zurück liegt: Hier geht es nur um die Musik, und da vor allem um den puren Klang – die Texte und Inhalte spie­len nur eine unter­ge­ord­nete Rolle. In St. Stephan waren die Worte nur aus­nahm­sweise zu erah­nen, ver­ste­hen kon­nte man die Text schon gar nicht.

Schön ist diese Musik trotz­dem. Und das ist die Haupt­sache, egal ob es um Motet­ten von Car­lo Gesu­al­do oder von Anton Bruck­n­er geht, ob Mau­rice Duru­flés „Tan­tum ergo“ oder Tomas Luis de Vic­to­rias „Pop­ule meus“ erklingt. Die Dif­ferenz zwis­chen 16. und 20. Jahrhun­dert wird müh­e­los über­brückt, die Unter­schiede ver­schwim­men: Das sind ein­fach die King’s Sin­grs – fer­tig. Und das heißt: Wohlk­lang pur, immer wieder, egal, welche Noten ger­ade auf dem Pult liegen. Schon das langsame Ausklin­gen der Schlus­sakko­rde allein ist dabei jedes Mal wieder beza­ubernd, wie sie immer weich­er wer­den und sich im Raum auflösen – solche Fein­heit­en bietet kaum ein anderes Ensem­ble so überzeu­gend. Aber beson­ders span­nend ist das nicht, weil außer dem extrem gle­ich­mäßig, unge­mein rein aus­ge­formten Wohlk­lang für die sechs Englän­der wenig anderes zählt. Ein kleines Crescen­do ist da schon fast eine Sen­sa­tion. Denn die zarte Zer­brech­lichkeit des per­fek­ten Vokalk­langs ist eben immer in Gefahr – da würde über­mäßige Expres­siv­ität nur schaden. Und schade wäre es wirk­lich, würde dieser Wohllaut zer­stört. Doch das passiert den King’s Singers nie, ihr einzi­gar­tiger a‑cap­pel­la-Klang bleibt auch an diesem Abend unge­brochen.

Neu und alt, friedlich vereint — im Gedenken

Es war wie bei der Urauf­führung: Das Pub­likum war von Béla Bartóks „Musik für Sait­enin­stru­mente, Schlag­w­erk und Celes­ta“ so begeis­tert, dass das Orch­ester den let­zten Satz wieder­holen musste. Damals, vor fast 75 Jahren in Basel genau so wie jet­zt im Kur­fürstlichen Schloss. Das Orch­ester der Mainz­er Musikhochschule unter Wol­fram Koloseus war schuld an dieser Par­al­lelität. Denn beim Abschluss der diesjähri­gen „MainzMusik“-Konzertreihe bot es ein span­nen­des und über­raschen­des Pro­gramm, bei dem der Schlus­sap­plaus vol­lkom­men gerecht­fer­tigt war.

Der Beginn des Konz­ertes war aber etwas aktueller, mit der Stre­icher­musik „Der Opfer Hiroshi­mas gedenk­end“. Uwe Lohrmann — geboren im Jahr der Urauf­führung der Bartók-Musik – schrieb dieses Stück für dop­peltes Stre­i­chorch­ester und Solovi­o­line zur Erin­nerung an und aus Anlass des 60. Jahrestages des ersten Atom­bombenein­satz. Dichte, kom­plexe Akko­rde der vie­len Stre­ich­er­stim­men sind das, die das schreck­liche Geschehen sehr bild­haft ein­fan­gen. Vor allem aber ist es eine Musik der Trauer, des Schmerzes und des Ver­lustes – und darin ganz unmit­tel­bar. Genau darauf legt es auch Koloseus, der 2005 schon die Urauf­führung dirigierte, an. Und auch Ben­jamin Bergmann als Solist, der aber als solch­er gar nicht sehr her­aussticht, son­dern sich eng in das Orch­estergeschehen inte­gri­ert, fol­gt ihm eng. Zusam­men wid­men sie sich Lohrmanns Musik sehr effek­tiv und kon­trol­liert: Sie machen bewe­gende, emo­tionale Musik, ohne sich in Sen­ti­men­tal­itäten zu ver­lieren.
Der Trauer­musik fol­gt dann ein uner­warteter Abstech­er in die Wiener Klas­sik: Mozarts große g‑Moll-Sin­fonie. Und es funk­tion­ierte. Denn Mozarts vor­let­zte Sin­fonie erweist sich im Schloss als wun­der­bare Ergänzung, wie ein Kom­men­tar aus der Ver­gan­gen­heit. In gewiss­er Weise ist das ein biss­chen wie ein Rück­kehr in die Nor­mal­ität, die aber auch nie eine heile Welt war – denn Koloseus führt auch die Abgründe und Brüche dieser Musik vor, ohne sich darin zu ver­lieren. Geschmei­dig und für ein Stu­den­tenorch­ester sehr klangkul­tiviert navigiert er sich­er durch Mozarts Spätwerk.

Wie über­haupt vieles klappte an diesem Abend. Selb­st die kleinen Unge­nauigkeit­en, die sich in Bartóks „Musik für Sait­enin­stru­mente, Schlag­w­erk und Celes­ta“ hin und wieder ein­schlichen, gehören dazu: Denn Koloseus wirft sich und das Hochschu­lorch­ester betont ungestüm in die kul­tivierte Wild­heit Bartóks, ihre ewig drän­gen­den Unruhe und rast­losen Bewe­gung, die nur kurze Momente des Innehal­tens, der idyl­lis­chen Inseln der Har­monie im Meer der Unrast erlaubt. Und das ist so mitreißend, dass selb­st der Diri­gent auf­passen muss, auf der Bühne nicht ein­fach loszu­tanzen.

(geschrieben für die Mainz­er Rhein-Zeitung.)

Singende Seelen

Wenn ein A‑Cap­pel­la-Ensem­ble sich den Namen „Sjael­la“, für „Seele“ gibt, kann man von der ersten CD schon einiges erwarten. Beson­ders beseelt sin­gen die sechs jun­gen Sän­gerin­nen auf ihrer Debüt-Auf­nahme allerd­ings eher sel­ten. Ein biss­chen schade ist das, die tech­nis­chen Möglichkeit­en dazu hätte die Gruppe, die trotz der Jugend ihrer Mit­glieder schön sechs Jahre gemein­sam singt, näm­lich dur­chaus. Der wilde Stilmix, das kun­ter­bunte Sam­mel­suri­um dieser CD zeigt das deut­lich: Into­na­tion­ssich­er und klar aus­bal­anciert sin­gen sie immer, ob die Musik von Knut Nyst­edt stammt oder von Sting, ob ger­ade die Noten von Duru­flés „Tota pul­chra es“ oder ein Volk­slied­satz an der Rei­he sind: Immer wieder singt Sjael­la ohne Zweifel sauber – man kön­nte prob­lem­los mitschreiben. Aber Charme, Inspi­ra­tion oder Esprit – das ver­mit­telt die Auf­nahme lei­der kaum. Deswe­gen hän­gen selb­st Bea­t­les-Hits wie „Dri­ve my car“ oder Stings „Val­paraiso“ etwas glan­z­los im leeren Raum. Dabei gelingt Sjael­la dur­chaus einiges, Dia­mons are a girl’s best friend etwa – das hat in sein­er naiv­en Unschuld schon seinen Reinz … Aber ob das wirk­lich so tief ins Innere der Teenag­er-See­len blick­en lässt, wie das Book­let behauptet?

Sjael­la: Sjael­la. Quer­stand VKJK 1009. 2011. 48:52 Minuten.

(geschrieben für die Neue Chorzeit.)

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